Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Als die Sinnkrise über die Glotzenmacher kam
Das Ende der Bürgerblock-Hegemonie unter Nicolas Sarkozy geht mit einer Krise auch im Mediensektor einher. Die bislang absolut führende Verdummungsmaschine Numero 1, der TV-Sender TF1, hat erstmals mit massiven Probleme zu kämpfen
 

5/6-12

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Ein Erdbeben“ in der Medienlandschaft, oder ein Meilenstein beim „Sturz eines Imperiums“: Viele französischen Medien sparten nicht mit kraftvollen Ausdrücken, nachdem Ende Mai 2012 die bisherige Nachrichtensprecherin des Fernsehsenders TF1 auf unvermittelte und brüske Weise ihren Rücktritt angekündigt hatte. Laurence Ferrari, die seit August 2008 die 20 Uhr-Abendnachrichten auf dem ersten Kanal des französischen Fernsehsenders moderiert hatte, wechselt in diesen Tagen zum neuen, kleineren Privatsender Direct8. Dort wird sie über eine eigene Talkshow verfügen. Ihr Abgang bei TF1 (vgl. http://www.lefigaro.fr/) erfolgte so schlagartig, dass es dem Sender schwer fiel, sie zu ersetzen. Am Freitag, den 15. Juni wurde jedoch die Ernennung des neuen Nachrichtensprechers Gilles Bouleau (ab Herbst dieses Jahres) bekannt gegeben, vgl. http://actu.orange.fr/

Im Unterschied zu anderen Rücktritten von Starjournalisten gab es bei Laurence Ferrarai weder eine Vorwarnung noch den Versuch, eine Abfindungszahlung für das Zurücklassen eines lukrativen Postens auszuhandeln.

Die Pariser Abendzeitung Le Monde – das „Flaggschiff“ der französischen Presse – widmete dem Ereignis zwei mal, Ende Mai d.J. und in der zweiten Juniwoche 2012, eine volle Seite; vgl. http://www.lemonde.fr oder http://www.lemonde.fr/a-la-une/ - Einen der mutmaßlichen Hauptgründe benannte das als seriöseste Zeitung in Frankreich geltende Blatt dabei aber erstaunlicherweise mit keinem einzigen Wort: Wenn Ferrari sich in letzter Zeit bei ihrem bisherigen Sender unterschwellig in Richtung Tür gedrängt fühlte, dann deswegen, weil die von ihr präsentierten Abendnachrichten eine „Glaubwürdigkeitskrise“ durchmachten. Und diese hing auch – nicht nur, aber eben auch – mit ihrer vermuteten und/oder realen Nähe zum vormaligen politischen Machtzentrum zusammen: dem Elysée-Palast unter Nicolas Sarkozy. Während die seriöseste französische Tageszeitung, Le Monde, dies mit keinem Wort erwähnte (vielleicht, um keinem Gossenjournalismus über das Privatleben die Tür zu öffnen – was OK wäre, nur dass es hier um ein Politikum geht), benannte etwa das primitive Regenbogenmagazin Voici diesen Grund in seiner Ausgabe vom 02. Juni 12.

Einer der Hintergründe: Als Sarkozys Ehekrise mit seiner damaligen Gattin Cécilia im Sommer 2007 für alle Welt offensichtlich wurde, und bevor der Präsident seine jetzige Gemahlin Carla Bruni-Sarkozy im darauffolgenden Winter als Ersatz für die First Lady vorstellte, wurde allenthalben über seine tatsächlichen oder vermeintlichen Frauenbeziehungen gemunkelt. Laurence Ferrari galt damals in breiten Kreisen als sicherster „Tipp“: Viele journalistischen Quellen gaben die behauptete Zweierkiste als gesicherte Meldung aus. Ob diese Behauptung zutraf oder nicht, ist nicht zu beurteilen und geht uns auch nichts an: Das Privatleben der Prominenten sollte dem Publikum tatsächlich besser entzogen sein. Allerdings handelt es sich bei dem Vorwurf über gar zu große Sarkozy-Nähe keinesfalls um eine intime Angelegenheit – sondern um ein Politikum, das nicht die TV-Journalistin individuell anging, sondern den Sender als solchen.

Karriere eines rechten staatsnahen Privatsenders

TF1 wurde im Jahr 1987 unter dem damaligen rechten Premierminister Jacques Chirac privatisiert. Seitdem steht der einflussreichste Fernsehsender des Landes im Besitz des Betonriesen Bouygues. Der aktuell an der Spitze stehende Konzernerbe, Martin Bouygues, ist ein notorischer Duzfreund von Ex-Präsident Sarkozy. Nicht nur aus diesem Grund ist der Sender eng mit der politischen Rechten verwoben: Im Wahlkampf 2001/02 etwa betrieb TF1 eine derart frenetische Angstkampagne zum Thema „Innere Sicherheit“, dass der Sender nach dem Wahlausgang von KritikerInnen vielfach als „TFN“ bezeichnet wurde, weil er dem rechtsextremen Front National (FN) so sehr geholfen habe. Im September 2011 sorgte die TV-Station für einen Skandal, weil sie eine bereits programmierte Sendung zur „Karatschi-Affäre“ – eine Korruptionsgeschichte rund um französische Rüstungsexporte – unmittelbar vor Ausstrahlung absetze. Einer der Hauptprotagonisten in dem Dossier ist Nicolas Sarkozy. Einen Monat zuvor war der Sender zudem dabei ertappt worden, wie er bei einer Sendung über Jugendkriminalität auf gar zu manifeste Weise gefälscht hatte. Eine als angebliche betroffene Mutter auftretende Zeugin am Bildschirm erwies sich als kinderlos – war jedoch parlamentarische Mitarbeiterin des Rechtsaußen-Abgeordneten Eric Ciotti.

Die vormals regierende Rechte betrieb ganz offen eine Medienpolitik zugunsten von TF1: Im Jahr 2008 wurde beschlossen, die Werbeeinnahmen für die öffentlich-rechtlichen Sender drastisch zu reduzieren, was den privaten rechten Konkurrenten extrem begünstigt hätte. Zweieinhalb Jahre später wurde der Beschluss jedoch im Herbst 2010 beerdigt, vgl. http://www.lemonde.fr/

TF1 hört unterdessen nicht auf, an Publikumseinfluss zu verlieren: Von 2006 bis heute fiel sein Marktanteil von 30 auf 23 Prozent. Aus diesem, aber auch aus anderen Gründen ab 2009 fiel der Werbeanteil u.a. wegen der Finanz- -und Wirtschaftskrise zeitweilig drastisch verfiel der Aktienwert von zuvor 28 Euro auf jetzt noch 5,90 Euro. Allerdings blieben im Jahr 2011 von den 100 höchsten Einschaltquoten für Einzelsendungen insgesamt 99 im Hause TF1, was dessen verbleibenden Rest-Einfluss unterstreicht. Auf ideologischer Ebene bleibt die Verdummungsanstalt TF1 immer noch mächtig. Dennoch musste der Sender soeben ein Kostensparprogramm verkünden, zu dem ihn die jüngsten Berichte über Krisenphänomene zwangen die Einsparungsliste hört auf den NamenFitnessprogramm und könnte den Abbau von 300 Arbeitsplätzen bedeuten. (Vgl. http://www.lemonde.fr/)

Das geflohene Publikum ging zum Teil zu den politisch etwas moderater oder ein klein wenig unparteiischer auftretenden öffentlich-rechtlichen Stationen wie France 2 oder 3: Am Wahlabend der diesjährigen französischen Präsidentschaftswahl, dem 6. Mai 2012, blieb zum ersten Mal der Zuschaueranteil der Hauptnachrichten von TF1 (mit 21,6 %) hinter jenem des öffentlich-rechtlichen Konkurrenten France 2 (26,6 %) zurück. Bei TF1 durfte man gestrost von einer bleibenden Nähe zum soeben besiegten Nicolas Sarkozy ausgesehen, beim öffentlich-rechtlichen Sender von einer ausgewogeneren (bis Hollande stärker zugeneigten) Position. Zum Vergleich: Am Wahlabend bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2007, an dem Sarkozy gewonnen hatte, betrug der „Markanteil“ an Zuschauer/innen von TF1 noch glatt das Doppelte dessen seines öffentlich-rechtlichen Rivalen, France 2.

Der Wahlabend 2012 markiert einen tiefen ideologischen Legitimationsverlust, eine Erosion des „Vertrauenskapitals“. Laurence Ferrari wurde damals schon als Sündenbock für den Terrainverlust des Senders behandelt: In letzter Minute erfuhr sie an jenem 06. Mai 2012, dass nicht sie um punkt 20 Uhr den Namen des Wahlsiegers auf den Bildschirmen bekannt geben sollte, sondern ihre langjährige Rivalin Claire Chazal.

Ein anderer Teil des Publikums, der bislang TF1 eher aufgrund seiner hohen Dosis an leichter Kost und billigem Amüsement die Stange hielt, ging gleichzeitig dort hin, wo solches noch unverblümter und mit noch geringerem politischem Seriositäts-Anspruch geboten wird. Wie beim Privatsender M6.

Hegemoniekrise auf den Bildschirmen - und im wahren politischen Leben

Die Krise von TF1 überlappt sich mit der Hegemoniekrise der politischen Rechten, die Nicolas Sarkozy – anlässlich seines jüngst verkündeten Rückzugs aus dem politischen Leben - in einem ziemlich schlechten Zustand zurückgelassen hat. Noch ist es nicht gelungen, eine neue Form der Hegemonie zu begründen. Davon ist die frisch in die Regierung gekommene Sozialdemokratie weit entfernt, jedenfalls bei den audiovisuellen Medien. Im Näheren bleibt dabei die künftige Ernennungspolitik François Hollands bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten abzuwarten. In den Printmedien hingegen verfügt Hollande bei den wichtigsten und seriösesten Zeitungen – unter ihnen Le Monde und Libération – über eine extrem solide Basis, mit Ausnahme des Figaro, der innenpolitisch als Linienorgan und Parteiblatt der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP auftritt. Die vorgenannten, eher in der Mitte angesiedelten bis linksliberalen Leitzeitungen hingegen hatten sich derart kritisch gegenüber Sarkozy positioniert, dass ihnen in den letzten Monaten lange Zeit nichts Kritisches zu seinem (erwarteten und dann auch gewählten) Nachfolger einfiel. Libération fiel Ende April durch ein Dossier zur Kulturpolitik unangenehm auf, dessen einzige Interviewpartnerin – auf einer Doppelseite – just Hollands Lebensgefährtin, die Journalistin Valérie Trierweiler, war. Dagegen gab es Vorbehalte und Proteste in der Redaktion.

Ende Mai 12 brillierte Le Monde durch eine satte (und beinahe Weihrauch ausströmende) zwölfseitige Beilage zur persönlichen Bilanz François Hollandes, nach nur wenigen aktiven Amtstagen, während Libération eine Sondernummer zum selben Thema in die Kioske brachte. Beide Zeitungen werden aufpassen müssen, dass sie nicht ähnlich in den Abgrund gezogen werden wie zeitweilig die Enthüllungs- und Satirezeitung Le Canard enchaîné – diese hatte nach der Wahl des „Sozialisten“ François Mitterrand zum Präsidenten 1981 für ein paar Jahre derart an Biss verloren, dass sie regelrecht langweilig geworden war. Ähnliches könnte manchen Zeitungen nun drohen, wenn die Berichterstattung über ihren Lieblingsfeind Sarkozy nicht alsbald Ersatz durch eine halbwegs kritische Inlandsanalyse findet.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.