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„Linksfront“
bleibt in Fraktionsstärke im Parlament
Die französische „Linksfront“ oder
der Front de gauche ist ein Wahl- und
Aktionsbündnis. Im Kern handelt es sich um einen
Zusammenschluss aus der französischen KP, also dem
Parti communiste français (PCF), und der
„Linkspartei“, d.h. dem Parti de gauche
von Jean-Luc Mélenchon. Letzterer hatte sich im Winter
2008/09 von der französischen Sozialdemokratie
abgetrennt.
Hinzu kommen kleinere
Mitgliedsgruppen, darunter zwei Abspaltungen des NPA (zu
dieser Partei vgl. unten) unter den Namen Gauche
Unitaire und Convergences & Alternances
sowie eine reformistisch-demokratische Abspaltung von
der französischen KP unter dem Namen FASE.
Die gemeinsame „Linksfront“ bleibt jedoch nach wie vor
ein Organisationskartell, d.h. man kann ihr nicht direkt
als Mitglied beitreten, sondern muss einem/r der ihr
angehörenden Parteien/Verbände angehören. Und die
französische KP, deren Apparat nach wie vor mächtige
Eigen- und Selbsterhaltinteressen bürokratischer Natur
verfolgt, wird ganz bestimmt nicht ihrer Selbstauflösung
in die „Linksfront“ hinein zustimmen – einer solchen
Lösung widersetzt sie sich wie der Teufel dem
Weihwasser.
Als gemeinsamer
Präsidentschaftskandidat des Linksbündnisses erhielt
Jean-Muc Mélenchon bei der Präsidentschaftswahl im April
d.J. 11,1 Prozent der Stimmen. Damit lag er allerdings
hinter den Umfragen, die vor der Wahl erschienen waren
(und die ihm zeitweilig bis zu 16, ja 17 Prozent
prognostizierten), zum Teil deutlich zurück. Mélenchon
setzte überwiegend auf einen keynesianisch geprägten
Programmdiskurs, der etwa Lohnerhöhungen und den Bau von
Sozialwohnungen als Lösungsansätze für die
Wirtschaftskrise darstellte. In ihn baute er jedoch auch
marxistische Versatzstücke ein – mitunter forderte er
sein Publikum zum „Klassenkampf“ auf -, aber auch
ökologische Ansätze wie den Ausstieg aus der Atomenergie
(bislang für die französische KP ein rotes Tuch!) und
den Umbau der Energieversorgung. Auch ein starkes
links-patriotisches Element, wie es der französischen KP
geschichtlich ebenfalls nicht fremd ist, konnte man
ausmachen.
Zu den
negativsten Aspekten an Jean-Luc Mélenchons Politik und
Diskurs zählte ferner seine ausgesprochene Faszination
für das kubanische Regime – welche noch in Ansätzen
verständlich ist in Anbetracht der Konfrontation Kubas
mit der erdrückenden Übermacht der USA -, vor allem aber
für das chinesische „Modell“. Letztere, ungleich
schlimmere Faszination erklärte Mélenchon aus der nach
wie vor starken Rolle des chinesischen Staats in der
Wirtschaftspolitik. Er bereiste in seiner Amtszeit als
Minister für Berufsschulen (April 2000 und April 2002)
China und unterhielt auch halbprivate Kontakte zu
Regimefunktionären.
Anders als Oskar Lafontaine in
Deutschland, der einen ähnlichen Platz im
Parteienspektrum besetzt wie Mélenchon in Frankreich,
sind bei Letzterem jedoch keine ernsthaften Zweifel am
linken Profil zu gesellschaftspolitischen Themen
angebracht. Von Mélenchon ist keine Rede gegen
„Fremdarbeiter“ bekannt, vergleichbar mit jener
Lafontaines in Chemnitz im Juni 2005. Und auch
Lafontaines demonstratives Verständnis, das er 2003 in
der BILD-Zeitung für Überlegungen des Frankfurter
Polizeipräsidenten für „Folter in Ausnahmefällen“ (den
Vorwand lieferte damals eine Kindesentführung) erklärte,
findet bei Mélenchon kein Pendant. Trotz eines
Ausrutschers gegen die Freizügigkeit osteuropäischer
Lohnabhängiger im Zusammenhang mit der
EU-Verfassungsdebatte im Mai 2005 („.Litauer? Was hab’
ich mit denen am Hut? Kennen Sie welche?“) ist
Mélenchons Profil insgesamt ein klar antirassistisches.
Er setzte sich im Wahlkampf 2012 etwa für die
„Legalisierung“ aller Sans papiers, also
„illegalisierten“ Einwanderer, und gleiche soziale
Rechte für Immigranten ein.
Ergebnisse bei der
Parlamentswahl
Bei der Parlamentswahl vom 10. und
17. Juni dieses Jahres erhielten die KandidatInnen der
„Linksfront“, die zu 80 Prozent von der französischen KP
aufgestellt worden waren, dann ein erheblich niedrigeres
Ergebnis als bei der Präsidentschaftswahl. Im
Landesdurchschnitt erhielten sie 6,9 Prozent der
Stimmen.
Mélenchon scheiterte mit seiner
eigenen, kurzfristig beschlossenen, Kampfkandidatur
gegen die rechtsextreme Parteichefin Marine Le Pen in
deren Wahlkreis, Hénin-Beaumont im nordostfranzösischen
ehemaligen Bergbaurevier. Ursprünglich hatte der „Pakt“
zwischen den beiden Hauptparteien des Linksbündnisses –
KP und „Linkspartei“ – im Jahr 2011 den Verzicht auf
eine Parlamentskandidatur Mélenchons, im Gegenzug zur
Zustimmung der KP zu seiner Präsidentschaftsbewerbung,
beinhaltet. Mélenchon hielt sich jedoch nicht daran,
sondern kündigte im Namen der Erfordernisse des
antifaschistischen Kampfs eine symbolträchtige
Kandidatur gegen Marine Le Pen an. Es gehe ihm darum,
verkündete Mélenchon, vor Ort „die richtige
Fragen“ zu stellen, etwa diese: „Sind die
Banker oder die Einwanderer Schuld an der Misere?“
Dabei behauptete sich die
Rechtsextreme, die vor Ort über eine gute Verankerung
dank langjähriger Vorarbeit „auf dem Terrain“ verfügt,
letztendlich jedoch: Marine Le Pen erhielt über 42
Prozent im ersten Wahlgang, und 49,89 % in der Stichwahl
gegen den Sozialdemokraten Philippe Kemel. Mélenchon
landete im ersten Durchgang mit gut 21 Prozent auf dem
dritten Platz, hinter Kemel mit gut 23 Prozent, und
schied deswegen aus. Trotz einiger wirklich guter
Ansätze – beispielsweise hatten Mélenchons
Anhänger/innen anlässlich der Etappe des derzeit
laufenden „Europaweiten Marschs der Sans papiers“
in Hénin-Beaumont, am Wochenende des 02./03. Juni, eine
Demonstration für die „illegalisierten“ Einwanderer
sowie im Andenken für eine örtliche Widerstandskämpferin
mit (je nach Angaben) 3.000 bi 6.000 Teilnehmer/innen
auf die Beine stellte – fehlte es dem Kandidaten des
Linksbündnisses an örtlicher Verankerung. Diese konnten
auch seine lokalen KP-Verbündeten, mangels
längerfristiger Vorarbeit, ihm nicht verschaffen.
Deswegen blieb die Kampfkandidatur, trotz punktueller
gute Ansätze (die o.g. Demonstration hat sicherlich
zahlreiche Menschen ermutigen können), letztendlich
weitgehend Spektakelpolitik.
Das
Gesamtergebnis der Parlamentskandidaturen der
„Linksfront“ liegt zwar von der Stimmen- und Prozentzahl
her über den Ergebnissen der französischen KP bei der
letzten Parlamentswahl (2007, also vor der Gründung der
„Linksfront“), um rund zwei Prozentpunkte. Doch bei der
Parlamentswahl, wo das Mehrheitswahlrecht gilt, zählt
besonders die örtliche Dynamik in den einzelnen
Wahlkreisen. Dort wurden die KandidatInnen der
„Linksfront“ jedoch in diesem Jahr vielfach durch die
Sozialdemokratie ausgestochen, d.h. Erstere mussten sich
zwischen den beiden Durchgängen der Wahl zurückziehen,
um nicht besser platzierte BewerberInnen auf der
(sozialdemokratischen) Linken zu behindern. Aus diesem
Grund erreichte die „Linksfront“ nur noch 10
Abgeordnetensitze, statt zuvor 19. Dadurch hätte das
Bündnis normalerweise den Fraktionsstatus im Parlament,
für den nach derzeit geltenden Regeln mindestens
fünfzehn Sitze erforderlich sind, verloren. Aufgrund der
Verstärkung durch unabhängige Abgeordnete aus den
französischen „Überseegebieten“ konnte das Linksbündnis
jedoch in letzter Minute, bei der konstituierenden
Sitzung des neuen Parlaments, seine Fraktion doch noch
retten.
Aussichten
auf die Legislaturperiode
Am Abend des 20. Juni 12 entschied
die französische KP als eine der beiden Hauptkräfte der
„Linksfront“ sich gegen einen Eintritt in die neue,
sozialdemokratisch geführte Regierung unter Präsident
François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault.
Schon zuvor hatte sich die „Linkspartei“ Mélenchons ganz
ähnlich positioniert, und Mélenchon schloss einen
Regierungseintritt für sich aus. KP-Chef Pierre Laurent
machte sich am 20. Juni seinerseits für eine Position
stark, die auf ein „Weder Opposition noch
Regierungsbeteiligung“ hinausläuft.
Die „Linksfront“ hätte sich auch
keinerlei Hoffnungen auf einen positiven Ausgang zu
machen brauchen. Die letzten Koalitionsbeteiligungen von
linken Parteien, besonders der französischen KP zwischen
1981 und 84 und zuletzt zwischen 1997 und 2002,
zeitigten aus deren Sicht meist unbefriedigende
Ergebnisse. Hernach wurde die KP jeweils scharf – und zu
Recht - durch ihre Wähler abgestraft. Unter den
Bedingungen der derzeitigen Krisenverwaltung rechnet das
Linksbündnis offenbar mit noch weniger Spielräumen für
politische Intervention auch gegen den „Druck der
Märkte“ oder für Umverteilung.
2.
Zum Abschneiden des NPA: für
mehrere Jahre im Keller
Der Kandidat des Nouveau parti
anticapitaliste – der „Neuen
Antikapitalistischen Partei“ – Philippe Poutou erhielt
bei der französischen Präsidentschaftswahl 1,15 % der
Stimmen. Die Parlamentsbewerber und –bewerberinnen der
Partei erhielten bei der Wahl im Juni ihrerseits im
Landesdurchschnitt unter 0,5 Prozent der Stimmen.
Neben der öffentlichen Sichtbarkeit
des NPA stand bei den Kandidaturen zum Parlament auch
die Möglichkeit, an der öffentlichen
Parteienfinanzierung teilzuhaben, auf dem Spiel. Auf
diese hat jede politische Partei dann ein Anrecht, wenn
ihre Parlamentskandidaten in mindestens 50 Wahlkreisen
(von insgesamt 577) ein Prozent der Stimmen oder mehr
erreichen. Diesen Anteil erreichten die Kandidaturen des
NPA jedoch im Juni 2012 nur in 18 Wahlkreisen. In den
kommenden fünf Jahren wird die Partei deswegen, anders
als in den fünf vorausgegangenen, von der öffentlichen
Finanzierung ausgeschlossen sein.
Nachdem die Partei in den Wochen
unmittelbar nach ihrer Gründung (Februar 2009) mit
Umfragewerten von bis zu zehn Prozent Wahlabsichten
gestartet war, stellt sich die Fragen nach dem
diesjährigen Absturz ihrer Stimmenanteile.
Dazu trugen
mehrere Faktoren bei.
Zum Einen ging die vor allem in der
Anfangsphase überdeutliche Strategie, sich überwiegend
als „Partei der sozialen Kämpfe“ zu profilieren, nicht
auf: Seit 2009 finden soziale Konflikte, wenn überhaupt,
nur gedämpft statt - mit Ausnahme einiger lokaler
„Bossnapping“ -Aktionen vor allem im ersten Halbjahr
2009. Und mit Ausnahme der breiten Streikbewegung gegen
die Renten„reform“, die stufenweise von Mai bis November
2010, doch („dank“ der Strategie der
Gewerkschaftsführungen!) mit einer bitteren und
ernüchternden Niederlage endete. Insgesamt hat die Krise
bislang in Frankreich mehrheitlich eher zu
Demoralisierung, Zukunftsangst und
Jeder-guckt-selbst-wie-er-durchkommt-Mentalität geführt.
Zumal es derzeit allzu manifest ist, dass die
Gewerkschaftsapparate jegliche Versuche, radikalere
Kämpfe (auf Massenebene) zu führen, ersticken.
Zum Zweiten haben die
NPA-Gründer/innen den Druck hin zur „Einheit der
Linken“, welcher an der Basis der unterschiedlichen
Linkskräfte herrscht, völlig und sträflich unterschätzt:
Im festen Glauben, zwischen einer klassenkämpferischen
radikalen Linken - wie man sie selbst verkörpere - und
einer glasklar bürgerliche Politik betreibenden, rechten
Sozialdemokratie gebe es „kaum mehr irgend etwas
dazwischen“, wurden die Restbestände der KP und die
ebenfalls im Februar 2009 lancierte „Linkspartei“
Jean-Luc Mélenchons (als Linksabspaltung von der
Sozialdemokratie) quasi als eine vernachlässigbare Größe
betrachtet. Denn es gebe keinen substanziellen Spielraum
mehr für eine „reformistische“, über den bürgerlichen
Staat betriebene soziale Umverteilungspolitik (selbst in
bisherigen Grenzen). Dies mag in der Tendenz durchaus
zutreffen - doch deswegen sind die betreffenden Parteien
noch lange nicht am Ende. Vielmehr konnten die o.g.
Parteien und die von ihnen gemeinsam herausgebildete
„Linksfront“ schon bald nach dem Gründungskongress der
„Linkspartei“ Mélenchons (im Februar 2009, nahezu
zeitgleich mit jenem des NPA) triumphieren. Ihnen kam
der in der linken Wählerschaft weit verbreitete Wunsch,
„Einheit“ über vermeintlich „unverständliche Querelen
zwischen Parteien“ triumphieren zu lassen, massiv zugute.
Dieses neue „Einheits“gefühl - und
der Eindruck, durch das Herüberwandern eines früheren
Flügels der Sozialistischen Partei im alten
„Einheitsfront“bestreben gegenüber der Sozialdemokratie
endlich bestätigt zu werden - hat der massiv gealterten
französischen KP ab dem Frühjahr 2009 einen
Sauerstoffschub verpasst. Nicht der NPA konnte davon
profitieren, weil er mit seiner ziemlich klaren
Distanzierung von der „Linksfront“ schnell eher in
relativ breiten Kreisen als Störenfried und „Sektierer“
wahrgenommen wurde und seine Gründe für diese
Positionierung nicht hinreichend vermitteln konnte. Die
Distanz gegenüber der „Linksfront“ wurde mal mit guten
Argumenten untermauert: diese grenze sich nicht genügend
von der Sozialdemokratie ab; und mal zusätzlich mit eher
fadenscheinigen Gründen unterfüttert wie im Juni 2009:
Erst nach einer Übernahme des eigenen Beschlusses zum
Atomausstieg wolle man mit der „Linksfront“ über
Bündnisse reden. (Als ob die traditionelle betonharte
Pro-Atomkraft-Position der französischen KP - die heute
leicht aufgeweicht wurde und durch die „Linkspartei“
Mélenchons i.Ü. nicht geteilt wird - jemals die radikale
Linke in der Vergangenheit je an Bündnisverhandlungen
mit der KP gehindert hätte.)
Drittens spielt auch der
Personenfaktor eine, vielleicht vom Prinzip her
bedauernswerte und doch wichtige, Rolle. Denn der
französische Politikbetrieb ist, einerseits durch das
Funktionieren der Medienapparate bedingt und
andererseits durch die Dominanz der
Präsidentschaftswahlen (d.h. einer Personenwahl) als
wichtigster Wahl unter der bestehenden Fünften Republik,
stark personenbezogen. Auch der NPA bildete faktisch
keine Ausnahme davon: Ihr Präsidentschaftskandidat in
den Jahren 2002 und 2007, der damals noch sehr junge (er
war bei den beiden Wahlgängen respektive 28 und 33 Jahre
alt) Postbedienstete und radikale Gewerkschafter Olivier
Besancenot, übte eine starke Faszination auf die Medien
aus.
Besancenot erhielt nicht nur 1,2
Millionen Stimmen bei der Wahl von 2002 (4,3 Prozent)
und 1,5 Millionen bei jener von 2007 (4,1 Prozent bei
gestiegener Wahlbeteiligung). Er kam in Talkshows und
vor den Kameras gut, bedingt durch sein persönliches
Auftreten, sein Temperament, sein (jugendliches)
Aussehen und seinen Redestil. In den bürgerlichen Medien
wurde die Partei deswegen oft quasi nur als „der Verein
von Olivier Besancenot“ wahrgenommen. Aber auch ein Teil
der nach dem Übergang von der alten LCR zum NPA -
welcher sich von der Präsidentschaftswahl im April 2007
zum Gründungskongress Anfang 2009 stufenweise vollzog -
neu gewonnen Mitglieder war durch diese „Aura“
beeinflusst.
Durch die im Mai 2011 bekannt
gegebene Entscheidung Olivier Besancenots, nicht wieder
als Präsidentschaftskandidat (für 2012) anzutreten, hat
die Partei in eine noch tiefere Krise gestürzt. Die
Gründe für diesen Rückzug liegen überwiegend darin
begründet, dass Besancenot selbst keine Lust auf einen
Status als faktischer „Medienstar“ verspürte und nicht
auf diese Weise ständig wie auf einem Podest präsentiert
werden wollte. Zum Anderen bevorzugt Besancenot auf die
Dauer sein Wirken als radikaler Aktivist sozialer
Bewegungen, besonders in der linken
Post-Basisgewerkschaft SUD-PTT, für welche er an eine
Reihe spektakulärer Aktionen teilnahm. Doch der Rückzug
Besancenots, der selbst kein Quasi-Star im Sinne der
bürgerlichen Medien sein wollte, ließ die Partei in
ebendiesen Medien „gesichtslos“ werden. Und es erweist
sich, dass diese herrschende Medienberichterstattung
eben doch nicht ohne Einfluss auf die Ideologiebildung
der Gesellschaft, und zwar einschließlich der sozialen
Basis oder jedenfalls des Umfelds der radikalen Linken,
bleibt. Der binnen kürzester Zeit de facto als
„Ersatzkandidat“ ausgewählte Philippe Poutou vermochte
es nicht, die solcherart aufgerissene – durch die
überstarke Personalisierung der Politik und die
Funktionsweise der Medienberichterstattung bedingte –
personelle „(Prominenten-) Lücke“ zu schließen.
Ein vierter gewichtiger Faktor bei
der Schwächung der Partei ist die „Plattformitis“: eine
veritable Krankheit, unter welcher der NPA leidet, in
Form der Auswüchse des Plattformen- und
Tendenzen-Unwesens. Ursprünglich war die Existenz
solcher organisierter Strömungen innerhalb der Partei –
die es bereits zuvor in der Vorläuferpartei LCR gab –
eine Garantie des innerparteilichen Pluralismus. Dagegen
ist auch nichts einzuwenden. Nur ist das Phänomen
inzwischen zum Nebeneinander mehrerer Blöcke geworden,
die sich in erster Linie rund um wahltaktische Fragen
(Wahlbündnisse mit Kräften wie der „Linksfront“ oder
nicht, Öffnung von Listen hin zu kleineren Formationen,
…) polarisieren, dabei Letztere jedoch dogmatisieren und
die wahlbezogene Strategiediskussion – statt taktische
Flexibilität zwischen verschiedenen Optionen zu
ermöglichen – zur „Lebensfrage“ stilisiert und auf Dauer
festgefroren haben.
Statt die politisch Aktiven
individuell entscheiden zu lassen, wobei die Individuen
ihre Haltung zu Fragen der Wahltaktik ja auch periodisch
ändern könnten, wird die Auseinandersetzung auf diesem
Feld zur Lebensberechtigung von ständig bestehenden
„Parteien in der Partei“. Letztere führen einen
Wahlkampf gegeneinander und haben sich längst (jenseits
jeglicher denkbarer, vernünftiger Daseinsberechtigung)
verselbständigt – zumal sie auch zur ständigen Tribüne
für Leute, an denen Berufspolitiker verloren gegangen
sind, werden können. Die Mitglieder werden quasi zur
Zuordnung zu einer der innerparteilichen Druck- und
Einflussgruppen gezwungen: Wer zu einer Debatte rund um
eine inhaltliche Frage in eine andere Stadt reist, dem
oder der kann es passieren, schon auf dem Weg vom
Bahnhof zum Veranstaltungsort nach der eigenen
„Tendenz“-Zugehörigkeit gefragt zu werden. Das ist nicht
nur überaus nervig, sondern auf die Dauer tödlich:
Bislang Außenstehende, die vielleicht Neumitglieder
werden könnten, haben auf einen solchen Quark oftmals
keine Lust.
Durch die Zulassung eines
innerorganisatorischen Pluralismus wollte die 1969
gegründete LCR (und nach ihr der 2009 aus ihr
entstandene NPA) es vermeiden, der damaligen
französischen KP zu ähneln. Diese war damals eine
„monolithische“ Partei, d.h. eine Formation, die sich
bemühte, zumindest nach außen hin „aus einem Guss“ zu
wirken und keinerlei abweichende „Linien“ zuzulassen.
Nur hat der heutige NPA stattdessen eines der Grundübel
der anderen etablierten Linkspartei, die in den letzten
vierzig Jahren mit der KP konkurrierte – der
französischen Sozialdemokratie -, kopiert. Auch die
französische Sozialdemokratie besteht, oder bestand
jedenfalls lange Jahre, aus organisierten Seilschaften,
die als regelrechte „Parteien in der Partei“ wirken
(rund um Lionel Jospin, Michel Rocard, Laurent Fabius,
…); bei der Sozialdemokratie allerdings auch aufgrund
der Konkurrenz um Ämter und Karrieren. Auf der radikalen
Linken wäre es an der Zeit für den NPA, sich vom
„Plattform“übel zu erlösen und alle auf Dauer
verfestigten Strukturen, welche im Kern nur
wahltaktische Fragen zum Gegenstand haben, aufzulösen
und zum Teufel zu jagen. Echter linker Pluralismus sieht
anders aus, als ständige Politikaster-Pseudodebatten zu
tolerieren.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Text vom Autor für
diese Ausgabe.