Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach der Parlamentswahl
Die Kräfte der künftigen Linksopposition – „Linksfront“ und NPA
 

5/6-12

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  1. Linksfront“ bleibt in Fraktionsstärke im Parlament

Die französische „Linksfront“ oder der Front de gauche ist ein Wahl- und Aktionsbündnis. Im Kern handelt es sich um einen Zusammenschluss aus der französischen KP, also dem Parti communiste français (PCF), und der „Linkspartei“, d.h. dem Parti de gauche von Jean-Luc Mélenchon. Letzterer hatte sich im Winter 2008/09 von der französischen Sozialdemokratie abgetrennt.

Hinzu kommen kleinere Mitgliedsgruppen, darunter zwei Abspaltungen des NPA (zu dieser Partei vgl. unten) unter den Namen Gauche Unitaire und Convergences & Alternances sowie eine reformistisch-demokratische Abspaltung von der französischen KP unter dem Namen FASE. Die gemeinsame „Linksfront“ bleibt jedoch nach wie vor ein Organisationskartell, d.h. man kann ihr nicht direkt als Mitglied beitreten, sondern muss einem/r der ihr angehörenden Parteien/Verbände angehören. Und die französische KP, deren Apparat nach wie vor mächtige Eigen- und Selbsterhaltinteressen bürokratischer Natur verfolgt, wird ganz bestimmt nicht ihrer Selbstauflösung in die „Linksfront“ hinein zustimmen – einer solchen Lösung widersetzt sie sich wie der Teufel dem Weihwasser.

Als gemeinsamer Präsidentschaftskandidat des Linksbündnisses erhielt Jean-Muc Mélenchon bei der Präsidentschaftswahl im April d.J. 11,1 Prozent der Stimmen. Damit lag er allerdings hinter den Umfragen, die vor der Wahl erschienen waren (und die ihm zeitweilig bis zu 16, ja 17 Prozent prognostizierten), zum Teil deutlich zurück. Mélenchon setzte überwiegend auf einen keynesianisch geprägten Programmdiskurs, der etwa Lohnerhöhungen und den Bau von Sozialwohnungen als Lösungsansätze für die Wirtschaftskrise darstellte. In ihn baute er jedoch auch marxistische Versatzstücke ein – mitunter forderte er sein Publikum zum „Klassenkampf“ auf -, aber auch ökologische Ansätze wie den Ausstieg aus der Atomenergie (bislang für die französische KP ein rotes Tuch!) und den Umbau der Energieversorgung. Auch ein starkes links-patriotisches Element, wie es der französischen KP geschichtlich ebenfalls nicht fremd ist, konnte man ausmachen.

Zu den negativsten Aspekten an Jean-Luc Mélenchons Politik und Diskurs zählte ferner seine ausgesprochene Faszination für das kubanische Regime – welche noch in Ansätzen verständlich ist in Anbetracht der Konfrontation Kubas mit der erdrückenden Übermacht der USA -, vor allem aber für das chinesische „Modell“. Letztere, ungleich schlimmere Faszination erklärte Mélenchon aus der nach wie vor starken Rolle des chinesischen Staats in der Wirtschaftspolitik. Er bereiste in seiner Amtszeit als Minister für Berufsschulen (April 2000 und April 2002) China und unterhielt auch halbprivate Kontakte zu Regimefunktionären.

Anders als Oskar Lafontaine in Deutschland, der einen ähnlichen Platz im Parteienspektrum besetzt wie Mélenchon in Frankreich, sind bei Letzterem jedoch keine ernsthaften Zweifel am linken Profil zu gesellschaftspolitischen Themen angebracht. Von Mélenchon ist keine Rede gegen „Fremdarbeiter“ bekannt, vergleichbar mit jener Lafontaines in Chemnitz im Juni 2005. Und auch Lafontaines demonstratives Verständnis, das er 2003 in der BILD-Zeitung für Überlegungen des Frankfurter Polizeipräsidenten für „Folter in Ausnahmefällen“ (den Vorwand lieferte damals eine Kindesentführung) erklärte, findet bei Mélenchon kein Pendant. Trotz eines Ausrutschers gegen die Freizügigkeit osteuropäischer Lohnabhängiger im Zusammenhang mit der EU-Verfassungsdebatte im Mai 2005 („.Litauer? Was hab’ ich mit denen am Hut? Kennen Sie welche?“) ist Mélenchons Profil insgesamt ein klar antirassistisches. Er setzte sich im Wahlkampf 2012 etwa für die „Legalisierung“ aller Sans papiers, also „illegalisierten“ Einwanderer, und gleiche soziale Rechte für Immigranten ein.

Ergebnisse bei der Parlamentswahl

Bei der Parlamentswahl vom 10. und 17. Juni dieses Jahres erhielten die KandidatInnen der „Linksfront“, die zu 80 Prozent von der französischen KP aufgestellt worden waren, dann ein erheblich niedrigeres Ergebnis als bei der Präsidentschaftswahl. Im Landesdurchschnitt erhielten sie 6,9 Prozent der Stimmen.

Mélenchon scheiterte mit seiner eigenen, kurzfristig beschlossenen, Kampfkandidatur gegen die rechtsextreme Parteichefin Marine Le Pen in deren Wahlkreis, Hénin-Beaumont im nordostfranzösischen ehemaligen Bergbaurevier. Ursprünglich hatte der „Pakt“ zwischen den beiden Hauptparteien des Linksbündnisses – KP und „Linkspartei“ – im Jahr 2011 den Verzicht auf eine Parlamentskandidatur Mélenchons, im Gegenzug zur Zustimmung der KP zu seiner Präsidentschaftsbewerbung, beinhaltet. Mélenchon hielt sich jedoch nicht daran, sondern kündigte im Namen der Erfordernisse des antifaschistischen Kampfs eine symbolträchtige Kandidatur gegen Marine Le Pen an. Es gehe ihm darum, verkündete Mélenchon, vor Ort „die richtige Fragen“ zu stellen, etwa diese: „Sind die Banker oder die Einwanderer Schuld an der Misere?“

Dabei behauptete sich die Rechtsextreme, die vor Ort über eine gute Verankerung dank langjähriger Vorarbeit „auf dem Terrain“ verfügt, letztendlich jedoch: Marine Le Pen erhielt über 42 Prozent im ersten Wahlgang, und 49,89 % in der Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Philippe Kemel. Mélenchon landete im ersten Durchgang mit gut 21 Prozent auf dem dritten Platz, hinter Kemel mit gut 23 Prozent, und schied deswegen aus. Trotz einiger wirklich guter Ansätze – beispielsweise hatten Mélenchons Anhänger/innen anlässlich der Etappe des derzeit laufenden „Europaweiten Marschs der Sans papiers“ in Hénin-Beaumont, am Wochenende des 02./03. Juni, eine Demonstration für die „illegalisierten“ Einwanderer sowie im Andenken für eine örtliche Widerstandskämpferin mit (je nach Angaben) 3.000 bi 6.000 Teilnehmer/innen auf die Beine stellte – fehlte es dem Kandidaten des Linksbündnisses an örtlicher Verankerung. Diese konnten auch seine lokalen KP-Verbündeten, mangels längerfristiger Vorarbeit, ihm nicht verschaffen. Deswegen blieb die Kampfkandidatur, trotz punktueller gute Ansätze (die o.g. Demonstration hat sicherlich zahlreiche Menschen ermutigen können), letztendlich weitgehend Spektakelpolitik.

Das Gesamtergebnis der Parlamentskandidaturen der „Linksfront“ liegt zwar von der Stimmen- und Prozentzahl her über den Ergebnissen der französischen KP bei der letzten Parlamentswahl (2007, also vor der Gründung der „Linksfront“), um rund zwei Prozentpunkte. Doch bei der Parlamentswahl, wo das Mehrheitswahlrecht gilt, zählt besonders die örtliche Dynamik in den einzelnen Wahlkreisen. Dort wurden die KandidatInnen der „Linksfront“ jedoch in diesem Jahr vielfach durch die Sozialdemokratie ausgestochen, d.h. Erstere mussten sich zwischen den beiden Durchgängen der Wahl zurückziehen, um nicht besser platzierte BewerberInnen auf der (sozialdemokratischen) Linken zu behindern. Aus diesem Grund erreichte die „Linksfront“ nur noch 10 Abgeordnetensitze, statt zuvor 19. Dadurch hätte das Bündnis normalerweise den Fraktionsstatus im Parlament, für den nach derzeit geltenden Regeln mindestens fünfzehn Sitze erforderlich sind, verloren. Aufgrund der Verstärkung durch unabhängige Abgeordnete aus den französischen „Überseegebieten“ konnte das Linksbündnis jedoch in letzter Minute, bei der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments, seine Fraktion doch noch retten.

Aussichten auf die Legislaturperiode

Am Abend des 20. Juni 12 entschied die französische KP als eine der beiden Hauptkräfte der „Linksfront“ sich gegen einen Eintritt in die neue, sozialdemokratisch geführte Regierung unter Präsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault. Schon zuvor hatte sich die „Linkspartei“ Mélenchons ganz ähnlich positioniert, und Mélenchon schloss einen Regierungseintritt für sich aus. KP-Chef Pierre Laurent machte sich am 20. Juni seinerseits für eine Position stark, die auf ein „Weder Opposition noch Regierungsbeteiligung“ hinausläuft.
 

Die „Linksfront“ hätte sich auch keinerlei Hoffnungen auf einen positiven Ausgang zu machen brauchen. Die letzten Koalitionsbeteiligungen von linken Parteien, besonders der französischen KP zwischen 1981 und 84 und zuletzt zwischen 1997 und 2002, zeitigten aus deren Sicht meist unbefriedigende Ergebnisse. Hernach wurde die KP jeweils scharf – und zu Recht - durch ihre Wähler abgestraft. Unter den Bedingungen der derzeitigen Krisenverwaltung rechnet das Linksbündnis offenbar mit noch weniger Spielräumen für politische Intervention auch gegen den „Druck der Märkte“ oder für Umverteilung.

2. Zum Abschneiden des NPA: für mehrere Jahre im Keller

Der Kandidat des Nouveau parti anticapitaliste – der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ – Philippe Poutou erhielt bei der französischen Präsidentschaftswahl 1,15 % der Stimmen. Die Parlamentsbewerber und –bewerberinnen der Partei erhielten bei der Wahl im Juni ihrerseits im Landesdurchschnitt unter 0,5 Prozent der Stimmen.

Neben der öffentlichen Sichtbarkeit des NPA stand bei den Kandidaturen zum Parlament auch die Möglichkeit, an der öffentlichen Parteienfinanzierung teilzuhaben, auf dem Spiel. Auf diese hat jede politische Partei dann ein Anrecht, wenn ihre Parlamentskandidaten in mindestens 50 Wahlkreisen (von insgesamt 577) ein Prozent der Stimmen oder mehr erreichen. Diesen Anteil erreichten die Kandidaturen des NPA jedoch im Juni 2012 nur in 18 Wahlkreisen. In den kommenden fünf Jahren wird die Partei deswegen, anders als in den fünf vorausgegangenen, von der öffentlichen Finanzierung ausgeschlossen sein.

Nachdem die Partei in den Wochen unmittelbar nach ihrer Gründung (Februar 2009) mit Umfragewerten von bis zu zehn Prozent Wahlabsichten gestartet war, stellt sich die Fragen nach dem diesjährigen Absturz ihrer Stimmenanteile.

Dazu trugen mehrere Faktoren bei.

Zum Einen ging die vor allem in der Anfangsphase überdeutliche Strategie, sich überwiegend als „Partei der sozialen Kämpfe“ zu profilieren, nicht auf: Seit 2009 finden soziale Konflikte, wenn überhaupt, nur gedämpft statt - mit Ausnahme einiger lokaler „Bossnapping“ -Aktionen vor allem im ersten Halbjahr 2009. Und mit Ausnahme der breiten Streikbewegung gegen die Renten„reform“, die stufenweise von Mai bis November 2010, doch („dank“ der Strategie der Gewerkschaftsführungen!) mit einer bitteren und ernüchternden Niederlage endete. Insgesamt hat die Krise bislang in Frankreich mehrheitlich eher zu Demoralisierung, Zukunftsangst und Jeder-guckt-selbst-wie-er-durchkommt-Mentalität geführt. Zumal es derzeit allzu manifest ist, dass die Gewerkschaftsapparate jegliche Versuche, radikalere Kämpfe (auf Massenebene) zu führen, ersticken.

Zum Zweiten haben die NPA-Gründer/innen den Druck hin zur „Einheit der Linken“, welcher an der Basis der unterschiedlichen Linkskräfte herrscht, völlig und sträflich unterschätzt: Im festen Glauben, zwischen einer klassenkämpferischen radikalen Linken - wie man sie selbst verkörpere - und einer glasklar bürgerliche Politik betreibenden, rechten Sozialdemokratie gebe es „kaum mehr irgend etwas dazwischen“, wurden die Restbestände der KP und die ebenfalls im Februar 2009 lancierte „Linkspartei“ Jean-Luc Mélenchons (als Linksabspaltung von der Sozialdemokratie) quasi als eine vernachlässigbare Größe betrachtet. Denn es gebe keinen substanziellen Spielraum mehr für eine „reformistische“, über den bürgerlichen Staat betriebene soziale Umverteilungspolitik (selbst in bisherigen Grenzen). Dies mag in der Tendenz durchaus zutreffen - doch deswegen sind die betreffenden Parteien noch lange nicht am Ende. Vielmehr konnten die o.g. Parteien und die von ihnen gemeinsam herausgebildete „Linksfront“ schon bald nach dem Gründungskongress der „Linkspartei“ Mélenchons (im Februar 2009, nahezu zeitgleich mit jenem des NPA) triumphieren. Ihnen kam der in der linken Wählerschaft weit verbreitete Wunsch, „Einheit“ über vermeintlich „unverständliche Querelen zwischen Parteien“ triumphieren zu lassen, massiv zugute.

Dieses neue „Einheits“gefühl - und der Eindruck, durch das Herüberwandern eines früheren Flügels der Sozialistischen Partei im alten „Einheitsfront“bestreben gegenüber der Sozialdemokratie endlich bestätigt zu werden - hat der massiv gealterten französischen KP ab dem Frühjahr 2009 einen Sauerstoffschub verpasst. Nicht der NPA konnte davon profitieren, weil er mit seiner ziemlich klaren Distanzierung von der „Linksfront“ schnell eher in relativ breiten Kreisen als Störenfried und „Sektierer“ wahrgenommen wurde und seine Gründe für diese Positionierung nicht hinreichend vermitteln konnte. Die Distanz gegenüber der „Linksfront“ wurde mal mit guten Argumenten untermauert: diese grenze sich nicht genügend von der Sozialdemokratie ab; und mal zusätzlich mit eher fadenscheinigen Gründen unterfüttert wie im Juni 2009: Erst nach einer Übernahme des eigenen Beschlusses zum Atomausstieg wolle man mit der „Linksfront“ über Bündnisse reden. (Als ob die traditionelle betonharte Pro-Atomkraft-Position der französischen KP - die heute leicht aufgeweicht wurde und durch die „Linkspartei“ Mélenchons i.Ü. nicht geteilt wird - jemals die radikale Linke in der Vergangenheit je an Bündnisverhandlungen mit der KP gehindert hätte.) 

Drittens spielt auch der Personenfaktor eine, vielleicht vom Prinzip her bedauernswerte und doch wichtige, Rolle. Denn der französische Politikbetrieb ist, einerseits durch das Funktionieren der Medienapparate bedingt und andererseits durch die Dominanz der Präsidentschaftswahlen (d.h. einer Personenwahl) als wichtigster Wahl unter der bestehenden Fünften Republik, stark personenbezogen. Auch der NPA bildete faktisch keine Ausnahme davon: Ihr Präsidentschaftskandidat in den Jahren 2002 und 2007, der damals noch sehr junge (er war bei den beiden Wahlgängen respektive 28 und 33 Jahre alt) Postbedienstete und radikale Gewerkschafter Olivier Besancenot, übte eine starke Faszination auf die Medien aus.

Besancenot erhielt nicht nur 1,2 Millionen Stimmen bei der Wahl von 2002 (4,3 Prozent) und 1,5 Millionen bei jener von 2007 (4,1 Prozent bei gestiegener Wahlbeteiligung). Er kam in Talkshows und vor den Kameras gut, bedingt durch sein persönliches Auftreten, sein Temperament, sein (jugendliches) Aussehen und seinen Redestil. In den bürgerlichen Medien wurde die Partei deswegen oft quasi nur als „der Verein von Olivier Besancenot“ wahrgenommen. Aber auch ein Teil der nach dem Übergang von der alten LCR zum NPA - welcher sich von der Präsidentschaftswahl im April 2007 zum Gründungskongress Anfang 2009 stufenweise vollzog - neu gewonnen Mitglieder war durch diese „Aura“ beeinflusst.  

Durch die im Mai 2011 bekannt gegebene Entscheidung Olivier Besancenots, nicht wieder als Präsidentschaftskandidat (für 2012) anzutreten, hat die Partei in eine noch tiefere Krise gestürzt. Die Gründe für diesen Rückzug liegen überwiegend darin begründet, dass Besancenot selbst keine Lust auf einen Status als faktischer „Medienstar“ verspürte und nicht auf diese Weise ständig wie auf einem Podest präsentiert werden wollte. Zum Anderen bevorzugt Besancenot auf die Dauer sein Wirken als radikaler Aktivist sozialer Bewegungen, besonders in der linken Post-Basisgewerkschaft SUD-PTT, für welche er an eine Reihe spektakulärer Aktionen teilnahm. Doch der Rückzug Besancenots, der selbst kein Quasi-Star im Sinne der bürgerlichen Medien sein wollte, ließ die Partei in ebendiesen Medien „gesichtslos“ werden. Und es erweist sich, dass diese herrschende Medienberichterstattung eben doch nicht ohne Einfluss auf die Ideologiebildung der Gesellschaft, und zwar einschließlich der sozialen Basis oder jedenfalls des Umfelds der radikalen Linken, bleibt. Der binnen kürzester Zeit de facto als „Ersatzkandidat“ ausgewählte Philippe Poutou vermochte es nicht, die solcherart aufgerissene – durch die überstarke Personalisierung der Politik und die Funktionsweise der Medienberichterstattung bedingte – personelle „(Prominenten-) Lücke“ zu schließen.

Ein vierter gewichtiger Faktor bei der Schwächung der Partei ist die „Plattformitis“: eine veritable Krankheit, unter welcher der NPA leidet, in Form der Auswüchse des Plattformen- und Tendenzen-Unwesens. Ursprünglich war die Existenz solcher organisierter Strömungen innerhalb der Partei – die es bereits zuvor in der Vorläuferpartei LCR gab – eine Garantie des innerparteilichen Pluralismus. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Nur ist das Phänomen inzwischen zum Nebeneinander mehrerer Blöcke geworden, die sich in erster Linie rund um wahltaktische Fragen (Wahlbündnisse mit Kräften wie der „Linksfront“ oder nicht, Öffnung von Listen hin zu kleineren Formationen, …) polarisieren, dabei Letztere jedoch dogmatisieren und die wahlbezogene Strategiediskussion – statt taktische Flexibilität zwischen verschiedenen Optionen zu ermöglichen – zur „Lebensfrage“ stilisiert und auf Dauer festgefroren haben.

Statt die politisch Aktiven individuell entscheiden zu lassen, wobei die Individuen ihre Haltung zu Fragen der Wahltaktik ja auch periodisch ändern könnten, wird die Auseinandersetzung auf diesem Feld zur Lebensberechtigung von ständig bestehenden „Parteien in der Partei“. Letztere führen einen Wahlkampf gegeneinander und haben sich längst (jenseits jeglicher denkbarer, vernünftiger Daseinsberechtigung) verselbständigt – zumal sie auch zur ständigen Tribüne für Leute, an denen Berufspolitiker verloren gegangen sind, werden können. Die Mitglieder werden quasi zur Zuordnung zu einer der innerparteilichen Druck- und Einflussgruppen gezwungen: Wer zu einer Debatte rund um eine inhaltliche Frage in eine andere Stadt reist, dem oder der kann es passieren, schon auf dem Weg vom Bahnhof zum Veranstaltungsort nach der eigenen „Tendenz“-Zugehörigkeit gefragt zu werden. Das ist nicht nur überaus nervig, sondern auf die Dauer tödlich: Bislang Außenstehende, die vielleicht Neumitglieder werden könnten, haben auf einen solchen Quark oftmals keine Lust.

Durch die Zulassung eines innerorganisatorischen Pluralismus wollte die 1969 gegründete LCR (und nach ihr der 2009 aus ihr entstandene NPA) es vermeiden, der damaligen französischen KP zu ähneln. Diese war damals eine „monolithische“ Partei, d.h. eine Formation, die sich bemühte, zumindest nach außen hin „aus einem Guss“ zu wirken und keinerlei abweichende „Linien“ zuzulassen. Nur hat der heutige NPA stattdessen eines der Grundübel der anderen etablierten Linkspartei, die in den letzten vierzig Jahren mit der KP konkurrierte – der französischen Sozialdemokratie -, kopiert. Auch die französische Sozialdemokratie besteht, oder bestand jedenfalls lange Jahre, aus organisierten Seilschaften, die als regelrechte „Parteien in der Partei“ wirken (rund um Lionel Jospin, Michel Rocard, Laurent Fabius, …); bei der Sozialdemokratie allerdings auch aufgrund der Konkurrenz um Ämter und Karrieren. Auf der radikalen Linken wäre es an der Zeit für den NPA, sich vom „Plattform“übel zu erlösen und alle auf Dauer verfestigten Strukturen, welche im Kern nur wahltaktische Fragen zum Gegenstand haben, aufzulösen und zum Teufel zu jagen. Echter linker Pluralismus sieht anders aus, als ständige Politikaster-Pseudodebatten zu tolerieren.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.