Griechenland ist ein Laboratorium
für die ganze Welt, besonders für Europa. Alles was wir in den
letzten 60 Jahren nach dem 2. Weltkrieg erkämpft haben, ist
zerstört worden. Das ist ein Beispiel für das, was in ganz
Europa zerstört werden wird. Eine Krise fängt international an,
aber das Bewußtsein über den Widerstand beginnt auf lokaler
Ebene.
Wir müssen internationale
Solidarität aufbauen, damit Griechenland nicht alleingelassen
wird. Griechenland kann nicht allein gewinnen, die Leute sind
schon sehr müde, weil ein großer, massiver internationaler
Widerstand gefehlt hat.
Und was ist die Strategie unserer
Gegner? Sie wollen ein Land nach dem anderen kaputt machen, das
ist ihre Strategie.
Was wir dagegen machen müssen,
ist: ein europäisches Widerstandspotential aufbauen. Das ist in
einer Situation sehr schwierig, wo ein sozialer Krieg sich immer
mehr ausbreitet, auch in Spanien, in der Ukraine, in der
Peripherie. In der Peripherie lösen sich die politischen Systeme
schon auf. Die Leute haben immer weniger Zugang zu den
essentiellen Ressourcen, die zum Überleben notwendig sind. Das
ist neu.
Gott sei dank hat ein Teil von
Europa nach dem 2. Weltkrieg gut gelebt. Das erste Mal hatten
wir einen Sozialstaat. hatten wir Frieden, das ist sehr wichtig.
Nach 1990 ist Osteuropa zerstört
worden. Vorher war dort zwar keine Demokratie gewesen, aber doch
ein Sozialstaat, der auf nationaler Ebene kann zersplittert
werden, wenn ihm keine Koordination auf internationaler Ebene
zur Seite steht. Unsere Gegner sind international organisiert
und so haben sie Griechenland attackiert. Das war ein Plan, das
war durchdacht, war ein Experiment, um den sozialen Krieg auf
eine andere Art und Weise durchzuführen.
Ich bin schon seit 1995 in
Griechenland, habe die Europäischen Märsche aufgebaut. Syriza,
die einzige Partei, die an die 30% heranreicht, ist durch diese
Dynamik aufgebaut worden, durch eine internationale Dynamik.
In den 90er Jahren bestand noch
ein Bewußtsein von Internationalismus, die Generation der
Sechziger- und Siebzigerjahre existierte noch, die Jugend war
noch beeinflußbar, der Sozialstaat war noch da. Es wurde
reagiert, in Frankreich mit der Bewegung von 1994, dann kamen
die Euromärsche.
Wir sind alte Krieger.
In Griechenland waren es zwei
Leute, die Europäischen Märsche aufgebaut haben, ich war eine
von ihnen. Wir agierten noch mit einem internationalistischen
Bewußtsein. Die Linke in Griechenland war sehr sektiererisch,
beeinflußt durch den Stalinismus, keiner sprach mit dem anderen,
es war ganz, ganz schlecht.
Wir fingen an mit dem Kampf gegen
den Rassismus und wir haben eine Koordination aller
Menschenrechtsorganisationen aufgebaut. Das Hauptargument war:
Gegen Rassismus, gegen Nationalismus! Das erste antirassistische
Festival (im griechischen Wortgebrauch: politisches Treffen,
Großtreffen, Konferenz, meist verbunden mit sowohl Workshops als
auch Kulturveranstaltungen, Anm. AuO) haben wir gemacht,
es sollte ein multinationales werden, mit Küche usw.
Griechenland war damals ein Land
der Auswanderer, nach dem Mauerfall kamen die Albaner, kamen
Menschen aus Osteuropa, aus Afrika.
Damals war Griechenland ein Staat,
der auf sich bezogen war, der ein nationalistisches Konzept
hatte, die Ausländer hatten keine Rechte, keine Papiere, hatten
nicht das Recht, ihre eigenen Organisationen aufzubauen. Es war
verboten, als Albaner, als Afghane organisiert aufzutreten.
Das Festival hatte eine doppelte
Funktion: Internationalismus und Einheit. Unsere Thematik waren
die Frauen, die Prostitution, die Hausarbeit (die zumeist von
Frauen gemacht wird). Wir haben die Frauenarbeit in alle Panels
integriert, das waren damals neue Strategien.
1996 wurde der Neoliberalismus mit
Semitis (Pasok! Anm. AuO) in Griechenland eingeführt. Die
neue internationalistische Kultur richtete sich gegen das
Sektierertum und hat neue Formen der Zusammenarbeit
zustandegebracht. Da haben sich die Parteien zusammengeschlossen
und daraus ist Syriza geworden. Das erste Experiment von Syriza
war die Zusammenarbeit zwischen der außerparlamentarischen
Linken und einem Teil der Eurokommunisten. Das war neu in
Europa, die anderen haben das nicht gemacht. Das entstand 2001.
Die wichtigsten Anlässe waren: die
Mobilisierung gegen G8, da haben wir eine Gegenkundgebung
veranstaltet, dann kam Florenz. Der imperialistische Angriff ist
(günstigerweise kann man sagen) mit diesem Termin
zusammengefallen.
Jetzt sind wir in einer anderen
Phase, der der Schuldenfrage. Da haben wir eine ganz andere
Strategie unserer Gegner, und sie braucht jetzt andere
Antworten. Inzwischen hat sich eine neue Bewegung gebildet, mit
neuen Merkmalen. Die Globalisierungsgegner haben einheitliche
Versammlungen geschaffen, es war eine Kultur des
Zusammenstehens, mit den Homosexuellen und den Frauen. Aber es
gab keine Kampagne für einen Arbeiterkampf. Es wurden Netzwerke
aufgebaut, aber man war noch nicht imstande, sich mit den
relevanten Kräften der Gesellschaft zu verbünden. Dann kamen die
aganaktisméni (Die Empörten), das ist eine Bewegung auf
nationaler Ebene - nicht international!
Aber wie eine Flut hat sich das
Volk von den arabischen Ländern auf Spanien und dann Syntagma,
auch Nord- und Südamerika und natürlich jetzt die Türkei
ausgebreitet. Und wenn man einen öffentlichen Platz besetzt und
sich physisch und als Individuum spürt, ist man kein Vertreter,
im Gegensatz zu den Foren, wo jeder, der teilnahm, von jemandem
geschickt wurde, und wer Geld hatte, konnte mitreden.
Die (streikenden, AuO)
Putzfrauen konnten nie zu solchen Versammlungen fahren. Bei
Syntagma war es anders, dort wollte man auch keine Politiker,
ihnen war es verboten, als Vertreter einer Organisation
aufzutreten, nur als Individuen (genau wie in Tuzla, AuO).
Es gab allerdings phallokratische Einmischungen. – Jeden Tag
haben zehntausend Leute eine Versammlung abgehalten.
In Spanien wollte der Partido
Popular das Gesundheitswesen privatisieren, die soziale
Bewegung der maréa blanca („Weiße Flut“, AuO) hat
dagegen das erste Mal gewonnen: „weiß“ steht für das
Gesundheitswesen. Die Bewegung kämpfte in den Städten, aber auch
in kleineren Orten.
Das geschah in Griechenland nicht.
Es gab zwar eine Koordination, die eine Massenbewegung hinter
sich hatte, aber das wurde nicht fortgesetzt. Jetzt wird eine
neue Form von Solidarität entwickelt. Wir müssen stabile
Strukturen aufbauen. Nicht nur ein Treffen, ein Thema, und dann
nichts!
Die Tatsache, daß Leute
massenweise keinen Zugang zur Krankenversicherung haben,
betrifft jetzt Griechenland, wird aber alle betreffen.
Ich würde dort ansetzen, wo im
Land schon Komitees bestehen. Diese Komitees müssen
tendenzenübergreifend sein, basisbestimmt, müssen sich folgenden
Themen widmen: 1. Antifaschismus, 2. Neoliberalismus, 3.
Solidarität mit radikalen Formen des Widerstands für alle, nicht
nur in Griechenland, ein bißchen wie es die Rote Hilfe war.
Ich glaube, das ist etwas, was wir
aufbauen können und müssen, und es ist nicht so schwer, denn wir
kennen die Leute, es sind nicht so viele. Wenn wir uns
entscheiden, wir arbeiten daran, können wir morgen damit
anfangen.
Was könnte man mit solchen Strukturen machen? Es ist nicht so
sehr Repräsentationsarbeit von Parteien aber das Ganze ist ja
auch nicht vom Himmel gefallen. Die Frauenorganisationen haben
mit der Antiglobalisierungsbewegung angefangen, haben die
Afrikanerinnen organisiert. Als wir für die Rechte der Kinder
kämpften, haben wir die Faschisten gegen uns gehabt. Wir haben
in eben denjenigen Stadtvierteln, wo die Faschisten mit ihren
Sturmtruppen die Ausländer angegriffen hatten, ein Festival
organisiert. Fünf Jahre lang machten wir diesen Kampf. Die Pasok
hatte noch vor dem Memorandum die Lex Ragousis (eine - wenn auch
sich sehr in Grenzen haltende –Verbesserung der Rechte der
Einwanderer, AuO) eingebracht. Wir kannten viele Leute an
der Basis; aber die Leute, die Probleme haben, müssen sich
selbst organisieren.
Ein Freund, Mamadou, rief an, berichtet sie, teilte ihr
mit, daß er von der Goldenen Morgendämmerung überfallen worden
war, er war verwundet, war traumatisiert. Er war einer der
wenigen Afrikaner, die politisch aktiv waren und die Papiere
hatten. Er hatte immerhin einen Paß, mit dem er ausreisen
konnte, durfte aber im übrigen Europa nicht arbeiten.
Jetzt war er physisch fertig und fürchtete sich – um 25 Euro pro
Tag und das 15 Stunden lang – zur Arbeit zu gehen. Es war eine
Motorradgang, die ihn attackiert hatte, und wir beschlossen nun,
mit ihm nach Belgien zu gehen da ich wußte, daß ich da helfen
konnte: das belgische Komitee von CADTM (Comité pour
l´Annulation de la Dette du Tiers-Monde, Komitee zur
Annullierung der Schulden der Dritten Welt, beschäftigt sich
nunmehr verstärkt mit der Schuldenfrage in Europa und ist die
Dachorganisation wichtiger, aber nicht aller europäischen
audit-Initiativen, Anm. AuO) ist dort sehr stark. Wir
haben in Belgien eine regelrechte Kampagne gegen die Goldene
Morgenröte auf die Beine gestellt.
Wie fing ich das an? Ich kenne Journalisten. Eine Freundin, eine
Französin arbeitet bei der ERT (staatliches Fernsehen und
Rundfunk). Wir begannen bei der Efimerída ton Sintaktón
(„Zeitung der Redakteure“, linke Bewegungszeitung, im Eigentum
der RedakteurInnen, AuO). Mamadou wollte sich der
Öffentlichkeit stellen, das war schon mutig. Aber mit der Optik
des Weggehens.
In Belgien haben wir zunächst ein Komitee gegründet, sind dann
von Stadt zu Stadt gezogen. Es begann mit einem weißen Blatt,
für Unterschriften, da unterschrieben Intellektuelle,
Professoren. Wir kamen schließlich in Le Soir
(liberal-demokratische Tageszeitung von hohem Niveau, AuO). Das
ist gut ausgegangen. Es wäre dies das erste Mal, daß in Europa
anerkannt wird, daß einem Besitzer eines Flüchtlingspasses Asyl
gewährt wird, weil er von Faschisten bedroht wurde. Das ist ein
Beispiel konkreter Solidarität.
Was die Frauen betrifft: Die Frauen haben die Kapazität,
horizontale Netzwerke aufzubauen. Von den Frauenmärschen sind
alle diese Netzwerke gegründet worden. Nach den Frauenmärschen,
die noch ein wenig zu soft und kraftlos waren (es waren noch zu
viele Sozialdemokraten dabei), kamen die Frauen gegen
Schulden (Femmes contre la Dette, vom CADTM, AuO)
Daraufhin haben wir in Frankreich eine Rundfahrt gemacht. Ein
Treffen war in Paris. Dort gab es ein Netzwerk, anfangs waren da
130 Kollektive. Zu Beginn haben wir Feministinnen aus
zahlreichen Ländern organisiert. Dann haben das 5, 6 Frauen in
12 Städten gemacht. Die Basiskollektive haben uns
freundschaftlich empfangen. Entweder man baut ein Kollektiv
speziell für ein Projekt auf, etwa zum Thema Faschismus oder
Kollektive entstehen erst durch solche Kontakte. Alles das hilft
uns, stärker zu werden.
Eine zweite Phase der Rundfahrt fand in Italien statt. Diesmal
stand das Thema Gesundheit im Mittelpunkt. Es gab Kontakte zu
Krankenhäusern, Feministinnen, Gewerkschaften. Besonders in
Florenz wurde unsere Idee gut aufgenommen. Da berichteten wir
über die Kinder, die als Geisel genommen werden, die Italiener
waren schockiert. Wir stellten eine Liste zusammen. Da haben
sich 16 Städte gemeldet. Wer will was für Griechenland machen?
In Griechenland sind selbstverwaltete Polikliniken aufgebaut
worden. Kern der Rundreise war die Solidarität mit dem
Ellinikó (selbstverwaltete Klinik bei Athen). Zusätzlich
fand eine Rundreise von Vertretern von Ellinikó statt. Dabei
wurden Materialien gesammelt, nächste Woche werden sie nach
Ellinikó gebracht. In Spanien und Portugal haben die
Feministinnen, mit denen wir zusammenarbeiten, das auch gemacht.
Eine der ebenfalls aktuellen Fragen ist die der
Reparationsforderungen, und darunter besonders die Zwangsanleihe
(476 Millionen Reichsmark mußte die griechische Regierung als
Beitrag für die Besatzung zahlen, AuO). 15% der
Gesamtbevölkerung wurde vernichtet. In Saloniki 30.000 Juden
(andere Quellen sprechen von 50.000 Zahlen, AuO).
Aber dazu muß man arbeiten! Wir arbeiten mit zwei Abgeordneten
der Linken zusammen. Wenn man sich persönlich kennenlernt, kann
man besser zusammenarbeiten. Deswegen war es wichtig, diese
Rundreise zu machen.
Was außergewöhnlich wichtig ist, ist eine internationale
Konferenz der Griechenlandkomitees! Am besten würde ein solches
Treffen in Athen stattfinden, das kann ergänzt werden durch eine
europäische Rundreise. Dem haben wir vorgearbeitet, haben zwei
internationale Konferenzen organisiert: Prague Spring 2, und
eine zweite Konferenz findet (fand, AuO) am 3. April in Kiew
statt.
Und warum fiel das Sozialforum zusammen? Es gab massiv
Widerstand. Teile von Attac und KP haben das torpediert. Es fand
der Alter Summit stat. Die Europäische Linkspartei hat
das bezahlt.
Was die Frauenorganisationen betrifft, so haben die Frauen in
Saloniki ein Frauenhaus gegründet, ohne Geld, ohne einen
einzigen Euro. Sie bekamen von einer Freundin ein Lokal im
Zentrum von Saloniki, es sind etwa 50 bis 70 Frauen daran
beteiligt, es besteht seit Weihnachten. Wir wollten ihnen
helfen, damit sie sich erhalten können.
Editorische Hinweise
Sonia Mitralia stammt aus
Luxemburg, ist eine der aktivsten Feministinnen Griechenlands
und beschäftigt sich mit wirtschaftlichen Problematiken,
insbesondere der Schuldenfrage.
Χώρος αλληλεγγύης γυναικών („Frauensolidaritätsraum“)
Tel.: 0030-210-9420681 sonia.mitralia@gmail.com
AuO Gegeninformationsinitiative, in Zusammenarbeit mit
dem Komitee für Solidarität mit dem Widerstand in
Griechenland, Wien
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