Rede von Sonia Mitralia
auf dem 2tägigen Seminar, das von dem Wiener Komitee „Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland“ am 14. und 15. März im Amerlinghaus abgehalten wurde

bereitgestellt von AuO Gegeninformationsinitiative

5/6-2014

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Griechenland ist ein Laboratorium für die ganze Welt, besonders für Europa. Alles was wir in den letzten 60 Jahren nach dem 2. Weltkrieg erkämpft haben, ist zerstört worden. Das ist ein Beispiel für das, was in ganz Europa zerstört werden wird. Eine Krise fängt international an, aber das Bewußtsein über den Widerstand beginnt auf lokaler Ebene.

Wir müssen internationale Solidarität aufbauen, damit Griechenland nicht alleingelassen wird. Griechenland kann nicht allein gewinnen, die Leute sind schon sehr müde, weil ein großer, massiver internationaler Widerstand gefehlt hat. 

Und was ist die Strategie unserer Gegner? Sie wollen ein Land nach dem anderen kaputt machen, das ist ihre Strategie. 

Was wir dagegen machen müssen, ist: ein europäisches Widerstandspotential aufbauen. Das ist in einer Situation sehr schwierig, wo ein sozialer Krieg sich immer mehr ausbreitet, auch in Spanien, in der Ukraine, in der Peripherie. In der Peripherie lösen sich die politischen Systeme schon auf. Die Leute haben immer weniger Zugang zu den essentiellen Ressourcen, die zum Überleben notwendig sind. Das ist neu. 

Gott sei dank hat ein Teil von Europa nach dem 2. Weltkrieg gut gelebt. Das erste Mal hatten wir einen Sozialstaat. hatten wir Frieden, das ist sehr wichtig. 

Nach 1990 ist Osteuropa zerstört worden. Vorher war dort zwar keine Demokratie gewesen, aber doch ein Sozialstaat, der auf nationaler Ebene kann zersplittert werden, wenn ihm keine Koordination auf internationaler Ebene zur Seite steht. Unsere Gegner sind international organisiert und so haben sie Griechenland attackiert. Das war ein Plan,  das war durchdacht, war ein Experiment, um den sozialen Krieg auf eine andere Art und Weise durchzuführen. 

Ich bin schon seit 1995 in Griechenland, habe die Europäischen Märsche aufgebaut. Syriza, die einzige Partei, die an die 30% heranreicht, ist durch diese Dynamik aufgebaut worden, durch eine internationale Dynamik. 

In den 90er Jahren bestand noch ein Bewußtsein von Internationalismus, die Generation der Sechziger- und Siebzigerjahre existierte noch, die Jugend war noch beeinflußbar, der Sozialstaat war noch da. Es wurde reagiert, in Frankreich mit der Bewegung von 1994, dann kamen die Euromärsche. 

Wir sind alte Krieger. 

In Griechenland waren es zwei Leute, die Europäischen Märsche aufgebaut haben, ich war eine von ihnen. Wir agierten noch mit einem internationalistischen Bewußtsein. Die Linke in Griechenland war sehr sektiererisch, beeinflußt durch den Stalinismus, keiner sprach mit dem anderen, es war ganz, ganz schlecht. 

Wir fingen an mit dem Kampf gegen den Rassismus und wir haben eine Koordination aller Menschenrechtsorganisationen aufgebaut. Das Hauptargument war: Gegen Rassismus, gegen Nationalismus! Das erste antirassistische Festival (im griechischen Wortgebrauch: politisches Treffen, Großtreffen, Konferenz, meist verbunden mit sowohl Workshops als auch Kulturveranstaltungen, Anm. AuO) haben wir gemacht, es sollte ein multinationales werden, mit Küche usw. 

Griechenland war damals ein Land der Auswanderer, nach dem Mauerfall kamen die Albaner, kamen Menschen aus Osteuropa, aus Afrika. 

Damals war Griechenland ein Staat, der auf sich bezogen war, der ein nationalistisches Konzept hatte, die Ausländer hatten keine Rechte, keine Papiere, hatten nicht das Recht, ihre eigenen Organisationen aufzubauen. Es war verboten, als Albaner, als Afghane organisiert aufzutreten.

Das Festival hatte eine doppelte Funktion: Internationalismus und Einheit. Unsere Thematik waren die Frauen, die Prostitution, die Hausarbeit (die zumeist von Frauen gemacht wird). Wir haben die Frauenarbeit in alle Panels integriert, das waren damals neue Strategien.

1996 wurde der Neoliberalismus mit Semitis (Pasok! Anm. AuO) in Griechenland eingeführt. Die neue internationalistische Kultur richtete sich gegen das Sektierertum und hat neue Formen der Zusammenarbeit zustandegebracht. Da haben sich die Parteien zusammengeschlossen und daraus ist Syriza geworden. Das erste Experiment von Syriza war die Zusammenarbeit zwischen der außerparlamentarischen Linken und einem Teil der Eurokommunisten. Das war neu in Europa, die anderen haben das nicht gemacht. Das entstand 2001.

Die wichtigsten Anlässe waren: die Mobilisierung gegen G8, da haben wir eine Gegenkundgebung veranstaltet, dann kam Florenz. Der imperialistische Angriff ist (günstigerweise kann man sagen) mit diesem Termin zusammengefallen.

Jetzt sind wir in einer anderen Phase, der der Schuldenfrage. Da haben wir eine ganz andere Strategie unserer Gegner, und sie braucht jetzt andere Antworten. Inzwischen hat sich eine neue Bewegung gebildet, mit neuen Merkmalen. Die Globalisierungsgegner haben einheitliche Versammlungen geschaffen, es war eine Kultur des Zusammenstehens, mit den Homosexuellen und den Frauen. Aber es gab keine Kampagne für einen Arbeiterkampf. Es wurden Netzwerke aufgebaut, aber man war noch nicht imstande, sich mit den relevanten Kräften der Gesellschaft zu verbünden. Dann kamen die aganaktisméni (Die Empörten), das ist eine Bewegung auf nationaler Ebene - nicht international!

Aber wie eine Flut hat sich das Volk von den arabischen Ländern auf Spanien und dann Syntagma, auch Nord- und Südamerika und natürlich jetzt die Türkei ausgebreitet. Und wenn man einen öffentlichen Platz besetzt und sich physisch und als Individuum spürt, ist man kein Vertreter, im Gegensatz zu den Foren, wo jeder, der teilnahm, von jemandem geschickt wurde, und wer Geld hatte, konnte mitreden.

Die (streikenden, AuO) Putzfrauen konnten nie zu solchen Versammlungen fahren. Bei Syntagma war es anders, dort wollte man auch keine Politiker, ihnen war es verboten, als Vertreter einer Organisation aufzutreten, nur als Individuen (genau wie in Tuzla, AuO). Es gab allerdings phallokratische Einmischungen. – Jeden Tag haben zehntausend Leute eine Versammlung abgehalten.

In Spanien wollte der Partido Popular das Gesundheitswesen privatisieren, die soziale Bewegung der maréa blanca („Weiße Flut“, AuO) hat dagegen das erste Mal gewonnen: „weiß“ steht für das Gesundheitswesen. Die Bewegung kämpfte in den Städten, aber auch in kleineren Orten.

Das geschah in Griechenland nicht. Es gab zwar eine Koordination, die eine Massenbewegung hinter sich hatte, aber das wurde nicht fortgesetzt. Jetzt wird eine neue Form von Solidarität entwickelt. Wir müssen stabile Strukturen aufbauen. Nicht nur ein Treffen, ein Thema, und dann nichts!

Die Tatsache, daß Leute massenweise keinen Zugang zur Krankenversicherung haben, betrifft jetzt Griechenland, wird aber alle betreffen.

Ich würde dort ansetzen, wo im Land schon Komitees bestehen. Diese Komitees müssen tendenzenübergreifend sein, basisbestimmt, müssen sich folgenden Themen widmen: 1. Antifaschismus, 2. Neoliberalismus, 3. Solidarität mit radikalen Formen des Widerstands für alle, nicht nur in Griechenland, ein bißchen wie es die Rote Hilfe war.

Ich glaube, das ist etwas, was wir aufbauen können und müssen, und es ist nicht so schwer, denn wir kennen die Leute, es sind nicht so viele. Wenn wir uns entscheiden, wir arbeiten daran, können wir morgen damit anfangen.

Was könnte man mit solchen Strukturen machen? Es ist nicht so sehr Repräsentationsarbeit von Parteien aber das Ganze ist ja auch nicht vom Himmel gefallen. Die Frauenorganisationen haben mit der Antiglobalisierungsbewegung angefangen, haben die Afrikanerinnen organisiert. Als wir für die Rechte der Kinder kämpften, haben wir die Faschisten gegen uns gehabt. Wir haben in eben denjenigen Stadtvierteln, wo die Faschisten mit ihren Sturmtruppen die Ausländer angegriffen hatten, ein Festival organisiert. Fünf Jahre lang machten wir diesen Kampf. Die Pasok hatte noch vor dem Memorandum die Lex Ragousis (eine - wenn auch sich sehr in Grenzen haltende –Verbesserung der Rechte der Einwanderer, AuO) eingebracht. Wir kannten viele Leute an der Basis; aber die Leute, die Probleme haben, müssen sich selbst organisieren.

Ein Freund, Mamadou, rief an, berichtet sie, teilte ihr mit, daß er von der Goldenen Morgendämmerung überfallen worden war, er war verwundet, war traumatisiert. Er war einer der wenigen Afrikaner, die politisch aktiv waren und die Papiere hatten. Er hatte immerhin einen Paß, mit dem er ausreisen konnte, durfte aber im übrigen Europa nicht arbeiten.

Jetzt war er physisch fertig und fürchtete sich – um 25 Euro pro Tag und das 15 Stunden lang – zur Arbeit zu gehen. Es war eine Motorradgang, die ihn attackiert hatte, und wir beschlossen nun, mit ihm nach Belgien zu gehen da ich wußte, daß ich da helfen konnte: das belgische Komitee von CADTM (Comité pour l´Annulation de la Dette du Tiers-Monde, Komitee zur Annullierung der Schulden der Dritten Welt, beschäftigt sich nunmehr verstärkt mit der Schuldenfrage in Europa und ist die Dachorganisation wichtiger, aber nicht aller europäischen audit-Initiativen, Anm. AuO) ist dort sehr stark. Wir haben in Belgien eine regelrechte Kampagne gegen die Goldene Morgenröte auf die Beine gestellt.

Wie fing ich das an? Ich kenne Journalisten. Eine Freundin, eine Französin arbeitet bei der ERT (staatliches Fernsehen und Rundfunk). Wir begannen bei der Efimerída ton Sintaktón („Zeitung der Redakteure“, linke Bewegungszeitung, im Eigentum der RedakteurInnen, AuO). Mamadou wollte sich der Öffentlichkeit stellen, das war schon mutig. Aber mit der Optik des Weggehens.

In Belgien haben wir zunächst ein Komitee gegründet, sind dann von Stadt zu Stadt gezogen. Es begann mit einem weißen Blatt, für Unterschriften, da unterschrieben Intellektuelle, Professoren. Wir kamen schließlich in Le Soir (liberal-demokratische Tageszeitung von hohem Niveau, AuO). Das ist gut ausgegangen. Es wäre dies das erste Mal, daß in Europa anerkannt wird, daß einem Besitzer eines Flüchtlingspasses Asyl gewährt wird, weil er von Faschisten bedroht wurde. Das ist ein Beispiel konkreter Solidarität.

Was die Frauen betrifft: Die Frauen haben die Kapazität, horizontale Netzwerke aufzubauen. Von den Frauenmärschen sind alle diese Netzwerke gegründet worden. Nach den Frauenmärschen, die noch ein wenig zu soft und kraftlos waren (es waren noch zu viele Sozialdemokraten dabei), kamen die Frauen gegen Schulden (Femmes contre la Dette, vom CADTM, AuO)

Daraufhin haben wir in Frankreich eine Rundfahrt gemacht. Ein Treffen war in Paris. Dort gab es ein Netzwerk, anfangs waren da 130 Kollektive. Zu Beginn haben wir Feministinnen aus zahlreichen Ländern organisiert. Dann haben das 5, 6 Frauen in 12 Städten gemacht. Die Basiskollektive haben uns freundschaftlich empfangen. Entweder man baut ein Kollektiv speziell für ein Projekt auf, etwa zum Thema Faschismus oder Kollektive entstehen erst durch solche Kontakte. Alles das hilft uns, stärker zu werden.

Eine zweite Phase der Rundfahrt fand in Italien statt. Diesmal stand das Thema Gesundheit im Mittelpunkt. Es gab Kontakte zu Krankenhäusern, Feministinnen, Gewerkschaften. Besonders in Florenz wurde unsere Idee gut aufgenommen. Da berichteten wir über die Kinder, die als Geisel genommen werden, die Italiener waren schockiert. Wir stellten eine Liste zusammen. Da haben sich 16 Städte gemeldet. Wer will was für Griechenland machen?

In Griechenland sind selbstverwaltete Polikliniken aufgebaut worden. Kern der Rundreise war die Solidarität mit dem Ellinikó (selbstverwaltete Klinik bei Athen). Zusätzlich fand eine Rundreise von Vertretern von Ellinikó statt. Dabei wurden Materialien gesammelt, nächste Woche werden sie nach Ellinikó gebracht. In Spanien und Portugal haben die Feministinnen, mit denen wir zusammenarbeiten, das auch gemacht.

Eine der ebenfalls aktuellen Fragen ist die der Reparationsforderungen, und darunter besonders die Zwangsanleihe (476 Millionen Reichsmark mußte die griechische Regierung als Beitrag für die Besatzung zahlen, AuO). 15% der Gesamtbevölkerung wurde vernichtet. In Saloniki 30.000 Juden (andere Quellen sprechen von 50.000 Zahlen, AuO).

Aber dazu muß man arbeiten! Wir arbeiten mit zwei Abgeordneten der Linken zusammen. Wenn man sich persönlich kennenlernt, kann man besser zusammenarbeiten. Deswegen war es wichtig, diese Rundreise zu machen.

Was außergewöhnlich wichtig ist, ist eine internationale Konferenz der Griechenlandkomitees! Am besten würde ein solches Treffen in Athen stattfinden, das kann ergänzt werden durch eine europäische Rundreise. Dem haben wir vorgearbeitet, haben zwei internationale Konferenzen organisiert: Prague Spring 2, und eine zweite Konferenz findet (fand, AuO) am 3. April in Kiew statt.

Und warum fiel das Sozialforum zusammen? Es gab massiv Widerstand. Teile von Attac und KP haben das torpediert. Es fand der Alter Summit stat. Die Europäische Linkspartei hat das bezahlt.

Was die Frauenorganisationen betrifft, so haben die Frauen in Saloniki ein Frauenhaus gegründet, ohne Geld, ohne einen einzigen Euro. Sie bekamen von einer Freundin ein Lokal im Zentrum von Saloniki, es sind etwa 50 bis 70 Frauen daran beteiligt, es besteht seit Weihnachten. Wir wollten ihnen helfen, damit sie sich erhalten können.

Editorische Hinweise

Sonia Mitralia stammt aus Luxemburg, ist eine der aktivsten Feministinnen Griechenlands und beschäftigt sich mit wirtschaftlichen Problematiken, insbesondere der Schuldenfrage.

Χώρος αλληλεγγύης γυναικών („Frauensolidaritätsraum“)
Tel.: 0030-210-9420681 sonia.mitralia@gmail.com

AuO Gegeninformationsinitiative, in Zusammenarbeit mit dem Komitee für Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland, Wien