Ein Kopf ist
kein Kopf, er ist im Bild das verfielfältigte Bild eines Kopfes.
Der Buchstabe auf dem Plakat ist aber ein Buchstabe, und seine
Funktion, Symbol zu sein, ist von Bildelementen unterscheidbar.
Ein mitten auf den Kopf des Politikers gesprühter Wirbel nimmt
die Form des "Eierkopfs" auf und verstärkt das Ei.
Das Plakat ist
eine Plakatwand -- etwa 3 Meter 50 breit mal 2 Meter 50 hoch.
Zwei Drittel sind helles Blau, ein sehr ordentliches und
sauberes Himmelblau. Der Verlauf von Dunkel nach Hell geht von
Außen nach innen! In dessen Mitte ist eine Textaussage gesetzt.
Der Spruch geht über die ganze linke Hälfte. Ein "Europa usw.",
sehr groß "Chancen", mit einem Punkt am Ende der Zeile, als
handele es sich um einen ganzen Satz, und so weiter, und
"Arbeitslosigkeit". Das dunkle Herrenanzugsakko erscheint massiv
und größer als der Körper darin. Der Körper ist nicht zu sehen,
die Hände sind nicht zu sehen. Das Gesicht ist ebenfalls nicht
zu sehen. Das Sakko mit dem Körper zeigt eine Ponderation, ein
statisches Wiegen, eine Pose. Wie man sie von Statuen her kennt.
Darum ist die Schulter etwas geneigt. Die Arme sind etwas
ausladend gehalten. Der Mann ist beweglich aber solide, bewusst,
anpackend. Der schwarz gesprühte kreisförmige Wirbel bedeckt das
Gesicht. Man entschied sich gegen den kindlichen Protest
"aufgemalter Bart" (der porträtierte Poser ist bereits bärtig)
und für eine Zerstörung des öffentlichen Gesichts. Eine
Entstellung. Etwas scheinbar Gesichertes wird von seinem Platz
weg gestellt, zugleich wird etwas weggenommen. Die Nase ist noch
erkennbar, die Brille, die Glatze, Haar, der Bart, Ohren. Der
Mund nicht, die Augen nicht. Das Gesicht bleibt bekannt, mit der
Beschmutzung wird Image weggenommen, von ihm abgegangen. Der
Körper des Politikers ist als Bild gerahmt in die Inszenierung,
er ist der Inhalt dieser Mise en Scène. Da aber der Kopf des
Politikers seinen Körper selbst professionell in Szene setzen
lässt, ist er Auftraggeber der Mise en Scène. Der Politiker
steht satt, wie freigestellt vor einem nichtneutralen
Hintergrund, denn Blau ist nicht bloß blau, sondern Ruhe und
Besonnenheit. Rechts noch ein unscharf gehaltenes Gebäude
vielleicht. Der Mann steht nicht im Nirgendwo, aber überall, wo
es nach Parlament aussieht. Die Entstellung nimmt das alles weg.
Verbotene Vermummung? Das polizeilich gespeicherte Gesicht darf
Antlitz, Angesicht, Fassade und das Anblickende sein. Das
repräsentative Gesicht symbolisiert die und symbolisiert für
(allgemein) "politische Macht", oder genauer Regierung. Die
abzugebende Stimme einer angeblichen Wahl ist unsichtbar. Die
Augenstellung des Politikers sieht nur so aus, als sähen seine
Augen dich an.
Rebellen
re-bellieren, schlagen also zurück. Im Prinzip Schach würden sie
immer den zweiten Zug machen. Sprühen bleibt lokal begrenzt ist
aber publikatorisch nur quantitativ unterlegen.
Wo eigentlich
zu lesen sein sollte, wo das Kreuz am 25. Mai zu machen sei,
klebt, von irgendjemandem angebracht. eine qualitativ sehr gute
Reproduktion von Vermeers Ölgemälde "Magd mit dem Milchkrug".
Dieser Titel ist bereits die geschichtsbereinigte Variante. "The
Milkmaid" (dt. Die Milchmagd) und in der Verkleinerungs- und
Verniedlichungsform "Het Melkmeisje" (dt. Das Milchmägdelein
oder Milchmädchen) weisen Verbrämungen auf.
Vermeer war
hochbezahlter Maler des so genannten Goldenen Zeitalters der
Niederlande. Er stellte intime Ansichten des Haushalts,
realistisch-illusionistische, kleinformatige Bilder im Auftrag
her. Das Mägdelein ist Dienstmagd und dient reinlich und adrett
und dabei bodenständig den Herrschaften für Lohn. Das Goldene
Zeitalter begann im 17. Jahrhundert für die Niederlande, im
Bündnis mit England nach einem langen Krieg gegen das imperiale
und kolonialistische Spanien. Die Niederlande, selbst
imperialistisch, wurden darauf zum vielleicht frühesten
kapitalistischen Land mit einem ausgebauten Handels- und
Bankensystem, einer Seefahrt auf höchstem Niveau, hohem Import
und Export. Eine Handelsgroßmacht, Kapital anhäufende Bürger,
ein von den Schranken des mit dem Bürgertum rivalisierenden
Feudalismus befreites Kapital.
Die
privilegierte Dienstmagd im Haus ist nicht mit der Milchmagd zu
verwechseln, die die Kühe melkt. Die Dienstmagd kocht,
gewissenhaft, hat direkten Umgang mit den Herrschaften. Sie ist
die brave Sozialdemokratie im goldenen Rahmen, ein Bild von
Zuverlässigkeit für den Herren. Mit sich zufrieden, alles
gewonnen. Die Tugend im Haushalt gießt bedacht die Milch in die
Schale. Respekt und Achtung vor dem Reichtum und der
calvinistisch fügsamen Arbeit in eigenem Interesse, in der Küche
als Knast mit gelegentlichem Ausgang und Kost, Lohn und Logis.
Alles ist Perle und alles perlt. Ein festgehaltener und darum
kostbarer Augenblick, der hier bezahlt wird. Arbeitsporn. Eine
Lust an der akkuraten Arbeit der Frau, ohne sie tun zu müssen.
Arbeit wird hier mehrfach angeeignet: Als konkrete Arbeit vor
dem Bild, als inszenierte im Bild und im Blick darauf, und
schließlich als in der Betrachtung respektierte Arbeit
überhaupt. Die sofort romantisiert wird, weil malerisch in sich
gekehrte Sorgfalt akzentuiert wird und nicht, immanent im Bild
selbst, der Widerspruch in der Inbesitznahme dieser Sorgfalt
durch den Bürger. Es ist der Realismus des Kaufmanns, der
dargestellt wird. Die Malerei scheint klar und ungetrübt zu
schildern, was an sorgfältiger Tätigkeit zu sehen sei. Dem
bürgerlichen Voyeur wird vom ebenso sorgfältigen Maler dieser
Begriff der schaffenden Arbeit, des Händefleißes verschafft.
Geile aber gesittet, protestantisch. Von Kauf und Verkauf keine
Spur. Nur der Dienst, das Mädchen, das Eigentum, das Objekt, die
Domestikation, das Licht.
Der Spuki mit
der Magd kommentiert ein Plakat. Darauf ist ein gefilterter
Blick auf das Tempelhofer Feld zu sehen. Der ehemalige Flugplatz
wird als Asphaltbrache gezeigt. Die ehemalige Startbahn ist
graurot, der Himmel darüber blau. Himmelblau, wie immer das gute
Blau, ein Reiz fürs Auge: Die Freizeit, das Wochenende, die
Reproduktion der Arbeitskräfte. Aus dem weißen Rahmen heraus
zielt, an einer extra dafür geöffneten Stelle, ein stilisierter
Flugdrachen nach oben rechts, bildet aber mit dem Rahmen weiter
einen rechten Winkel. Alles in Grenzen im Rahmen.
Ein Foto ist
gefiltert worden. Der rote Anteil im Graurot macht den Boden zu
einer wie kontaminierten, trüben Einöde, ohne Menschen, mit
einem Alarm belegt. Das ist der "STILLSTAND". Wo der Himmel ist,
da ist "GESTALTEN", dazwischen steht ein "STATT". Unten kein
Stillstehen, das Blaue vom Himmel kommt vielleicht nach unten.
Bezeichnet wird über darübergelegte Farbfilter; die Farben sagen
etwas aus. Der Aufbau ist aber insgesamt problematisch. Er folgt
einer konstrastreichen Signalgebung mit den beiden Primärfarben,
die in der altbekannten Logik solcher Layouts positiv besetzt
sind. Blau fürs konservativ Erhaltende, Rot fürs fortschrittlich
Verändernde (für eine Farbe zeigende Heraldik taugen diese
Farbkontraste kaum mehr, weil sie von fast allen
parlamentaristischen Parteien verwendet werden). Wobei der
Blickfang schnell kippt. Als Filter auf fotografischer Grundlage
fungieren die Farben bezeichnend (konservativ und
fortschrittlich) und doch auch das verwendete Foto sichtbar
optisch verändernd (Kontamination). Der Rotfilter ist
offensichtlich. Optik technisch und Optik inhaltlich fallen
zusammen. Fortschrittliches Rot wirkt am Boden aus Grau seltsam
schaurig. Eine unbeschleunigte Startbahn in weitwinkeliger
Großaufnahme wirkt wie eine unbebaute Riesenfläche, die so
dystopisch trist und leer nicht mehr gewollt ist. Im
Umkehrschluss bietet diese Partei Belebung und Bebauung als
Formel gegen die Leere.
Unterschwellig
bleibt die Startbahn ein ambivalentes Element wobei das Motiv in
seiner Bild-Rede seinen eigenen Hintergrund preisgibt: Die
Startbahn soll als frei gestaltbares Relikt erhalten bleiben,
ist für den Flugverkehr schon lange gesperrt, steht jedoch als
Sinnbild für irgendwie behinderten Start und Aufstieg,
Fortkommen und Abflug. Mit diesem nostalgischen Rest wird das
freie Feld umgedeutet zum ungenutzten Raum. Keine Fahrradfahrer,
keine Spaziergänger, niemand. Dem Farbton in der Mitte zwischen
Blau und Rot mag man in seiner Sättigung und Helligkeit nicht
ganz trauen, dort gibt es keinen echten Übergang, aber auch
keine Grenze.
Der Friede im
Haus, den der Hausherr mit der Magd an ihrem Bild, das er sich
von ihr machen lässt, projiziert, wäre der gewünschte. Am
Kommentar der Magd kann am Plakat herausgearbeitet werden, dass
man diesen Frieden arbeitsseliger Ruhe für ein Wachstum gerne
hätte. Im Gegensatz zum schrecklichen Trübsinn des Flugfelds
steht das färbende Wort vom Gestalten. Für Verwerter in Wahrheit
eine Baulücke.
Diese Montage
stellt kein aggressives Ad-Busting dar, bei dem die Entscheidung
gegen den Konsumartikel schon vor dem Eingriff ins Bild gefallen
ist. Der vorliegende Bild- und Textgegenstand des Plakats wird
hier nicht wesentlich verändert. Es wird per Bild im Bild und
per Gegenüberstellung der Bildinhalte angezeigt, was der
Gegenstand der Platzierung des Plakats seiner Tendenz nach auch
noch sein könnte. Ersichtlich ist die Darbietung falscher
Tatsachen. Die Leere auf dem Platz gibt es so nicht,
gegenteilige Parteientwürfe sind damit überflüssig.
Als Verfremdung
wird der interpretatorische Spielraum des Widersprüchlichen mit
dem Zusatz auf dem Gegebenen zunächst aufgeschlossen. Nicht was
das Plakat zeigt, ist, sondern was es selbst nicht zeigt bietet
Diskussion. Antidialektische Adbuster attackieren zerstörend die
Repräsentanz terroristischen Konsums und haben persönlich nichts
gegen Kapitalismus. Sie wollen kulturell blockieren und sich und
andere aufständisch am Zeichen allein von den Widersprüchen
falscher Gebrauchswerte befreien. Dabei schließen sie oft Bilder
zu einer neuen Aussage ab. Demonstrierte Attacke, so rudimentär
Farbbeutelspritzer auch sind, greift aber nicht immer pauschal
an, sie greift bestimmte Aussagen an.
Weiße T-Shirts,
unbezeichnet, unbefleckt, gelten als wiederholte Ikonen der
"vor-artikulationsfähigen", passiven Rebellion. Die Rebellion
ist passiv, weil sie keine spezifisch gerichtete Äußerung macht
oder diese an sich selbst in ihrer Bedeutung nicht erkennt. Die
weißen T-Shirts treten nicht nur singulär an Schauspielern und
an Models auf, sie werden auch in Gruppen von Jugendlichkeit
sichtbar. Dort werden sie genutzt um distinkt zu werden, um
unterscheidbar nach außen und innerhalb der Gruppe gleich zu
sein. Das Tragen dieser Uniform ist ein gesellschaftlicher Akt
der Selbstzuordnung. Der weiße Block ist er Block der
Konsumentinnen, die nie auf kritischen Demonstrationen zu sehen
sind. Weiß als Symbolfarbe wäre damit unbewusst. Es symbolisiert
zuviel an esoterischer Post-Apo-Übereinstimmung, aber zuwenig,
ja gar keine Dreckigkeit, sondern Reinheit. Die
Jeans-weißes-T-Shirt-Kombination ist figurativ nachgerade die
Kopplung von Dreck = Arbeit und Sauberkeit = Wohlanstand oder
die Verwohlanständigung des vormals proletisch Dreckigen.
Das Model im
weißen T-Shirt, das solitärste Individuum ohne erkennbare
Individualität, weil nur ideales Modell, bietet, übermenschlich
groß, keinen Appell. Es bietet Skulptur, halb stehend, halb
gehend. Frei und gestellt. Die restproletarische Geste genügt
für die Aufmerksamkeit nach Muster, aber nicht mehr für etwas,
was Style im Kontext überschreiten könnte -- nichts
Authentisches bleibt. Oder: Das Authentische ist eine Erfindung
des entfremdeten Gebildeten. Nur mit dem Rest einer
Kleiderordnung, die industriell massenhaft entstand, wird noch
gearbeitet. Blue Jeans waren Arbeiterhosen, T-Shirts waren
unvorzeigbare Unterwäsche. Die Transformation von der
praktischen Bekleidung zur Mode, der Kennzeichnung des Ichs, von
der sozialen Eingruppierung landloser Lohnabhängiger zum
Scheinbürger, kommt zu keinem anderen Ergebnis als den Gestus,
einen ganzen Komplex aus Aussagen und Haltung. Und dieser ist
der mimiklose, gemeinsamste Nenner, die Ausstattung mittiger,
urbaner Citoyens. Als gäbe es nur diesen Typ und dieses Terrain,
als gäbe es nur diese Ware und sonst keine, deren Gebrauchswert,
nämlich fremdes Eigenbild (imago) zu sein, am eigenen Körper
verwirklichbar wäre. Als würde das skulpturalisierte Model von
der Litfaßsäule im Käufer menschgeworden herabsteigen können.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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