Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Ex-Militär stellte die „offizielle Version“ zum Rwanda-Einsatz in Frage
Was taten französische Militärs rund um den Genozid in Rwanda von 1994 in dem ostafrikanischen Land?

5/6-2014

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Politiker treffen Entscheidungen mit gravierenden Konsequenzen, Soldaten müssen es ausbaden und haben keine Fragen zu stellen: Diese Vorstellung von Disziplin und Gehorsam herrscht bei vielen Militärs vor. Angesichts der verheeren Bilanz von Frankreichs militärischen Aktivitäten in Rwanda (Anm.: deutsch auch „Ruanda“) zwischen 1990 und 1994, vor und nach dem Völkermord an mindestens 800.000 Tutsi und politischen Opponenten aus der Hutu-Mehrheitsbevölkerung, kommt diese Position nun ins Wanken. Auch unter früheren französischen Militärs kommen verstärkt Zweifel am Sinn und an den Auswirkungen ihres damaligen Einsatzes auf. Eine der Protagonisten der öffentlichen Kontroverse, die dadurch ausgelöst wurde, ist der heute 48jährige Ex-Luftwaffenoffizier Guillaume Ancel.

Frankreich war ab Oktober 1990 in Rwanda militärisch tätig, um den Vormarsch der „Rwandischen Patriotischen Front“ (RPF) zu stoppen. Diese hatte am 1. Oktober jenes Jahres eine Offensive vom Nachbarland Uganda aus begonnen, um die Rückkehr von dorthin geflüchteten Tutsi – Opfer früherer rassistischer Verfolgungen in ihrem Land – zu erreichen. Führende politische Entscheidungsträger in Frankreich, allen voran Präsident François Mitterrand, werteten dies als Komplott gegen die französische Einflusssphäre in Afrika. Sie unterstützten das amtierende Regime, und die in und neben dem Regime anschwellende rassistische „Hutu Power“-Bewegung, bis zum bitteren Ende: bis während und nach dem Völkermord an über 800.000 Tutsi im Frühjahr und Frühsommer 1994. Offiziell hatte Frankreich damals Rwanda verlassen. Ab dem 22. Juni 1994 (und noch bis zum 22. August desselben Jahres) führte es dagegen die Opération Turquoise durch: eine vordergründig „humanitären Zwecken“ dienende Intervention, die real jedoch den Abzug der Mörder in den Osten des damaligen Zaire deckte und ermöglichte. Noch bis mindestens 1996 hielt das militärische Bündnis zwischen dem französischen Staat und ihnen an, wie der 1994 in Rwanda tätige französische Journalist (und scharfe Kritik der offiziellen Politik seines Landes) Patrick de Saint-Exupéry betont, vgl. http://www.dailymotion.com/video/x1r2b54_en-direct-de-mediapart-rwanda-la-responsabilite-de-la-france_news

Ancel war ab dem 23. Juni 1994, als damals 28jähriger Luftwaffenoffizier, mit der Funktion Forward Air Controler in Rwanda eingesetzt. In einem halben Dutzend französischer Medien gab er nun zum Jahrestag des Völkermordbeginns, am 07. April dieses Jahres, in mehrere Zeitungen zu Protokoll: „Ich war damals Experte für Luftangriffe: Solche Spezialisten entsendet man nicht in humanitäre Einsätze! Unsere Mission hatte in Wirklichkeit ein aggressives Ziel: Es ging darum, die militärische Rückeroberung der Hauptstadt Kigali durch die von Paris unterstützte Regierung“ – also die der Völkermörder – „vorzubereiten“. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ ) Ancel forderte, anzuerkennen, dass Frankreich „eine Mitverantwortung am Genozid“ trage. Guillaume Ancel gibt ferner zu Protokoll, sein Vorgesetzter habe mehrere Zehntausend Waffen auf einen LKW aufladen lassen, um sie den in Richtung Zaire abziehenden Völkermördern zurückzugeben, während er beauftragt worden sei, „die Journalisten abzulenken“. Er habe jedoch protestiert.

Ihm widersprach in dem konservativ-liberalen Wochenmagazin Le Point der frühere Offizier Jacques Hogard (vgl. http://www.lepoint.fr/ ), der sich als Ancels damaliger Vorgesetzter präsentierte. Ihm zufolge war Ancel damals ausschließlich im humanitären Einsatz. Als Antwort publizierte Guillaume Ancel jedoch auf einem Blog Faksimiledokumente (vgl. http://nepassubir.blog.lemonde.fr ), die seinen damaligen wirklichen Auftrag belegen – an erster Stelle stand sehr real die Bekämpfung der RPF. Entgegen seiner Behauptung war Hogard zudem zum fraglichen Zeitpunkt nicht Ancels Vorgesetzter: Er traf erst eine Woche nach ihm (am 30. Juni 1994) in Rwanda ein, und der Luftwaffensoldat kam erst ab dem 10. Juli 1994 unter sein Kommando. Zudem scheint Hogard, den Beschreibungen zufolge, zwei damalige Untergebene miteinander verwechselt zu haben.

Rwandas Präsident Paul Kagamé erinnerte kurz vor dem Genozid-Jahrestag am 07. April 2014 an Frankreichs damalige Rolle und fügte hinzu: „Die Tatsachen sind hartnäckig“ (,Les faits sont têtus’). Frankreichs Präsident François Hollande sagte daraufhin die geplante offizielle Teilnahme seines Landes, vertreten durch Justizministerin Christiane Taubira, an den Gedenkfeiern in Kigali ab. Am Tag darauf wollte er doch noch den französischen Botschafter vor Ort, Michel Flesch, hinschicken. Ihm entzogen die rwandischen Behörden jedoch, als Antwort, die Akkreditierung für die Dauer der Gedenkfeiern.

Editorische Hinweise

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