Aller
Voraussicht nach werden die „nationalen Kameraden“ im nächsten
Europaparlament nicht alle symbolträchtigen Gesten vorführen
können, die sie „zu Hause“ in ihren Ländern eingeübt haben. Auch
dann nicht, wenn ihre Präsenz während der nächsten
Legislaturperiode des Parlaments in Strasbourg - das zwischen
dem 22. und 25. Mai 2014 in den Mitgliedsstaaten gewählt wird –
dort stärker ausfallen wird als jetzt, wie vielfach erwartet
wird.
Am
13. Februar dieses Jahres zum Beispiel hängten zwei
rechtsextreme Abgeordnete im ungarischen Parlament, Tamás
Gaudi-Nagy von der Partei Jobbik und Balázs Lenhardt – parteilos
und ehemaliges Jobbik-Mitglied – gemeinsam die beiden dort
befindlichen EU-Fahnen ab und warfen sie zum Fenster hinaus.
Gaudy-Nagy erklärte dazu, die Sternenflagge sei ein Symbol der
„Kolonisierung Ungarns“. Wegkommen sollen auch die
beiden EU-Fahnen, die bislang auf dem Balkon der
südfranzösischen Stadt Fréjus und im Amtszimmer des dortigen
Bürgermeisters hängen. Bevor der 26jährige Spitzenkandidat des
Front National, David Rachline, infolge der französischen
Kommunalwahlen von Ende März zum Bürgermeister gewählt wurde,
hatte er erklärt, die EU-Symbole hätten von dort zu
verschwinden: „Sie haben dort nichts verloren.“ Am
12. April d.J. erklärte er dann zunächst beruhigend in der
Tageszeitung Le Parisien, er habe es nicht sehr
eilig, da es „dringendere Angelegenheit zu erledigen“
gelte. Am 23. April 14 vermeldet nun die Zeitung 20
minutes, die Fahne auf dem Rathausbalkon sei inzwischen
abgehängt.
Kritik an der EU
von rechts
Auch andere vergleichbare Parteien und „Bewegungen“ teilen ihre
Kritik an einem supranationalen Zusammenschluss, dem vor allem
immer wieder vorgeworfen wird, dass ihn nicht Blutsbande noch
„kulturelle Ideale“, sondern allein der Markt
respektive „technokratische Regeln“
zusammenhielten.
Die
„Freiheitliche Partei“ Österreichs FPÖ etwa bewirbt ihre Liste
zur Europaparlamentswahl mit Parolen wie:
„Österreich denkt um: Zu viel EU ist dumm!“
oder
„Wir verstehen Eure Wut – Zu viel EU
tut niemand gut!“
Hinzu kommen Evergreens bei der extremen Rechten, wie diese
beiden Plakatwerbungen:
„Zuerst wir und erst dann die EU“
oder, wenig fantasievoll variiert:
„Österreich zuerst, dann die EU!“
Ihren Spitzenkandidaten zur Europaparlamentswahl, zunächst
Andreas Mölzer, musste die österreichische Partei jedoch infolge
zu explizit rassistischer Sprüche austauschen. Mölzer hatte u.a.
einen äußerst populären Fußballspieler
des Landes, David Balaba – im Augenblick beim FC Bayern München
- öffentlich
„pechschwarz“
genannt. Daraufhin hatten u.a. die „Schwedendemokraten“, die
Bestandteil des am 15.11.2013 in Wien geschlossenen rechten
Wahlbündnisses zur Europaparlamentswahl, mit dem Verlassen der
Allianz gedroht. Neuer Spitzenkandidat der FPÖ bei der EP-Wahl
ist nun Harald Vilimsky, Generalsekretär der Partei.
Die
weniger bekannte, rechtsnationale ADR („Alternativ-demokratische
Reformpartei“) in Luxembourg ihrerseits zieht mit der Parole in
den Wahlkampf: „Weniger Europa, mehr Luxemburg!“
Und die „Partei der Freiheit“ (PVV) des Niederländers Geert
Wilders wirbt nicht nur mit einem ähnlichen Wahlkampfslogan –
„Minder EU“, also „Weniger Union“ – für sich. Am 6.
Februar d.J. hatte die Partei eine von ihr bei der britischen
Wirtschaftsberateragentur Capital Economics bestellte Studie
präsentiert, die angeblich belegt, dass die Niederlande sich im
Falle eines Austritts aus der Europäischen Union bereichern
würden.
Erfahrung von
Regierungsbeteiligung
Zwar tauchen solche Slogans nicht ausschließlich bei
rechtsextremen Parteien auf. Sondern auch manche bürgerlichen
Parteien bemühen Parolen im EU-Wahlkampf, die ihnen ähneln, und
sei es aus rein wahlkampftaktischen Gründen. Die Partei Forza
Italia etwa, die politische Hinterlassenschaft Silvio
Berlusconis, tritt unter anderem mit dem Slogan an: „Mehr
Italien in Europa – weniger Europa in Italien!“ Die 1994
entstandene Berlusconi-Partei ist sicherlich keine
faschistische, sondern eine ursprünglich wie ein
Privatunternehmen konzipierte bürgerliche Formation. Allerdings
hat sie nachweislich auch keine Berührungsängste gegenüber
Rechtsextremen, einschließlich Neo- oder Faschisten. Silvio
Berlusconi regierte mehrfach zusammen mit Letzteren, aber auch
der rassistischen Regionalpartei Lega Nord: von April bis
Dezember 1994, von 2001 bis 06 sowie von 2008 bis im vergangenen
Jahr.
Durch die Erfahrung, an Regierungen oder zumindest an
parlamentarischen Mehrheiten beteiligt zu sein, gingen mehrere
rechtsextreme Wahlparteien Europas hindurch. In Dänemark
unterstützte die DFP von Oktober 2001 bis zur Wahl vom 15.
September 2011 eine konservativ-liberale Minderheitsregierung.
Diese verlor dann die Wahl zugunsten der Sozialdemokratie,
während die DFP vor drei Jahren leicht verlor, von zuvor rund
vierzehn auf rund zwölf Prozent. In der Opposition konnte die
Partei sich allerdings regenerieren: Von Februar bis April
dieses Jahres lagen die Stimmabsichten für die DFP in Umfragen
zwischen 19,4 und 25,3 Prozent. In den Niederlanden trat die PVV
von Geert Wilders nach der Parlamentswahl vom Juni 2010 in eine
Koalition mit Christdemokraten und Liberalen ein, ließ
diese jedoch im Frühjahr 2012 platzen.
Derzeit nimmt in Norwegen – das in Europa liegt, aber nicht der
EU angehört – die dortige „Fortschrittspartei“ FrP von Siv
Jensen seit Oktober mit sieben Ministern an der Regierung teil.
Wie in den vorgenannten Fällen machen sich die Auswirkungen
ihrer Mitwirkung am Regierungsgeschäft vor allem bei der
Einwanderungspolitik bemerkbar. Die Zahl der durchgeführten
Abschiebungen schnellte in der Jahresbilanz 2013 um dreißig
Prozent nach oben, von 3.958 im Vorjahr auf nun 5.198.
Thema
Ausländerhetze
Im Europäischen
Parlament ist nicht zu erwarten, dass die rechtsextremen
Parteien an der Bildung einer Exekutive, also der künftigen
EU-Kommission, teilnehmen werden. Dort werden sie sich eher
darauf konzentrieren, sich in der Opposition gegen die
EU-Institutionen zu profilieren. Neben der Agitation gegen die
Einheitswährung Euro und unterschiedliche Aspekte der
Krisenpolitik – nordeuropäische und, falls sie erwartungsgemäß
ins Europaparlament einziehen, deutsche Rechtsparteien dürften
eifrig gegen die „Griechenlandhilfe“ wettern – wird ansonsten
die Hetze gegen Einwanderung im Mittelpunkt stehen.
Dieses Thema ist für alle rechten Wahlparteien
identitätsstiftend. Am 10. April 14 wollte die italienische Lega
Nord etwa beweisen, wie unverantwortlich es angeblich sei, dass
ein Gesetz der Rechtsregierung aus dem Jahr 2006 abgeschafft
werden soll, das „illegale Einwanderung“ zum Straftatbestand
erhob und mit mehrjährigen Haftstrafen bedrohte. Der
italienische Senat hatte im Januar beschlossen, die
Gefängnisdrohung solle aufgehoben werden, außer
für „Rückfalltäter“. Jüngst nun wollten sieben Mitglieder der
Lega Nord beweisen, wie einfach es nunmehr sei, mit dem
Schlauchboot über das Mittelmeer zu fahren und ganz risikolos in
Italien einzuwandern: Der EU drohe deswegen die
„Überschwemmung“. Die sieben fuhren auf dem Wasserweg in
Richtung Tunesien los. Auf der Höhe von Malta gerieten sie
allerdings in Seenot und zündeten ein pyrotechnisches
Alarmsignal. Da sie es so geschickt anstellten, dass der
Leuchtstern dabei auf ihr Boot fiel, kenterte dieses. Alle
Beteiligten drohten zu ertrinken, konnten jedoch gerettet
werden. So berichtete es jedenfalls die Tageszeitung
The Malta independant;
ihre Informationen wurden allerdings durch die italienische
Partei dementiert und inzwischen durch die Zeitung aus dem Netz
genommen.
Bündnisse
Mehrere der Rechtsparteien dürften sich im nächsten
Europaparlament zusammenschließen.
Am 15. November 2013 hatten bereits sechs Parteien in Wien ein
Wahlbündnis geschlossen: die FPÖ, der Front National, die Lega
Nord sowie der Vlaams Belang aus Belgien, die
„Schwedendemokraten“ (SD) und die „Slowakische Nationalpartei“
SNS. Zwei Tage zuvor hatten der französische FN und die
Wilders-Partei PVV ihrerseits einen Pakt geschlossen, anlässlich
eines Besuchs von Marine Le Pen in Den Haag.
Aber am 15. Februar 2014 erklärte Ludovic de Danne, Berater der
Chefin des Front National für europäische Angelegenheiten, mit
welchen Parteien man künftig im Europaparlament nicht
zusammenarbeiten möchte. Das betrifft die ungarische Partei
Jobbik. Diese ist einerseits, ähnlich wie die griechische
„Goldene Morgenröte“ – letztgenannte Partei ist in Europa
hauptsächlich mit der deutschen NPD verbündet -, zu offen
pro-nazistisch und zu ungeschminkt antisemitisch. Am 09. Februar
14 erst hatte Jobbik den „heldenhaften Verteidigern“ von
Budapest im Februar 1945, deutschen Nazisoldaten und Militärs
des faschistischen Ungarn, öffentlich gedacht. Andererseits
tritt Jobbik außenpolitisch
durch eine Vorliebe für asiatische Nationalismen hervor. Ein
alter Hut, seitdem ungarische Radikalnationalisten sich über den
Vertrag von Trianon von 1919 empörten, den Westeuropäern
deswegen eine „Mitschuld an der Zerstückelung Ungarns“ vorwarfen
und daraufhin den türkischen Kemalismus und den japanischen
Militarismus verherrlichten. Heute schwärmen Jobbik-Politiker
von der türkischen AKP oder mitunter vom iranischen Regime. Beim
französischen FN kommt dies schlecht an, wie bei vielen
„abendländisch“ orientierten Rechtsparteien in Westeuropa.
Zum
Zweiten will Marine Le Pen auch von der rassistischen und
geschichtsrevisionstischen britischen BNP nichts mehr wissen.
Dafür ursächlich ist nur der Verbalradikalismus von BNP-Chef
Nick Griffin, sondern auch ihre Ambitionen, mit einem
attraktiveren Bündnispartner von den britischen Inseln ins
Geschäft zu kommen. Denn der französische FN umwirbt derzeit,
ebenso wie Teile der „Alternative für Deutschland“ (AfD) es tun,
die britisch-nationalistische Partei UKIP von Nigel Farage. Ihr
prognostizieren Umfrageinstitute hohe Wahlergebnisse, das
Institut ComRes sagte ihr Anfang April 14 sogar dreißig
Prozent bevor. Aktuell (bei Redaktionsschluss, Anfang Mai d.J.)
schwanken die Stimmabsichten für die UKIP in mehreren Umfragen
gar zwischen 29 % und 38 %. Die Partei profilierte sich im
vergangenen Jahrzehnt vor allem mit EU-Kritik, hat ihr
Repertoire aber in jüngerer Zeit um deutliche Agitation gegen
Einwanderer erweitert.
Bislang will die UKIP allerdings offiziell von Parteien wie dem
Front National nichts wissen: Ihr offizieller Bündnispartner in
Frankreich ist der bürgerliche Nationalist und „Spätgaullist“
Nicolas Dupont-Aignan. Dass dessen Liste unter der Bezeichnung
Debout la République! (DLR, ungefähr: „Aufrechte
Republik“) ins Europaparlament einzieht, ist jedoch
ausgesprochen unwahrscheinlich. Wenn die Zusammensetzung des
Parlaments in Strasbourg auf der politischen Rechten einmal
feststehen wird, könnten die Karten neu gemischt werden. Dann
könnte es auch interessant werden, an wessen Seite sich etwa die
möglichen AfD-Abgeordneten positionieren werden.
Editorische
Hinweise
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