Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Linkskräfte vor der Europaparlamentswahl

5/6-2014

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Wie hältst Du es mit der Sozialdemokratie? Während die französische Sozialistische Partei (PS) an der Regierung eine immer rechtere und wirtschaftsfreundlichere Politik einschlägt – ihr neuer Premierminister Manuel Valls ist ein sicherer Garant dafür -, spaltete diese Gretchenfrage des Öfteren die Kräfte auf ihrer Linken. Zwischen Frontalopposition, punktueller Kritik, „konstruktiver Opposition“ oder „kritischer Unterstützung in der Hoffnung auf progressive Beeinflussung ihrer Politik“ oszillieren mitunter diese Positionen.

Spaltungen gab es in jüngerer Zeit deswegen bei der „Linksfront“ (Front de gauche), also dem seit 2009 bestehenden Zusammenschluss der „Linkspartei“ (Parti de Gauche, PG) Jean-Luc Mélenchons mit der Französischen kommunistischen Partei (PCF) unter Pierre Laurent. Die Partei Mélenchons ist eine Abspaltung von der Sozialdemokratie, die im Winter 2008/09 entstand und sich stark an der deutschen WASG unter Oskar Lafontaine orientierte. Seit dem Frühjahr 2009 sind diese Partei und die Französische KP, die dadurch ihren jahrelangen Niedergang stoppen und - unter Berufung auf die „endlich errungene Einheit mit den linken SozialdemokratInnen“ - ihre Basis wieder mobilisieren konnte, in der „Linksfront“ zusammengeschlossen.

Dem Linksbündnis haben sich mittlerweile ein knappes Dutzend weiterer Komponenten angegliedert, von denen fünf sich inzwischen zum „Bündnis innerhalb des Bündnisses“ unter dem Namen Ensemble (Gemeinsam) zusammenschlossen. Zu ihnen gehören drei Abspaltungen von der „Neuen Antikapitalistischen Partei“, dem NPA.

Annäherung an die Sozialdemokratie oder Distanzierung?

Zu erheblichen Spannungen führte dort seit Anfang des Jahres die Frage des Umgangs mit der französischen Sozialdemokratie. Denn die Französische KP, die von allen Komponenten des Linksbündnisses auf kommunaler Ebene mit Abstand am meisten zu verlieren hatte, nämlich mehrere Hundert Rathausregierungen, trat vielerorts bereits im ersten Wahlgang der Kommunalwahlen vom 23. und 30. März 14 gemeinsam mit der „Sozialistischen“ Partei, also der Formation François Hollandes. Um ihre Positionen in den Rathäusern nicht zu gefährden, wollte sie konkurrierende Kandidaturen auf der Linken im weiteren Sinne tunlichst vermeiden. Im Jahr 2008 hatte die Französische KP aufgrund solcher Kandidaturen mehrere Städte verloren, etwa die Pariser Vororte Aubervilliers an die Sozialdemokratie und Montreuil an die Grünen; allerdings waren beide Parteien damals auf nationaler Ebene in der Opposition und zugleich im Aufwind, während sie als Regierungsparteien seit 2012 heute deutlich im Abwind segeln. Die KP gewann deswegen in diesem Jahr Aubervilliers und Montreuil beide zurück und nahm sie dem ‚rosa-grünen“ Lager ab, verlor allerdings andere Pariser Vorstädte wie Bobigny und Saint-Ouen an die konservativ-liberale Rechte.

In rund einem Drittel der Städte und Gemeinde, in denen die KP KandidatInnen aufstellte, tat sie dies von vornherein auf gemeinsamen Listen mit der Sozialdemokratie. Darunter waren aber einige der einwohnerstärksten Städte wie Paris. Die „Linkspartei“ Mélenchons, die sich viel stärker durch Abgrenzung von der Sozialdemokratie – aus der sie einst durch Abspaltung hervorging – und mitunter durch Verbalradikalismus profilieren möchte, war darüber erzürnt. Und stellte ihrerseits getrennte Listen auf, mancherorts mit anderen Partnern aus der radikalen Linken oder vom linken Flügel der Grünen. In der Hauptstadt Paris stritten KP und Linkspartei sich fürchterlich um die Verwendung des bis dahin gemeinsam benutzten Symbols der „Linksfront“: Das Erkennungszeichen war auf Wahlplakaten der sozialdemokratischen Rathauskandidatin (und jetzigen Pariser Bürgermeisterin) Anne Hidalgo aufgetaucht, wogegen die Partei Mélenchons heftig protestierte.

Ihrerseits war die radikale Linke, in Gestalt der Parteien NPA und LO („Arbeiterkampf“, Lutte Ouvrière), bei den Kommunalwahlen weitgehend abwesend. Frankreichweit stellte der NPA unter 100, Lutte Ouvrière stellte rund 200 Kommunallisten auf. Trotz einzelner herausragender Ergebnisse - in Clermont-Ferrand und in Sotteville bei Rouen landeten Listen mit NPA-Beteiligung bei rund 15 Prozent - ,blieben die Gesamtergebnisse der radikalen Linken landesweit wenig „sichtbar“.

Flügelflattern

Vor dem Hintergrund der Konflikte bei der „Linksfront“ wurden die Verhandlungen um gemeinsame Listen der am Bündnis beteiligten Parteien zur Europaparlamentswahl in den ersten Jahreswochen vorläufig ausgesetzt. Am 03. April d.J. wurden sie wieder aufgenommen, doch KP und Linkspartei trennten sich zunächst ohne Einigung: Beide hatten keinen Kompromiss über die Spitzenkandidaturen erzielen können. Dahinter steht aber noch immer der schwelende Streit um das genaue Profil, und das Ausmaß der Nähe respektive Distanz zum regierenden Mitte-Links-Lager.

Am 07. April 14 kam dann vorübergehend neues Leben in die Verhandlungen, da der NPA an die beiden stärksten Parteien in der „Linksfront“ – welcher der NPA nicht angehört – erstmals ein Angebot für gemeinsame Listen richtete. Dahinter steht einerseits der Versuch einer Bündelung der Kräfte links vom derzeitigen Regierungslager .Gerade nachdem die Grünen zwar aus dem Kabinett ausgetreten sind, die überwiegende Mehrheit ihrer Abgeordneten aber dennoch bei der Vertrauensfrage für Valls votiert hat. Andererseits erklären aber auch finanzielle Schwierigkeiten des NPA, die eine Eigenkandidatur erschweren, dieses Angebot. Umgekehrt findet auch zumindest die Linkspartei Mélenchons derzeit ein taktisches Interesse daran, die Verhandlungen auf den NPA als dritten Diskussionspartner zu erweitern, um nämlich den Druck auf die französische KP erhöhen zu können: Wenn man mit einem Partnerwechsel drohen kann, entdeckt der alte Partner die eigenen Vorzüge wieder…

Inzwischen haben die Partner/innen innerhalb der „Linksfront“ sich allerdings so weit zusammengerauft, dass sie ohne Zweifel gemeinsam – und ohne Einbeziehung der radikalen Linken – zu den Europaparlamentswahlen antreten werden. Nur die Spitzenkandidaturen bleiben noch längere Zeit zwischen der Partei Mélenchons und der KP umstritten. Und weil sie sich bei der Listenaufstellung benachteiligt fühlte, hat sich eine der Komponenten der „Linksfront“ vorübergehend aus ihr zurückgezogen und schmollt nun. Es handelt sich um die ursprünglich aus einer Abspaltung vom NPA (2009) hervorgegangene, aber heute eher an den rechten Rand dieser Allianz gewanderte ,Gauche unitaire’ (ungefähr: „Einheitsliebende /der Einheit verbundene Linke“) unter dem Möchtegern-Volkstribunen Christian Picquet, dem, oh Schmach, ein dritter Listenplatz verweigert worden war. Picquet reagierte darauf, indem er der „Linkspartei“ unter dem Ex-Sozialdemokraten Mélenchon vorwarf, sich angeblich „in Rhetorik und Auftreten viel zu sehr an den NPA“ anzunähern, also aus seiner Sicht viel zu sehr auf der Sozialdemokratie herumzuhacken. (Picquet positionierte sich innerhalb der „Linksfront“ in der jüngeren Vergangenenheit oftmals tendenziell als Beiboot der KP-Führung, welche ihrerseits nur keinen allzu scharfen Bruch mit der Sozialdemokratie riskieren wollte, trotz grundsätzlicher theoretischer Oppositionshaltung gegenüber der Valls-Regierung.)

Daneben wird es eigenständige Listen des NPA in zwei Dritteln der französischen Regionen geben, im Pariser Raum auch mit der Spitzenkandidatur des früheren trotzkistisch-undogmatischen Präsidentschaftskandidaten (in den Jahren 2002 und 2007), Olivier Besancenot.

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