Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Tiefe Krise bei Le Monde

5/6-2014

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Vorbemerkung: Der Artikel wurde am  02. Juni 14 während der TREND-Redaktionsferien verfasst.

Dass schlechte Nachrichten in einer Zeitung stehen können, ist leider nichts Ungewöhnliches: Das Weltgeschehen ist nun einmal so. In diesem Falle standen schlechte Nachrichten über ihr eigenes Innenleben in der Zeitung. Am 27. Mai vermeldete die Pariser Abendzeitung Le Monde, ein neues Führungsteam sei an ihrer Spitze eingesetzt worden.

Was bei Le Monde passiert, kann der französischen (und europäischen) Öffentlichkeit kaum gleichgültig sein. Die Pariser Abendzeitung gilt bislang als erste französische Qualitätszeitung. Le Monde entstand im Jahr 1944 aus der Résistance heraus. Den längsten Teil ihrer Geschichte hindurch schaffte sie es, sich ihre Unabhängigkeit gegenüber den Regierenden zu bewahren, während des Algerienkriegs beispielsweise wurde deswegen zwanzig ihrer Ausgaben komplett beschlagnahmt. Die Bewegung des Mai 1968 begleitete sie durch eine objektive und zeitnahe Berichterstattung, die ihr unter den jungen Linken erhebliche Popularität verschaffte. Zu den Markenzeichen der Zeitung gehörte es, nuancierte, differenzierte und argumentierte Positionen zu ergreifen, doch direkte parteipolitische Festlegungen zu vermeiden. Doch stets in Regierungszeiten der Sozialdemokratie ist ihre Unabhängigkeit gefährdet, und sie schafft es nicht, auf ähnlich kritischer Distanz zu bleiben wie unter konservativen Regierungen. So war es unter François Mitterrand (Präsident 1981-1995), zu dem es ihr an Abstand fehlte, und so ist es auch unter François Hollande – obwohl dessen Politik nicht einmal mehr als sozialdemokratisch zu bezeichnen ist.

Durch ihre Geschichte bedingt, aber auch durch ihren Erscheinungsrhythmus – die Zeitung erscheint in Paris am frühen Nachmittag, andernorts am Abend oder am nächsten Morgen – hat Le Monde einen erheblichen Einfluss auf die Agenda anderer Medien wie etwa vieler Fernsehsender. Was Le Monde eine Schlagzeile wert ist, wird dort nicht als unwichtiges Thema abgehandelt werden. In den letzten Wochen aber war es die Zeitung selbst, die durch ihr Innenleben wiederholt für Schlagzeilen sorgte.

Doch nun wird die seit einigen Monaten schwelende Krise in ihrer Redaktion akut. Am 06. Mai 14 traten sieben ihrer zehn ChefredakteurInnen und StellvertreterInnen geschlossen zurück. In einer gemeinsamen Erklärung klagen sie ein „totales Fehlen von Vertrauen oder auch nur Kommunikation“ zwischen JournalistInnen und der Leiterin der Redaktion, Nathalie Nougayrède, an. Lediglich Arnaud Leparmentier und Anne-Marie Lannelongue blieben als Rubrik-ChefredakteurIn im Amt. Ein schlechtes Zeichen. Leparmentier, ein Karrierist in den Vierzigern, früher Deutschlandkorrespondent, steht für einen unangenehmen und uninteressanten, konformistisch-wirtschaftsliberalen Journalismus. Als Kandidat auf den Posten des Redaktionsleiters unterlag er im März 2013 gegen Nougayrède. Die bald 48jährige frühere Russlandkorrespondentin gewann damals mit fast 80 Prozent der Stimmen.

Die Idylle währte nicht lange. Jegliches Vertrauensverhältnis innerhalb der Redaktion scheint heute zerrüttet. Vordergründig geht es dabei um den Relaunch der Printausgabe – er war für diesen Monat geplant und wurde nun auf September verschoben, nachdem eine Redaktions-Vollversammlung dazu am 20. März sehr stürmisch verlaufen war -, aber auch um die geplante Stärkung der Webredaktion. 57 Stellen (von insgesamt rund 400 Journalistenposten) in den Rubriken der Papierausgabe sollen abgebaut, und in die Internetredaktion überführt werden. Die JournalistInnen fürchten, Ältere könnten aufgrund schwieriger Umgewöhnung einen Rücktritt vorziehen, so dass es zu einem versteckten Personalabbau käme. Vor allem aber drohe durch das Aufbrechen bisheriger Rubriken und durch das Funktionieren der Webredaktion eine Änderung der inhaltlichen Arbeit. Spezialisierungen würden aufgehoben, und gleichzeitig wachse der Anteil an Tätigkeiten, die im Kern lediglich aus dem Umschreiben von Agenturmeldungen bestehen – gerechtfertigt durch Zeitdruck und die Konkurrenz zu Radio, Fernsehen und diversen Webportalen.

Hinter dem Umbauprojekt jedoch stehen laut Auffassung der Kritiker in- und außerhalb der Redaktion ideologische Weichenstellungen, zu denen diese Entwicklung wunderbar konform geht. Betrachtet man nämlich die Aufteilung der Rubriken, die der Personalabbau am härtesten trifft, fällt auf, wie die gestrichenen Arbeitsstellen verteilt sind. Verschwinden sollen die Rubriken „Planet“ (u.a. zuständig für Umweltpolitik), „Wohnungsproblem und soziale Ausgrenzung“, „Banlieues“ sowie die Abteilung „radikale Linke“, die sich auch um soziale Bewegungen kümmert. Schon seit April 2013 verfügt die Rubrik „Planet“ über keine feste Seite mehr. Zu Anfang 2014 verschwand die Rubrik „Geopolitik“, die sich – jenseits des fragwürdigen Namens – auf fundierte Weise mit internationalen Entwicklungen beschäftigte. Stattdessen wurde seit nunmehr Jahr die Beilage „Wirtschaft und Unternehmen“ stark ausgebaut, die zudem inhaltlich immer stärker zu einem Abfeiern der „Leistungen“ von privaten Wirtschaftsunternehmen hinüberglitt. Die medienkritische Initiative Acrimed (Action critique des médias) zählte für Februar dieses Jahres ein Viertel der Artikel in der gesamten Zeitung, die solchen Themen gewidmet waren. Das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.

Die ideologische Handschrift schlägt aber bisweilen auch unmittelbar durch. Als Beispiel zitiert wird nun immer wieder ein Artikel des Filmkritikers Jacques Mandelbaum vom Februar. Es ging um den Film des US-Dokumentarfilmers Frederick Wiseman: „At Berkeley“. Er schildert die Bedrohung der kalifornischen Universität, die bis dahin als Gegenmodell zu den nordamerikanischen Elitehochschulen wie Harvard funktionieren wollte – kein Zahlstudium, Wertlegen auf soziale Durchmischung der Studierendenschaft -, durch die Politik des Rückbaus öffentlicher Mittel. Der Artikel stand unter dem Titel „At Berkeley: Eine vom Neoliberalismus zernagte Utopie“. Das böse Wort „Neoliberalismus“ verschwand jedoch in letzter Minute vor der Drucklegung, nunmehr hieß es in der Printausgabe nur noch: „At Berkeley: Eine bedrohte Utopie“. Inzwischen hat Redaktionsleiterin Nouygarède offen eingeräumt, dass sie das störende Wort aus der Druckfahne genommen hatte. Bei auch nur vorsichtiger Andeutung von Kapitalismuskritik sieht die Dame rot.

Gerechtfertigt werden die „von oben“ geplante Eingriffe jedoch durch den Rückgang der Auflage der Printzeitung: Wie alle Presseorgane verlor Le Monde im Jahr 2013 an LeserInnen, weil deren Zahl im Jahr davor aufgrund der französischen Präsidentschaftswahl auf einem Höchststand gewesen war. Der Umsatz ging von 361 Millionen Euro (2012) auf 345 Millionen zurück, das ergab einen Verlust von 2,5 Millionen. Im laufenden Jahr hat die LeserInennzahl allerdings seit März wieder zugenommen, während andere Zeitungen im selben Zeitraum durchschnittlich zwischen 8 und 10 Prozent verloren. Hinzu kommt der Druck der größten Privataktionäre, des Trios aus Pierre Bergé, Xavier Niel und Matthieu Pigasse – aufgrund ihrer Nachnamen gemeinhin als „PNB“ bezeichnet, wie die gleichnamige Pariser Bank. Niel hatte im Dezember unmissverständlich von Nouygarède einen Personalabbau verlangt.

Nun ist, infolge des Abgangs von Nathalie Nougayrède, ein neues Leitungsteam angetreten.

Der für Nichtmitglieder der Redaktion wohl prominenteste Name ist dabei der von Arnaud Leparmentier, der nun zu einem der drei stellvertretenden Redaktionsleiter wurde. Er dürfte der politischste Kopf in der neuen Leitung sein. Der extrem ehrgeizige 46jährige war in den späten neunziger Jahren Korrespondent der Zeitung in Berlin. Später leitete er das Brüssel-Büro, und zu Ende des vergangenen Jahrzehnts war er speziell für die Berichterstattung über Nicolas Sarkozys Wirken im Elyséepalast zuständig – über ihn verfasste er nach seiner Wahlniederlage 2012 ein Buch. Zu Anfang des darauffolgenden Jahres erschien sein Buch über „Die Franzosen, Totengräber des Euro“. Darin wirft er der französischen Politik vor, nicht genügend Sparanstrengungen unternommen zu haben und sich damit zu begnügen, zu Deutschlands finanzpolitischen Forderungen in der EU „immer Nein zu sagen“. Sein jüngstes Aufgabenfeld bei Le Monde war bis vor kurzem „Frankreich und Europa in der Globalisierung“. Damit ist sein inhaltliches Profil schon grob umrissen.

Als Deutschlandkorrespondent von Le Monde hatte Leparmentier es 1998/99 vermocht, im Abstand von wenigen Monaten mehrfach denselben Artikel mit eher geringfügigen Abänderungen drucken zu lassen. Deren Strickmuster blieb jedenfalls identisch, und der Grundinhalt lautete so: Es gibt notwendige „Reformen“, die notfalls auch gegen eine Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt werden müssen. Die Qualität und Vernunft eines Politikers messen sich an seinem Vermögen, dies zu tun. Der vormalige Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-1998) hat es unter Beweis gestellt, als er 1983 die Stationierung von US-Atomraketen – Pershing-2 und Cruise Missiles - gegen massive innenpolitische Widerstände durchsetzen konnte. Aber wird Gerhard Schröder, der neue Kanzler, ebenfalls diese Qualität aufweisen?, fragte Leparmentier sich im Herbst 1998 bange. Im darauffolgenden Jahr gab er sich die Antwort: Ja, Schröder besitzt diese Qualität. Als in seinen Augen positiven Beweis dafür führte Leparmentier die unter Schröder eingeleiteten wirtschaftsliberalen „Reformen“ an. Allerdings auch die kurzfristig geplante, und dann infolge eines Wahlsiegs der politischen Rechten in Hessen im Februar 1999 schnell verwässerte, Reform des antiquierten und einwandererfeindlichen deutschen Staatsbürgerschaftsrechts.

In weiten Zügen stellte Leparmentier bislang einen schablonenhaften und neoliberalen Dogmen gehorchenden Journalismus unter Beweis. Bei der Wahl auf den Direktorensessel scheiterte er im März 2013 gegen Nathalie Nougayrède, weil er von vielen KollegInnen als „zu polarisierend“ und „u wirtschaftsliberal“ wahrgenommen wurde.

Inhaltlich ist seine Handschrift unter den neuen Führungspersönlichkeiten der Zeitung die erkennbarste. Als neuer Direktor von Le Monde wurde, infolge des Rücktritts seiner Vorgängerin Nougayrède, am 14. Mai Gilles Van Kote berufen. In dem neuen Team, das er dreizehn Tage später vorstellte, wurde Jérôme Fenoglio zum Redaktionsleiter berufen. Beide Journalisten arbeiteten früher jahrelang zuerst für die Sportseiten und später für die Wissenschaftsrubrik ihrer Zeitung. Die Qualität ihres Journalismus steht außer Frage, allerdings traten sie bislang nach außen und zu politischen Themen bei weitem nicht so profiliert in Erscheinung wie Leparmentier.

Als QualitätsjournalistInnen gelten dürfen ferner auch Luc Bronner, bislang zuständig für Innenpolitik und besonders die Banlieueproblematik, sowie Cécile Prieur als Redakteurin für Gesellschaftspolitik. Beide werden nun neben dem Aufsteiger Leparmentier zu stellvertretenden RedaktionsleiterInnen. Besonders Prieur bringt dabei eine progressivere Handschrift mit. Unter den neuen Ressortleitern prominent sind besonders Christophe Ayad – ein ausgewiesener Kenner der arabischsprachigen Länder, früher einmal für Libération tätig – als neuer Chef der Rubrik Außenpolitik und Thomas Wieder, nunmehr Ressortleiter für Innenpolitik mit guten Kenntnissen aber ohne klares politisches Profil.

Diese Personalentscheidungen verhindern zumindest, dass das Desaster vollständig wird, für das die Ernennung von Leparmentier inhaltlich steht. Letzterer hatte - als einziger Chefredakteurs-Stellvertreter neben Anne-Marie Lannelongue – seinen Rücktritt verweigert, als am 06. Mai sieben ihrer KollegInnen gemeinsam die Brocken hinwarfen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.