Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Jean-Marie Le Pen löst mit antisemitischem Ausspruch Aufruhr aus

5/6-2014

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Vorbemerkung: Der Artikel wurde am  10. Juni 14 während der TREND-Redaktionsferien verfasst. Unten folgt ein aktueller Zusatz vom 20. Juni.

Bislang ging es noch als Arbeitsteilung durch: Beim französischen Front National (FN) war der Parteigründer und „Ehrenvorsitzende“ Jean-Marie Le Pen für die rassistischen oder antisemitischen Ausfälle zuständig, seine Tochter und Nachfolgerin im Parteivorsitz – Marine Le Pen – hingegen für die „respektable“ Außenfassade. Seit ihrem Antritt als Vorsitzende (Januar 2011) distanzierte die Partei sich offiziell von jeglichem offenen Antisemitismus. Unter ihrem Vater als Parteichef (1972-2011) war hingegen Antisemitismus im Subtext sichtlich präsent. Marines Le Pens Vater und Vorgänger im Amt vertritt bis heute die These, würde „der FN zu nett“, werde er langweilige und „interessier(e) niemanden“, deswegen müsse man ab & zu eine zünftige Polemik unterhalten. Eine Zeit lang konnten beide Linien sozusagen arbeitsteilig nebeneinander her existieren, aber jetzt scheint diese Doppelstrategie an ihre Grenzen zu stoßen.

Am Freitag, den 06.06.14 publizierte Jean-Marie Le Pen eine seiner berüchtigten Videobotschaften im Internet. Dieses Mal schlug er übermäßig über die Stränge. Über den FN-kritischen Sänger Patrick Bruel – er hatte kürzlich erklärt, nicht in rechtsextrem regierten Kommunen auftreten zu wollen - und andere Opponenten seiner Partei äußerte er : „Beim nächsten Mal machen wir ,une fournée’ mit denen.“ Dies bedeutet wörtlich so viel wie „eine Ofenladung, eine Ofenfüllung“, auch wenn dem Ausdruck ebenfalls eine übertragene Bedeutung zukommt, im Sinne von „mehrere auf einen Streich erledigen“, oder aber auch im Sinne von „mehrere Leute in einem Aufwasch abhandeln“. (In dem letztgenannten Falle auch ohne tödliche Dimension, etwa in dem Satz, den FN-Politiker Bruno Gollnisch zur Verteidigung seines alten Chefs aus einem Wörterbuch zitierte: „…mehrere Politiker wurden in einem Aufwasch beim Präsidenten empfangen“). Obwohl der Ausdruck also unterschiedlich ausgelegt werden kann, muss zumindest zwingend angenommen werden, dass Jean-Marie Le Pen bewusst und in voller Absicht mit dieser Doppeldeutigkeit spielte.

Die jüdische Herkunft Bruels ist allgemein bekannt, und vor diesem Hintergrund war die Anspielung auf die Verbrennungsöfen in den NS-Vernichtungslagern nur allzu offenkundig. Le Pen senior hatte bereits am 02. September 1988 sein berüchtigtes Wortspiel „durafour-crématoire“ gestartet: Michel Durafour war der Name eines jüdischstämmigen liberalen Ministers, und four-crématoire bedeutet „Verbrennungsofen“. Dafür wurde Jean-Marie Le Pen, nach mehreren gerichtlichen Instanzen, am 03. Juni 1993 - in einem letztmaligen Urteil in dieser Sache – zu 10.000 französischen Francs Geldstrafe verurteilt.

Dieses Mal wurde es auch einigen Parteioberen zu viel, und die Polemik unter Parteifunktionär-inn-en dazu hielt nahezu das gesamte Pfingstwochenende über an, während das fragliche Video am Samstag (07. Juni 14) eilig wieder aus dem Netz genommen wurde. Die amtierende Chefin Marine Le Pen sprach von einer „politischen Verfehlung“ – allerdings nicht aufgrund von Antisemitismus, sondern weil ihr Vater die angeblich böswillige Interpretation des Ausspruchs durch seine Gegner „nicht vorausgesehen hat“. Die Kritik gilt also mindestens ebenso sehr den Gegner/inne/n der extremen Rechten, und ihr Vater – ein uralter Hase in der Politik, bereits 1956 war er Abgeordneter, und mit allen Wassern gewaschen – wird von ihr als vermeintlich überlistetes Opfer dargestellt.

Ferner fürchtet Marine Le Pen allem Anschein nach in erster Linie, die neuen Ausfälle ihres Vaters & Vorgängers könnten die Bildung einer gemeinsamen Fraktion im Europaparlament mit anderen Rechtsparteien gefährden. Dafür läuft die Frist am 24. Juni 14 ab, und bislang erfüllt die Abgeordnetengruppe rund um den französischen FN (zuzüglich der österreichischen FPÖ, der italienischen Lega Nord und des belgischen Vlaams Belang) noch nicht die Voraussetzungen zur Fraktionsbildung. Zwar weisen diese Parteien genügen Sitze im Europaparlament auf – zur Fraktionsbildung sind 25 Mandate erforderlich, der französische FN allein verfügt über ihrer 24 -, doch müssen die an einer Fraktion teilnehmenden Parteien auch aus mindestens sieben EU-Ländern kommen. Daran hapert es bislang, denn eine als Partner vorgesehene Partei (die „Slowakische Nationalpartei“ SNS von Ivan Gasparovic) schaffte den Wiedereinzug ins Europaparlament nicht; sie erhielt 3,6 Prozent der Stimmen und kein Mandat, bei der Wahl im Juni 2009 waren es noch 5,6 Prozent und ein Sitz gewesen. Eine weitere Partei, die „Schwedendemokraten“, zögern im Augenblick vor einem Zusammenschluss mit FN und FPÖ zurück: Am 14. September dieses Jahres möchten sie bei den schwedischen Parlamentswahlen hinzugewinnen, und sich deswegen als halbwegs „respektable“ Kraft profilieren. Insofern könnte es für das Bündnis unter Anführung von Marine Le Pen, mit augenblicklich fünf „sicheren“ Formationen, noch eng werden.

Ihr Vizevorsitzender und Lebensgefährte Louis Aliot sprach von einer „Dummheit“ und bezeichnete Jean-Marie Le Pens Ausspruch als „konsternierend“. Seinerseits riet der parteilose aber für den FN gewählte Parlamentsabgeordnete Gilbert Collard dem Alten, nun endlich „in Rente zu gehen“. (Le Pen senior wird am 20. Juni dieses Jahres 86, denkt aber bislang nicht im Traum an einen Abgang aufs Altenteil.)

Jean-Marie Le Pen giftete zurück, die böswillige Auslegung seines Ausspruchs aus den eigenen Reihen sei „ein bisschen Verrat“, und seine Kritiker seien dämlich. Gilbert Collard riet er, „zwei Konsonanten an seinem Familiennamen zu ändern“, also indirekt, sich fortan ,Connard‘ (das bedeutet: Vollpfosten, Trottel, Idiot, Depp, Dummkopf) zu nennen. Der zweite Partei-Vizechef, Florian Philippot, sprach am Pfingstmontag, den 09. Juni seine Erwartung aus, es werde „notwendigerweise zu einer Aussprache, einer Erklärung zwischen Jean-Marie und Marine Le Pen“ kommen. Unterdessen konterte am selben Tag Jean-Marie Le Pen seinen Kritiker-inne-n, diese betrieben „Anpassung an das herrschende Einheitsdenken“.

Aktueller Zusatz vom 20. Juni 14:

Unterdessen ergab eine Umfrage, dass inzwischen 91 % der Französinnen und Franzosen eine negative Meinung von Jean-Marie Le Pen haben, und 81 % sowie 74 % der Anhänger/innen des Front National ihn heute als „Klotz am Bein“ seiner eigenen Partei betrachten (vgl. http://www.lefigaro.fr/). Demnach wären 45 Prozent (!) der befragten Französinnen grundsätzlich bereit, für den Front National zu stimmen. Aber 43 % erklären demnach, sich der Tochter Marine Le Pen nahe zu fühlen, nur 02 % ihrem Vater Jean-Marie Le Pen.

In einem Interview mit der Boulevardzeitschrift ,Paris Match‘ adressierte Marine Le Pen folgende Botschaft an ihren Vater: „Heute obliegt es mir, die Zukunft des Front National zu verkörpern.“ Abzuwarten bleibt, welchen Platz die unmittelbaren Anhänger/innen Jean-Marie Le Pens nach dem anstehenden Parteitag, welcher am 29./30. November 14 in Lyon stattfinden soll, im künftigen Parteivorstand behalten werden. Jean-Marie Le Pen kündigte an, er könne Stimmempfehlungen abgeben, auf dass ihm nahe stehenden Personen dort künftig noch eine Untergruppe/Fraktion bilden können.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.