Kommentare zum Zeitgeschehen
MARX IS MUSS Kongress 2015

Pseudolinke diskutieren Kriegs- und Austeritätspolitik

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on Johannes Stern / 14.5.2015

5-6/2015

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Heute beginnt der diesjährige „MARX IS MUSS“ Kongress in Berlin. Er wird vom Netzwerk Marx 21 organisiert, einer pseudolinken Gruppierung innerhalb der Linkspartei, die enge Beziehungen zur staatskapitalistischen International Socialist Tendency (IST) unterhält. Gesponsert wird der Kongress unter anderem von den der Linkspartei nahe stehenden Tageszeitungen Neues Deutschland und Junge Welt und der taz, dem Hausorgan der Grünen.

In einem viel beachteten Artikel zum MARX IS MUSS Kongress vor zwei Jahren hatten wir die Zusammenkunft als „eine von unzähligen, gut durchorganisierten und mit einem hohen Finanzetat ausgestatteten Veranstaltungen“ bezeichnet, „auf denen etablierte bürgerliche Politiker, junge Karrieristen und akademische Zyniker zusammenkommen, sich ‚vernetzen‘ und ihre nächsten politischen Manöver vorbereiten.“

„Mit sozialistischer Politik und den politischen und sozialen Kämpfen der Arbeiterklasse haben diese Kräfte nicht das Geringste zu tun“, schrieben wir. Im Gegenteil: der Kongress sei „eine schmutzige Operation mit dem Ziel, rechte bürgerliche und imperialistische Politik in einem pseudo-linken Gewand zu präsentieren.“

Diese Einschätzung hat sich in jeder Hinsicht bestätigt. Der Klassencharakter der Pseudolinken und ihre rechte politische Agenda wurde in den letzten beiden Jahren deutlich sichtbar. Zu ihrer Bilanz gehören unter anderem die Unterstützung des konterrevolutionären Militärputsches in Ägypten 2013, die Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften in der Ukraine, die Propaganda für den deutschen Militarismus und das Eintreten für eine aggressivere Außenpolitik des Westens gegenüber Russland und China.

Die Kriegspolitik findet ihre Entsprechung in der Unterstützung heftiger Angriffe auf die Arbeiterklasse. In Griechenland hofiert Marx 21 die Syriza-Regierung, die trotz ihrer Wahlversprechen die Austeritätspolitik der Troika unvermindert fortsetzt. In Deutschland tritt sie für die gleichen Angriffe auf die Arbeiterklasse im Rahmen von rot-rot-grünen Regierungsbündnissen und in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ein.

All das ist Thema des Kongresses. Dessen Hauptaufgabe wird darin bestehen, diese reaktionäre Politik in „linker“ Phraseologie zu präsentieren, damit die kleinbürgerlichen Zyniker im Publikum (die Mehrheit der offiziell etwa 600 Besucher werden Studenten, Akademiker, Journalisten und Mitarbeiter zahlreicher NGOs und politischer Stiftungen und Denkfabriken sein) mit reinem Gewissen Beifall klatschen können.

In der Folge eine unvollständige, aber entlarvende Programmübersicht:

Eine Podiumsdiskussion mit dem führenden Syriza-Mitglied Stathis Kouvelakis wird erörtern, ob die Partei „Griechenlands letzte Hoffnung“ sei und ob „eine Syriza-Regierung die Austeritätspolitik stoppen“ kann?

In Wirklichkeit ist die Frage längst beantwortet. Syriza brauchte nach den Wahlen im Januar weniger als einen Monat, um ihre Wahlversprechen fallen zu lassen und auf ganzer Linie zu kapitulieren. Seitdem setzt sie die von der Troika diktierte Austeritätspolitik brutal um. Erst am Montag hat Griechenland eine neue Tranche von 750 Milliarden an den Internationalen Währungsfond überwiesen. Um die Forderungen der Gläubiger zu erfüllen, plündert Syriza wie die Vorgängerregierungen die Rentenfonds, setzt die Privatisierungen fort und verspricht tiefgreifende Strukturreformen.

Das „Auftaktpodium“ am heutigen Donnerstag trägt den Titel „Zwischen Syriza und Front National: Polarisierung in Europa“. Es will diskutieren, „mit welchen politischen Strategien ... sich die Linke den Rechten entgegenstellen“ kann. Tatsächlich stellen sich die Pseudolinken den Rechten nicht entgegen, sondern bereiten ihnen den Weg. Auch hier liefert Griechenland das aufschlussreichste Beispiel. Dort spielt die Kürzungspolitik nicht nur rechten und faschistischen Kräften in die Hände, Syriza arbeitet direkt mit ihnen zusammen. Sie regiert in einer Koalition mit den „Unabhängigen Griechen“ (ANEL), einer extrem rechten, anti-semitischen und ausländerfeindlichen Partei.

Unabhängig davon, was Bernd Riexinger, der Vorsitzende der Linkspartei auf dem Podium von sich geben wird, befürworten auch Teile der Linken diese Orientierung. Im vergangenen Jahr arbeiteten führende Mitglieder der Linkspartei im Rahmen der sogenannten „Mahnwachen für den Frieden“ und dem „Friedenswinter“ mit extrem rechten Kräften zusammen. Im vergangenen Monat pries der Parteigründer Oskar Lafontaine den CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler.

Angesichts der sich verschärfenden Krise des Kapitalismus und wachsender Klassenspannungen verschmelzen die Pseudolinken zunehmend mit extrem rechten Kräften und verwandeln sich selbst in eine „Neue Rechte“. Ursprünglich war für das Auftaktpodium auch der ehemalige Vorsitzende der französischen Linkspartei Jean-Luc Mélenchon eingeplant, der in seinem jüngsten Buch „Die Ära des Volkes“ den Tod der Linken verkündet.

Ein weiterer ursprünglich angekündigter Gast, der offen für eine Zusammenarbeit mit Faschisten eintritt, ist das Mitglied der Russischen Sozialistischen Bewegung Ilja Budraitskis. Am Tag des Putsches in Kiew hatte Marx 21 auf ihrer Website ein Interview mit Budraitskis veröffentlicht, in dem dieser die Faschisten als die „mutigsten und buchstäblich kämpferischsten Teile der Bewegung“ pries. Auf die Frage, ob er mit „Nazis diskutieren“ wolle, antwortete Budraitskis: „Vielleicht mit manchen.“

Die scharfe Rechtsentwicklung der Pseudolinken geht mit ihrer direkten Integration in die kapitalistische Regierungspolitik einher. Unter dem Titel „Rot-Rot-Grün in den Ländern: Perspektive für einen Politikwechsel“ diskutieren Janine Wissler und Rico Gebhardt über Regierungsbeteiligungen der Linken. Das führende Marx 21-Mitglied Janine Wissler ist mittlerweile stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei. Gebhardt ist Vorsitzender der Linksfraktion im sächsischen Landtag. Beide personifizieren gewissermaßen die „linke“ Kürzungspolitik.

Wissler hat als Spitzenkandidatin der Linkspartei bei den hessischen Landtagswahlen die Sondierungsgespräche mit den Hartz-IV Parteien SPD und Grüne geführt und dabei eigene Kürzungsvorschläge eingebracht. Gebhardt hatte als erster Vertreter der Linkspartei bereits Anfang 2013 im sächsischen Landtag für die Einführung der Schuldenbremse gestimmt. Sie ist eines der wichtigsten Instrumente der Austeritätspolitik in Deutschland. Die Schuldenbremse verbietet Bund, Ländern und Kommunen ab 2010 neue Schulden aufzunehmen und verpflichtet sie stattdessen zu Sozialkürzungen, Entlassungen und Privatisierungen.

Am deutlichsten wird der Klassencharakter der Pseudolinken jedoch in der Außenpolitik. Eine Veranstaltung mit Christine Buchholz und Gerry Woop trägt bezeichnenderweise den Titel: „Die Welt gerät aus den Fugen – welche Außenpolitik braucht die Linke?“

Im Text zur Veranstaltung heißt es: „Ob Zentralafrika, Giftgasvernichtung im Mittelmeer oder Unterstützung der Kurden: Immer wieder wurde das kategorische Nein der Partei zu jeder [sic] an Auslandseinsätzen von jenen herausgefordert, die DIE LINKE koalitionsfähig machen wollen.“ Dahinter stecke „auch eine grundsätzliche Frage: Wie gehen wir methodisch an Konflikte und Kriege heran, die in anderen Ländern ausbrechen? Was sind unsere Bewertungsmaßstäbe in der internationalen Politik? Gibt es das überhaupt – eine linke Außenpolitik?“

Die Frage stellen, heißt sie beantworten. Die Linkspartei hat eine Außenpolitik, aber sie ist definitiv nicht „links“. Die Linkspartei spielt eine entscheidende Rolle dabei, die Rückkehr des deutschen Militarismus auf die Weltbühne zu organisieren.

In ihrer Rolle als Sprecherin der Linken im Verteidigungsausschuss des Bundestags besuchte Christine Buchholz Anfang letzten Jahres zusammen mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) deutsche Truppen in Zentralafrika. Im April stimmten Abgeordnete der Linkspartei erstmals für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Und im Sommer forderten Vertreter der Linkspartei als erste ein deutsches Eingreifen im Irak.

Der gemeinsame Auftritt von Buchholz und Woop macht deutlich, dass zwischen dem pseudolinken und offen rechten Flügel der Linkspartei keine grundlegenden Differenzen bestehen. Während Woop und sein Kollege Stefan Liebich vom Forum Demokratischer Sozialismus in außenpolitischen Strategiepapieren offen für Kriegseinsätze „nach Kapitel VII der UN-Charta“ eintreten, raten Pseudolinke wie Buchholz (zumindest momentan noch) zu mehr Zurückhaltung bei militärischen Abenteuern. So riet sie jüngst in einer Rede in der DGAP, Russland von Innen her zu zersetzen, um die imperialistischen Interessen Deutschlands zu verfolgen.

Weitere Veranstaltungen zum Thema „Imperialismus und die neue Weltordnung“ unterstreichen die pro-imperialistische Ausrichtung des Kongresses. Auf einer Veranstaltung soll die Frage „Was ist Imperialismus?“ anhand „aktueller Ereignisse im Pazifischen Raum, im Nahen Osten und in Osteuropa erörtert werden“. Man braucht kein Prophet sein, um vorauszusagen, was dort diskutiert wird. Der Sprecher der Veranstaltung Stefan Ziefle hatte bereits vor zwei Jahren für Marx 21 einen Artikel unter dem Titel „Putins Schüler“ verfasst, der für eine imperialistische Intervention in Syrien eintrat, um den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen.

Die Pseudolinken lehnen eine marxistische Analyse des Imperialismus und einen unabhängigen politischen Kampf der Arbeiterklasse gegen die Kriegspolitik der imperialistischen Mächte ab. Ihnen dient der Begriff Imperialismus vielmehr als Schimpfwort, mit dem sie Länder wie Russland und China belegen, um Unterstützung für diese Kriegspolitik zu mobilisieren.

So greift der Ankündigungstext zu einer Veranstaltung, auf der Alex Callinicos zum Thema „Die neue Weltordnung: Chaos mit System?“ spricht, jene an, die „nicht an Zufälle glauben und meinen, hinter der Abfolge immer neuer Kriege steckt letztendlich die USA“. Er beklagt, dass „in den letzten Jahren eine Denkrichtung stärker geworden“ ist, „die als Gegenkonzept auf die Einbindung der jeweiligen Gegner Washingtons in diplomatische Lösungen setzt – z. B. auf das Assad-Regime in Syrien, Putins Russland oder die Führung in Peking.“ Callinicos, der theoretische Kopf der britischen Socialist Workers Party (SWP), hatte sich schon im Ukraine-Konflikt von Anfang an hinter die westliche Aggression gestellt.

Unter der Rubrik „Marx neu entdecken“ werden anti-marxistische Theorien breitgetreten, die der Kriegs- und Kürzungspolitik der Pseudolinken zugrunde liegen. Eine Veranstaltung fragt, „was SozialistInnen und MarxistInnen“ von den Konzepten Judith Butlers, „einer der wichtigsten Stimmen der poststrukturalistischen Theorie und der Queer-Theorie ... lernen können“. Unter „Race, Gender und Class“ wird diskutiert, was „der Marxismus von anderen kritischen Theorien lernen kann“.

In Wirklichkeit geht es nicht darum zu „lernen“, sondern den klassischen Marxismus zu bekämpfen. Unter den Sprecher sind professionelle Antimarxisten wie Elmar Altvater und Michael Heinrich. Altvater war 1968 Mitglied in Dutschkes SDS, später Mitbegründer der Grünen und propagiert heute als Linksparteimitglied „konkrete Utopien“ und „die Perspektiven eines grünen Sozialismus“.

Heinrich ist Anhänger des Strukturalismus Althussers und der Kritischen Theorie und ein ausgesprochener Gegner des von ihm so bezeichneten „Weltanschauungsmarxismus“. Am deutlichsten dürfte der Antimarxismus der Pseudolinken jedoch hervortreten, wenn es um Leo Trotzki geht. Eine Veranstaltung zum „Erbe des Trotzkismus“ soll unter anderem beantworten, „wo Trotzki vielleicht falsch lag und inwiefern, wenn überhaupt, ‚der Trotzkismus‘ heute noch was relevantes anzubieten hat“.

Am Ende des Artikels zum Marx 21 Kongress vor zwei Jahren schrieben wir: „Arbeiter und Jugendliche, die einen Kampf gegen die nicht enden wollenden sozialen Angriffe auf ihren Lebensstandard und die imperialistische Kriegsgefahr aufnehmen wollen, müssen der Politik und Philosophie von Marx 21 mit Verachtung entgegen treten. Die Erziehung einer neuen Generation von revolutionären Marxisten erfordert einen unversöhnlichen Kampf gegen die politischen und philosophischen Konzepte, die auf dem Marx 21 Kongress propagiert werden.“

Dem ist auch im Jahr 2015 nichts hinzuzufügen.

Editorischer Hinweis

Wir spiegelten den Kommentar von der Website: www.wsws.org, wo er am 14.5.2015 erschien.

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