Rezension
Ulrich Heyden: Ein Krieg der Oligarchen – Das Tauziehen um die Ukraine.

von A.Holberg

5-6/2015

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Mit dem vorliegenden Band 2017 seiner „Neuen Kleinen Bibliothek“ hat der Kölner PapyRossa-Verlag ein überaus nützliches Buch zum aktuellen Ukraine-Konflikt vorgelegt. Der Autor, Ulrich Heyden, berichtet seit 1992 für deutschsprachige Medien aus Moskau und anderen Teilen der ehemaligen UdSSR, darunter für die Zürcher „Wochenzeitung“, den „Freitag“, das „Neue Deutschland“ und das Internetportal „Telepolis“, war aber von 2001 bis 2014 auch Moskau-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, also eines der Flaggschiffe der bundesdeutschen Mainstream-Medien. Seine professionelle Qualifikation erweist sich nicht zuletzt im ausgiebigen Rückgriff auf russischsprachige Medien, aber auch in den zahlreichen Gesprächen und Interviews mit „einfachen“ und weniger einfachen Bürgern der Ukraine und Russlands, die in seine Darstellung eingeflossen sind. In neun Kapiteln behandelt U. Heyden den Zeitraum bis zum April diesen Jahres. Aufhänger seiner Darstellung ist der Brand des Gewerkschaftshauses von Odessa am 2. Mai 2014 (Kap.4). Dass dieser Brand und der Tod von möglicherweise über 100 Menschen - sogenannten Anti-Maidan-Aktivisten, also Gegnern des aktuellen Regimes, das aus dem gewaltsamen Sturz der Vorläuferregierung auf dem Kiewer Maidan Ende Februar des selben Jahrs hervorgegangen war - unverkennbar zielgerichtet von den Behörden nicht aufgeklärt wurde, ergibt sich folgerichtig aus dem Charakter des neuen Regimes, einer Koalition von wirtschaftliberalen „pro-europäischen“, oder wohl eher „pro-amerikanischen“ Oligarchen und bis zum offenen Faschismus reichenden ukrainischen Ultranationalisten. Die Kapitel 2 und 3 sind eben jenen rechtsextremen Kräften gewidmet, die sich im Schutze der durchaus legitime Interessen gegen das Vorgängerregime unter dem Oligarchen Janukowitsch verteidigenden überwiegend mittelständischen „Zivilgesellschaft“, die sich auf dem Maidan in Kiew versammelt hatten. Diese rechtsextremen Kräfte konnten sich schließlich durchsetzen – nicht nur mit Hilfe westlicher finanzieller und anderer Unterstützung, sondern wahrscheinlich auch mit Hilfe den Regime-Kräften untergeschobenen Morde an Demonstranten. Die Unorganisiertheit der „Volksmassen“ und ihre Illusionen in „den Westen“ und seine strategischen Interessen machten eine solche Entwicklung mehr als nur möglich. Der Autor, der durchgehend wohltuend darauf verzichtet, platte Propaganda zu betreiben und stattdessen deutlich unterscheidet zwischen dem, was man weiß, und dem, was mit einigem Recht bislang nur vermutet werden kann, führt auch bezüglich dieses Vorkommnisses – der gezielten Schüsse auf Maidan-Demonstranten -, bei dem rund 80 Tote zu beklagen waren, verschiedenste gemeinhin als „seriös“ geltende Quellen an, die Alles in Allem mehr für die Täterschaft der rechtsradikalen Nationalisten als die erwartungsgemäß von „westlicher Seite“ und ihren ukrainischen Hiwis behauptete Verantwortung von Polizei-Sonderkräften des damaligen Regimes sprechen. Dem durchaus diffusen Charakter der rechtsradikalen ukrainisch-nationalistischen Kräfte hatte sich der Autor bereits im 2. Kapitel gewidmet. Hier wäre m.E. etwas mehr historische Tiefe willkommen gewesen. Der ukrainische Nationalismus, im 19.Jh. zunächst in der üblichen romantischen kulturellen Form entstanden, verdankt seinen – wie man aus immer wieder zu hörenden hysterischen Erklärungen nicht nur offener Faschisten sondern auch führender „prowestlicher“ Repräsentanten des Regimes entnehmen kann -unverkennbar pathologischen Charakter der Tatsache, dass seine politische Umsetzung historisch verspätet geschah, nämlich erst nach dem 1.Weltkrieg. In Kap. 6 zeigt U. Herden andererseits am Beispiel der misslungenen Versuche des Regimes, die relativ ineffektive Armee des Landes durch eine massive Einberufungskampagne zu stärken, dass der propagierte Nationalismus zunehmend an seine Grenzen stößt, wie – so der Autor an anderer Stelle – ohnehin ein nicht unwesentlicher Teil der EU-„Begeisterung“ weniger mit der illusorischen Hoffnung (s. Kap. 5 und 7) zu tun hat, der Anschluss an der Westen würde dessen Wohlstrand auf die Ukraine übertragen, als vielmehr mit der Annahme, dieser Anschluss würde es den Ukrainern leichter machen, dorthin zu emigrieren und Arbeit zu suchen. Welcher Art die wahren Interessen des “Westens“ sind – strategische Eindämmung Russlands, direkte wirtschaftliche Interessen an der Ukraine als Kornkammer, legt Heyden in den Kap. 5 („Das Tor zur Kornkammer – Deutsche Interessen im Hafen von Odessa“) und 7 („Auf Jahre am Tropf des IWF“) dar. Das Kap.7 legt auch eindrucksvoll die dramatische Lage der werktätigen Bevölkerung dieses von Schockliberalisierung unmittelbar nach dem Zerfall der UdSSR und deren oligarchischen und bis auf die Knochen korrupten ukrainischen Nutznießer heimgesuchten Landes offen. Das vorletzte Kapitel schließlich ist der Lage in den beiden ostukrainischen überwiegend russischsprachigen „Volksrepubliken“ und dem diesbezüglichen Projekt eines „Novorossija“ gewidmet. Abschließend fasst der Autor im Kapitel „Wie geht es weiter?“ das Ergebnis seiner Untersuchungen dahingehend zusammen, dass die Ukraine als Einheitsstaat bestenfalls eine Zukunft als neutrales Land zwischen USA/EU und der Russischen Föderation und als eine föderative Republik hat, die die berechtigten Interessen der – nicht nur russischen – Minderheiten und auch Russlands ernstnimmt. Allerdings deute darauf bis dato nichts hin, sodass das „Minsk 2- Abkommen“ bestenfalls für die zeitweilige Einfrierung eines Dauerkonflikts sorge.

 

Ulrich Heyden
Ein Krieg der Oligarchen
Das Tauziehen um die Ukraine.

PapyRossa Verlag
Köln 2015, S., 173

€ 12,90

ISBN 978-3-89438-576-7