Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Überwachungsstaat wurde überwacht
Frankreich unter BND-Beobachtung und einige Reaktionen dazu

5-6/2015

trend
onlinezeitung

Artikel vom 01. Juni 15, verfasst während der Redaktionsferien von trend.infopartisan.net; eine Kurzfassung dazu erschien in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’

Nachdem bekannt wurde, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) von Bad Aiblingen aus der US-amerikanischen NSA beim Ausspähen von Politikern und Unternehmen im europäischen Ausland geholfen hat, wurde darüber auch in Frankreich berichtet. Die französischen Politiker hielten sich hingegen bedeckt. Am 27. April 15 erklärte das Außenministerium lediglich, die Regierungen in Paris und Berlin stünden „in engem Kontakt“ miteinander, um die Sache aufzuklären. Drei Tage später berichtete die konservative Tageszeitung Le Figaro: „Die Umgebung des Präsidenten verweigert jeglichen Kommentar dazu. (…) In Paris will man vermeiden, die deutsche Regierung öffentlich in Schwierigkeiten zu bringen, die ohnehin bereits unter Druck steht, weil die deutsche Öffentlichkeit besonders sensibel auf die Einschränkung von Grundrechten reagiert.“ Am Wochenende des 30./31. Mai 15 sprach eine anonym bleibende „ministerielle Quelle“ allerdings in Le Monde von „geharnischten Aussprachen“ hinter den Kulissen, die „Anfang Mai“ dieses Jahres stattgefunden hätten.

Ein Grund für diese verbale Zurückhaltung, die sich auch in der Haltung der meisten bürgerlichen Medien widerspiegelt, liegt in der hohen strategischen Bedeutung der als „deutsch-französische Freundschaft“ bezeichneten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit für das politische Establishment Frankreichs. Obwohl das Land im ersten Quartal des laufenden Kalenderjahrs 2015 ausnahmsweise zum Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum unter den EU-Kernstaaten wurde, allerdings mit mageren 0,6 Prozent, liegt die Nationalökonomie deutlich abgeschlagen hinter der deutschen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, einer liegt darin, dass Deutschland von der Grenz­öffnung in Richtung Zentral- und Osteuropa nach 1989 aus geographischen und historischen Gründen ungleich stärker profitiert hat. Hinzu kommt, dass die französischen Entscheidungsträger sich lange auf ihrer neokolonialen Macht in Afrika ausruhten, was ihnen billige Rohstoffe einbrachte, jedoch nicht zur Modernisierung des Produktionsapparats beitrug.

Weiterhin kultivieren zumindest Teile der französischen Führungsschichten einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland, zu dem sie neidvoll bis bewundernd aufschauen. In den vergangenen Jahren stellte sich angesichts der Euro-Krise vorübergehend die Frage, ob Frankreich eher mit den südeuropäischen Ländern gegen die deutsche Krisenpolitik oder mit Deutschland gegen Südeuropa zusammenhalten solle. Kurz nach François Hollandes Wahl im Mai 2012 schien es kurzzeitig, als wolle er mit Spanien unter Manuel Rajoy und Italien unter Matteo Renzi eine innereuropäische Blockbildung versuchen. Diese Politik wurde jedoch zugunsten einer Juniorpartnerschaft mit Deutschland schnell wieder aufgegeben.

Selbst der Front National (FN), der zwar aus ideologischen Gründen Deutschland tendenziell eher bewundert, doch andererseits gern nationalistische Argumente gegen Brüssel und Berlin ins Feld führt, verhielt sich in jüngerer Zeit relativ ruhig zu der NSA-BND-Affäre. Dessen Abgeordneter Gilles Lebreton durfte allerdings im Europaparlament ein wenig herumpoltern: „Deutschland hat Frankreich und seine europäischen Partner zugunsten der USA verraten“ und „die EU instrumentalisiert, um sie in den Dienst amerikanischer Interessen zu stellen“. Er stellte allerdings keine primär gegen Deutschlands Rolle in der EU gerichtete Forderung, sondern sieht in dem Spionageskandal einen weiteren Grund, auf das geplante Freihandelsabkommen TTIP zu verzichten.

Am anderen Ende des politischen Spektrums ging der Linksnationalist und linke Sozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon, dessen kleine Linkspartei (PG) mit der französischen KP verbündet und in der Wahlplattform „Linksfront“ (Front de gauche) zusammenschlossen ist, stärker in die Offensive. Er forderte Ende April dieses Jahres die gleichzeitige Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens der Justiz, „um volle Aufklärung über diese Angriffe auf die Souveränität Frankreichs“ zu gewährleisten. Kurz darauf erschien Mélenchons Buch unter dem Titel Le hareng de Bismarck („Der Bismarckhering“), in welchem er die deutsche Politik und Gesellschaft aufs Korn nimmt. Manche im Ansatz richtige Kritik an der deutschen Hegemonialpolitik mischt sich dabei mit viel Ressentiment und karikaturhaften Ausführungen, denen zufolge in Deutschland soziale Verhältnisse quasi wie in einem Land der Dritten Welt herrschen und zugleich „Umweltverschmutzung einen Nationalsport“ darstelle, weil alle große Autos fahren würden. In der Linken- im weiteren Sinne - rief das Buch viel Kritik hervor, allerdings zum Teil, wie bei den traditionell EU-freundlichen Grünen, auch wegen des etwas naiven Wunsches, durch Annäherung an Deutschland einen überkommenen Nationalismus abzustreifen.

Nicht zum Scherzen aufgelegt waren unterdessen manche Unternehmen, die im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Ausspähungen vor allem Wirtschaftsspionage befürchten. Am 30. April 15 kündigte das europäische, überwiegend deutsch-französische Konsortium Airbus deswegen eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen „Spionage“ an und forderte zugleich Informationen von der deutschen Regierung.

Dass es in Frankreich insgesamt vergleichsweise ruhig zu der BND-NSA-Affäre blieb, hängt unter anderem damit zusammen, dass die Aufmerksamkeit auf die innenpolitischen Vorhaben und Praktiken der französischen Nachrichtendienste gerichtet war. Bereits 2013 stellte sich anlässlich der ersten Enthüllungen von Edward Snowden über das Prism-Programm der NSA heraus, dass Frankreichs Nachrichtendienste vergleichbare Überwachungstechniken praktizierten, wenngleich auf quantitativ niedrigerem Niveau. Dieses Niveau soll gehoben werden; das am 05.  Mai dieses Jahres in erster Lesung durch die Nationalversammlung verabschiedete (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: und am 08. Juni auch durch den Senat angenommene) Gesetz zur Nachrichtenerfassung sorgte für eine breit geführte innenpolitische Debatte.

Dazu passt, dass Le Monde am Samstag, den 30. Mai 15 überraschend enthüllte, dass die Ausspähung französischer Quellen wahrscheinlich mit Material erfolgte, das wiederum aus Frankreich geliefert worden war. Im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit zwischen französischen Nachrichtendiensten und BND belieferten demnach unter anderem Franzosen das Abhörzentrum in der Mangfall-Kaserne in Bad Aibling, das Erkenntnisse an die NSA weiterreichte. Ein Großteil des dort verwendeten, ausgereiften Ver- und Entschlüsselungsmaterials sei demnach durch den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE hergestellt worden. Letzterer sei bei dieser Technologie führend. Wenn sie aber im Ausland dienlich war, ist davon auszugehen, dass sie auch in Frankreich selbst nicht zu knapp zur Anwendung kommt.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.