Nachdem bekannt
wurde, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) von Bad
Aiblingen aus der US-amerikanischen NSA beim Ausspähen von
Politikern und Unternehmen im europäischen Ausland geholfen hat,
wurde darüber auch in Frankreich berichtet. Die französischen
Politiker hielten sich hingegen bedeckt. Am 27. April 15
erklärte das Außenministerium lediglich, die Regierungen in
Paris und Berlin stünden „in engem Kontakt“ miteinander, um die
Sache aufzuklären. Drei Tage später berichtete die konservative
Tageszeitung Le Figaro: „Die Umgebung des Präsidenten verweigert
jeglichen Kommentar dazu. (…) In Paris will man vermeiden, die
deutsche Regierung öffentlich in Schwierigkeiten zu bringen, die
ohnehin bereits unter Druck steht, weil die deutsche
Öffentlichkeit besonders sensibel auf die Einschränkung von
Grundrechten reagiert.“ Am Wochenende des 30./31. Mai 15 sprach
eine anonym bleibende „ministerielle Quelle“ allerdings in
Le Monde von „geharnischten Aussprachen“
hinter den Kulissen, die „Anfang Mai“ dieses
Jahres stattgefunden hätten.
Ein Grund für diese
verbale Zurückhaltung, die sich auch in der Haltung der meisten
bürgerlichen Medien widerspiegelt, liegt in der hohen strategischen
Bedeutung der als „deutsch-französische Freundschaft“ bezeichneten
zwischenstaatlichen Zusammenarbeit für das politische Establishment
Frankreichs. Obwohl das Land im ersten Quartal des laufenden
Kalenderjahrs 2015 ausnahmsweise zum Spitzenreiter beim
Wirtschaftswachstum unter den EU-Kernstaaten wurde, allerdings mit
mageren 0,6 Prozent, liegt die Nationalökonomie deutlich
abgeschlagen hinter der deutschen. Die Gründe dafür sind
mannigfaltig, einer liegt darin, dass Deutschland von der
Grenzöffnung in Richtung Zentral- und Osteuropa nach 1989 aus
geographischen und historischen Gründen ungleich stärker profitiert
hat. Hinzu kommt, dass die französischen Entscheidungsträger sich
lange auf ihrer neokolonialen Macht in Afrika ausruhten, was ihnen
billige Rohstoffe einbrachte, jedoch nicht zur Modernisierung des
Produktionsapparats beitrug.
Weiterhin
kultivieren zumindest Teile der französischen Führungsschichten
einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland, zu dem sie
neidvoll bis bewundernd aufschauen. In den vergangenen Jahren
stellte sich angesichts der Euro-Krise vorübergehend die Frage, ob
Frankreich eher mit den südeuropäischen Ländern gegen die deutsche
Krisenpolitik oder mit Deutschland gegen Südeuropa zusammenhalten
solle. Kurz nach François Hollandes Wahl im Mai 2012 schien es
kurzzeitig, als wolle er mit Spanien unter Manuel Rajoy und Italien
unter Matteo Renzi eine innereuropäische Blockbildung versuchen.
Diese Politik wurde jedoch zugunsten einer Juniorpartnerschaft mit
Deutschland schnell wieder aufgegeben.
Selbst der Front
National (FN), der zwar aus ideologischen Gründen Deutschland
tendenziell eher bewundert, doch andererseits gern nationalistische
Argumente gegen Brüssel und Berlin ins Feld führt, verhielt sich in
jüngerer Zeit relativ ruhig zu der NSA-BND-Affäre. Dessen
Abgeordneter Gilles Lebreton durfte allerdings im Europaparlament
ein wenig herumpoltern: „Deutschland hat Frankreich und seine
europäischen Partner zugunsten der USA verraten“ und
„die EU instrumentalisiert, um sie in den Dienst amerikanischer
Interessen zu stellen“. Er stellte allerdings keine primär
gegen Deutschlands Rolle in der EU gerichtete Forderung, sondern
sieht in dem Spionageskandal einen weiteren Grund, auf das geplante
Freihandelsabkommen TTIP zu verzichten.
Am anderen Ende des
politischen Spektrums ging der Linksnationalist und linke
Sozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon, dessen kleine Linkspartei (PG)
mit der französischen KP verbündet und in der Wahlplattform
„Linksfront“ (Front de gauche) zusammenschlossen ist, stärker in die
Offensive. Er forderte Ende April dieses Jahres die gleichzeitige
Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und die
Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens der Justiz, „um volle
Aufklärung über diese Angriffe auf die Souveränität Frankreichs“
zu gewährleisten. Kurz darauf erschien Mélenchons Buch unter dem
Titel Le hareng de Bismarck („Der Bismarckhering“), in
welchem er die deutsche Politik und Gesellschaft aufs Korn nimmt.
Manche im Ansatz richtige Kritik an der deutschen Hegemonialpolitik
mischt sich dabei mit viel Ressentiment und karikaturhaften
Ausführungen, denen zufolge in Deutschland soziale Verhältnisse
quasi wie in einem Land der Dritten Welt herrschen und zugleich
„Umweltverschmutzung einen Nationalsport“ darstelle, weil
alle große Autos fahren würden. In der Linken- im weiteren Sinne -
rief das Buch viel Kritik hervor, allerdings zum Teil, wie bei den
traditionell EU-freundlichen Grünen, auch wegen des etwas naiven
Wunsches, durch Annäherung an Deutschland einen überkommenen
Nationalismus abzustreifen.
Nicht zum Scherzen
aufgelegt waren unterdessen manche Unternehmen, die im Zusammenhang
mit den mutmaßlichen Ausspähungen vor allem Wirtschaftsspionage
befürchten. Am 30. April 15 kündigte das europäische, überwiegend
deutsch-französische Konsortium Airbus deswegen eine Strafanzeige
gegen Unbekannt wegen „Spionage“ an und forderte zugleich
Informationen von der deutschen Regierung.
Dass es in Frankreich insgesamt vergleichsweise
ruhig zu der BND-NSA-Affäre blieb, hängt unter anderem damit
zusammen, dass die Aufmerksamkeit auf die innenpolitischen Vorhaben
und Praktiken der französischen Nachrichtendienste gerichtet war.
Bereits 2013 stellte sich anlässlich der ersten Enthüllungen von
Edward Snowden über das Prism-Programm der NSA heraus, dass
Frankreichs Nachrichtendienste vergleichbare Überwachungstechniken
praktizierten, wenngleich auf quantitativ niedrigerem Niveau. Dieses
Niveau soll gehoben werden; das am 05. Mai dieses Jahres in erster
Lesung durch die Nationalversammlung verabschiedete (NACHTRÄGLICHE
ANMERKUNG: und am 08. Juni auch durch den Senat angenommene) Gesetz
zur Nachrichtenerfassung sorgte für eine breit geführte
innenpolitische Debatte.
Dazu passt, dass Le Monde am
Samstag, den 30. Mai 15 überraschend enthüllte, dass die Ausspähung
französischer Quellen wahrscheinlich mit Material erfolgte, das
wiederum aus Frankreich geliefert worden war. Im Rahmen der
bilateralen Zusammenarbeit zwischen französischen
Nachrichtendiensten und BND belieferten demnach unter anderem
Franzosen das Abhörzentrum in der Mangfall-Kaserne in Bad Aibling,
das Erkenntnisse an die NSA weiterreichte. Ein Großteil des dort
verwendeten, ausgereiften Ver- und Entschlüsselungsmaterials sei
demnach durch den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE
hergestellt worden. Letzterer sei bei dieser Technologie führend.
Wenn sie aber im Ausland dienlich war, ist davon auszugehen, dass
sie auch in Frankreich selbst nicht zu knapp zur Anwendung kommt.
Editorische Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom Autor
für diese Ausgabe.