Marokko
Eine neue Regierung wurde gebildet

von Bernard Schmid

 

5-6/2017

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Die ideologischen Überzeugungen der marokkanischen Islamisten sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Jedenfalls die der Regierungsislamisten in Gestalt der « Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung » (le PJD), die historisch – in Teilen - aus dem internationalen Zusammenhang der Muslimbrüder hervorging, jedoch in den letzten zehn Jahren eher der türkischen Regierungspartei AKP zu ähneln versucht. Mit der Letzteren teilt sie im Übrigen auch den Namen, denn die Bezeichnungen des PJD und der AKP bedeuten ein und dasselbe.

Am Mittwoch dieser Woche (19. April 17) findet die Vertrauensabstimmung über das neue Regierungskabinett von Saad Eddine El-Othmani statt, das von einer Sechs-Parteien-Koalition getragen und von dem PJD-Mitglied El-Othami als Premierminister angeführt wird. Im Vorfeld wurde erwartet, dass dennoch viele PJD-Abgeordnete im Parlament der künftigen Regierung ihr Vertrauen verweigern und mit Nein stimmen würden. Doch dann wurden viele der « Abweichler » oder Protestieren aus den Reihen der Partei, die noch immer die stärkste Regierungsfraktion stellt, mit relativ gut dotierten Posten im Parlamentsbetrieb – etwa als Ausschussvorsitzende – bedacht. Und damit ließen sich die meisten von ihnen dann auch abspeisen: Die Fronde schien Anfang der Woche in sich zusammenzubrechen.

Voraus ging im vergangenen Monat der, durch die Partei nicht erwünschte, Austausch des vom Ende des Jahres 2011 bis im Herbst 2016 amtierenden Premierministers Abdelilah Benkirane. Letzterer, wie El-Othmani ebenfalls ein PJD-Mitglied, zählt zu den klaren Verlierern der jüngsten Regierungsbildung. Er zürnt und verzichtete vorige Woche sogar auf sein Mandat als Parlamentsabgeordnete. Damit einher geht auch eine Richtungsentscheidung, denn während Benkirane als erheblich profilierterer PDJ-Politiker gilt – er amtierte lange Jahre auch als Parteichef -, wird El-Othmani eher als « diplomatisch auftretend » und « stärker Rücksicht nehmend » bezeichnet.

Die am 1. Juli 2011, unter dem Druck der Revolten und Demonstrationen in ganz Nordafrika, per Referendum verabschiedete neue Verfassung, die das Königreich Marokko ein kleines Stück weit demokratisiert hat, setzt der Entscheidungsvollmacht des Monarchen bei der Bildung oder Entlassung einer Regierung engere Grenzen als zuvor. Den Premierminister muss er nun aus den Reihen der stärksten im Parlament vertretenen Partei auswählen, während er frühe freie Hand hatte, die eine oder auch die andere politische Kraft mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Die stärkste Kraft war nach den Wahlen vom 7. Oktober letzten Jahres, wie bei denen fünf Jahre zuvor, der PJD. Allgemein wurde also davon ausgegangen, dass der vorherige Premierminister Benkirane es wieder werden würde. Er wurde denn auch vom Monarchen mit der Regierungsbildung betraut. Daraufhin erfolgten jedoch sechs Monate dauernde politische Blockaden, da Benkirane es nicht schaffte, in dem relativ zersplitterten Parlament eine Mehrheit zusammenzubekommen. Besonders die nicht an der Regierung teilnehmende, doch dem Thron nahe stehende « Partei für Authenzität und Moderne » (PAM) rund um den Geschäftsmann Aziz Akhannouch spielte ihren Einfluss aus, was dafür sorgte, dass andere politische Kräfte sich querstellte.

Benkirane hatte fünf Jahre lang mit der ex-kommunistischen, seit dem Wegfall der UdSSR zur völlig konturlosen und opportunistischen « Reform »partei mutierten « Partei für Fortschritt und Sozialismus » (PPS) und zwei Honoratiorenpartei regiert. Doch in den letzten Monaten verfolgte Benkirane die Strategie, eine Art Rechtskoalition mit der bürgerlich-konservativen Partei Istiqlql (Unabhängigkeit) zu bilden, die 2012 auch vorübergehend seinem Kabinett angehört hatte. Dagegen opponierte wiederum die « reale Macht », also das Königshaus, das lieber eine schwache oder zersplitterte Regierung als eine auf relativ starke Parteien gestützte im Amt sieht.

Akhannouch, und hinter ihm die Institutionen der Monarchie, drängten auf die Einbindung der sozialdemokratischen Partei USFP statt der Rechtspartei Istiqlal in die Regierung. Trotz mancher sozialpolitischer Reformansätze muss die USFP, die erstmals 1998 unter dem damaligen, eher tyrannisch regierenden Monarchen Hassan II mit der Kabinettsbildung betraut wurde, heute als pflegeleicht an die Institutionen der Monarchie angepasst gelten.

Diese Option setzte sich durch, trotz der Widerstände Benkiranes, dem am 15. März d.J. vom König Hassan II die Aufgabe der Kabinettsbildung entzogen wurde. Die Mehrheit der PJD-Islamisten entschied sich jedoch letzendlich für einen Anpassungskurs im Rahmen eines Kabinetts, in dem sie nur noch eine von sechs Regierungsparteien bilden, neben dem PPS, der USFP und drei Honoratiorenparteien.

Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.