Die ideologischen
Überzeugungen der marokkanischen Islamisten sind
auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
Jedenfalls die der Regierungsislamisten in Gestalt
der « Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung »
(le PJD), die historisch – in Teilen - aus dem
internationalen Zusammenhang der Muslimbrüder
hervorging, jedoch in den letzten zehn Jahren eher
der türkischen Regierungspartei AKP zu ähneln
versucht. Mit der Letzteren teilt sie im Übrigen
auch den Namen, denn die Bezeichnungen des PJD und
der AKP bedeuten ein und dasselbe.
Am Mittwoch dieser
Woche (19. April 17) findet die
Vertrauensabstimmung über das neue
Regierungskabinett von Saad Eddine El-Othmani
statt, das von einer Sechs-Parteien-Koalition
getragen und von dem PJD-Mitglied El-Othami als
Premierminister angeführt wird. Im Vorfeld wurde
erwartet, dass dennoch viele PJD-Abgeordnete im
Parlament der künftigen Regierung ihr Vertrauen
verweigern und mit Nein stimmen würden. Doch dann
wurden viele der « Abweichler » oder Protestieren
aus den Reihen der Partei, die noch immer die
stärkste Regierungsfraktion stellt, mit relativ gut
dotierten Posten im Parlamentsbetrieb – etwa als
Ausschussvorsitzende – bedacht. Und damit ließen
sich die meisten von ihnen dann auch abspeisen: Die
Fronde schien Anfang der Woche in sich
zusammenzubrechen.
Voraus ging im
vergangenen Monat der, durch die Partei nicht
erwünschte, Austausch des vom Ende des Jahres 2011
bis im Herbst 2016 amtierenden Premierministers
Abdelilah Benkirane. Letzterer, wie El-Othmani
ebenfalls ein PJD-Mitglied, zählt zu den klaren
Verlierern der jüngsten Regierungsbildung. Er zürnt
und verzichtete vorige Woche sogar auf sein Mandat
als Parlamentsabgeordnete. Damit einher geht auch
eine Richtungsentscheidung, denn während Benkirane
als erheblich profilierterer PDJ-Politiker gilt –
er amtierte lange Jahre auch als Parteichef -, wird
El-Othmani eher als « diplomatisch auftretend » und
« stärker Rücksicht nehmend » bezeichnet.
Die am 1. Juli 2011,
unter dem Druck der Revolten und Demonstrationen in
ganz Nordafrika, per Referendum verabschiedete neue
Verfassung, die das Königreich Marokko ein kleines
Stück weit demokratisiert hat, setzt der
Entscheidungsvollmacht des Monarchen bei der
Bildung oder Entlassung einer Regierung engere
Grenzen als zuvor. Den Premierminister muss er nun
aus den Reihen der stärksten im Parlament
vertretenen Partei auswählen, während er frühe
freie Hand hatte, die eine oder auch die andere
politische Kraft mit der Regierungsbildung zu
beauftragen.
Die stärkste Kraft
war nach den Wahlen vom 7. Oktober letzten Jahres,
wie bei denen fünf Jahre zuvor, der PJD. Allgemein
wurde also davon ausgegangen, dass der vorherige
Premierminister Benkirane es wieder werden würde.
Er wurde denn auch vom Monarchen mit der
Regierungsbildung betraut. Daraufhin erfolgten
jedoch sechs Monate dauernde politische Blockaden,
da Benkirane es nicht schaffte, in dem relativ
zersplitterten Parlament eine Mehrheit
zusammenzubekommen. Besonders die nicht an der
Regierung teilnehmende, doch dem Thron nahe
stehende « Partei für Authenzität und Moderne »
(PAM) rund um den Geschäftsmann Aziz Akhannouch
spielte ihren Einfluss aus, was dafür sorgte, dass
andere politische Kräfte sich querstellte.
Benkirane hatte fünf
Jahre lang mit der ex-kommunistischen, seit dem
Wegfall der UdSSR zur völlig konturlosen und
opportunistischen « Reform »partei mutierten
« Partei für Fortschritt und Sozialismus » (PPS)
und zwei Honoratiorenpartei regiert. Doch in den
letzten Monaten verfolgte Benkirane die Strategie,
eine Art Rechtskoalition mit der
bürgerlich-konservativen Partei Istiqlql
(Unabhängigkeit) zu bilden, die 2012 auch
vorübergehend seinem Kabinett angehört hatte.
Dagegen opponierte wiederum die « reale Macht »,
also das Königshaus, das lieber eine schwache oder
zersplitterte Regierung als eine auf relativ starke
Parteien gestützte im Amt sieht.
Akhannouch, und
hinter ihm die Institutionen der Monarchie,
drängten auf die Einbindung der
sozialdemokratischen Partei USFP statt der
Rechtspartei Istiqlal in die Regierung. Trotz
mancher sozialpolitischer Reformansätze muss die
USFP, die erstmals 1998 unter dem damaligen, eher
tyrannisch regierenden Monarchen Hassan II mit der
Kabinettsbildung betraut wurde, heute als
pflegeleicht an die Institutionen der Monarchie
angepasst gelten.
Diese Option setzte
sich durch, trotz der Widerstände Benkiranes, dem
am 15. März d.J. vom König Hassan II die Aufgabe
der Kabinettsbildung entzogen wurde. Die Mehrheit
der PJD-Islamisten entschied sich jedoch
letzendlich für einen Anpassungskurs im Rahmen
eines Kabinetts, in dem sie nur noch eine von sechs
Regierungsparteien bilden, neben dem PPS, der USFP
und drei Honoratiorenparteien.
Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen
Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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