Einen ersten Wahlgang vor dem – offiziellen –
ersten Wahlgang: Das war, was soziale Kräfte aus
dem linken Flügel der französischen Gewerkschaften
und aus dem Aktivist/inn/enpotential der
vorjährigen Platzbesetzerbewegung Nuit debout
angekündigt hatten.
Seit mehreren Wochen hatten Vorbereitungstreffen im
Pariser Gewerkschaftshaus stattgefunden, um am
Samstag und damit wenige Stunden vor der Öffnung
der Wahllokale die sozialen Anliegen auf die
Straße. Dadurch sollte von unten und von links her
auf die französische Präsidentschaftswahl, kurz vor
ihrer ersten Runde, und die weiteren
gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen
Einfluss genommen werden – außerparlamentarisch.
Und dies zunächst einmal gänzlich „unabhängig
davon, wie das nächste französische Staatsoberhaupt
heißen wird“.
Getragen wurde das Vorhaben insbesondere von
Kräften aus der CGT und dem linksgewerkschaftlichen
Zusammenschluss Solidaires, welcher vor allem aus
den SUD-Basisgewerkschaften besteht. Der
Dachverband CGT als solcher hatte sich an dem
Vorhaben jedoch nicht beteiligt. Teilgenommen an
den Vorbereitungen hatten besonders einige der
aktivsten Einzelgewerkschaften, die sich vor allem
im Widerstand gegen das umkämpfte, am 08. August
2016 in Kraft gesetzte „Arbeitsgesetz“ hervorgetan
hatten. Zu ihnen zählt die Mediengewerkschaft CGT
Info’Com; diese erregte Aufmerksamkeit dadurch,
dass sie im Frühsimmer 2016 eine Streikkasse
einrichtete, was es in Frankreich normalerweise
nicht gibt, und Streikenden völlig unabhängig von
Organisationszugehörigkeit daraus Unterstützung
zukommen ließ. Zu dem Spektrum zählt auch die CGT
beim Reifenhersteller Goodyear, aus deren Reihen
acht Mitglieder im vergangenen und in diesem Jahr
in Amiens Strafverfolgungen wegen einer
Bossnapping-Aktion ausgesetzt waren. Hinzu kamen
SUD-Gewerkschaften etwa aus dem Handel, wo intensiv
gegen Sonntagsarbeit gekämpft wird, und bei der
Post sowie die anarcho-syndikalistische CNT, die
„Neue Antikapitalistische Partei“ (NPA) und die
regionale Initiative Picardie debout
um den Filmemacher François Ruffin. Letzteerr gab
im vorigen Jahr den ersten Anstoß für die Bildung
der Nuit debout-Bewegung. Ruffin
kandidiert im Juni 17 für die Linkspartei Jean-Luc
Mélenchons zu den Parlamentswahlen.
2. bis 3.000 Menschen
wurden es letztendlich, die am Samstag Nachmittag
(22. April) demonstrierten. Potenzielle
TeilnehmerInnen waren sicherlich zum Teil durch das
immense Polizeiaufgebot und die Absperrungen
verschreckt, zumal im Vorfeld nicht geklärt war, ob
nur eine Platzkundgebung oder doch auch eine Demo
stattfinden könnte: Nach dem Anschlag auf den
Champs-Elysées vom Donnerstag, den 20. April wurde
das Ausnahmezustandsregime verschärft. Zudem war
der Pariser Nordbahnhof am Samstag Nachmittag
zeitweilig wegen eines Bombenalarms lahmgelegt.
An
der Spitze liefen rund 200 Autonome voraus, die
kurz vor dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz dort
liegende Banken zu entglasen versuchten, woraufhin
es zu Scharmützeln mit der Polizei kam. Sie trugen
ein Transparent unter der Aufschrift: „Gegen
Eure (Wahl-)Urnen: Unsere Freude ist nächtlich.“
Yves, ein pensionierter Angestellter der
Pharmaindustrie und NPA-Mitglied, meint jedoch:
„Nur eine Minderheit auf dieser Demonstration
ist auch für den Wahlboykott. Eine Mehrheit hier
will außerparlamentarisch Druck ausüben und wird
aber gleichzeitig wählen – die deutliche Mehrheit
Mélenchon, eine Minderheit den NPA-Kandidaten
Philippe Poutou.“
Mickaël Waman von der CGT Goodyear kommentiert
seinerseits: „Wir werten die sozialen Kämpfe
aus und zählten seit Januar dieses Jahres täglich
im Durchschnitt 250 Streik- und soziale
Protestbewegungen. Nur bleiben diese örtlich
zersplittert und kommen nicht rund um ein zentrales
Anliegen zusammen, wie letztes Jahr beim Konflikt
um das Arbeitsgesetz. Und die Presse berichtet kaum
darüber.“ Diese Energien gelte es zu nutzen
und zu bündeln.
Nach dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz wurde
die Kundgebung sehr schnell unter dem Druck der
Polizei, die den Verkehr wieder rollen lassen
wollte, geräumt. Ein kleinerer Teil ging als
gemeinsamer Protestzug zurück zur place de la
République, wo die Demonstration ihren Ausgang
genommen hatte. Dort waren ungefähr zur selben Zeit
wenige Dutzend Menschen versammelt, um vor allem
über die Ersetzung der autoritär-präsidialen
Verfassung der Fünften Republik zu diskutieren. Wer
eine Neuauflage der Platzbesetzerbewegung
Nuit debout erwartet hatte, muss diese als
gescheitert betrachten. Die VeranstalterInnen der
Demonstration wollen unterdessen nun zum 1. Mai 17
für einen kämpferischen Pol mobilisieren.
Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen
Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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