Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Vorbereitung der Präsidentschaftswahl

Außerparlamentarische Demonstration

5-6/2017

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Einen ersten Wahlgang vor dem – offiziellen – ersten Wahlgang: Das war, was soziale Kräfte aus dem linken Flügel der französischen Gewerkschaften und aus dem Aktivist/inn/enpotential der vorjährigen Platzbesetzerbewegung Nuit debout angekündigt hatten.

Seit mehreren Wochen hatten Vorbereitungstreffen im Pariser Gewerkschaftshaus stattgefunden, um am Samstag und damit wenige Stunden vor der Öffnung der Wahllokale die sozialen Anliegen auf die Straße. Dadurch sollte von unten und von links her auf die französische Präsidentschaftswahl, kurz vor ihrer ersten Runde, und die weiteren gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen Einfluss genommen werden – außerparlamentarisch. Und dies zunächst einmal gänzlich „unabhängig davon, wie das nächste französische Staatsoberhaupt heißen wird“.

Getragen wurde das Vorhaben insbesondere von Kräften aus der CGT und dem linksgewerkschaftlichen Zusammenschluss Solidaires, welcher vor allem aus den SUD-Basisgewerkschaften besteht. Der Dachverband CGT als solcher hatte sich an dem Vorhaben jedoch nicht beteiligt. Teilgenommen an den Vorbereitungen hatten besonders einige der aktivsten Einzelgewerkschaften, die sich vor allem im Widerstand gegen das umkämpfte, am 08. August 2016 in Kraft gesetzte „Arbeitsgesetz“ hervorgetan hatten. Zu ihnen zählt die Mediengewerkschaft CGT Info’Com; diese erregte Aufmerksamkeit dadurch, dass sie im Frühsimmer 2016 eine Streikkasse einrichtete, was es in Frankreich normalerweise nicht gibt, und Streikenden völlig unabhängig von Organisationszugehörigkeit daraus Unterstützung zukommen ließ. Zu dem Spektrum zählt auch die CGT beim Reifenhersteller Goodyear, aus deren Reihen acht Mitglieder im vergangenen und in diesem Jahr in Amiens Strafverfolgungen wegen einer Bossnapping-Aktion ausgesetzt waren. Hinzu kamen SUD-Gewerkschaften etwa aus dem Handel, wo intensiv gegen Sonntagsarbeit gekämpft wird, und bei der Post sowie die anarcho-syndikalistische CNT, die „Neue Antikapitalistische Partei“ (NPA) und die regionale Initiative Picardie debout um den Filmemacher François Ruffin. Letzteerr gab im vorigen Jahr den ersten Anstoß für die Bildung der Nuit debout-Bewegung. Ruffin kandidiert im Juni 17 für die Linkspartei Jean-Luc Mélenchons zu den Parlamentswahlen.

2. bis 3.000 Menschen wurden es letztendlich, die am Samstag Nachmittag (22. April) demonstrierten. Potenzielle TeilnehmerInnen waren sicherlich zum Teil durch das immense Polizeiaufgebot und die Absperrungen verschreckt, zumal im Vorfeld nicht geklärt war, ob nur eine Platzkundgebung oder doch auch eine Demo stattfinden könnte: Nach dem Anschlag auf den Champs-Elysées vom Donnerstag, den 20. April wurde das Ausnahmezustandsregime verschärft. Zudem war der Pariser Nordbahnhof am Samstag Nachmittag zeitweilig wegen eines Bombenalarms lahmgelegt.

An der Spitze liefen rund 200 Autonome voraus, die kurz vor dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz dort liegende Banken zu entglasen versuchten, woraufhin es zu Scharmützeln mit der Polizei kam. Sie trugen ein Transparent unter der Aufschrift: „Gegen Eure (Wahl-)Urnen: Unsere Freude ist nächtlich.“ Yves, ein pensionierter Angestellter der Pharmaindustrie und NPA-Mitglied, meint jedoch: „Nur eine Minderheit auf dieser Demonstration ist auch für den Wahlboykott. Eine Mehrheit hier will außerparlamentarisch Druck ausüben und wird aber gleichzeitig wählen – die deutliche Mehrheit Mélenchon, eine Minderheit den NPA-Kandidaten Philippe Poutou.“

Mickaël Waman von der CGT Goodyear kommentiert seinerseits: „Wir werten die sozialen Kämpfe aus und zählten seit Januar dieses Jahres täglich im Durchschnitt 250 Streik- und soziale Protestbewegungen. Nur bleiben diese örtlich zersplittert und kommen nicht rund um ein zentrales Anliegen zusammen, wie letztes Jahr beim Konflikt um das Arbeitsgesetz. Und die Presse berichtet kaum darüber.“ Diese Energien gelte es zu nutzen und zu bündeln.

Nach dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz wurde die Kundgebung sehr schnell unter dem Druck der Polizei, die den Verkehr wieder rollen lassen wollte, geräumt. Ein kleinerer Teil ging als gemeinsamer Protestzug zurück zur place de la République, wo die Demonstration ihren Ausgang genommen hatte. Dort waren ungefähr zur selben Zeit wenige Dutzend Menschen versammelt, um vor allem über die Ersetzung der autoritär-präsidialen Verfassung der Fünften Republik zu diskutieren. Wer eine Neuauflage der Platzbesetzerbewegung Nuit debout erwartet hatte, muss diese als gescheitert betrachten. Die VeranstalterInnen der Demonstration wollen unterdessen nun zum 1. Mai 17 für einen kämpferischen Pol mobilisieren.

Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.