Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Vorbereitung der Präsidentschaftswahl

NPA und LO  -
Kandidaturen der revolutionären Linken

5-6/2017

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Einem breiten Publikum bekannt wurden ihre Kandidaturen vor allem anlässlich der großen Fernsehdebatte vom 04. April, an der alle elf französischen Präsidentschaftsanwärter/innen teilnahmen. Die radikale Linke, die vor allem außerparlamentarisch organisiert ist – abgesehen von einigen Mandaten in Kommunalparlamenten -, hat es in diesem Jahr relativ schwer, da der Linkssozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon ihr Publikum zum Großteil anzieht, obwohl er eher ein sozialstaatlich orientierter konsequenter Keynesianer als ein marxistischer Revolutionär ist. Dennoch schafften es ihre beiden Bewerber/innen, die Lehrerin Nathalie Arthaud von der trotzkistischen Aktivistenpartei namens Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) und der Automobilarbeiter Philippe Poutou – Kandidat der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (NPA), sich bei der TV-Debatte zu behaupten.

Vor allem die scharfen Angriffe von Poutou auf den Konservativen François Fillon und die Neofaschistin Marine Le Pen, an deren Skandale - in Sachen Selbstbedienung bei öffentlichen Geldern - er deutlich erinnerte, wo die meisten anderen KandidatInnen sich vornehm zurückhielten, blieb in Erinnerung. Poutou hatte Le Pen, die sonst gerne die wetternde Volkstribunin abgibt, in die Schranken gewiesen und als Privilegierte dargestellt, die eine falsche Pseudo-Fundamentalopposition spiele. Er fügte hinzu: „Sie berufen sich auf Ihre Immunität (Anm.: als Europaparlamentarierin, die demnächst aufgehoben werden könnte, Anm. BS), um Vorladungen zu Anhörungsterminen bei der Justiz nicht Folge zu leisten. Wenn wir im Betrieb eine Aktion machen, dann genießen wir keine soziale Immunität, wir können uns keiner Vorladung entziehen!“ Daraufhin wurde er in vielen Leserforen im Internet und auch bei einigen Medien vorübergehend zum Star, während Fillon – leise, doch vor den Kameras vernehmlich – zischte: „Dir werde ich einen Prozess reinwürgen!“, was er am folgenden Tag widerrief.

Der bürgerliche Ex-Minister Luc Ferry, auch sonst für dumme Sprüche bekannt – in einem bekannten Buch behauptete er Anfang der 1990er Jahre, Ökologen seien potenzielle Massenmörder, die die Menschheit umbringen wollten – entblödete sich nicht, bei Twitter über Poutous Aufzug zu spotten, da er im T-Shirt erschienen war, wo andere Bewerber Schlips und Kragen trugen. Ferry fügte sogar noch hinzu, wenn die Linke sich so aufführe, dann sei es „kein Wunder, wenn die Arbeiter in Scharen Marine Le Pen wählen.“ Dieses unqualifizierte Gerede trug Ferry scharfe Kritik auch in etablierten Medien ein, und Poutou fand etwa bei dem TV-Journalisten Aymeric Caron einen Verteidiger.

Auch Arthaud hatte „die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen, der Arbeitslosen, der Rentner“ und auch die von kleinen Selbständigen beschworen, während Leute wie Fillon sich selbst bereicherten und ansonsten die Interessen der Überprivilegierten politisch verteidige. Die Pseudodebatte im Wahlkampf, die auf eine falsche Alternative zwischen Wirtschaftsliberalismus und EU-Austritt hinausläuft, wischte sie wiederholt energisch vom Tisch mit dem Hinweis, die kapitalistische Realität sei im nationalen Rahmen nicht besser als auf EU-Ebene, und die nationalistische Schuldzuweisung an die EU sei so bequem wie falsch.

Vor allem Poutou kam nach dem 04. April 17 aus dem Null-Komma-Bereich in Umfragen auf Werte von rund zwei Prozent (auch wenn es dann am Wahlabend weniger wurden). Dennoch ist nicht mit einer Wiederholung der Vorgänge von 2002 zu rechnen, als – nach fünfjähriger sozialdemokratischer Regierung unter Lionel Jospin – die radikale Linke über zehn Prozent der Stimmen erhielt. Arlette Laguiller, die Vorgängerin Arthauds bei LO, erhielt damals 5,8 Prozent. Und Olivier Besancenot von der trotzkistischen LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire), der aus dem Mai 1968 hervorgegangenen Vorläuferpartei des NPA – die Umwandlung zur breiteren und undogmatischeren neuen Partei erfolgte 2009 – holte damals 4,3 Prozent. Derzeit kommt der Unmut nach fünf Jahren François Hollande jedoch eher dem Ex-Sozialdemokraten Mélenchon einerseits, der rechtsextremen Scheinalternative auf der anderen Seite zugute. Die radikale Linke orientiert sich weitaus stärker auf künftige soziale Kämpfe und betrachtet die Wahlen als Tribüne und Sprungbrett dafür. LO setzt dabei weitestgehend ( / überwiegend ) auf Betriebsarbeit, der NPA hingegen auf eine breitere Mitarbeit in unterschiedlich gerarteten sozialen Bewegungen.

NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG
Am Wahlabend des ersten Durchgangs der französischen Präsidentschaftswahl vom Sonntag, den 23. April 2017 erhielt Philippe Poutou ein Ergebnis von 1,09 Prozent der abgegebenen Stimmen; im Jahr 2012 waren es 1,15 Prozent gewesen. Dies entspricht rund 394.000 Stimmen. Nathalie Arthaud von Lutte Ouvrière (LO) erhielt ihrerseits 0,64 Stimmen der abgegebenen Stimmen, das entspricht rund 200.000 Wähler/inne/n. Im Jahr 2012 hatte Arthaud - bei ihrer ersten Kandidatur als Nachfolgerin der langjährigen LO-Bewerberin Arlette Laguiller – noch 0,56 Prozent erhalten.

Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.