Einem breiten Publikum bekannt wurden ihre
Kandidaturen vor allem anlässlich der großen
Fernsehdebatte vom 04. April, an der alle elf
französischen Präsidentschaftsanwärter/innen
teilnahmen. Die radikale Linke, die vor allem
außerparlamentarisch organisiert ist – abgesehen von
einigen Mandaten in Kommunalparlamenten -, hat es in
diesem Jahr relativ schwer, da der
Linkssozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon ihr Publikum
zum Großteil anzieht, obwohl er eher ein
sozialstaatlich orientierter konsequenter
Keynesianer als ein marxistischer Revolutionär ist.
Dennoch schafften es ihre beiden Bewerber/innen, die
Lehrerin Nathalie Arthaud von der trotzkistischen
Aktivistenpartei namens Lutte Ouvrière (LO,
Arbeiterkampf) und der Automobilarbeiter Philippe
Poutou – Kandidat der „Neuen Antikapitalistischen
Partei“ (NPA), sich bei der TV-Debatte zu behaupten.
Vor
allem die scharfen Angriffe von Poutou auf den
Konservativen François Fillon und die Neofaschistin
Marine Le Pen, an deren Skandale - in Sachen
Selbstbedienung bei öffentlichen Geldern - er
deutlich erinnerte, wo die meisten anderen
KandidatInnen sich vornehm zurückhielten, blieb in
Erinnerung. Poutou hatte Le Pen, die sonst gerne die
wetternde Volkstribunin abgibt, in die Schranken
gewiesen und als Privilegierte dargestellt, die eine
falsche Pseudo-Fundamentalopposition spiele. Er
fügte hinzu: „Sie berufen sich auf Ihre
Immunität (Anm.: als Europaparlamentarierin,
die demnächst aufgehoben werden könnte, Anm. BS),
um Vorladungen zu Anhörungsterminen bei der
Justiz nicht Folge zu leisten. Wenn wir im Betrieb
eine Aktion machen, dann genießen wir keine soziale
Immunität, wir können uns keiner Vorladung
entziehen!“ Daraufhin wurde er in vielen
Leserforen im Internet und auch bei einigen Medien
vorübergehend zum Star, während Fillon – leise, doch
vor den Kameras vernehmlich – zischte: „Dir
werde ich einen Prozess reinwürgen!“, was er
am folgenden Tag widerrief.
Der
bürgerliche Ex-Minister Luc Ferry, auch sonst für
dumme Sprüche bekannt – in einem bekannten Buch
behauptete er Anfang der 1990er Jahre, Ökologen
seien potenzielle Massenmörder, die die Menschheit
umbringen wollten – entblödete sich nicht, bei
Twitter über Poutous Aufzug zu spotten, da er im
T-Shirt erschienen war, wo andere Bewerber Schlips
und Kragen trugen. Ferry fügte sogar noch hinzu,
wenn die Linke sich so aufführe, dann sei es
„kein Wunder, wenn die Arbeiter in Scharen Marine Le
Pen wählen.“ Dieses unqualifizierte Gerede
trug Ferry scharfe Kritik auch in etablierten Medien
ein, und Poutou fand etwa bei dem TV-Journalisten
Aymeric Caron einen Verteidiger.
Auch Arthaud hatte „die Lebensbedingungen der
Lohnabhängigen, der Arbeitslosen, der Rentner“
und auch die von kleinen Selbständigen beschworen,
während Leute wie Fillon sich selbst bereicherten
und ansonsten die Interessen der Überprivilegierten
politisch verteidige. Die Pseudodebatte im
Wahlkampf, die auf eine falsche Alternative zwischen
Wirtschaftsliberalismus und EU-Austritt hinausläuft,
wischte sie wiederholt energisch vom Tisch mit dem
Hinweis, die kapitalistische Realität sei im
nationalen Rahmen nicht besser als auf EU-Ebene, und
die nationalistische Schuldzuweisung an die EU sei
so bequem wie falsch.
Vor
allem Poutou kam nach dem 04. April 17 aus dem
Null-Komma-Bereich in Umfragen auf Werte von rund
zwei Prozent (auch wenn es dann am Wahlabend weniger
wurden). Dennoch ist nicht mit einer Wiederholung
der Vorgänge von 2002 zu rechnen, als – nach
fünfjähriger sozialdemokratischer Regierung unter
Lionel Jospin – die radikale Linke über zehn Prozent
der Stimmen erhielt. Arlette Laguiller, die
Vorgängerin Arthauds bei LO, erhielt damals 5,8
Prozent. Und Olivier Besancenot von der trotzkistischen
LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire), der aus dem
Mai 1968 hervorgegangenen Vorläuferpartei des NPA –
die Umwandlung zur breiteren und undogmatischeren
neuen Partei erfolgte 2009 – holte damals 4,3
Prozent. Derzeit kommt der Unmut nach fünf Jahren
François Hollande jedoch eher dem
Ex-Sozialdemokraten Mélenchon einerseits, der
rechtsextremen Scheinalternative auf der anderen
Seite zugute. Die radikale Linke orientiert sich
weitaus stärker auf künftige soziale Kämpfe und
betrachtet die Wahlen als Tribüne und Sprungbrett
dafür. LO setzt dabei weitestgehend ( / überwiegend
) auf Betriebsarbeit, der NPA hingegen auf eine
breitere Mitarbeit in unterschiedlich gerarteten
sozialen Bewegungen.
NACHTRÄGLICHE
ANMERKUNG
Am Wahlabend des ersten Durchgangs der französischen
Präsidentschaftswahl vom Sonntag, den 23. April 2017
erhielt Philippe Poutou ein Ergebnis von 1,09
Prozent der abgegebenen Stimmen; im Jahr 2012 waren
es 1,15 Prozent gewesen. Dies entspricht rund
394.000 Stimmen. Nathalie Arthaud von Lutte Ouvrière
(LO) erhielt ihrerseits 0,64 Stimmen der abgegebenen
Stimmen, das entspricht rund 200.000 Wähler/inne/n.
Im Jahr 2012 hatte Arthaud - bei ihrer ersten
Kandidatur als Nachfolgerin der langjährigen
LO-Bewerberin Arlette Laguiller – noch 0,56 Prozent
erhalten.
Editorische Hinweise: Wir erhielten diesen
Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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