Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Am Tag des zweiten Durchgangs der Präsidentschaftswahl und danach
Eine Auswertung - Stand 8. Mai 2017

5-6/2017

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Nirgendwo hat man mehr seine Ruhe. Nicht einmal in der Kathedrale von Reims. An diesem historischen Ort – einstmals wurden dort französische Monarchen gekrönt, seitdem König Chlodwig 496 in Reims das Christentum angenommen hatte – glaubte Marine Le Pen sich an einem sicheren Ort, um ihre Botschaft vom „Respekt der nationalen Identität“ zu verkünden.

Begleitet war sie von einem Schwarm von Kameras und Mikrophonen, aber auch von Nicolas Dupont-Aignan, dem rechtsbürgerlichen Kandidaten, den im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl 4,7 Prozent der Wähler/innen unterstützt hatten. Dupont-Aignan hatte sich am 29. April 17 offen mit der Chefin des Front National verbündet, zu ihrer Wahl in der Stichrunde aufgerufen und einen „Koalitionsvertrag“ mit ihr abgeschlossen. Dies trug ihm von verschiedener Seite, etwa auch vom konservativen Ex-Minister und Spitzenpolitiker Xavier Bertrand, einen Vergleich mit Pierre Laval ein. Laval war ein führender Protagonist der Kollaboration mit Nazideutschland, doch selbst kein ideologisch gefestigter Faschist, sondern ein ursprünglicher Liberaler sowie hemmungsloser Opportunist. 1945 wurde er erschossen.

Erschossen wurden bislang weder Dupont-Aignan noch Marine Le Pen. Allerdings wurden sie am vergangenen Freitag, den 05. Mai mit Eiern beworfen, als sie die historische Stätte in Reims aufsuchten. Eine Gruppe von Protestierenden, unter ihnen Anhänger/innen der französischen KP und von Jean-Luc Mélenchon, bereitete ihnen einen unangenehmen Empfang. Schlussendlich trug die Episode dazu bei, Marine Le Pens Anliegen, eine künftigen Autoritätsanspruch zu verkörpern, lächerlich zu machen. Am Vortag (Donnerstag, den 04. Mai) bereits war sie in der bretonischen Kleinstadt Dol-en-Bretagne, wo sie eine Transportfirma aufsuchen wollte, mit Eierwürfen empfangen worden. Wenn sich so etwas häuft, ist es nicht gut für das Image.

Ruiniert worden war die Wahlkampagne von Marine Le Pen allerdings vor allem durch die rechtsextreme Kandidatin selbst. Diese hatte am vorigen Mittwoch, den 03. Mai 17 einen sehr schlechten Stand in ihrer mit viel Spannung erwarteten Fernsehdebatte mit dem damaligen Gegenkandidaten Emmanuel Macron. Dabei bewies Le Pen vor allem in wirtschaftlichen Fragen eine beinahe erstaunliche Inkompetenz, nachdem der FN jahrelang auf „Professionalisierung“ und „Intellektualisierung“ gesetzt hatte.

Hätte Marine Le Pen in der Debatte obsiegen wollen, dann hätte sie eine von zwei Optionen erfolgreich verfolgen müssen: Entweder hätte sie sich als „konstruktiv“ argumentierende, die einzelnen Sachfragen beherrschende, potenzielle „Staatsfrau“ inszenieren können. Oder aber sie hätte als selbsternannte „Herausforderin des Systems“ Macron erfolgreich destabilisieren, ihn aus der Fassung bringen, in die Defensive reden müssen. Dann hätte sie eventuell gepunktet, was aber voraussetzen würde, dass die Unzufriedenheit im Lande stark genug ist, dass es in den Augen der Mehrheit entscheidend ist, wenn jemand „tüchtig auf den Tisch klopft“. Beides ist Marine Le Pen jedoch im Endeffekt nicht gelungen. Aufgrund ihrer Ahnungslosigkeit in wirtschaftlichen Fragen behandelte Emmanuel Macron seine Herausfordererin streckenweise ähnlich, wie ein Lehrer eine ungehörige Schülerin zurechtweisen würde. Le Pen brachte dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis sogar an einer Stelle selbst zur Sprache, um sich darüber zu beklagen.

In den folgenden Tagen verlautete aus dem Führungszirkel des Front National, wenn es gut laufe, dann werde man bei nun noch bei 35 Prozent landen. Ein Prozentpunkt weniger wurde es letztendlich. Die Selbststilisierung als Partei, die die Staatsmacht übernehmen könnte, ist dadurch angeknackst worden.

Trotz allem erhielt Marine Le Pen mit rund 10,6 Millionen Stimmen ein neues historische Rekordergebnis für die rechtsextreme Partei; mit ihr wird weiterhin gerechnet werden müssen. Auch wenn nun die bereits 2014 geführte Debatte um eine Umbenennung, die dem Bedürfnis nach „Entdiabolisierung“ Rechnung tragen soll, wieder aufgewärmt werden und dadurch zu innerparteilichem Streit führen wird.

Emmanuel Macron seinerseits wird sich auf seinem Wahlergebnis nicht ausruhen können. Zwar wurde er mit 64 Prozent der Stimmen klarer Sieger, doch dies hat er vor allem der Tatsache zu verdanken, dass er Marine Le Pen als Gegenüber hatte. Nimmt man die Stimmberechtigten insgesamt, dann wählten 43 Prozent von ihnen Macron, 25 Prozent gar nicht, 23 Prozent Le Pen, und neun Prozent stimmten ungültig.

Innerhalb der Wählerschaft Emmanuel Macrons wiederum geben lt. einer Umfrage für Le Monde mindestens 43 Prozent (je nach sonstiger Umfrage aber auch bis zu 60 Prozent) an, ihn hauptsächlich aufgrund ihrer Ablehnung Marine Le Pens gewählt zu haben. 33 Prozent nennen als Wahlmotiv „die politische Erneuerung“, also die Vorstellung, neue Gesichter in der Politik und einen jungen Präsidenten – erstmals zieht ein unter Vierzigjähriger in den Elyséepalast ein – zu haben. Nur 16 Prozent nannten Macrons „Programm“, das im Übrigen über weite Strecken hin vage blieb und bleibt. Bedenklicher noch für ihn ist, dass 61 Prozent nicht wünschen, dass Macron über eine zu seinen Ideen konforme Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt, die nun am 11. und 18. Juni neu gewählt wird.

Die zu Ende gegangene Präsidentschaftswahl widerspiegelt auch eine neue, vertiefte Gewerkschaftsspaltung. Bei dem historisch ältesten Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, der CGT, sowie dem linksalternativen Zusammenschluss von Basisgewerkschaften SUD – Solidaires - stimmten 51 respektive 53 Prozent der Sympathisant/inn/en im ersten Durchgang für den Linkskandidaten Jean-Muc Mélenchon. Hingegen entschieden sich bei der rechtssozialdemokratisch geführten, an der Spitze pro-neoliberalen CFDT bereits in der ersten Runde 48 Prozent der Sympathisierenden für Macron.

Letzterer wird versuchen, auf dieses Polster zu bauen, um seine „Reformen“ in Angriff zu nehmen. Dazu zählt die Ankündigung einer Attacke auf das bestehende Arbeitsrecht schon ab Juli dieses Jahres auf dem Verordnungsweg, also am Parlament vorbei. Spätestens dann dürfte die Partystimmung, die am Sonntag Abend (07. Mai) auf dem Platz vor dem Pariser Louvre herrschte, wo Macron seinen ersten präsidialen Auftritt hatte, schlagartig vorbei sein.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine Kurzfassung erschien am Donnerstag, den 11. Mai 17 in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’ unter dem Titel: „Eier statt Feier“. Er wurde am 08. Mai d.J. verfasst. Am Nachmittag desselben Tages nahmen zwischen 2.000 und (lt. Veranstalter-inne-n) 7.000 Menschen an einer sozialen Protestdemonstration gegen Emmanuel Macrons künftige Politik in Paris teil. Zu ihr hatten u.a. Teile der CGT und die SUD-Gewerkschaften aufgerufen.