Nirgendwo hat man mehr seine Ruhe. Nicht einmal in
der Kathedrale von Reims. An diesem historischen
Ort – einstmals wurden dort französische Monarchen
gekrönt, seitdem König Chlodwig 496 in Reims das
Christentum angenommen hatte – glaubte Marine Le
Pen sich an einem sicheren Ort, um ihre Botschaft
vom „Respekt der nationalen Identität“ zu
verkünden.
Begleitet
war sie von einem Schwarm von Kameras und
Mikrophonen, aber auch von Nicolas Dupont-Aignan,
dem rechtsbürgerlichen Kandidaten, den im ersten
Durchgang der Präsidentschaftswahl 4,7 Prozent der
Wähler/innen unterstützt hatten. Dupont-Aignan hatte
sich am 29. April 17 offen mit der Chefin des Front
National verbündet, zu ihrer Wahl in der Stichrunde
aufgerufen und einen „Koalitionsvertrag“ mit ihr
abgeschlossen. Dies trug ihm von verschiedener
Seite, etwa auch vom konservativen Ex-Minister und
Spitzenpolitiker Xavier Bertrand, einen Vergleich
mit Pierre Laval ein. Laval war ein führender
Protagonist der Kollaboration mit Nazideutschland,
doch selbst kein ideologisch gefestigter Faschist,
sondern ein ursprünglicher Liberaler sowie
hemmungsloser Opportunist. 1945 wurde er erschossen.
Erschossen wurden bislang weder
Dupont-Aignan noch Marine Le Pen. Allerdings wurden
sie am vergangenen Freitag, den 05. Mai mit Eiern
beworfen, als sie die historische Stätte in Reims
aufsuchten. Eine Gruppe von Protestierenden, unter
ihnen Anhänger/innen der französischen KP und von
Jean-Luc Mélenchon, bereitete ihnen einen
unangenehmen Empfang. Schlussendlich trug die
Episode dazu bei, Marine Le Pens Anliegen, eine
künftigen Autoritätsanspruch zu verkörpern,
lächerlich zu machen. Am Vortag (Donnerstag, den
04. Mai) bereits war sie in der bretonischen
Kleinstadt Dol-en-Bretagne, wo sie eine
Transportfirma aufsuchen wollte, mit Eierwürfen
empfangen worden. Wenn sich so etwas häuft, ist es
nicht gut für das Image.
Ruiniert worden war die
Wahlkampagne von Marine Le Pen allerdings vor allem
durch die rechtsextreme Kandidatin selbst. Diese
hatte am vorigen Mittwoch, den 03. Mai 17 einen
sehr schlechten Stand in ihrer mit viel Spannung
erwarteten Fernsehdebatte mit dem damaligen
Gegenkandidaten Emmanuel Macron. Dabei bewies Le
Pen vor allem in wirtschaftlichen Fragen eine
beinahe erstaunliche Inkompetenz, nachdem der FN
jahrelang auf „Professionalisierung“ und
„Intellektualisierung“ gesetzt hatte.
Hätte Marine Le Pen in der
Debatte obsiegen wollen, dann hätte sie eine von
zwei Optionen erfolgreich verfolgen müssen:
Entweder hätte sie sich als „konstruktiv“
argumentierende, die einzelnen Sachfragen
beherrschende, potenzielle „Staatsfrau“ inszenieren
können. Oder aber sie hätte als
selbsternannte „Herausforderin des Systems“ Macron
erfolgreich destabilisieren, ihn aus der Fassung
bringen, in die Defensive reden müssen. Dann hätte
sie eventuell gepunktet, was aber voraussetzen
würde, dass die Unzufriedenheit im Lande stark
genug ist, dass es in den Augen der Mehrheit
entscheidend ist, wenn jemand „tüchtig auf den
Tisch klopft“. Beides ist Marine Le Pen jedoch im
Endeffekt nicht gelungen. Aufgrund ihrer
Ahnungslosigkeit in wirtschaftlichen Fragen
behandelte Emmanuel Macron seine Herausfordererin
streckenweise ähnlich, wie ein Lehrer eine
ungehörige Schülerin zurechtweisen würde. Le Pen
brachte dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis sogar an
einer Stelle selbst zur Sprache, um sich darüber zu
beklagen.
In den folgenden Tagen verlautete aus dem
Führungszirkel des Front National, wenn es gut
laufe, dann werde man bei nun noch bei 35 Prozent
landen. Ein Prozentpunkt weniger wurde es
letztendlich. Die Selbststilisierung als Partei,
die die Staatsmacht übernehmen könnte, ist dadurch
angeknackst worden.
Trotz allem erhielt Marine Le
Pen mit rund 10,6 Millionen Stimmen ein neues
historische Rekordergebnis für die rechtsextreme
Partei; mit ihr wird weiterhin gerechnet werden
müssen. Auch wenn nun die bereits 2014 geführte
Debatte um eine Umbenennung, die dem Bedürfnis nach
„Entdiabolisierung“ Rechnung tragen soll, wieder
aufgewärmt werden und dadurch zu innerparteilichem
Streit führen wird.
Emmanuel Macron seinerseits wird sich auf seinem
Wahlergebnis nicht ausruhen können. Zwar wurde er
mit 64 Prozent der Stimmen klarer Sieger, doch dies
hat er vor allem der Tatsache zu verdanken, dass er
Marine Le Pen als Gegenüber hatte. Nimmt man die
Stimmberechtigten insgesamt, dann wählten 43
Prozent von ihnen Macron, 25 Prozent gar nicht, 23
Prozent Le Pen, und neun Prozent stimmten ungültig.
Innerhalb der Wählerschaft
Emmanuel Macrons wiederum geben lt. einer Umfrage
für Le Monde mindestens 43 Prozent
(je nach sonstiger Umfrage aber auch bis zu 60
Prozent) an, ihn hauptsächlich aufgrund ihrer
Ablehnung Marine Le Pens gewählt zu haben. 33
Prozent nennen als Wahlmotiv „die politische
Erneuerung“, also die Vorstellung, neue Gesichter
in der Politik und einen jungen Präsidenten –
erstmals zieht ein unter Vierzigjähriger in den
Elyséepalast ein – zu haben. Nur 16 Prozent nannten
Macrons „Programm“, das im Übrigen über weite
Strecken hin vage blieb und bleibt. Bedenklicher
noch für ihn ist, dass 61 Prozent nicht wünschen,
dass Macron über eine zu seinen Ideen konforme
Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt, die
nun am 11. und 18. Juni neu gewählt wird.
Die zu Ende gegangene Präsidentschaftswahl
widerspiegelt auch eine neue, vertiefte
Gewerkschaftsspaltung. Bei dem historisch ältesten
Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, der CGT,
sowie dem linksalternativen Zusammenschluss von
Basisgewerkschaften SUD – Solidaires - stimmten 51
respektive 53 Prozent der Sympathisant/inn/en im
ersten Durchgang für den Linkskandidaten Jean-Muc
Mélenchon. Hingegen entschieden sich bei der
rechtssozialdemokratisch geführten, an der Spitze
pro-neoliberalen CFDT bereits in der ersten Runde
48 Prozent der Sympathisierenden für Macron.
Letzterer wird versuchen, auf dieses Polster zu
bauen, um seine „Reformen“ in Angriff zu nehmen.
Dazu zählt die Ankündigung einer Attacke auf das
bestehende Arbeitsrecht schon ab Juli dieses Jahres
auf dem Verordnungsweg, also am Parlament vorbei.
Spätestens dann dürfte die Partystimmung, die am
Sonntag Abend (07. Mai) auf dem Platz vor dem
Pariser Louvre herrschte, wo Macron seinen ersten
präsidialen Auftritt hatte, schlagartig vorbei
sein.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Eine Kurzfassung erschien am Donnerstag,
den 11. Mai 17 in der Berliner Wochenzeitung
‚Jungle World’ unter dem Titel: „Eier statt Feier“.
Er wurde am 08. Mai d.J. verfasst. Am Nachmittag
desselben Tages nahmen zwischen 2.000 und (lt.
Veranstalter-inne-n) 7.000 Menschen an einer
sozialen Protestdemonstration gegen Emmanuel
Macrons künftige Politik in Paris teil. Zu ihr
hatten u.a. Teile der CGT und die
SUD-Gewerkschaften aufgerufen.
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