An
relativ ungewöhnlichen Aufforderungen
mangelte es nicht im Vorfeld der diesjährigen
Parlamentswahlen in Algerien, die am Donnerstag,
den 04. Mai 17
stattfanden. Dabei war weniger das Ergebnis von
Interesse, was die Sitzverteilung zwischen den
staatstragenden Parteien betrifft - sondern die
Umstände, unter die sie abliefen und die einen
Ausdruck der tiefen Krise des politischen Systems
in dem nordafrikanischen Land darstellen.
Eine Aufforderung zum Thema gab
etwa der amtierende Premierminister Abdelmalek
Sellal ab: Er lud am 30. April
d.J.
in Sétif das weibliche Publikum
dazu ein, die Ehefrauen mögen ihre Männer
verprügeln, falls diese nicht wählen gehen wollten.
Hinter dem Scherzspruch steckte zweifellos auch die
reale Befürchtung, die Neigung unter den insgesamt
23 Millionen Stimmberechtigten, sich an dem
Wahlgang zu beteiligen, könne ausgesprochen gering
ausfallen.
Und so kam es denn auch. Selbst
die Behörden trauten sich nicht, in ihren Zahlen
über die offiziell angegebenen 38,25 Prozent
Beteiligung hinauszugehen – und auch diese Zahl
könnte noch geschönt sein. Videos bei der
französischsprachigen algerischen Tageszeitung
Le Matin zeigen etwa Szenen, die
belegen, wie der diesjährige Wahlbetrug konkret
ablief. Dabei ging es überhaupt nicht darum, die
Verteilung der Mandate zu beeinflussen, die ohnehin
die meisten Beobachter höchstens am Rande
interessierte, sondern die Wahlteilnahme künstlich
in die Höhe zu treiben. So sieht man Bilder, die
zeigen, wie im Wahllokal vor der Auszählung alle
Lichter ausgehen – das dürfte der Moment sein, in
dem Kuverts voll mit Stimmzetteln in die Wahlurnen
ausgeschüttet werden -, oder wie junge Leute
inmitten der anwesenden Wähler eine Urne umringen,
um diese dann mehr oder weniger ungesehen
vollzustopfen.
Über zwei Millionen Menschen,
das entspricht über einem Viertel der offiziell
verzeichneten Wahlteilnehmerinnen
und –teilnehmer, stimmten darüber
hinaus ungültig. Dies ist zunächst einmal auf das
weitgehende Desinteresse der wahlberechtigten
Bevölkerung zurückzuführen, die sich ohnehin keine
positive Veränderung erwartet, aber auf die Weise
ihren Unmut demonstrierten wollte. Dazu hatten
daneben auch mehrere Oppositionskräfte aufgerufen
wie etwa die Partei Dschil Dschadid
(Neue Generation) unter Soufiane Djilali oder auch
die „Avantgarde der Freiheitsrechte“ (Talaye
el-Houriyat) unter Ali Benflis.
Letztere hatte dereinst vor
fünfzehn Jahren als Premierminister des damaligen
und jetzigen Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika
(Boutefliqa)
amtiert, war dann jedoch im
April 2004 bei der inzwischen vor-vorletzten
Präsidentschaftswahl gegen ihn angetreten und dabei
mit offiziell nur sechs Prozent der Stimmen
abgespeist worden. Zwischen Benflis und Bouteflika
hatten damals, anders zwischen den meisten heute
mitregierenden Personen und Parteien echte
Differenzen bestanden: Es ging um die
Wirtschaftspolitik und das Ausmaß der
Privatisierungen. Zu Anfang des Jahrhunderts schien
Bouteflika sich zunächst in einen Ausverkauf der
wenigen Rohstoffreichtümer des Landes an das
westliche oder eher nördliche Ausland zu stürzen
und dabei auch vor den 1971 verstaatlichen
Erdölquellen nicht mehr halt zu machen, was auch
Teile der - aus Staatsbürokratie, Militär und einer
vom Staatssektor abhängigen mafiösen
Privatbourgeoisie bestehenden - Eliten
aufschreckte. Späterhin ist dieser Streit zunächst
dadurch stillgelegt worden, dass die aufgrund der
ab 2007/08 angestiegenen Rohölpreise hinein der
Staatsmacht solche Privatisierungsentscheidungen
ersparten.
Seit 2014 gingen die Rohölpreise
zwar wieder deutlich zurück. Doch bisher bricht der
Orientierungsstreit innerhalb der Eliten nicht
erneut auf, da die Auseinandersetzungen in deren
Reihen vorläufig stillgelegt sind: Alle warten
darauf, wann und wie schnell der seit 1999
amtierende Präsident
Boutefliqa (Bouteflika)
endlich das Zeitliche segnet, nachdem er schon bei
seiner letzten Wiederwahl im April 2014 stark von
Krankheit und körperlichem Abbau gezeichnet war. Am
20. Februar dieses Jahres wurde etwa ein
vorgesehener Staatsbesuch von Bundeskanzlerin
Angela Merkel bei Abdelaziz Bouteflika abgesagt, am
12. März
17
jener des iranischen
Staatspräsidenten Hassan Rohani: Dessen algerischer
Amtskollege war zu geschwächt und zu krank, um zu
empfangen. Die Amtsgeschäfte werden unterdessen zum
Teil vom Präsidentenbruder Said Bouteflika
erledigt. Doch dessen Tag in der Nähe der
Staatsspitze sind gezählt, denn sobald sein Bruder
amtsunfähig oder tot sein wird, dürfte er schnell
in der Versenkung verschwinden.
Eine unerwartet Aufforderung erging jedoch laut
einem Bericht der Webseite Tout sur l’Algérie
(TSA) auch an die Militärs, deren verschiedene
Korps – jedenfalls deren Spitzen – zum inneren
Kreis der Macht im Lande gehören: Die
Armeeangehörigen waren demnach dazu angehalten,
ungültig zu wählen, um nicht zwischen den
verschiedenen um Machtbeteiligung ringenden
Seilschaften entscheiden zu müssen, sondern sich
lieber auf die Zeit nach der jetzigen
Stagnationsphase vorzubereiten. Auch dies dürfte
die hohe Zahl von ungültigen Stimmen begünstigt
haben.
Was die Sitzverteilung
betrifft, so ging die Partei „Nationale
Befreiungsfront“ (FLN) – die frühere Einheitspartei
zwischen 1962 und 1989 – von zuvor 215 auf 164
zurück. Allerdings gewann ihr „Klon“, die in den
späten neunziger Jahren abgespaltene Partei
„Nationale demokratisch Sammlung“ (RND), von zuvor
70 auf 97 Sitze hinzu.
Die legal agierenden
Islamistenparteien kamen auf 33 Sitze für die
Partei MSP/Hamas, die aus den Muslimbrüdern
hervorging und mit der „Front für Veränderung“ (TV)
verbündet ist, zuzüglich 15 Sitze für das Bündnis
En-Nahdha sowie 19 Mandate für die „Sammlung
Hoffnung für Algerien“ (TAJ). Vor allem aus ihrer
Ecke kamen anfänglich Wahlbetrugsvorwürfe, die
angeblich die legalen Islamisten um ihren Wahlsieg
betrogen hätten. Deren Ausstrahlungskraft, nach
früherer Regierungsteilnahme besonders der Partei
MSP/Hamas, ist jedoch ziemlich gering. Die
algerische Tageszeitung El Watan
berichtete jedoch am Freitag,
den 12. Mai 17,
die Partei MSP/Hamas unter
Abderrazak Makri werde mutmaßlich als Juniorpartner
in die nächste Regierung von Abdelmalek Sellal
aufgenommen. Darüber werde hinter den Kulissen seit
Monaten verhandelt.
Editorische Hinweise
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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