Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach dem ersten Durchgang der französischen Parlamentswahl

Der Front National bekommt die Krise

5-6/2017

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Die Enttäuschung ist herb, das Erwachen ein böses: Nach den immensen Erwartungen, die im Vorfeld der Präsidentschaftswahl beim französischen rechtsextremen Front National (FN) geweckt wurden, findet dieser sich nun auf dem Boden ziemlich harter Tatsachen wieder. Dorthin holten ihn spätestens die Ergebnisse der ersten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag, den 11. Juni zurück. Nach den 10,6 Millionen Stimmen, die im Durchgang der Präsidentschaftswahl Anfang Mai d.J. für die Chefin und Kandidatin der Partei, Marine Le Pen, abgegeben wurden, holte dieselbe nun nur noch 2,964 Millionen Stimmen.

Das sind nicht nur wesentlich weniger Wählerinnen und Wähler als bei der Präsidentschaftswahl. Dies wäre noch normal, denn im Vergleich zur Wahl des Staatsoberhaupts – vor allem unter den Bedingungen der „Wahlmonarchie“ der Fünften Republik – mobilisiert jene zur Nationalversammlung gewöhnlich weniger. Dass es jedoch so viel weniger Stimmen wurden, ist dann doch bemerkenswert. Der Front National erhielt bei den diesjährigen Parlamentswahlen auch 538.000 Stimmen weniger als bei den letzten vergleichbaren Wahlen, also jenen zur Nationalversammlung vom Juni 2012, die auch damals wenige Wochen nach einer Präsidentschaftswahl stattfanden. Der prozentuale Anteil am gesamten Stimmenaufkommen beträgt in diesem Jahr 13,2 Prozent. Vor fünf Jahren betrug er noch 13,6 Prozent.

Dabei bezahlte der FN vor allem einen hohen Preis an die Stimmenthaltung, die bei der diesjährigen Parlamentswahl in seiner - potenziellen – Anhängerschaft ganz besonders hoch ausfiel. 57 Prozent der Wählerinnen und Wähler von Marine Le Pen bei der ersten Runde der Präsidentschaftwahl gingen lt. Ipsos-Institut nun, acht Wochen später, gar nicht erst zur Wahl. Zwar liegt die Stimmenthaltung an diesem 11. Juni insgesamt sehr hoch, im landesweiten Durchschnitt beträgt sie 51,3 Prozent. Doch die rechtsextreme Partei ist davon überdurchschnittlich stark betroffen. Bei der Partei von Staatspräsident Emmanuel Macron, La République en marche (LRM), sowie der voraussichtlich stärksten Oppositionskraft – der konservativen Partei Les Républicains (LR) – liegt die Enthaltung jeweils bei 38 Prozent. Gemessen an der jeweiligen Wählerschaft dieser Parteien bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom 23. April dieses Jahres.

Worin liegen die Ursachen? Zuvörderst in der Enttäuschung über das Abschneiden von Marine Le Pen in der entscheidenden Stichwahl um die Präsidentschaft, das letztendlich erheblich tiefer ausfiel als erwartet. Bei 33,9 Prozent landete sie, Umfragen hatten sie nach der ersten Runde vorübergehend bei bis zu 41 Prozent platziert. In den Gesprächen mit potenziellen Wählerinnen und Wählern –räumt der FN-Kandidat in Calais, Philippe Olivier, ein Schwager von Marine Le Pen, in der Öffentlichkeit ein – werde auch immer wieder die Fernsehdebatte zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron vom 03. Mai, also vier Tage vor der Stichwahl, zitiert. Dabei machte Marine Le Pen vor allem aufgrund erkennbarer Inkompetenz in Fragen, die rund um die Wirtschaft kreisen, eine sehr schlechte Figur.

Marine Le Pen soll sich nach der Präsidentschaftswahl in einer Depression befunden und das Haus eine Woche lang kaum bis gar nicht verlassen haben, wie die Wochenzeitung Le Canard enchaîné Ende Mai d.J. berichtete. Auch einige Führungsmitglieder ihrer Partei litten unter erkennbarem Motivationsverlust. Ihr Vizevorsitzender Florian Philippot trat im ostfranzösischen Forbach (Lothringen) als Kandidat auf, wo er mit 23,79 Prozent der Stimmen immerhin als stärkster Bewerber in der ersten Runde abschnitt – jedoch nunmehr wohl keine Chance hat, die Stichwahl am kommenden Sonntag erfolgreich zu überstehen. Im Unterschied zu früheren Wahlgängen wie etwa auch den Kommunalwahlen von 2014, bei denen die durch Philippot geführte Rathausliste in Forbach rund 46 Prozent erhielt, betrieb Philippot jedoch offensichtlich fast keinen aktiven Wahlkampf vor Ort. Die Pariser Abendzeitung Le Monde kolportierte etwa, Philippot begnüge sich weitgehend mit Fahrten im TGV zwischen Paris und Forbach („eine Stunde und 46 Minuten“) und halte sich am Ort vorwiegend im Bistro gegenüber vom Bahnhof auf. Auf Journalistenfragen zu seinem Wahlprogramm verweise er lediglich auf das Flugblatt („Steht alles drin“), und eine Agenda seiner Auftritte habe er im Gegensatz zu anderen Kandidaten nicht veröffentlicht. Offensichtlich glaubte Philippot in dieser Situation nicht mehr so richtig an einen Erfolg.

Die von ihm verkörperte Linie, die an prominenter Stelle den Austritt aus der europäischen Währung Euro beinhaltet – die offensichtlich zu den bei potenziellen Wählern am wenigsten populären Forderungen der Partei zählt -, geriet innerparteilich bereits seit der vergeigten Präsidentschaftswahl unter schweren Beschuss. Mehrere prominente Führungsmitglieder forderten bereits seit Anfang Mai eine Abkehr von dieser Linie. Zu ihnen zählen der Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard; er ist formal parteilos und vertritt eine relativ harte Linie in „Identitäts“- und Migrationsfragen, will aber auch eine Annäherung an den rechten Rand der Konservativen.

Am Dienstag nach der Parlamentswahl, dem 13. Juni, erneuerte er seine Angriffe auf die Forderung nach Euro-Austritt sowie auf „realitätsfremde wirtschaftspolitische Vorstellungen“ in Teilen der bisherigen Parteiführung, vor allem bei der Philippot-Fraktion. Auch FN-Generalsekretär Nicolas Bay distanzierte sich am 12. Juni teilweise von Philippot. Insbesondere kritisierte er die Tatsache, dass dieser kurz nach den Präsidentschaftswahlen einen eigenen Verein eintragen ließ, der neben der Partei existiert. Er trägt den Namen Les Patriotes. Es ist bekannt, dass Philippot eine Umbennung der Partei unter diesem Titel anstrebt. Dafür hatte er bereits 2014/15 Vorstöße unternommen, damals ließ er den möglichen Organisationsnamen beim Patentamt für sich eintragen.

Aller Voraussicht nach dürfte der FN in der künftigen französischen Nationalversammlung keine Fraktion bilden können, wofür fünfzehn Abgeordnete erforderlich sind, sondern nur zwischen einem und fünf Sitze innehaben. Wahrscheinlich wird Marine Le Pen künftig erstmals ein Abgeordnetenmandat erringen; in ihrem Wahlkreis im nordostfranzösischen Hénin-Beaumont – dort regiert der FN seit 2014 im Rathaus – holte sie in der ersten Runde über 46 Prozent. Aber die sonstigen Wahlchancen der Partei sind dünn gesät.

Hauptverantwortlich dafür ist auch das Wahlrecht, kombiniert mit der sehr hohen Stimmenthaltung. Das französische Mehrheitswahlrecht sieht vor, dass jene BewerberInnen aus der ersten Runde in die Stichwahlen einziehen können, die durch mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurden – nicht der realen WahlteilnehmerInnen, sondern der Stimmberechtigten. Auf diese Weise wurde die Relevanzschwelle festgelegt. Je höher jedoch die Enthaltung ausfällt, desto höher liegt die Hürde, in Prozentanteilen der abgegebenen Stimmen gemessen. Gingen bspw. fünfzig Prozent im Wahlkreis nicht zur Wahl, dann liegt die Barriere bei 25 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Aus diesem Grunde gibt es in diesem Jahr fast keine triangulaires, also Dreiecks-Konstellationen (Linke, Konservative und FN), in denen eine einfache Mehrheit für den Sieg in der Stichwahl genügt. Dazu kam es am 11. Juni in nur einem einzigen Wahlkreis. Insgesamt ist der FN zwar noch in 110 von 577 Wahlkreisen bei der Stichwahl dabei, aber fast immer steht ihm nur je ein/e Gegenkandidat/in gegenüber. Deswegen ist zum Wahlsieg dort dann eine absolute Mehrheit erforderlich. Eine solche dürfte der FN jedoch fast nirgendwo schaffen.

Stand: 14.6.2017

Editorische Hinweise:

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.