„François
Hollande ist so ein Typ, der bestimmt als Junge den
Fliegen ihre Flügel ausgerissen hat und dann in
aller Gemütsruhe zuschaute, wie sie sich abzappeln.“ Diese
Aussage, die die grundlegende Bösartigkeit des
früheren Staatspräsidenten – und wie Viele meinen –
Totengräbers der in den vergangenen fünf Jahren
regierenden Sozialistischen Partei unter Beweis
stellen soll, stammt von dem diesjährigen
Präsidentschafts- und nunmehr Parlamentskandidaten
Jean-Luc Mélenchon. Es ist bekannt, dass der
Linkssozialdemokrat und Linksnationalist eine
gewisse Neigung dazu hat, seine politische Aussagen
mit einem mitunter cholerisch ausfallenden
Temperament zu unterstreichen (...das durch seine
derzeitige Ermüdung infolge eines mehrmonatigen
Wahlkampfs mitunter noch stärker zu Wutanfällen
neigt). Aber auch, dass er ein ausgeprägtes Talent
für metaphorische Formulierungen hat.
In
dieser Woche attackierte der 65jährige nun die
politische Bilanz seines ehemaligen Parteifreunds –
bis 2008, als Mélenchon sich mit seiner Linkspartei
(Parti de Gauche) von der
Sozialdemokratie abspaltete -, Hollande. In seinen
Worten ist Letzterer „ein armer Typ, der noch
nie im Leben etwas auf die Reihe bekommen hat.“
Nicht nur Mélenchons Kommentar zur Regierungsbilanz
François Hollandes, die auch sonst kaum jemand im
Land als gelungen betrachtet, bescherte ihm in den
vergangenen zehn Tagen in Frankreich einige
Aufmerksamkeit. Auch die Attacke, die er vor
anderthalb Wochen gegen den früheren Innen- sowie
kurzzeitigen Premierminister Hollandes ritt, ließ
Medien und Öffentlichkeit aufhorchen. Der Kandidat,
der am 23. April dieses Jahres mit 19,6 Prozent der
Stimmen ein stolzes Ergebnis einfuhr, bezeichnete
Bernard Cazeneuve „und seine Bande“
rundheraus als Mordkomplizen: „Er hat sich
persönlich um den Mord an Rémi Fraisse gekümmert.“
Fraisse war ein 21jähriger Umweltaktivist. Er wurde
in der Nacht zum 26. Oktober 2014 bei einem
Polizeieinsatz gegen eine Demonstration, die sich
gegen ein umweltzerstörerisches Großprojekt in
Sivens (Südwestfrankreich) richtete, getötet: Eine
durch einen Gendarmeriebeamten abgeschossene
Granate mit Metallfüllung riss ihm die obere Hälfte
des Rückens ab. Juristisch hat Mélenchon dennoch
einen schweren Stand, denn der Gendarm, der für den
Granatenabschuss verantwortlich zeichnete, wurde
kürzlich durch die Justiz freigesprochen, weil
keine individuelle Tötungs- oder Verletzungsabsicht
vorgelegen habe. Die politische Bewertung steht
natürlich auf einem anderen Blatt. Cazeneuve
erstattete an diesem Dienstag Strafanzeige.
Mélenchon erklärte, er freue sich darüber, da nur
dies eine gerichtliche Debatte über den Tod des
jungen Demonstranten nachträglich erlaube. Eine
Entschuldigung gegenüber dem früheren
Regierungsmitglied Cazeneuve hatte er zuvor
abgelehnt. Die Grünenpolitikerin Cécile Duflot
sprach ihrerseits von einem Angriff auf die Würde
des Toten Rémi Fraisse, da dieser nun zu
Wahlkampfzwecken instrumentalisiert werde.
Jean-Luc Mélenchon fehlt es also nicht an
öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch nicht in seinem
Wahlkreis im Zentrum von Marseille, den er sich
auserkoren hat, um an den kommenden beiden
Sonntagen zur französischen Nationalversammlung zu
kandidieren. Dort kann er Umfragen zufolge mit rund
vierzig Prozent der Stimmen in der ersten Runden
und realen Chancen, gewählt zu werden, rechnen.
Gleichzeitig ist Mélenchon allerdings einer der
wenigen BewerberInnen seiner Bewegung La
France insoumise (LFI, „Das nicht
unterworfene Frankreich“), die auf hohe Wahlchancen
bauen können. Landesweit sieht es, unter den
Bedingungen des geltenden Mehrheitswahlrechts, da
sehr viel kritischer aus. Zumal die Stimmabsichten
für die LFI-Kandidaturen in den vergangenen Wochen
in den Umfragen ehr zurückgingen, von 15 bis 16
Prozent kurz nach der Präsidentschaftswahl auf nun
noch zwischen 11,5 und 13 Prozent. Dazu trägt bei,
dass viele der lokalen Bewerber/innen nicht derart
bekannt sind wie Mélenchon, dessen Anhänger/innen
bislang im Parlament über keinen einzigen Sitz
verfügten. Dort existierte zwar in der
Legislaturperiode 2012 bis 17 eine Linksfraktion,
doch diese bestand aus Abgeordneten der
französischen KP im Bündnis mit den
Mandatsträger/inne/n von lokalen Kräften aus den
„Überseegebieten“. Mélenchon stand allein der
Abgeordnete Marc Dolez nahe, der sich nach wenigen
Monaten zurückzog.
Ein Hemmschuh liegt darin, dass ein Wahlbündnis
zwischen LFI und der französischen KP – wie vor den
Präsidentschaftswahlen – dieses Mal nicht zustande
kam. Beide Seiten blieben sich uneinig über die
Verteilung der künftigen Parteienfinanzierung, die
nach den Parlamentswahlergebnissen bemessen wird,
aber auch zum genauen Profil eventueller
gemeinsamer Kandidaturen: Mélenchon wünschte ein
inhaltliches Abkommen auf nationaler Ebene, das
etwa auch die Abgrenzung von der
Rest-Sozialdemokratie beinhaltet hätte. Die KP
wollte sich an der Stelle sehr viel mehr
Manövrierspielraum bewahren und favorisierte eine
Vereinbarung, die lediglich eine Aufteilung des
Territoriums vorsehen sollte.
Zwar wiegt die französische KP selbst in den
Umfragen frankreichweit derzeit nur zwei bis drei
Prozent, doch weist sie örtlich stark verankerte
Kandidat/inn/en auf, die als Bürgermeister oder
bisherige Abgeordnete bekannt sind, was bei LFI
nicht der Fall ist. Nur in 18 Wahlkreisen treten
LFI und französische KP miteinander an, sonst
gegeneinander. Es bleibt für die Linke zu hoffen,
dass dies nicht vielerorts entscheidende Stimmen
für den Einzug in die Stichwahlen kostet. Dazu muss
ein/e Kandidat/in von mindestens 12,5 Prozent der
Wahlberechtigten – nicht der realen
Teilnehmer/innen – gewählt worden sein; danach
beginnen dann die Diskussionen unter verschiedenen
Parteien um ein eventuelle Rücksichtnahme auf
besser platzierte Bewerber/innen in der Stichwahl.
Allerdings dürften entsprechende Diskussionen mit
der Sozialdemokratie, die nur noch landesweit sechs
bis acht Prozent der Stimmabsichten aufweist, in
diesem Jahr größtenteils ausfallen.
Stand: 9.6.2017
Editorische Hinweise:
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Eine aus Platzgründen deutlich gekürzte
Fassung erschien in der Tageszeitung ,Neues
Deutschland’ (ND) vom 10. Juni 2017
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