Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Vor der französischen Parlamentswahl

Das konservative Lager

5-6/2017

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Wahrscheinlich dürften sie die zweitstärkste Fraktion in der nächsten französischen Nationalversammlung bilden, die an den kommenden beiden Sonntagen gewählt wird. Die Konservativen und Wirtschaftsliberalen, in Gestalt der miteinander verbündeten bürgerlichen Parteien Les Républicains (LR) und UDI, liegen derzeit bei 23 Prozent der Wahlabsichten in den Umfragen. Das wären drei Prozent der Stimmen mehr, als für ihren Präsidentschaftskandidaten François Fillon am 23. April abgegeben wurden. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Es wurden letztlich 21,5 Prozent.)

Tatsächlich hat das konservativ-wirtschaftsliberale Lager es seit der ersten Runde der Präsidentschaftswahl geschafft, sich zweier Hemmnisse zu entledigen. Das eine hatte die Gestalt eben dieses Kandidaten angenommen: Infolge einer Welle von Veröffentlichungen in der französischen Presse seit dem 25. Januar, die sein Finanzgebaren betrafen, war François Fillon in extremer Weise diskreditiert worden. Viele Kernwähler/innen der bürgerlichen Rechten entschieden sich letztendlich dafür, schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl für den liberalen Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron zu stimmen. Fillon ist heute auf Arbeitssuche und absolviert seine Termine bei Untersuchungsrichter/inne/n – strittig ist nur noch, was mit den drei Millionen Euro Wahlkampfkosten passiert, die er zunächst in seinen politischen eigenen Finanzierungsverein statt in die Partei LR gesteckt hatte.

Der zweite Klotz am Bein der bürgerlichen Rechten war das Gewicht des Front National (FN), der bei den Präsidentschaftswahlen bereits in der ersten Runde die Konservativen überrundete. Es ist zumindest schwächer geworden: Nachdem Marine Le Pen in der Stichwahl gegen Macron deutlich schwächer abschnitt als zunächst erwatet – unter anderem infolge ihrer katastrophalen Leistung bei der Fernsehdebatte der beiden am 03. Mai 17 -, ist ihre Partei derzeit in eine tiefe Krise gestürzt. Sie wird von Orientierungsdebatten und Flügelstreits durchzogen, dabei geht es unter anderem um das Aufgeben der Forderung nach EU- und Euro-Austritt, und Marine Le Pen steckte wochenlang in einer politisch-persönlichen Depression. „Nur“ noch 17 Prozent werden ihrer Partei derzeit für Sonntag vorausgesagt, das wären sechs Prozent weniger als in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Letztlich wurden es sogar „nur“ 13,2 Prozent.)

Um den FN wirklich auch am Erringen von Parlamentsmandaten zu verhindern, schlug der Spitzenkandidat der Allianz LR/UDI – der 52jährige frühere Minister und Bürgermeister von Troyes, François Baroin – zunächst am 30. Mai d.J. vor, einen systematischen Kandidatenrückzug zugunsten anderer demokratischer Parteien vorzunehmen, wo ein Sieg des FN in einem Wahlkreis droht. In der Stichwahl, an der rechtlich alle Kandidat/inn/en teilnehmen dürfen, die in der ersten Runde durch mindestens 12,5 Prozent der Stimmberechtigten (NICHT DER REAL WAHLTEILNEHMENDEN) gewählt wurden, soll also nur noch eine Partei gegen den FN antreten; darauf sollten sich Sozialdemokratie, Macron-AnhängerInnen und Konservative einigen. Unterstützung fand Baroin bei moderaten Konservativen dafür wie Ex-Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet. Seine Position fiel damit klarer aus als die der Konservativen unter Nicolas Sarkozy seit den Bezirksparlamentswahlen von 2011, die im Zeichen des Ni – Ni – also „Weder (Sozialisten) noch (FN)“ - ihre unterschiedlichen Gegner/innen politisch miteinander auf eine Stufe stellte.

Am folgenden Tag war die Position jedoch wieder vom Tisch, nachdem politische Schwergewichte wie Laurent Wauquiez (LR) – Regionalpräsident in Lyon – dagegen opponiert hatten. Auch Wauquiez spricht zwar nicht einem Bündnis mit dem FN das Wort, doch er befürwortet einen scharfen Oppositionskurs von rechts. Seine Prognose lautet: „Nach fünf Jahren Macron, also Regierung ohne ein festes Wertesystem, werden die Franzosen nach einer klaren Werten verpflichteten Rechten rufen.“ Seitdem ist wieder offen, wie die Konservativen sich vor den Stichwahlen positionieren werden.

Ausschlaggebend wird in den kommenden Wochen die Frage sein, wie die Konservativen sich gegenüber dem Liberalen Emmanuel Macron an der Macht positionieren werden. Und hier deuten sich bereits sichtbare Bruchlinien an.

Auf dem Tisch liegen drei Optionen: Opponieren, eine punktuelle Unterstützung für einzelne „Reform“projekte unter Macron – dies deutet sich bereits bei dem für den Zeitraum Juli bis September 17 geplanten, regressiven Umbau des Arbeitsrechts an – oder eine formale Koalition. Die Auswahl zwischen den beiden letztgenannten Optionen wird natürlich auch davon abhängen, ob Macron Bündnispartner benötigt oder aber über eine eigene Sitze-Mehrheit verfügt.

Lustigerweise hat sich übrigens die im April 2016 gegründete Macron-Partei, die ursprünglich En Marche! („In Bewegung“) hieß – die Anfangsbuchstaben standen „natürlich REIN zufällig“ für die Namensinitialen von Emmanuel Macron -, kurz nach den Präsidentschaftswahlen in La République en marche umbenannt; und dafür, nach anfänglichem Zögern zwischen den Kürzeln REM und LRM, nun die Abkürzung LRM ausgewählt. Also quasi dasselbe Kürzel wie die konservative Hauptpartei LR, nur mit einem Buchstaben zusätzlich. Drei Schlüsselposten in der Regierung unter Emmanuel Macron sind unterdessen mit Abtrünnigen der LR-Konservativen besetzt: das Amt des Premierministers (Edouard Philippe) sowie die Ämter des Wirtschafts- und des Finanzministers (Bruno Le Maire und Gérarld Darmanin).

Rund ein Drittel der Konservativen erweist sich prinzipiell gegenüber dem Macron-Lager als bündniswillig. Dies gilt vor allem für die Anhänger/innen des eher wirtschaftsliberalen früheren Premiers und Bürgermeisters von Bordeaux, Alain Juppé – ihm steht Macrons amtierender Regierungschef Edouard Philippe nahe. In einem Wahlkreis in der Nähe von Versailles unterstützt Juppé nun explizit eine Kandidatin der Macron-Partei La République en marche (LRM) gegen einen Konservativen. Bei Letzterem handelt es sich um den rechtskatholischen Fanatiker Jean-Frédéric Poisson, welcher der Partei LR angehört, jedoch als einer der Wenigen offen für eine Bündnis mit Marine Le Pen eintritt. Juppé wünscht seine Niederlage.

Stand: 07. Juni 17

Editorische Hinweise:

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine aus Platzgründen deutlich gekürzte Fassung erschien in der Tageszeitung ,Neues Deutschland’ (ND) vom 10. Juni 2017