Wahrscheinlich dürften sie die zweitstärkste
Fraktion in der nächsten französischen
Nationalversammlung bilden, die an den kommenden
beiden Sonntagen gewählt wird. Die Konservativen
und Wirtschaftsliberalen, in Gestalt der
miteinander verbündeten bürgerlichen Parteien Les
Républicains (LR) und UDI, liegen derzeit bei 23
Prozent der Wahlabsichten in den Umfragen. Das
wären drei Prozent der Stimmen mehr, als für ihren
Präsidentschaftskandidaten François Fillon am 23.
April abgegeben wurden. (NACHTRÄGLICHE
ANMERKUNG: Es wurden letztlich 21,5 Prozent.)
Tatsächlich hat das konservativ-wirtschaftsliberale
Lager es seit
der ersten Runde der Präsidentschaftswahl
geschafft, sich zweier Hemmnisse zu entledigen. Das
eine hatte die Gestalt eben dieses Kandidaten
angenommen: Infolge einer Welle von
Veröffentlichungen in der französischen Presse seit
dem 25. Januar, die sein Finanzgebaren betrafen,
war François Fillon in extremer Weise diskreditiert
worden. Viele Kernwähler/innen der bürgerlichen
Rechten entschieden sich letztendlich dafür, schon
in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl für
den liberalen Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel
Macron zu stimmen. Fillon ist heute auf
Arbeitssuche und absolviert seine Termine bei
Untersuchungsrichter/inne/n – strittig ist nur
noch, was mit den drei Millionen Euro
Wahlkampfkosten passiert, die er zunächst in seinen
politischen eigenen Finanzierungsverein statt in
die Partei LR gesteckt hatte.
Der zweite Klotz am Bein der bürgerlichen Rechten
war das Gewicht des Front National (FN), der bei
den Präsidentschaftswahlen bereits in der ersten
Runde die Konservativen überrundete. Es ist
zumindest schwächer geworden: Nachdem Marine Le Pen
in der Stichwahl gegen Macron deutlich schwächer
abschnitt als zunächst erwatet – unter anderem
infolge ihrer katastrophalen Leistung bei der
Fernsehdebatte der beiden am 03. Mai 17 -, ist ihre
Partei derzeit in eine tiefe Krise gestürzt. Sie
wird von Orientierungsdebatten und Flügelstreits
durchzogen, dabei geht es unter anderem um das
Aufgeben der Forderung nach EU- und Euro-Austritt,
und Marine Le Pen steckte wochenlang in einer
politisch-persönlichen Depression. „Nur“ noch 17
Prozent werden ihrer Partei derzeit für Sonntag
vorausgesagt, das wären sechs Prozent weniger als
in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl.
(NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Letztlich wurden es
sogar „nur“ 13,2 Prozent.)
Um
den FN wirklich auch am Erringen von
Parlamentsmandaten zu verhindern, schlug der
Spitzenkandidat der Allianz LR/UDI – der 52jährige
frühere Minister und Bürgermeister von Troyes,
François Baroin – zunächst am 30. Mai d.J. vor,
einen systematischen Kandidatenrückzug zugunsten
anderer demokratischer Parteien vorzunehmen, wo ein
Sieg des FN in einem Wahlkreis droht. In der
Stichwahl, an der rechtlich alle Kandidat/inn/en
teilnehmen dürfen, die in der ersten Runde durch
mindestens 12,5 Prozent der Stimmberechtigten
(NICHT DER REAL WAHLTEILNEHMENDEN) gewählt wurden,
soll also nur noch eine Partei gegen den FN
antreten; darauf sollten sich Sozialdemokratie,
Macron-AnhängerInnen und Konservative einigen.
Unterstützung fand Baroin bei moderaten
Konservativen dafür wie Ex-Umweltministerin
Nathalie Kosciusko-Morizet. Seine Position fiel
damit klarer aus als die der Konservativen unter
Nicolas Sarkozy seit den Bezirksparlamentswahlen
von 2011, die im Zeichen des Ni – Ni
– also „Weder (Sozialisten)
noch (FN)“ - ihre unterschiedlichen
Gegner/innen politisch miteinander auf eine Stufe
stellte.
Am
folgenden Tag war die Position jedoch wieder vom
Tisch, nachdem politische Schwergewichte wie
Laurent Wauquiez (LR) – Regionalpräsident in Lyon –
dagegen opponiert hatten. Auch Wauquiez spricht
zwar nicht einem Bündnis mit dem FN das Wort, doch
er befürwortet einen scharfen Oppositionskurs von
rechts. Seine Prognose lautet: „Nach fünf
Jahren Macron, also Regierung ohne ein festes
Wertesystem, werden die Franzosen nach einer klaren
Werten verpflichteten Rechten rufen.“
Seitdem ist wieder offen, wie die Konservativen
sich vor den Stichwahlen positionieren werden.
Ausschlaggebend wird
in den kommenden Wochen die Frage sein, wie die
Konservativen sich gegenüber dem Liberalen Emmanuel
Macron an der Macht positionieren werden. Und hier
deuten sich bereits sichtbare Bruchlinien an.
Auf dem Tisch liegen drei Optionen: Opponieren,
eine punktuelle Unterstützung für einzelne
„Reform“projekte unter Macron – dies deutet sich
bereits bei dem für den Zeitraum Juli bis September
17 geplanten, regressiven Umbau des Arbeitsrechts
an – oder eine formale Koalition. Die Auswahl
zwischen den beiden letztgenannten Optionen wird
natürlich auch davon abhängen, ob Macron
Bündnispartner benötigt oder aber über eine eigene
Sitze-Mehrheit verfügt.
Lustigerweise hat sich übrigens die im April 2016
gegründete Macron-Partei, die ursprünglich En
Marche! („In Bewegung“) hieß – die
Anfangsbuchstaben standen „natürlich REIN zufällig“
für die Namensinitialen von Emmanuel Macron -, kurz
nach den Präsidentschaftswahlen in La
République en marche umbenannt; und dafür,
nach anfänglichem Zögern zwischen den Kürzeln REM
und LRM, nun die Abkürzung LRM ausgewählt. Also
quasi dasselbe Kürzel wie die konservative
Hauptpartei LR, nur mit einem Buchstaben
zusätzlich. Drei Schlüsselposten in der Regierung
unter Emmanuel Macron sind unterdessen mit
Abtrünnigen der LR-Konservativen besetzt: das Amt
des Premierministers (Edouard Philippe) sowie die
Ämter des Wirtschafts- und des Finanzministers
(Bruno Le Maire und Gérarld Darmanin).
Rund ein Drittel der Konservativen erweist sich
prinzipiell gegenüber dem Macron-Lager als
bündniswillig. Dies gilt vor allem für die
Anhänger/innen des eher wirtschaftsliberalen
früheren Premiers und Bürgermeisters von Bordeaux,
Alain Juppé – ihm steht Macrons amtierender
Regierungschef Edouard Philippe nahe. In einem
Wahlkreis in der Nähe von Versailles unterstützt
Juppé nun explizit eine Kandidatin der
Macron-Partei La République en marche
(LRM) gegen einen Konservativen. Bei Letzterem
handelt es sich um den rechtskatholischen Fanatiker
Jean-Frédéric Poisson, welcher der Partei LR
angehört, jedoch als einer der Wenigen offen für
eine Bündnis mit Marine Le Pen eintritt. Juppé
wünscht seine Niederlage.
Stand: 07. Juni 17
Editorische Hinweise:
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Eine aus Platzgründen deutlich gekürzte
Fassung erschien in der Tageszeitung ,Neues
Deutschland’ (ND) vom 10. Juni 2017
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