Es
ist eine Story, bei der es viel um brutale Gewalt
geht, um bierselige Dummheit und Primitivität, um
kahlköpfige Schulabbrecher. Aber auch um
selbstermächtigte Folterer, Sadisten und um
politische Kader, die ihre Hintermänner bildeten.
Nicht zuletzt handelt es sich um eine Story, durch
die deutlich wird, dass die nach außen hin betonte
Trennungsstriche und Unterscheidungen im
aktivistischen rechtsextremen Lager in Wirklichkeit
Makulatur sind.
In
Frankreich wird das ungeschminkt gewaltaffine
rechtsextreme Spektrum meist als extrême
droite radicale („radikale extreme Rechte“)
bezeichnet. Ein Begriff, der zwar insofern
fragwürdig erscheint, als es definitiv keine
„moderate extreme Rechte“ gibt, aber zwecks
Unterscheidung von der eher auf Wahlen
orientierenden, also institutionellen extremen
Rechten benutzt wird. Zu Letzterer zählt
insbesondere der Front National (FN) – die
vollkommen unsinnige Bezeichnung als „populistisch“,
die in deutschen Medien gang und gäbe ist, wird in
Frankreich nur selten für diese gewöhnlich als
extrême droite qualifizierte Partei
benutzt.
Zur
Erstgenannten rechnet man Gruppen wie die 2013 nach
dem Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric
verbotenen Vereinigungen Troisième Voie
(„Dritter Weg“) und Jeunesses nationalistes
révolutionnaires (JNR, „Revolutionäre
nationalistische Jugend“) unter Serge Ayoub, aber
auch L’Oeuvre française (ungefähr
„Französisches Werk“) unter Yvan Benedetti und die
Jeunesses nationalistes (JN) von
Alexandre Gabriac. Die meisten dieser Gruppierungen
machen seit dem Organisationsverbot weiter. Ayoub
und seine Anhänger halten sich in organisatorischer
Hinsicht eher zurück, und ihr Anführer ist ist 2015
vor allem bei einem von ihm aufgebauten Motorradclub
aktiv. Yvan Benedetti und Alexandre Gabriac – beide
wurden im April 2010 sowie im Juni 2011 vom Front
National ausgeschlossen – machen nahezu ungebrochen
weiter. Als Medium und Internetplattform benutzen
sie die Organisationsbezeichnung Jeune Nation
(„Junge Nation“, so hieß bereits eine 1958 verbotene
rechtsextreme Vereinigung) und als Parteinamen PNF,
für Parti nationaliste français. Am
zurückliegenden Wochenende des 13./14. Mai 17
hielten sie in Paris ein „Europaforum“ ab, unter
anderem mit Matthias Deyda von der Partei Die
Rechte aus Deutschland und Irene
Pappa-Dimopoulou von der Goldenen Morgenröte
aus Griechenland.
Neben oder zwischen beiden findet man noch die so
genannte identitäre Bewegung. Diese bildet einen
außenparlamentarischen Stoßtrupp, eine
Aktivistentruppe – auch wenn ihr örtlicher Ableger
in Nizza über den Front National eine
parlamentarische Vertretung erlangt hat -, vermeidet
jedoch in der Öffentlichkeit im allgemeinen ein
offen gewalttätiges Auftreten ebenso wie erkennbare
Bezüge zum historischen Faschismus und Nazismus. Zu
ihren Stärken zählen eher PR-Arbeit und
Agitpropaktionen. Oft treten die Identitären auch
mit der Behauptung auf, sie seien gar kein
Bestandteil der extremen Rechten, sondern etwas
weitgehend Neues.
Diese natürlich nur vordergründigen Abgrenzungen
werden nun brüchig, denn der jüngst bekannt
gewordene schreckliche Vorfall lässt Bündnislinien
und Überschneidungen erkennen. Aber auch den offen
kriminellen Charakter vieler Kräfte dieses
Spektrums; und ferner seine Durchsetzung mit
polizeilichen V-Leuten, die jedoch eher als
Komplizen agierten, anstatt seine Umtriebe zu
stoppen.
Ende vergangener Woche begann es, mit einer guten
Woche Verspätung gegenüber Frankreich auch durch
deutschsprachige Medien zu gehen: Drei Aktivisten
der gewalttätigen extremen Rechten im
nordfranzösischen Lille wurden Ende April dieses
Jahres festgenommen, und ein Strafverfahren wegen
gemeinschaftlich begangener Körperverletzung mit
Todesfolge wurde gegen sie eröffnet. Darüber
berichtete erstmals am 03. Mai 17 die
Regionalzeitung La Voix du Nord.
Vorgeworfen wird ihnen konkret, in der Nacht vom 11.
zum 12. November 2011 daran beteiligt gewesen zu
sein, als der antifaschistische Aktivist Hervé
Rybarczyk – bekannt als Gitarrist der Punkrockband
Ashtones – mutmaßlich ertränkt wurde.
Seine Leiche wurde im nordfranzösischen Deûle-Kanal
aufgefunden. Die Ermittlungsbehörden schlossen
zunächst auf „Selbstmord“. Die Affäre hatte schon
deswegen einen äußerst üblen Geruch, weil zwischen
Oktober 2010 und September 2011 bereits vier junge
Männer im Alter zwischen 19 und 33 tot aus demselben
Kanal gefischt worden waren. Mehrere der Opfer waren
entweder als homosexuell bekannt oder hatten kurz
zuvor einen als Homosexuellentreffpunkt bekannten
Ort wie die Bar L’Esplanade verlassen. Die
Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungen eingeleitet.
Doch die Polizei konnte leider, leider nichts
finden, und die Todesfälle wurden als „Unfälle“
eingestuft.
Ende März dieses Jahres fand in Amiens der Prozess
gegen 18 Mitglieder der vor allem zwischen 2012 und
2014 mit brutalen Gewalttaten hervortretenden Gruppe
WWK (White Wolve Klan) statt. 35 Straftaten wurden
ihnen vorgeworfen. Ihr Anführer, Jérémy Mourain,
wurde dabei zu neun Jahren Haft verurteilt. Er hatte
unter anderem 2012 Mitglieder einer rivalisierenden
Rockergang attaciert. Eines seiner Opfer wurde mit
Fußtritten, Motorradketten und einem Messer
gefoltert. Mit angeklagt war aber auch Serge Ayoub
als mutmaßlicher Hintermann. Denn Mourain war
Mitglied in der von ihm geleiteten Gruppierung
Troisième Voie und mit deren regionalem Aufbau in
der Picardie betraut worden. Äußerungen Ayoubs waren
dahingehend interpretiert worden, dass er seine
Anhänger auf die rivalisierende Gruppe gehetzt
hatte. Der alternde Ayoub, der in den 1980er Jahren
durch seine Aktivitäten in der Pariser Skinheadszene
bekannt geworden war, erzielte jedoch einen
Freispruch für sich. Die übrigen 17 Angeklagten
wurden zu Haftstrafen zwischen zwei Monaten und fünf
Jahren verurteilt, lediglich eine Frau wurde
freigesprochen.
Anlässlich des Prozesses redeten einige der
Mitangeklagten jedoch ein wenig zu viel über
Mourain, sei es aus Trottelei, sei es, weil
inoffizielle Vereinbarungen getroffen worden waren,
die ihnen Strafmilderung verschafften sollten. Unter
anderem wurde kolportiert, Mourain habe in der
Untersuchungshaft von einem in Lille durch ihn
begangenen Tötungsdelikt gesprochen und seine
Hoffnung ausgedrückt, dass die Richter „ihre
Nase nicht zu sehr in meine Zeit in Lille stecken“
möchten.
Dadurch erhielten die Ermittlungen zu dem Todesfall
Hervé Rybarczyk doch noch einmal neuen Schwung. Zu
den in diesem Zusammenhang Festgenommenen zählt
Yohan Mutte, ein führendes Mitglied der
Gruppierungen Troisième Voie und JNR –
er hatte dort für die Aufnahme Jérémy Mourains
gesorgt.
Viele französische Medien berichteten daraufhin
übereinstimmend von Festnahmen „im Milieu der
identitären Bewegung in Lille“. Dies
veranlasste wiederum den deutschsprachigen Ableger
der französischen Organisation Bloc
identitaire – diese seit 2003 bestehende
Gruppierung bildet die Matrix für die „Bewegung“ -,
die vor allem in Österreich verankerte
Identitäre Bewegung (IB), zu einer
Strafanzeige gegen die deutsche Wochenzeitung
Die Zeit: Diese habe von einer polnischen
Antifa-Seite die Meldung übernommen, die drei
Festgenommenen gehörten der identitären Bewegung an,
was jedoch falsch sei. Vielmehr bestehe kein
Zusammenhang zwischen den Strafverdächtigen und der
genannten „Bewegung“.
Natürlich handelt es sich seitens der IB um eine
faustdicke Lüge. Die rechtsextreme Organisation
schreibt dazu: „In französischen Zeitungen
befindet sich keine solche absurde Behauptung.“
Doch anders, als die IB angibt, findet man den
genannten Zusammenhang zu den Identitären seit dem
ersten Mittwoch im Mai in zahlreichen französischen
Medien.
Dennoch ist die dort angegebene
Organisationsbezeichnung zunächst insofern
vergröbernd, als die Tatverdächtigen unmittelbar vor
allem den heute verbotenen Gruppierungen
Troisième Voie und JNR zuzurechnen sind. Nur
war deren Treffpunkt in Lille wiederum Jahre lang
das Lokal der „identitären Bewegung“, das so
genannte Flämische Haus oder Vlaams Huis.
Und heute ist es die seit vorigem Herbst eröffnete
Bar La Citadelle. Der örtliche Chef
der Génération identitaire –
Jugendorganisation des Bloc -, der 33jährige Aurélin
Verhassel, ist der Betreiber von La Citadelle.
Seine Nähe zu und Zusammenarbeit mit Mourain und
Mutte ist seit Jahren bekannt. Beide Seiten
arbeiteten in einer gemeinsamen Organisation unter
dem Namen Front populaire solidariste
(„Solidaristische Volksfront“) intensiv zusammen.
Verhassel wurde in Deutschland zu 80 Tagessätzen
Geldstrafe wegen Sprengstoffbesitzes und Verwendung
verfassungswidriger Kennzeichen verurteilt. In
diesem Frühjahr war er auf regionaler Ebene aktiv am
Wahlkampf des Front National beteiligt.
Neben den dreien verkehrt im selben Umfeld auch ein
gewisser Antoine Denevi, der frühere Chef von
Troisième Voie in Nordfrankreich. Der
29jährige Ex-Hooligan Denevi war aber laut einem
Bericht der Internetzeitung Mediapart
vom Mai 2016 auch an einem Waffenhändlerring
beteiligt, über den Kriegswaffen aus der Slowakei in
Frankreich in Umlauf gebracht wurden. An dessen
Spitze stand der rechtsextreme frühere Berufsmilitär
Claude Hermant, ebenfalls Gründer des Vlaams
Huis und früherer Co-Sprecher des
Front populaire solidariste neben Serge
Ayoub.
Hermant wird unter anderem verdächtigt, den
jihadistischen Attentätern vom Januar 2015 bei
Charlie Hebdo und in einem koscheren
Supermarkt – den Kouachi-Brüder und Amedy Coulibaly
– Schusswaffen geliefert zu haben. Dazu wurde er im
Dezember 2015 und im April dieses Jahres polizeilich
vernommen, bislang ohne Resultat. Mediapart
und La Voix du Nord wiederum
schrieben, Claude Hermant sei seinerseits ein
Informant der Gendarmerie und der Zollfahndung
gewesen und habe in deren Auftrag im Waffenhandel
mitgemischt. Er soll laut einem bei Mediapart
beherbergten Blogger in der Vergangenheit
auch beim Ordnerdienst des FN, dem DPS
(„Abteilung Schutz und Sicherheit“), tätig
gewesen sein.
Vor
diesem Hintergrund wird eventuell verständlich,
warum polizeiliche Ermittlungen zu den Todesfällen
im Kanal in der Vergangenheit leider, leider
ergebnislos blieben. In der Vergangenheit war
bereits der Verdacht aufgekommen, mit der extremen
Rechten sympathisierende Polizisten hätten Namen und
Adressen antifaschistischer Aktivistinnen – die
infolge von Personalienfeststellungen gesammelt
worden waren - an das Vlaams Huis
weitergegeben. Dieses veröffentlichte mehrfach
entsprechende Listen. 2009 hatten sieben Anarchisten
deswegen gemeinsam Strafanzeige erstattet; zuvor
waren im Mai jenes Jahres 26 Demonstranten einer
Personalienkontrolle unterzogen worden, deren Namen
im Juni 09 in einem Video des Vlaams Huis
bei Youtube auftauchten. Das Verfahren wurde jedoch,
völlig überraschend natürlich, eingestellt.
Nunmehr ermitteln die Behörden zumindest wegen des
Todes von Hervé Rybarczyk erneut. Die Akten der
übrigen vier Toten aus dem Kanal bleiben vorerst
geschlossen.
Es handelt sich im Übrigen nicht um die ersten, auf
faschistische Gewalt zurückzuführenden Todesfälle,
die erst Jahre später als solche erkennbar werden.
Am 03. Februar dieses Jahres berichtete die
westfranzösische Zeitung Ouest France,
dass drei frühere Naziskins am Vortag in Rennes zu
vier- und fünfjährigen Haftstrafen verurteilt worden
waren, weil sie im August 2009 den 27jährigen
Frédéric Bourget totschlugen. Der Artikel erwähnte
Hitlergrüße, die am Tatort – in einer Bar – gezeigt
worden seien. Am selben Tag erfuhr der Verf. dieser
Zeilen aus dem autonomen und antifaschistischen
Milieu in Rennes, niemandem dort sei der
Zusammenhang zwischen diesem Tod und der
rechtsextremen Szene bis dahin bekannt gewesen.
Stand: 15.05.17
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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