Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach dem ersten Durchgang der französischen Parlamentswahl

Emmanuel Macron & das Arbeitsrecht

5-6/2017

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Dass kollektive soziale Rechte von Lohnabhängigen nicht zu den Herzensanliegen von Emmanuel Macron zählen, dies war bereits vor seiner Wahl zum französischen Präsidenten hinlänglich bekannt. Auch wenn er sich – nach seiner Amtszeit als in die neoliberale Richtung treibender Wirtschaftsminister, von August 2014 bis August 2016 – im Wahlkampf im vergangenen Winter bisweilen sozialdemokratisch klingenden Töne anschlug. Grundsätzlich war es kein Geheimnis, dass er die Unternehmer als die wichtigste Gruppe für die geplante „Innovation“ Frankreichs betrachtet.

Dies änderte sich auch dann nicht, als Linksliberale und frühere Linke den Anschluss an ihn suchten – unter ihnen die früheren führenden KP-Mitglieder Robert Hue (früher Parteichef), Jean-Claude Gayssot (früherer Minister in den Jahren 1997 bis 2002) und Patrick Braouezec (ehemals Bürgermeister von Saint-Denis und „Parteireformer“), die Macron noch vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl unterstützten. Trotz eines Programms, das jedenfalls in Fragen der Sozial- und Wirtschaftspolitik auf einem intellektuell eher primitiven Wirtschaftsliberalismus beruhte (wenngleich mit einigen linsliberalen gesellschaftspolitischen Inhalten oder Diskurselementen untermischt). Dies hing mit ihrer eigenen Abwendung vom Marxismus und inhaltlichen Entwicklung hin zur bürgerlich-liberalen Mitte zusammen, aber auch damit, dass sie Macron schlicht für den bestplatzierten Bewerber gegen Marine Le Pen hielten. Eine Annäherung an den Kampf für Beschäftigtenrechte brachte dies bei Macron nicht mit sich.

Im Herbst 2016 wurde etwa jenes mittlerweile bei Youtube verbreitete Video aufgenommen, in dem man den früheren Minister mit dem neoliberal gewendeten Grünen Daniel Cohn-Bendit diskutieren sieht. // Vgl. etwa: http://www.lexpress.fr // Beide Diskutanten sind sich dabei herzlich darüber einig, dass „für jüngere Arbeitnehmer“ die Idee, etwa 35 Stunden wöchentlich zu arbeiten, ein Witz sei und dass diese das doch eigentlich gar nicht wollten. 40, 45 Stunden seien doch kein Problem, wenn man jung sei, meint Macron dazu. Aber, wendet Cohn-Bendit dann noch ein, ab dem Alter von 55 werde es dann doch problematischer. Dann lasse nämlich das Gehör nach, und man vertrage den Lärm am Arbeitsplatz nicht mehr so gut.

Es ist insofern nur konsequent, dass nach dem Wahlsieg Macrons nicht in progressive Richtung gedacht wird, wenn das Arbeitsrecht nun in Kürze erneut „reformiert“ werden soll. Am Pfingstmontag, den 05. Juni 17 veröffentlichte zunächst die Boulevardzeitung Le Parisien einige Umbaupläne zum Thema. Die Regierung dementierte: Es habe sich nur um Planspiele eines externen Juristen gehandelt, hinter denen man nicht – notwendig – stehe. Am übernächsten Tag, dem 07. Juni, folgten neuen Enthüllungen in der Tageszeitung Libération. Doch dieses Mal trugen die Dokumente den Stempel des Arbeitsministeriums und kamen aus dem Hause selbst. Die Ministerin hat inzwischen Strafanzeige wegen des Abdrucks erstattet, was bei Verteidigerinnen der Pressefreiheit für Empörung sorgt. (Anm.: Mittlerweile hat das Arbeitsministerium die Anzeige wegen „Hehlerei“ gegen die Tageszeitung zurückgezogen, jedoch jene wegen „Diebstahls“ gegen Unbekannt – faktisch gegen Mitarbeiter/innen im eigenen Haus – aufrecht erhalten.)

Geplant ist demnach etwa, die Tür für „nach unten“ - also zu Ungunsten der Lohnabhängigen - vom Gesetz oder vom Flächentarifvertrag abweichende Abkommen in den einzelnen Unternehmen noch erheblich weiter zu öffnen, als dies bereits bislang der Fall ist.

An einzelnen Punkten, das betraf zunächst vor allem die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit, dürfen Unternehmenstarifverträge in Frankreich bereits seit 1982 vom Gesetz – das bis dahin eher uniforme Arbeitszeiten vorsah – abweichen. Im Laufe der Jahre wurden die Spielräume dafür immer bedeutender. Und seit einem als Loi Fillon bezeichneten, also nach dem damaligen Arbeits- und Sozialminister François Fillon benannten Gesetz „zum sozialen Dialog“ von Mai 2004 dürfen Unternehmenstarifverträge auch auf für Beschäftigte negative Weise vom Flächenkollektivvertrag abweichen. Es sei denn, dass der letztgenannte Vertrag auf Branchenebene einen „Sperrriegel“ vorsieht, um die Abweichung zu verhindern.

Den „Sperrriegel“ jedenfalls an einigen Punkten aufgebrochen hat das so genannte „Arbeitsgesetz“ vom letzten Jahr, das am 08. August 2016 in Kraft tat. Es verbietet das Errichten von Barrieren bei bestimmten Themen, bei denen die Vereinbarung im einzelnen Unternehmen grundsätzlich Vorrang vor der Flächenvereinbarung und dem Gesetz haben soll. Es geht dabei insbesondere um die Länge der Arbeitswochen, die während der Dauer eines Ausgleichszeitraums – bis zu drei Monate nach einseitiger Festlegung durch den Arbeitgeber, bis zu drei Jahren bei einer Vereinbarung mit einer oder mehreren Gewerkschaften – unterschiedlich lang sein dürfen, und um die Verteilung der Arbeitszeiten im Jahresrhythmus.

Das Gesetz von 2016 erlaubt ferner prinzipiell, dass Vereinbarungen, die vom Arbeitgeber mit Minderheitsgewerkschaften (ab dreißig Prozent Stimmenanteil) getroffen, doch durch die Mehrheitsgewerkschaften abgelehnt werden, in Kraft treten zu lassen. Voraussetzung dafür ist, dass eine Mehrheit der Belegschaft sie in einer Abstimmung durchwinkt. Bislang darf der Abstimmungswahlkampf für oder gegen eine solche Vereinbarung, die etwa im Namen der Beschäftigungssicherung die Arbeitswochen ausweitet und je nach Bedarf des Unternehmens flexibilisiert, nur durch die Gewerkschaften geführt werden. Der Arbeitgeber darf sich nicht einmischen.

Nach den neuen Plänen unter Macron soll hingegen der Arbeitgeber selbst neue, und für die Beschäftigten ungünstige, Vereinbarungen direkt zur Abstimmung stellen können. Dabei darf er sich selbst in die Kampagne einmischen. Dies bedeutet, dass der Erpressung mit dem „Arbeitsplätze-Argument“ alle Türen, Fenster und Scheunentore geöffnet werden.

Ferner sollen, unter noch zu definierenden Bedingungen etwa bei den Mehrheitserfordernissen, auch Themen wie Kündigungsmotive oder Befristungsgründe bei Arbeitsverträgen durch Vereinbarungen geregelt werden können. Auch hier würde also eine Abweichung „nach unten“ vom Gesetz ermöglicht. Selbst Bestimmungen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sollen für Verhandlungen geöffnet werden, also vom Gesetz abweichend geregelt werden können. Und wohl in der Regel nicht, um die gesetzlichen Vorschriften zu verbessern.

In mehreren Anläufen bereits hatte sich Emmanuel Macron in der Vergangenheit darum bemüht, im Namen der „Rechtssicherheit“ – für die Arbeitgeber – Abfindungszahlungen bei illegalen, sozial ungerechtfertigten Kündigungen zu deckeln, also eine Obergrenze dafür einzuführen. In Frankreich gibt es bei ungerechtfertigten Kündigungen in aller Regel eine geldwerte Abfindung, die durch die Arbeitsrichter/innen bemessen wird, doch keine Rückkehr an den Arbeitsplatz. Aus dem Loi Macron genannten Gesetz zur Wettbewerbsförderung von August 2015 musste das Thema, aufgrund eines Entscheids der Verfassungsrichter, ausgeklammert werden.

François Hollandes „Arbeitsgesetz“ führte 2016 eine Obergrenze ein, doch eine unverbindliche, die „lediglich“ einen Richtwert für die Arbeitsgerichte darstellen soll. Nach Macrons jetzigen Plänen soll diese nun verbindlich ausfallen und die Arbeitsrichter/innen auf zwingende Weise binden. Unternehmen sollen von vornherein wissen können, wie viel Geld sie für eine illegale Kündigung einplanen müssen.

Stand: 14.6.2017

Editorische Hinweise:

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine erheblich gekürzte und redaktionell überarbeitete Fassung erschien am Samstag, den 17. Juni 2017 in der Tageszeitung ,Neues Deutschland’ (ND)