Ein älterer Mann hält ein Schild mit der Aufschrift
„Stoppt die Gewalt!“ hoch und wird durch eine
Übermacht von Uniformierten, die ihn zu Boden
drücken, überwältigt. Dieses Bild machte am Montag,
den 09. April d.J. die Runde und bildet zeitweilig
den Aufmacher bei manchen Nachrichtenportalen im
französischsprachigen Internet. Es begleitete dort
die ihre Nachrichten „von der Front“, also von der
vormaligen Baustelle des – im Januar dieses Jahres
durch die Regierung aufgegebenen –
Flughafenprojekts in Notre-Dame-des-Landes, in der
Nähe der westfranzösischen Stadt Nantes. Letztere
wurden abwechselnd mit Bildern von älteren
friedlichen Protestlern, mit mehr oder minder
martialisch dargestellten Vermummten oder auch mit
„widerständigen Traktoren“ illustriert.
Die Invasion begann im Morgengrauen: Wie es in den
Tagen zuvor angekündigt worden war, attackierten
die Sicherheitskräfte am Montag früh vor
Sonnenaufgang die besetzte Zone auf dem früheren
Flughafengelände, die als ZAD (zone à
défendre, „zu verteidigende Zone“)
bezeichnet wird. Selbige wird nun durch Menschen
aus der Alternativszene, aus dem autonomen
Spektrum, aber auch ökologische Aktivisten mit
Unterstützung aus der heimischen Bevölkerung für
Experimente mit alternativen Lebens- und vor allem
Landwirtschaftsformen genutzt. Die Regierung, aber
auch die örtliche konservative
Landwirtschaftskammer wollen dem einen Riegel
vorschieben, zumal sie fürchten, die heterogen
zusammengesetzte, jedoch insgesamt solidarisch
auftretende Protestbewegung könne sich durch den
Erfolg – in Gestalt der Regierungsentscheidung
gegen den Weiterbau des Flughafens – beflügelt
fühlen.
Und so insistierte die Regierung von
Premierminister Edouard Philippe darauf, alle, die
bis zum 31. März dieses Jahres nicht mit einem
„ausgewiesenen, soliden landwirtschaftlichen
Projekt“ bei den zuständigen Behörden registriert
worden seien, müsste nun gehen. Das betrifft manche
Alternativbetriebe wie La Chevrière
(„die Ziegerei“ oder „der Ziegenhof“), die noch
nicht angemeldet waren, aber auch besetzte Häuser
sowie nicht-landwirtschaftliche Gewerbetreibende,
die jedoch mit ihren Aktivitäten den Agrarprojekten
zuarbeiten wie etwa ein Schmied, der deren Geräte
repariert.
Zwischen 2.200 und 2.500 Polizeibeamte, je nach
Zeitpunkt, wurden dafür am Montag, den 09. April
mobilisiert. Ihr Vorgehen konzentrierte sich an dem
Tag zunächst darauf, die national und international
berühmt gewordene route des
chicanes oder „Hindernisstraße“
freizuräumen. Dabei handelt es sich um eine
Landstraße,
für die der Verwaltungsbezirk zuständig ist und die
über drei Kilometer hinweg verbarrikadiert worden
war – auch wenn einige Hindernisse nach dem
Regierungsentscheid vom Januar dieses Jahres gegen
den Flughafenbau beseitigt worden waren. Die
Polizeioperation soll noch mehrere Tage andauern,
voraussichtlich mindestens zum kommenden
Wochenende, an dem die Besetzer ihrerseits
vermehrte überregionale Verstärkung erwarten.
NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: An jenem besagten
Wochenende des 14./15. April kamen laut Angaben
der Präfektur (staatlichen Behörde) 4.500, laut
Angaben der weiterhin dort lebenden
Besetzer/innen jedoch bis zu 20.000 Menschen auf
das Gelände.
An
jenem ersten Räumungstag (Montag, den o9. April)
leisteten die vor Ort lebenden Besetzer /innen
zunächst aktiven, meist jedoch passiven Widerstand.
Von Staatsseite her verlautete, es seien sieben
Personen festgenommen worden, auch seien ein
Protestierender und zwei Polizisten – letztere
leicht – verletzt worden. Später war von sechs
verletzten Polizisten die Rede; in Wirklichkeit
wurden jedoch vier von ihnen durch Anrempeln von
Kollegen auf beengtem Raum sowie ungeschicktes
Anstellen beim Entstöpseln von Gasgranaten „aus
eigenen Kräften“ verletzt… Von den sieben in
Gewahrsam genommenen Personen wurden wiederum sechs
deswegen belangt, weil sie sich gemeinsam in einem
Fahrzeug befanden und dort Cannabis rauchten. Der
siebte ist ein Minderjähriger, der bereits um 05.30
Uhr festgenommen worden war und einen Ziegelstein
oder anderen Wurfgegenstand in Richtung Polizei
geworfen haben soll. Am Dienstag früh (10.
April) vermeldeten die Behörden dann,
Leuchtspurmunition habe auf einen
Polizeihubschrauber gezielt, ohne ihn zu erreichen.
Frankreichweit fanden noch am Montag – dem ersten
Räumungstag - in über 90 Städten
Protestversammlungen und Demonstrationen statt, so
im nahe gelegenen Nantes, wo binnen weniger Stunden
über 1.000 Personen zusammenkamen. Aber auch im
westfranzösischen Rennes, in Paris – wo am frühen
Abend bei der Métrostation Belleville demonstriert
wurde – oder etwa im ostfranzösischen Chambéry
wurde protestiert. In Fortcalquier in
Südostfrankreich wurde das Rathaus, wo bis vor
wenigen Monaten der derzeitige Minister und
vormalige Regierungssprecher Christophe Castaner
Bürgermeister war, durch sechzig Menschen besetzt.
Anders als noch im Januar 2018, als die Bewegung
gegen das umweltzerstörerische Großprojekt
die einzige Protestbewegung zu sein schien, die der
Regierung Respekt einflößte,
erfolgen die derzeitigen Auseinandersetzungen in
einem veränderten Kontext. Neben dem am 03. April
begonnen Eisenbahnstreik, der in einem vorab
vereinbarten Rhythmus – auf je zwei Streiktage
folgen fünf Tage Wiederaufnahme des Verkehrs,
gefolgt von zwei weiteren Streiktagen – derzeit bis
Ende Juni geplant ist, hat auch eine
Protestbewegungen in einem Teil der französischen
Universitäten begonnen. Sie richtet sich gegen die
Einnahme von Zugangsbeschränkungen an Hochschulen.
An mehreren Orten wie in Montpellier, Lille,
Strasbourg und am vorigen Freitag auch an der
Pariser Fakultät in der rue Tolbiac wurden die
Besetzer von Universitätsräumen durch gewalttätige
Rechtsextreme attackiert. In Nanterre bei Paris
wurde am Montag, den 09. April die Universität
infolge eines eskalierenden Polizeieinsatzes für
den Lehrbetrieb geschlossen. Am Dienstag, den 10.
April führten die streikenden Studierenden dort
eine Veranstaltung in Solidarität mit
Notre-Dame-des-Landes durch. Inzwischen wurden in
vielen studentischen Streikversammlungen
Solidaritätserklärungen für die ZAD in
Notre-Dame-des-Landes verabschiedet.
Mittlerweile haben
sich die Dinge jedoch verschoben: Die staatliche
Absicht, das Gelände vollständig polizeilich zu
räumen, ist – obwohl am Freitag früh, 13. April
kurzzeitig der Abschluss der vollzogenen Räumung
offiziell verkündet wurde – offensichtlich
gescheitert. Weitaus stärker als durch die
bürgerlichen Medien wird man hier fast nur über die
sozialen Medien/Netzwerke informiert, wo man unter
anderem erfährt, innerhalb von nur einer Woche
seien 11.000 Tränengas- und Blendschockgranaten
verschossen, und für die Kosten des
Polizeieinsatzes seien sieben Millionen Euro
verscheuert worden.
In
der Woche nach der offiziellen Meldung
„Räumungsvollzug ist beendet“ vom 13.04.18 gab die
Zentralregierung, dieses Mal Premierminister
Edouard Philippe, nochmals Zeit: Eine erneute Frist
für die Anmeldung landwirtschaftlicher Projekte
werde bis zum 23. April d.J. eingeräumt. Eine
solche Anmeldung ist nun in vielen Fällen
inzwischen auch erfolgt, da die Besetzer/innen sich
für das Stichdatum 23. April doch noch darauf
einließen, mit konkreten Personennamen versehene
Projekte anzumelden (statt ausschließlich solche in
kollektivem Namen ohne individuelle Angaben).
Dem Staat ist es
offensichtlich nicht gelungen, wie zumindest durch
Teile des Apparats beabsichtigt, faktische Rache an
den Besetzer/inne/n auf dem Gelände zu nehmen.
Diese müssen sich nun ihrerseits auf die konkrete
Durchführung von Alternativprojekten einlassen, um
mit ihren Aktivitäten dort fortzufahren.
Editorischer
Hinweis
Diesen Artikel erhielten wir von B. Schmid für
diese Ausgabe. Es ist aktualisierte Fassung eines
Artikels, welcher in leicht gekürzter Form am
Donnerstag, den 12. April 18 in der Berliner
Wochenzeitung Jungle World publiziert wurde.
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