Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Frühere Flughafenbaustelle in Notre-Dame-des-Landes (NDDL)
Räumung des besetzten Geländes ist erfolgt – jedoch nicht vollständig

5-6/2018

trend
onlinezeitung

Ein älterer Mann hält ein Schild mit der Aufschrift „Stoppt die Gewalt!“ hoch und wird durch eine Übermacht von Uniformierten, die ihn zu Boden drücken, überwältigt. Dieses Bild machte am Montag, den 09. April d.J. die Runde und bildet zeitweilig den Aufmacher bei manchen Nachrichtenportalen im französischsprachigen Internet. Es begleitete dort die ihre Nachrichten „von der Front“, also von der vormaligen Baustelle des – im Januar dieses Jahres durch die Regierung aufgegebenen – Flughafenprojekts in Notre-Dame-des-Landes, in der Nähe der westfranzösischen Stadt Nantes. Letztere wurden abwechselnd mit Bildern von älteren friedlichen Protestlern, mit mehr oder minder martialisch dargestellten Vermummten oder auch mit „widerständigen Traktoren“ illustriert.

Die Invasion begann im Morgengrauen: Wie es in den Tagen zuvor angekündigt worden war, attackierten die Sicherheitskräfte am Montag früh vor Sonnenaufgang die besetzte Zone auf dem früheren Flughafengelände, die als ZAD (zone à défendre, „zu verteidigende Zone“) bezeichnet wird. Selbige wird nun durch Menschen aus der Alternativszene, aus dem autonomen Spektrum, aber auch ökologische Aktivisten mit Unterstützung aus der heimischen Bevölkerung für Experimente mit alternativen Lebens- und vor allem Landwirtschaftsformen genutzt. Die Regierung, aber auch die örtliche konservative Landwirtschaftskammer wollen dem einen Riegel vorschieben, zumal sie fürchten, die heterogen zusammengesetzte, jedoch insgesamt solidarisch auftretende Protestbewegung könne sich durch den Erfolg – in Gestalt der Regierungsentscheidung gegen den Weiterbau des Flughafens – beflügelt fühlen.

Und so insistierte die Regierung von Premierminister Edouard Philippe darauf, alle, die bis zum 31. März dieses Jahres nicht mit einem „ausgewiesenen, soliden landwirtschaftlichen Projekt“ bei den zuständigen Behörden registriert worden seien, müsste nun gehen. Das betrifft manche Alternativbetriebe wie La Chevrière („die Ziegerei“ oder „der Ziegenhof“), die noch nicht angemeldet waren, aber auch besetzte Häuser sowie nicht-landwirtschaftliche Gewerbetreibende, die jedoch mit ihren Aktivitäten den Agrarprojekten zuarbeiten wie etwa ein Schmied, der deren Geräte repariert.

Zwischen 2.200 und 2.500 Polizeibeamte, je nach Zeitpunkt, wurden dafür am Montag, den 09. April mobilisiert. Ihr Vorgehen konzentrierte sich an dem Tag zunächst darauf, die national und international berühmt gewordene route des chicanes oder „Hindernisstraße“ freizuräumen. Dabei handelt es sich um eine Landstraße, für die der Verwaltungsbezirk zuständig ist und die über drei Kilometer hinweg verbarrikadiert worden war – auch wenn einige Hindernisse nach dem Regierungsentscheid vom Januar dieses Jahres gegen den Flughafenbau beseitigt worden waren. Die Polizeioperation soll noch mehrere Tage andauern, voraussichtlich mindestens zum kommenden Wochenende, an dem die Besetzer ihrerseits vermehrte überregionale Verstärkung erwarten.

NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: An jenem besagten Wochenende des 14./15. April kamen laut Angaben der Präfektur (staatlichen Behörde) 4.500, laut Angaben der weiterhin dort lebenden Besetzer/innen jedoch bis zu 20.000 Menschen auf das Gelände.

An jenem ersten Räumungstag (Montag, den o9. April) leisteten die vor Ort lebenden Besetzer /innen zunächst aktiven, meist jedoch passiven Widerstand. Von Staatsseite her verlautete, es seien sieben Personen festgenommen worden, auch seien ein Protestierender und zwei Polizisten – letztere leicht – verletzt worden. Später war von sechs verletzten Polizisten die Rede; in Wirklichkeit wurden jedoch vier von ihnen durch Anrempeln von Kollegen auf beengtem Raum sowie ungeschicktes Anstellen beim Entstöpseln von Gasgranaten „aus eigenen Kräften“ verletzt… Von den sieben in Gewahrsam genommenen Personen wurden wiederum sechs deswegen belangt, weil sie sich gemeinsam in einem Fahrzeug befanden und dort Cannabis rauchten. Der siebte ist ein Minderjähriger, der bereits um 05.30 Uhr festgenommen worden war und einen Ziegelstein oder anderen Wurfgegenstand in Richtung Polizei geworfen haben soll. Am Dienstag früh (10. April) vermeldeten die Behörden dann, Leuchtspurmunition habe auf einen Polizeihubschrauber gezielt, ohne ihn zu erreichen.

Frankreichweit fanden noch am Montag – dem ersten Räumungstag - in über 90 Städten Protestversammlungen und Demonstrationen statt, so im nahe gelegenen Nantes, wo binnen weniger Stunden über 1.000 Personen zusammenkamen. Aber auch im westfranzösischen Rennes, in Paris – wo am frühen Abend bei der Métrostation Belleville demonstriert wurde – oder etwa im ostfranzösischen Chambéry wurde protestiert. In Fortcalquier in Südostfrankreich wurde das Rathaus, wo bis vor wenigen Monaten der derzeitige Minister und vormalige Regierungssprecher Christophe Castaner Bürgermeister war, durch sechzig Menschen besetzt.

Anders als noch im Januar 2018, als die Bewegung gegen das umweltzerstörerische Großprojekt die einzige Protestbewegung zu sein schien, die der Regierung Respekt einflößte, erfolgen die derzeitigen Auseinandersetzungen in einem veränderten Kontext. Neben dem am 03. April begonnen Eisenbahnstreik, der in einem vorab vereinbarten Rhythmus – auf je zwei Streiktage folgen fünf Tage Wiederaufnahme des Verkehrs, gefolgt von zwei weiteren Streiktagen – derzeit bis Ende Juni geplant ist, hat auch eine Protestbewegungen in einem Teil der französischen Universitäten begonnen. Sie richtet sich gegen die Einnahme von Zugangsbeschränkungen an Hochschulen. An mehreren Orten wie in Montpellier, Lille, Strasbourg und am vorigen Freitag auch an der Pariser Fakultät in der rue Tolbiac wurden die Besetzer von Universitätsräumen durch gewalttätige Rechtsextreme attackiert. In Nanterre bei Paris wurde am Montag, den 09. April die Universität infolge eines eskalierenden Polizeieinsatzes für den Lehrbetrieb geschlossen. Am Dienstag, den 10. April führten die streikenden Studierenden dort eine Veranstaltung in Solidarität mit Notre-Dame-des-Landes durch. Inzwischen wurden in vielen studentischen Streikversammlungen Solidaritätserklärungen für die ZAD in Notre-Dame-des-Landes verabschiedet.

Mittlerweile haben sich die Dinge jedoch verschoben: Die staatliche Absicht, das Gelände vollständig polizeilich zu räumen, ist – obwohl am Freitag früh, 13. April kurzzeitig der Abschluss der vollzogenen Räumung offiziell verkündet wurde – offensichtlich gescheitert. Weitaus stärker als durch die bürgerlichen Medien wird man hier fast nur über die sozialen Medien/Netzwerke informiert, wo man unter anderem erfährt, innerhalb von nur einer Woche seien 11.000 Tränengas- und Blendschockgranaten verschossen, und für die Kosten des Polizeieinsatzes seien sieben Millionen Euro verscheuert worden.

In der Woche nach der offiziellen Meldung „Räumungsvollzug ist beendet“ vom 13.04.18 gab die Zentralregierung, dieses Mal Premierminister Edouard Philippe, nochmals Zeit: Eine erneute Frist für die Anmeldung landwirtschaftlicher Projekte werde bis zum 23. April d.J. eingeräumt. Eine solche Anmeldung ist nun in vielen Fällen inzwischen auch erfolgt, da die Besetzer/innen sich für das Stichdatum 23. April doch noch darauf einließen, mit konkreten Personennamen versehene Projekte anzumelden (statt ausschließlich solche in kollektivem Namen ohne individuelle Angaben).

Dem Staat ist es offensichtlich nicht gelungen, wie zumindest durch Teile des Apparats beabsichtigt, faktische Rache an den Besetzer/inne/n auf dem Gelände zu nehmen. Diese müssen sich nun ihrerseits auf die konkrete Durchführung von Alternativprojekten einlassen, um mit ihren Aktivitäten dort fortzufahren.

Editorischer Hinweis

Diesen Artikel erhielten wir von B. Schmid für diese Ausgabe. Es ist aktualisierte Fassung eines Artikels, welcher in leicht gekürzter Form am Donnerstag, den 12. April 18 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World publiziert wurde.