Das ist rund
dreißig Jahre her. Aufsehen erregte S.
Wagenknecht zunächst auf Weinerts Spuren mit
ihren Hymnen auf Väterchen in den „Weißenseer
Blättern, einer obskuren Kirchenzeitung, die
sich offensichtlich nicht nur der christlichen,
sondern auch der säkularen Religion des
Stalinismus verbunden fühlte. Was sie in diesen
Blättern von sich gab, las sich wie kindliche
Schwärmerei und verführte dazu, es lächelnd
beiseite zu legen. Schließlich war sie noch
sehr jung. Ein Kind war sie allerdings auch
nicht mehr. Gemessen an ihrer
Selbsteinschätzung (s. ihr Buch „Couragiert
gegen den Strom) verfügte sie schon davor über
politische Reife. Interessant daran war, dass
sie damit schlagartig auffiel – insbesondere
westlichen Medien. Noch interessanter, dass sie
zu dieser Zeit von schwer ergrauten ehemaligen
SED-Kadern stalinistischer Prägung umgeben war.
Anzunehmen, dass sie von dieser Seite beraten
wurde. Denn so kindlich-naiv, wie das auf den
ersten Blick aussah, war es nicht. Hätten sich
die Höhlenväter der Kommunistischen Plattform
mit gleichen oder auch nur ähnlichen Ergüssen
hervorgewagt, wären sie allenfalls ausgelacht
oder unflätig beschimpft worden. Dass aber ein
junges Gesicht – dazu noch ein weibliches –
ausgerechnet im Beinhaus des ostdeutschen
Parteikommunismus Elogen auf Väterchen Stalin
und den verflossenen Sozialismus singt, war
mehr als charming, nämlich politisch
zweckdienlich für zwei Seiten: die
stalinistische Apologetik und die Gleichsetzung
von Stalinismus und Marxismus. Die
Kommunistische Plattform (KPF) wurde als linke
Opposition in der PDS gehandelt, ohne dass
jemals klar geworden ist, was an ihr links
gewesen oder immer noch sein soll. Sie
fungierte als Flügelstabilisator und band die
spätstalinistische „Auferstehungsbewegung“ und
ihre Speerspitze, die Ziegenhalsfahrer, ein.
Wagenknecht wurde ihre Ikone. Damit begann ihre
mediale Karriere. Die erste Phase ihres
politischen Aufstieges krönte sie mit dem Buch
„Antisozialistische Strategien im Zeitalter der
Systemauseinandersetzung.
Eines ihrer
letzten Bücher trägt den vielversprechenden
Titel „Couragiert gegen den Strom“. Eine
Heldengeschichte in eigener Sache. Zugleich
eine Selbstkanonisierung unter Verzicht des
Advocatus Diaboli und höchster Bevorzugung
eines gedungenen Advocatus Dei. Wann
Wagenknecht jemals tatsächlich gegen den Strom
geschwommen oder gerudert ist, ist an keiner
Stelle präzisiert. Die Ziegenhalsfahrerei war
nicht gefährlicher als ein gewöhnlicher
Friedhofsbesuch. Ihre Auftritte als
Luxemburg-Verschnitt eher grotesk als riskant.
„Antisozialistische Strategien wurde in Ungarn
gedruckt und vom deutschen Zoll unter dem
Verdacht der Staatsgefährdung an der Grenze
beschlagnahmt. Was zunächst von sogenannter
linker Seite als heldenmütiges Wagnis gepriesen
wurde, erwies sich als lächerliches Spektakel,
wurde dieses Werk doch nur wenige Tage später
wieder freigegeben. Es war nicht
staatsgefährdend – absolut nicht. Gemessen
daran, dass sich Wagenknecht zu dieser Zeit
noch als Marxistin bewundern ließ, ist es ein
Sammelsurium unhaltbarer Behauptungen fernab
marxistischer Analyse. Für Wagenknecht aber
zahlte sich der Coup aus: Das Buch wurde quasi
über Nacht bekannt. Nach dieser staatlichen
Verkaufshilfe wurde es freigegeben. Von
couragiertem Handeln gegen den Strom keine
Spur.
Nachdem
Wagenknecht die stalinistische Ebene als nicht
mehr brauchbar hinter sich gelassen hatte,
begab sie sich auf die
sozialdemokratisch-reformistische, gegen die
sie zuvor gewettert hatte, wo sie den Platz
des abgewirtschafteten Gysis übernahm. War sie
zuvor also noch überzeugte Stalinistin, war sie
jetzt überzeugte Sozialdemokratin. Dies
allerdings zu einer Zeit, in der der
Sozialdemokratismus bereits eine historische
Leiche war und die SPD ihrem Ende
entgegendämmerte. Ihre Politik bestand im
Wesentlichen darin, diesen Leichnam immer
wieder aufzuwärmen und neu zu schminken. Mehr
hat sie nicht geleistet und mehr konnte sie auf
dieser Grundlage objektiv auch nicht leisten.
Die Bundestagswahl 2017 hat nicht nur den
Untergang der SPD beschleunigt, sie hat auch
das Ende der Linkspartei als Abklatsch der SPD
eingeläutet. Wagenknecht sah das kommen,
vertraute sie doch dem „Freitag“ nach dem
Desaster der Linkspartei im Osten an, „dass
linke Parteien keine Mehrheiten mehr bekämen“.
Danach folgte „Aufstehen“.
Wagenknechts
gesamte Politik lässt sich am besten vom Ende
her betrachten, besser: von ihrem Ergebnis aus.
Keine einzige Reform wurde durchgebracht, keine
Konterreform aufgehalten. Ihre pseudolinke
Politik ist auf ganzer Linie gescheitert.
„Aufstehen“ ist die Bankrotterklärung. Ihr
gläubiges linkes Publikum sollte das endlich
begreifen!
Mellenthin hat
den Finger in eine schon lange schwärende Wunde
gelegt. Sein Ton ist nicht aus der Zeit
gefallen. Deswegen nicht, weil sie noch nicht
geschlossen ist. Wie ist es denn zu verstehen,
will oder wollte Wagenknecht die zur AfD
übergelaufenen Wähler und Wählerinnen
zurückholen? Doch nicht etwa mit dem, wovor sie
weggelaufen sind. Ihr Vorhaben impliziert
Kompromisse, die für eine linke oder selbst
pseudolinke Partei nicht tragbar sind. Ihr
Vorhaben ist so absurd wie ihr Hauptwerk
„Reichtum ohne Gier“, ein durch und durch so
unsinniges wie reaktionäres Machwerk. Der von
ihr als Ausweg aus der anhaltenden Systemkrise
favorisierte Rückmarsch in Erhards Zeiten lässt
sich nicht anders charakterisieren.
Gellermann macht
die „junge Welt“ mit unbelegten Behauptungen
schlecht. Vor allem fehlt der Nachweis, dass
die „unsägliche Querfront-Debatte“ von ihr
ausgelöst worden sei. Wer genau dieses
idiotische Gefasel ausgelöst hat, bewegt sich
immer noch im Halbdunkel. Bekannt wurde
allerdings, dass die Kipping-Fraktion damit
operierte. Gellermann verliert sich weitgehend
in überfrachteter Polemik, die keinerlei
Sachaufklärung bietet. Zugleich ist sie aber
auch zu akrobatisch, um noch witzig zu sein.
Na denn, liebe
Rationalgaleristen, üben wir alle
Selbstkritik. Und wenn ihr meint, die „junge
welt“ verweigere sich der Diskussion, seid ihr
gerufen, sie zu eröffnen. Also Thesen und
Themen auf den Tisch!
Quelle:
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