„Entwicklungsländer sind ein 12 Billionen Dollar Markt“

Von Nico Beckert

5-6/2019

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Die Weltbank will mehr private Investitionen in der Entwicklungshilfe. Doch es drohen nicht die Armen dieser Welt zu profitieren. Stattdessen wird der Weg für die Öffnung der Finanzmärkte der Entwicklungs- und Schwellenländer bereitet.

Anfang 2016 hat sich die Staatengemeinschaft 17 umfassende Entwicklungsziele gegeben. Sie will Armut reduzieren, Bildungs- und Gesundheitssysteme verbessern und den Klimawandel stoppen. Auch die Weltbank hat sich als größte Entwicklungsbank diesen Zielen verpflichtet.

Drei Jahre später, Anfang 2019 ist ihr Präsident überraschend zurückgetreten. Der US-Amerikaner Jim Yong Kim wechselt drei Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit zum Investmentfonds Global Infrastructure Partners (GIP). GIP investiert sowohl Eigen- als auch Fremdkapital in die Infrastruktur von Industrie- und Entwicklungsländern.

Kims Wechsel hat ein Geschmäckle. Während seiner Präsidentschaft trieb die Weltbank Pläne voran, private Investoren in die Finanzierung der 17 Entwicklungsziele einzubeziehen. Laut Weltbank reichen weder die Staatsbudgets noch traditionelle Entwicklungshilfegelder zur Erreichung der Ziele aus. Durch die Einbeziehung von Pensionsfonds, Staatsfonds und Versicherungsgesellschaften sollen die staatlichen Gelder „von Milliarden in Billionen“ „gehebelt“ werden. Kims neuer Arbeitgeber wird davon profitieren. Neue Märkte winken.

In einem Werbevideo zu diesem Ansatz erklärt die Weltbank: „Entwicklungsländer sind eine 12 Billionen Dollar Marktchance. Es gibt Chancen in den Bereichen Transport, Infrastruktur, Gesundheit, Landwirtschaft“. Die Sprecherin fragt: „Neben den Investoren, wem würde unser Ansatz helfen?“ und gibt sofort die Antwort: „den Armen, die ein gesundes Leben wollen, einen Job oder gute Bildungschancen suchen. Alle würden eine Welt voller Möglichkeiten erlangen.“

Die Weltbank verfolgt zwei Ansätze zur Mobilisierung dieser 12 Billionen US-Dollar an privatem Kapital: Die Minderung des Risikos von Investoren und die Verbriefung von Krediten. Kritiker werfen der Bank vor, sie erhöhe dadurch das Risiko für Finanzkrisen. Es wird von einer Rettung des Finanzsektors durch die Entwicklungs- und Schwellenländer gesprochen.

Die Privatisierung öffentlicher Güter

Die Weltbank will in Zukunft immer überprüfen, ob private Investoren ein Entwicklungsprojekt finanzieren können. Anfangs beschränkt sich dieser Ansatz auf Infrastrukturprojekte. Zukünftig soll er auf die Bereiche Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft und Finanzen ausgeweitet werden. Besteht keine direkte Möglichkeit eines privaten Engagements, will die Weltbank den jeweiligen Staat unterstützen, das Investitionsklima des Landes zu verbessern oder den privaten Investoren und Akteuren direkt Risiken abnehmen. Denn laut Weltbank bestehen in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern derzeit noch zu hohe Investitionsrisiken. Die Weltbank nennt beispielsweise „mangelnde Planungssicherheit durch Politikwechsel (policy change)“, „zivile Unruhen“, Enteignungen oder Klimarisiken.

Zur Reduktion von Investitionsrisiken legt die Weltbank Entwicklungs- und Schwellenländern nahe, ein „klares und berechenbares Steuersystem, eine offene Handelspolitik, einen funktionierenden Wettbewerb zwischen den Marktakteuren, gut funktionierende Arbeitsmärkte“ und Infrastruktur aufzubauen.

Schon heute bietet die Weltbank Investoren Garantien und Risikoversicherungen an, mit denen sie ihr Investitionsrisiko verringern können. Erfüllt eine Regierung nicht die in einem Investitionsvertrag festgelegten Verpflichtungen, springt die Weltbank ein und entschädigt quasi den Investor. So soll das Misstrauen von Investoren gegenüber den Regierungen von Entwicklungs- und Schwellenländern abgebaut werden.

Des Weiteren bietet die Weltbank Finanzinstrumente an, mit denen Investoren den Entwicklungs- und Schwellenländern Risiken abnehmen können. Letztere können sich also an den Finanzmärkten für Katastrophenfälle oder ein langsameres Wachstum absichern. Tritt eine Naturkatastrophe ein oder steigt das BIP langsamer als erwartet, muss das Entwicklungs- oder Schwellenland weniger Zinsen zahlen oder wird gar von der Rückzahlung eines Kredits komplett befreit. Der Vorteil für Investoren laut Weltbank: Sie können ihre Rendite erhöhen und in neue Märkte vorstoßen.

Diese Maßnahmen könnten dazu führen, dass private Investoren, die Risiken absichern, durch einseitige Vertragsgestaltungen bevorteilt werden und über Jahrzehnte öffentliche Mittel aus den Budgets von Entwicklungsbanken oder den Entwicklungs- und Schwellenländern erhalten. Knud Vöcking, Weltbank-Experte der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald, sagt: „Die Kosten der Minderung von Investitionsrisiken übernimmt die Weltbank. Am Ende werden die Kosten jedoch an die Entwicklungs- und Schwellenländer weitergereicht und sind in ihrer Auslandsverschuldung zu finden.“

Zum stärkeren Engagement des Privatsektors fördert die Weltbank auch Öffentlich-Private-Partnerschaften. Zivilgesellschaftliche Akteure kritisieren, es gäbe keine Beweise dafür, dass Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) Armut reduzierten und kosteneffizienter seien als rein öffentlich finanzierte Entwicklungsprojekte. Das von der Weltbank vorangetriebene ÖPP-Modell verteile die Risiken zwischen privatem Investor und Staat ungleich. ÖPP gingen sowohl im Globalen Norden als auch in den Ländern des Globalen Südens häufig mit hohen Kosten für öffentliche Kassen einher, da die Staaten von ihren privaten Partnern in Haftung genommen werden können.

Aber auch die Finanz- und Kapitalmärkte der Entwicklungs- und Schwellenländer sollen reformiert werden. Die Weltbank will Investoren anlocken, die Kredite in Lokalwährung an den Privatsektor in Entwicklungs- und Schwellenländern vergeben. Experten warnen jedoch, die Anpassung der Finanzmärkte der Entwicklungs- und Schwellenländer an westliche Standards erhöhe globale Ansteckungsgefahren. Es drohen fragile Finanzstrukturen, die starke Marktschwankungen befördern. Krisen in anderen Märkten würden sich auf die Finanzmärkte der Entwicklungs- und Schwellenländer übertragen (hier).

Verbriefungen durch Entwicklungsbanken und ihre Gefahren

120 Finanzexperten um die Ökonomieprofessorin Daniela Gabor kritisieren den Plan der Weltbank und der G20, zukünftig auf die Verbriefung von Krediten zu setzen. Mit diesen Verbriefungen sollen an Entwicklungs- und Schwellenländer vergebene Kredite gebündelt und dann komplett oder teilweise in Form des Kreditrisikos an private Investoren verkauft werden. Solche Verbriefungen würden laut Weltbank neue Anlageklassen schaffen und Privatinvestoren anlocken. Die Übernahme des Kreditrisikos lassen sich die Investoren durch Gebühren und die Zinszahlungen der Staaten bezahlen. Durch Verbriefungen würde Kapital von Entwicklungsbanken frei und kann erneut verliehen werden.

Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) hat Ende 2018 erste Kredite verbrieft. Damit hat die Bank das Ausfallrisiko für ein Kreditbündel in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar für eine Zinsgebühr von 10 Prozent an einen US-Hedgefonds verkauft. Durch diese „Kreditversicherung“ kann die AfDB 650 Millionen US-Dollar erneut verleihen, ohne vorher neues Kapital von ihren Teilhabern zu erhalten. Indem die AfDB neue Kredite vergibt, die wiederum mit einem Ausfallrisiko behaftet sind, steigt das Ausfallrisiko insgesamt.

Laut der Ökonomie-Professorin Daniela Gabor wird durch solche Geschäfte mit Hedgefonds das System der Schattenbanken gestärkt. Das führe zu mehr „systemischen Verpflechtungen, Liquiditätsrisiken und prozyklischem Verhalten“. Wenn es zum Absturz eines regionalen Marktes kommt, ziehen die Investoren hinter den Schattenbanken ihr Kapital ab und die Schattenbanken wiederum müssten ihrerseits Wertpapiere verkaufen. Durch das Geschäft mit Schattenbanken erhöhen die Entwicklungsbanken deren Bedeutung und die Gefahren, die von ihnen ausgehen.

Gabor glaubt, die Verbriefungen könnten auch dazu führen, dass Entwicklungsbanken weniger Kredite vergeben, die sich nicht verbriefen lassen. Entwicklungsprojekte und Länder, die keine dauerhaften Zahlungen an Investoren generieren können, wären vom Zugang zu Weltbankkrediten abgeschnitten.

Vöcking sagt: „Die Weltbank und andere Organisationen wie die G20 und die OECD treiben die Verbriefung von Krediten stark voran. Nach dem Siegeszug des Finanzkapitalismus im globalen Norden, wird Investoren jetzt auch der Boden in Entwicklungs- und Schwellenländern bereitet.“

Deutschland trägt Ansatz mit

Der während Kims Amtszeit vorangetriebene Ansatz zur stärkeren Einbeziehung des Privatsektors droht an den Bedürfnissen der Zielgruppe der Weltbank – der Armen dieser Welt – vorbeizugehen. Stattdessen wird der Weg für private Investitionen und die Öffnung der Finanzmärkte der Entwicklungs- und Schwellenländer bereitet. Durch die Verbriefung von Krediten drohen sich die Mechanismen der Finanzkrise von 2008 zu wiederholen. Deutschland ist viertgrößter Kapitalgeber der Weltbank. Die Bundesrepublik hat diesen Ansatz während ihrer G20-Präsidentschaft 2017 mit dem Compact with Africa aktiv vorangetrieben.

Quelle: Erstveröffentlicht bei Zebralogs - Read between the lines am 23.5.2019

Herzlich Willkommen auf meinem Blog! Mein Name ist Nico, ich bin freier Journalist und schreibe regelmäßig für Heiner Flassbecks Makroskop.eu, die E+Z sowie andere Publikationen. Seit über 10 Jahren beschäftige ich mich mit entwicklungspolitischen Themen. Ich verfüge über Auslandserfahrung in Namibia und Botswana und habe folgende Evaluation über ein Naturschutzprogramm in Namibia geschrieben: Nachhaltiger Tourismus in Subsahara-Afrika: Anspruch und Wirklichkeit eines neuen Konzepts zur Armutsminderung. Das Beispiel Namibia. Bei Fragen oder Anregungen könnt ihr mich unter zebralogs[at]gmx.de erreichen. Auf Twitter bin ich hier zu finden.

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