16.05.19
Am Ende war es ihr doch
unangenehm, zumindest empfand Marine Le Pen es
als taktisch ungeschickt. Nachdem
herausgekommen war, dass der Herr, mit dem sie
das Selfie aufgenommen hatte, darauf einen –
als solchen identifizierbaren - rassistischen
Gruß entrichtet, forderte die Chefin des
französischen Rassemblement National (RN,
„Nationale Sammlung“, früher Front National)
ihn dazu auf, das Foto aus Facebook zu
entfernen. Bis dahin sei sie davon ausgegangen,
es handele sich um ein OK-Zeichen, erklärte die
rechtsextreme Politikerin.
Der Mann, mit dem Marine Le
Pen auf der Abbildung zu sehen ist, heißt
Ruuben Kaalep und seine Partei heißt EKRE. Ihr
Name bedeutet so viel wie „Konservative
Volkspartei“, doch bei der im März 2012 durch
ihren aktuellen Vorsitzenden Mart Helme
gegründeten estnischen Formation handelt es
sich eindeutig um eine Partei der extremen
Rechten. Ein Teil der offiziell, zu Anfang
dieses Jahres, 8.793 Mitglieder weisen offene
Neonazisympathien auf. Doch bei der
Parlamentswahl am 03. März 2019 in Estland
erhielt die unter anderem gegen die
russischsprachige Minderheit des Landes
agitierende Partei 17,8 Prozent der Stimmen und
wurde dadurch drittstärkste politische Kraft.
In der am 29. April neu eingesetzten
Koalitionsregierung stellt sie mehrere Minister
und besetzt unter anderem das Innenministerium.
Bei dem Grußzeichen, das
Marine Le Pen in kurzzeitige Erklärungsnöte
brachte, handelt es sich unter Tauchern
tatsächlich um ein Symbol, das dort so viel wie
„OK“ bedeutet. Es wird durch einen aus Daumen
und Zeigefinger gebildeten Kreis dargestellt.
Längst jedoch ist bekannt, dass dieses Symbol
im Milieu der white supremacists
oder „Anhänger der weißen Überlegenheit“ in
Nordamerika seit Jahren zum Erkennungsmerkmal
geworden ist. Auch der Massenmörder von
Christchurch in Neuseeland, der dort am 15.
März dieses Jahres fünfzig Menschen in zwei
Moscheen tötete, machte dieses Zeichen bei
seiner ersten gerichtlichen Vernehmung nach der
Festnahme.
Marine Le Pen hielt sich am
Dienstag, den 14. Mai 19 in der Republik im
Baltikum auf, um dort im Rahmen einer
Europatournee – welche sie bereits im Oktober
vergangenen Jahres nach Italien zu Matteo
Salvini von der Lega-Partei, und später nach
Bulgarien sowie Ende April d.J. in die
Tschechische Republik führte – um zusätzliche
Abgeordnete für ihre geplante Fraktion im
nächsten Europäischen Parlament zu werben.
Dieses wird zwischen dem 23. und dem 26. Mai
dieses Jahres, je nach Land, gewählt. Die
EKRE-Partei dürfte dort voraussichtlich einen
Sitz einnehmen. Um eine Fraktion zu bilden,
sind Abgeordnete aus mindestens einem Viertel
der Mitgliedsstaaten, also derzeit aus sieben
EU-Ländern erforderlich. Im derzeitigen
Europäischen Parlament stellt der französische
RN die stärkste Delegation innerhalb der
Fraktion „Europa der Nationen und der
Freiheiten“, französischen ENL oder englisch
ENF abgekürzt.
An dem Treffen in
Estland zwischen Marine Le Pen und der
dortigen, frischgebackenen rechtsextremen
Regierungspartei nahmen auch Vertreter der
Partei der „Wahren Finnen“ (abgekürzt PS) aus
Finnland sowie der „Dänischen Volkspartei“ DFP
teil.
Am Vortag – Montag, den 13.
Mai d.J. – statte Marine Le Pen der Slowakei
einen Besuch ab und unterhielt sich dort mit
Vertretern der Partei Sme Rodina („Wir sind
eine Familie“) unter Boris Kollar. Diese
erhielt bei den slowakischen Parlamentswahlen
vor drei Jahren 6,6 % der Stimmen und könnte
ebenfalls einen Sitz im künftigen
Europaparlament einnehmen. Zuvor hatte an einer
gemeinsamen Pressekonferenz der französischen
RN-Chefin am 26. April in Prag mit der
tschechischen Partei „Freiheit und direkte
Demokratie“ (abgekürzt SPD) von Tomio Okamura
auch der Anführer der niederländischen
„Freiheitspartei“ PVV, Geert Wilders,
teilgenommen.
Inhaltlich fordert der
französische RN in diesem Jahr nicht länger,
wie der FN in früheren Jahren, einen Austritt
aus der Europäischen Union und/oder dem Euro.
Stattdessen soll die EU jedoch
„entföderalisiert“ und zu einem mehr oder
minder lockeren Verbund von Nationalstaaten
umgewandelt werden: Europäische „Kooperationen“
zwischen Einzelstaaten sollen an der
EU-Kommission vorbei vereinbart werden. Eine
durch andere Parteien in unterschiedlichen
Formen geforderte Angleichung etwa der
Mindestlöhne in Europa lehnt die Partei in
ihrem Wahlprogramm scharf ab. Und natürlich
hetzt er gegen Einwanderung & Asylrecht, doch
was wäre in dem Punkt Anderes zu erwarten
gewesen..?
Innerhalb Frankreichs
wetteifern derzeit die wirtschaftsliberale
Regierungspartei La République en marche
(LREM) von Emmanuel Macron und der RN um den
ersten Platz, beide werden jeweils um die 22
Prozent der Stimmen gehandelt. Präsident Macron
dramatisierte den Wettlauf mit dem RN
dergestalt, dass er es als oberstes Wahlziel
seiner Anhänger ausgab, einen ersten Platz für
die Partei Marine Le Pens zu verhindern, wie er
vom EU-Gipfel in Rumänien am 09. Mai aus
erklärte. Andere politische Kräfte bezeichnen
dies als gefährlich, da es den RN in einer Pose
als vorgebliche „erste Oppositionskraft gegen
Macron und seine Reformen“ bestärke.
Unterdessen lief ein, bereits bisher eher
nationalistisch argumentierender sowie als
Putin-Verehrer auftretender und innerhalb
seiner Partei randständig gewordener,
Regionalparlamentarier der Linkspartei „Das
unbeugsame Frankreich“ (LFI) Jean-Luc
Mélenchons zum RN über. Die Begründung des
Betreffenden, Andrea Kotarac, lautete, es gelte
in erster Linie einen ersten Platz für Emmanuel
Macrons Partei zu verhindern, um Reformen mit
sozialen Verschlechterungen Steine in den Weg
zu legen.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten
den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.
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