Algerien
Verhaftung des Bruders des Ex-Präsidenten

von Bernard Schmid

5-6/2019

trend
onlinezeitung

 07.05.19

Brot und Spiele kannten die alten Römer, wobei die Spiele mitunter bedeuteten, dass das Publikum sich darüber amüsierte, wie Gladiatoren den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden. In späteren Zeiten spielte der moderne Schauprozess eine ähnliche Rolle, mitunter musste auch die öffentliche Ankündigung eines Prozesses genügen.

Ähnliches scheint nun in Algerien – das Land war übrigens dereinst die Kornkammer des Römisches Reiches, heute ist es aufgrund von Misswirtschaft zum Teil auf Nahrungsmittelimporte angewiesen – einigen Mitgliedern der bisherige Herrschaftsclique zuAlgerien drohen. Der bekannteste unter ihnen ist der am Neujahrstag 1958 geborene Bruder des vormaligen Präsidenten ‘Abdel‘aziz Bouteflika (korrekt aus dem Arabischen transkribiert: Boutfliqa), also Saïd Bouteflika.

Absolvent einer Pariser Universität in Informatik, die er 1983 zu Ende studierte, wurde er 1999 – im Jahr der Wahl seines 19 Jahre älteren Bruders – in den Präsidentenpalast geholt. Offiziell als Leiter der Informatikabteilung. In den folgenden Jahren jedoch spielte er noch andere Rollen als „Sonderberater“. Er leitete die Wahlkampfstäbe für die Wiederwahl Abdelaziz Bouteflikas 2004 und 2008. Damals, so lautete ein offenes Geheimnis, erpresste er viele Geschäftsleute und Unternehmen: Diese müssten die Wahlkampagne finanzieren, wollten sie künftig noch eine Chance haben, öffentliche Aufträge einzuheimsen. Solche Mechanismen setzte er später zunehmend auch zu seinem persönlichen Profit und dem seiner Umgebung ein, wie ihm heute vorgeworfen wird. Zusammen mit ihm wurden am vorigen Samstag die beiden Generäle Mohamed Mediène alias „Toufik“, der 2015 geschasste, einstmals mächtige Geheimdienstchef, und Athmane Tartag alias „Baschir“ festgenommen.

Nicht, dass man unbedingt Mitleid mit ihnen haben müsste. Doch wenn nun solche Prominenten in Haft wandern, um auf ein Verfahren vor einem Militärgericht - in diesem Falle dem der Atlasstadt Blida - wegen „Angriffs auf die Autorität der Armee“ und „Verschwörung gegen die Staatsautorität“ zu warten, kündigt dies dennoch nichts Gutes an. Zumal, wenn der amtierende oberste Armeechef den Ausschlag für ihre Verhaftung gegeben hat, und nicht etwa eine unabhängige Justiz.

In der Nacht vom Freitag auf Samstag vergangener Woche – vom 03. auf den 04. Mai 19 - fanden intensive Verhandlungsrunden innerhalb der Armeeführung statt. Ihr Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, der aktuell maßgeblich den Kurs in der seit dem Präsidentenrücktritt vom 1. April d.J. eingeleiteten Übergangsphase, konnte sich dabei gegen einige Chefs von Armeeregionen und Waffengattungen durchsetzen. Letztere wollten keinen öffentlichen Prozess, um nicht Gefahr zu laufen, dass schmutzige Wäsche unter aller Augen gewaschen wird. Doch Gaïd Salah wollte seinen PR-Effekt für die Öffentlichkeit, der die in Ungnade gefallenen Gladiatoren präsentiert werden. Ferner kann er es den dreien nicht verzeihen, an Übergangsszenarios nach dem 1. April 19 gebastelt zu haben, in denen nicht er die Hauptrolle spielten sollte, sondern der General und Ex-Präsident Liamine Zéroual.

Siehe dazu auch: Berichte: Algerien im April 2019 in dieser Ausgabe.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.