10 Thesen über   
Lean-Production (LP)  


von Karl Müller
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Die Spezial-Redaktion hatte in Vorbereitung des Seminars "Projekt Kommunismus: Befreiung der Arbeit oder Befreiung von der Arbeit?", welches im Juni 1993 stattfand, einen Reader herausgegeben, worin sie aktuelle Veränderungen der Betriebsorganisation der modernen kapitalistischen Fabrik thematisierte. Ihre Einschätzungen stützten sich vor allem auf die Annahme, daß die "toyotistische Lean-Production" wesentliche Veränderungen in der Klassenstruktur der kapitalistischen Metropolen hervorruft. In diesem Zusammenhang verwies sie ausdrücklich auf die Spezial 84, in der eine "ausführliche Beschreibung" der Lean-Production vorliegen soll. Meiner Ansicht nach verfügt die Spezial-Redaktion über keinen hinreichenden Begriff dessen, was die ökonomische Qualität der Lean-Production ausmacht, so daß notwendigerweise ihre politisch-strategischen Schlußfolgerungen ("politisches Proletariat") völlig spekulativ und damit falsch sind. Sie subsumiert unter dem Begriff LP nur das, was auch bürgerliche Betriebswirtschaft seit Anfang der 90er Jahre dazu rein deskriptiv (medial) vermittelt hat und was sich auch in Begriffe kleiden läßt wie z. B.: "Just-in-time-Produktion", "fraktale Fabrik" , "ganzheitliche Produktion", "downsizing" usw. usf. 

Da ich hoffe, mit der Spezial-Redaktion insoweit übereinzustimmen, daß die Ausarbeitung einer politischen Strategie, die an der Zielvorstellung Kommunismus festhält, ihren Ausgangspunkt in der Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft hat, werde ich versuchen, die Qualität der LP auf der Grundlage der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu bestimmen, um an anderer Stelle mit ihnen über ihre (notwendig falschen) Schlußfolgerungen streiten zu können; denn ich werde meinerseits auch politisch-strategische Konsequenzen zur Diskussion stellen, die ich einfach neben denen der Spezial-Redaktion stehenlasse, weil sie auf einer anderen Ableitungsebene angesiedelt sind und sich im vorliegenden Kontext nur schwer mit denen der Redaktion vermitteln lassen. Ich verzichte im Rahmen dieser Thesen ausdrücklich auf Darstellung des empirischen Belegmaterials sowie der Quellen für die begrifflichen Ableitungen in einem Fußnotenapparat, um den diskursiven Charakter der Thesen (auch formal) zu unterstreichen.

Meine Thesen sind von der Absicht getragen; für die strategische Vorstellung "Aufhebung der Arbeit" Tendenzen aufzuspüren, die darin wurzeln, daß die Summe der kapitalistischen Rationalisierungen eine umfassendere Aneignung der "allgemeinen Produktivkraft" durch die Produzentenindividuen hervorbringt, aus welcher die objektiven und subjektiven Voraussetzungen erwachsen, den Arbeitsprozeß aus dem Kommando des Kapitals herauszubrechen (siehe dazu Grundrisse S. 587). Insofern sehe ich in meinen Thesen auch Anknüpfungspunkte zu den im Reader von Schlosser (Gedanken über die Unmöglichkeit eines möglichen Kommunismus), Dahlmann (Identität und Identifikation) und Baumgart (Kommunismus statt Arbeit) vorgetragenen Positionen. Mit Schlosser stimme ich darin überein, daß der Kommunismus nur Realität werden kann, wenn die "Subjekte" in "sozialer und ökologischer Verantwortung" handeln. In meinen Thesen gehe ich davon aus, daß der Wertvergesellschaftungsprozeß als "blinder" Prozeß dieses Verantwortungsbewußtsein immanent hervortreiben muß. Ebenso wie Dahlmann suche ich in meinen Betrachtungen den Bezugspunkt in der "individuellen Ich-Identität der empirischen Subjekte". Während Dahlmann sich jedoch die Totalität der Verhältnisse - einschließlich der Natur - nur als im Denken der Subjekte Vorgestelltes denken kann und damit seine radikale Gesellschaftskritik im Sosein des Leidens der Subjekte existenzialistisch verschwindet, orientiert sich meine Vorstellung von der "Normativität einer besseren Gesellschaft" an einem materialistisch-dialektisch begründeten Menschenbild, dem ein ontologischer Arbeitsbegriff zugrundeliegt. So lobenswert Baumgarts Versuch ist, den Arbeitsbegriff mit Bezugnahme auf Marx nicht ontologisch zu erfassen, so unzulänglich bleibt er. Einerseits wird das Verhältnis von Logischem und Historischem falsch bestimmt, andererseits bleibt die Dialektik des Doppelcharakters der Ware Arbeitskraft unbegriffen. Konsequenterweise muß der Kommunismus als widerspruchsfreie, harmonische Gesellungsform gedacht werden, in der die sinnliche Außenwelt im Zwischenmenschlichen aufgehoben erscheint, wodurch er sich - nur um 180 Grad gewendet - auf dem selben ideologischen Terrain befindet wie Dahlmann. "Aufhebung der Arbeit" bedeutet daher für mich (in Abgrenzung zu Baumgart) nicht ihr Ende und das Ende der Widersprüche, sondern Arbeit erhält im Kommunismus eine andere Vergesellschaftungsform. Indem der Mensch im Sinne des Marxschen Gattungsbegriffs zu sich selbst - in sein gesellschaftliches Dasein - zurückkehrt, verschwinden allerdings nicht die Widersprüche, die ihre Ursache darin haben, daß der Mensch grundsätzlich gezwungen ist, sich durch Naturaneignung und -umwandlung zu reproduzieren. 

1)

In der 1990 von Womack, Jones und Ross veröffentlichten Studie über die "zweite Revolution in der Automobilindustrie" (dt. Titel der MIT-Studie) wurde der Begriff "lean-production" in Anlehnung an das toyotistische Produktionskonzept in die kapitalistische Rationalisierungsdebatte eingebracht. Durch Enthierarchisierung und Teamarbeit sollten alle Betriebsaufwendungen bei gleichbleibendem Produktionsergebnis halbierbar sein. Was macht aber die ökonomische Qualität dieses Konzepts aus, welches mittlerweile in den Rang einer "postfordistischen Produktionsweise" (DBG-Jargon) erhoben wurde? Welches sind die spezifischen Merkmale von LP?

Seit Mitte der 70er Jahre gibt es Veränderungen in der kapitalistischen Produktionsweise, die einen neuen/anderen Akkumulationstypus hervorzubringen scheinen. Im gängigen (deskriptiven) Begriff von Lean-Production sind vor allem diese in angriffgenommenen Veränderungen enthalten: Just-in-Time-Produktion, Gruppen-/Teamarbeit, flache Hierarchien, integrierte Produktion verstanden als simultane Produkt- und Prozeßentwicklung, Null-Fehler-Organisation, Null-Puffer-Organisation, Arbeitsprozeß als ein kontinuierlich zu verbessernder, Aufgabenintegration, Kundenorientierung (siehe dazu z.B.: Lang und Ohl, Lean production, Köln 1993).

Mit diesen Elementen als einzelne oder kombiniert eingesetzt zielt man auf die (aus betriebwirtschaftlich-kapitalistischer Sicht) günstigere Gestaltung des Kostpreises bzw. Produktionspreises (Kostpreis plus Profit), wobei es für den einzelnen Kapitalisten eben egal ist, ob sich die organische Zusammensetzung des Kapitals über die Veränderung des Anteils des variablen Kapitals, des in der Zirkulation verharrenden konstanten Kapitals (Lager, Kredit) oder über die Minderung des fixen konstanten Kapitals (vornehmlich unproduktiv notwendiges Kapital) vollzieht. Auch kann der Rationalisierungsschritt auf die Verkürzung der Umschlagzeit des Kapitals zielen. Wo die Rationalisierung ansetzt, ergibt sich auch aus vorgefundenen gesamtgesellschaftlichen "Sachzwängen". Als Illustration hierfür sei die Verrechtlichung des Arbeitskraftverkaufes (Tarifrecht etc.) genannt, woraus sich ergibt, daß solche Innovationen z.B. auf die Steigerung des relativen Mehrwerts ausgerichtet sein müssen. So gesehen sind diese Ziele keine neuen, sondern alltägliche Erscheinungen in der kapitalistischen Produktionsweise und entspringen der Konkurrenz. 

Das SPEZIFISCHE an LP ergibt sich, wenn diese Ziele durch die Veränderung der gesamten Betriebsstruktur erreicht werden sollen. Dazu ist es notwendig, die elektronische Datenverarbeitung im Sinne eines allumfassenden Steuerungsinstruments einzusetzen. Unter dieser Voraussetzung ist LP insofern von neuer Qualität, als dieses Konzept - gestützt auf und gesteuert durch die EDV - die Synchronisierung von Informationsdatenfluß, Arbeitsabläufen, Waren-/Produktbewegungen und innerbetrieblichen Geldbewegungen zur Voraussetzung und zum Gegenstand hat. Die technologisch-wissenschaftliche Qualität der zum Einsatz kommenden Produktivkräfte (simultane Abbildung und segmentierbare Bereitstellung aller Betriebsdaten auf allen Ebenen der Rechnerarchitektur) erzwingt eine andere (nichtfordistische) Betriebsorganisation ("autonome" Gruppen, "flache" Hierarchien, "gläserne" Betriebsstrukturen) und umgekehrt (!!!), d.h. soll der Betrieb ganzheitlich neu strukturiert werden und entsprechend funktionieren, geht dies nur mithilfe einer adäquaten EDV. 

2)

In einem nach LP-Kriterien organisierten Betrieb erhöht sich das erreichte Niveau des Rückgangs der Arbeit in unmittelbarer Form. Zwischen Produzent und Produkt tritt nicht nur die Maschine, die er bedient, sondern zwischen Maschine und Produzent tritt die "numerische Datenwand" - der im Rechner bereitgestellte und durch ihn zu bearbeitende digitalisierte Informationsdatenbestand des Arbeits- und Verwertungsprozesses(!!!). Die Arbeit wird "abstrakter", während die personalen Beziehungen sich als Face-to-Face-Beziehungen verdichten müssen, weil LP vor allem darauf abstellt, "außerbetriebliche" Qualifikationen ("soziale Kompetenz") der ProduzentInnen zusätzlich in Kombination zu ihrem spezifisch fachlichen "Know-How" auszubeuten. Die nun nachgefragten menschlichen Eigenschaften, die zuvor auf Pünktlichkeit, Sauberkeit und Fleiß reduziert erschienen, werden ausgeweitet auf Kommunikationsfähigkeit, Konfliktbereitschaft, Innovationsvermögen, Identifikationskraft, Frustrationstoleranz und Entscheidungsfreudigkeit. Von daher kommandiert das Kapital mittels LP noch umfassender die Arbeitskraft, indem es nicht nur "Freiräume" des bisherigen linearen und hierarchischen Arbeitsprozesses beseitigt (Verdichtung von Arbeitszeit), sondern sich auch des Sozialcharakters des Arbeitskraftsverkäufers umfassender bemächtigt (erhöhte Vernutzung des Gebrauchswerts der Ware Arbeitskraft), wobei letzteres nahezu kostenlos durch das Kapital angeeignet wird. 

3)

Das Abstrakterwerden der Arbeit ist nicht zu verwechseln mit der in der Lohnarbeit enthaltenen Seite der abstrakt-wertschaffenden Arbeit, sondern ist eine entwickeltere Form der Gebrauchswertseite, dh. der konkret-nützlichen Arbeit. Insofern aber die Arbeit "abstrakter" wird, treten nun "abstrakte" Kategorien in der Vordergrund ihrer innerbetrieblichen Vermittlung. Indem sich bereits innerbetrieblich die verschiedenen Formen der Arbeit waren/geldförmig zueinander verhalten (sollen), wird Geld als fetischisierte Vermittlungsform in die Produktionsphäre hineingeholt. So sollen z.B. innerbetriebliche Bereiche Aufträge selbständig kalkulieren, darüber in Konkurrenz zueinander treten und gegebenfalls den Auftrag zu ungunsten des unterlegenen innerbetrieblichen Konkurrenten nach draußen vergeben. D.h. die verschiedenen Gruppen vermitteln sich ihren Arbeitszusammenhang also nicht mehr nach gebrauchswertmäßigen Begrifflichkeiten (Teilefertigung, Montage, Endkontrolle) sondern sie sollen es "objektorientiert" tun, wobei unter Objektorientierung an Wertkategorien orientierte Arbeitsabläufe verstanden werden. Bei LP werden die innerbetrieblichen Beziehungen nun wie Tauschwertbeziehungen behandelt, der abstraktere Grad der konkret-nützlichen Seite der Arbeit gerät in einen scheinbar engeren Zusammenhang zur abstrakt-wertschaffenden Seite der Arbeit. Dadurch wird der Widerspruch zwischen diesen beiden Seiten keinesfalls aufgehoben, aber die daraus resultierende "soziale Frage" und ihre Anwort "Aufhebung der Arbeit" müssen  nun in anderen Formen erscheinen. 

4)

LP-Lohnarbeit bliebe für die Produzenten eine reine berufliche und damit besonderte Erfahrung (weil in der bürgerlichen Gesellschaft das wirkliche Leben jenseits der Sphäre des Gelderwerbs verortet ist), wenn nicht die EDV - die zentrale Produktivkraft der LP - bereits in der gesellschaftlichen Erfahrung der Produzenten existieren würde. Denn im Leben jenseits des Erwerbstätigkeit, ist diese Technologie, die mehr als nur eine neue (andere) Technik ist, bereits integraler Bestandteil vieler Tauschbeziehungen in den Metropolen und den damit zusammenhängenden Kommunikationsprozessen. Kommunikation vollzieht sich dort als genormter Datenfluß/tausch in festgelegten Regel- und Steuerungssystemen. Wirklichkeit wird nicht nur technisch reproduzierbar (W. Benjamin), sondern elektronisch vernetzte Systeme schaffen selber Wirklichkeit. Reale und virtuelle Wirklichkeiten haben zueinander eine fließende Grenze. Der Citoyen der kapitalistischen Metropole erlebt, wie im elektronischen Raum des Computers die bisherigen Beschränkungen von Zeit und Raum bei der Face-to-Face-Kommunikation aufgehoben sind. Die Summe dieser Erfahrungen digitalisierter Kommunikation prägen seine soziale Kompetenz und insofern erscheinen solche Qualifikationen in betrieblichen Strukturen nicht mehr borniert gegenüber dem sonstigen Leben. Informationstechnologisches Know-How ist unabhängig von der Einführung der LP in relevanten Bereichen der Gesellschaft bereits im Rang einer durchschnittlich, gesellschaftlich-notwendigen Qualifikation. 

5)

Das LP-Konzept integriert diese gesellschaftlichen Voraussetzungen und formuliert Anspruchsniveaus an den Zustand der Ware Arbeitskraft, deren Erreichung ein Widerspruch zu den Verwertungsinteressen des Einzelkapitals darstellt. Denn die Aneignung von informationstechnologischem Know-How und entsprechenden sozialen Kompetenzen, die kompatibel zum LP-Konzept sind, soll nicht oder nur begrenzt im Rahmen der "betrieblichen Sozialisation" erfolgen, weil das Einzelkapital nicht bereit ist, Qualifikationen zu finanzieren, die unabhängig von Beruf und Branche für den Arbeitskraftanbieter verwendbar sind. Wenn innerbetriebliche Weiterbildung durchgeführt wird, zielt sie zuvorderst unter dem Schlagwort Unternehmens- oder Betriebs"kultur" auf die psychosoziale Ausrichtung der Beschäftigten am Betriebszweck. "Sachlich bleiben, Gefühle direkt ansprechen, fair lenken, Feedback geben und nehmen, mit vier Ohren hören usw. usf." heißen die Lernziele des innerbetrieblichen Psychotrainings. Geht es um informationtechnologisches Know-How, dann verweisen Vertreter des Einzelkapitals darauf, daß der Einzelne diese Fertigkeiten bereits in den Job mitbringen habe oder sich neben dem Job selbständig aneignen müsse. Dies erscheint plausibel, da solche dem Arbeitskraftverkauf vorausgesetzte Qualifikationen der Ware Arbeitskraft vermittelt über die Erfahrung als Marktindiviuum und die schulische Zurichtung als Staatsbürger als vorhanden betrachtet werden. Indem in der entfalteten bürgerlichen Gesellschaft das Individuum mit dem stummen Zwang der Verhältnisse konfrontiert ist, sich geldförmig selber managen zu müssen - sprich die Gebrauchswertseite seiner Ware Arbeitskraft in eigener Regie zu formen (die Formung zu kaufen), rückt der Widerspruch zwischen dem Charakter der Qualifikation als "allgemeiner Produktivkraft" (oder Teil davon) und ihrer individuellen Aneignung ins Zentrum der "soziale Frage". Er wird offensichtlich, wenn bestimmte - aber nicht konstante - Soziallagen dieser Aneignung entgegenstehen. Es tritt in unserer Gesellschaft auch zu Tage, wenn die staatliche Zwangsschule weder die neuen Inhalte noch die diesen Inhalten entsprechenden sozialen Kompetenzen vermittelt bzw. aus innerer Logik nicht vermitteln kann.

Es wird also nicht mehr vornehmlich die unmittelbare Erfahrung im Arbeitskraftverkauf selber sein, woraus die Vorstellung einer "Aufhebung der Arbeit" sich speisen wird, sondern sie wird aus den Erfahrungen in den vorausgesetzten Bedingungen, worin sich die Erwerbsfähigkeit überhaupt ausbildet oder erneuert, erwachsen und vor dort aus als "konkrete Utopie" in die "Werkstatt" zurückkehren.

6)

LP - begriffen als EDV-gestützte Synchronisierung sämtlicher betrieblichen Prozesse - ist gegenwärtig ein in wenigen Betrieben und Branchen der BRD umgesetzte Organisationsform des kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozesses. Eine unlängst veröffentlichte Untersuchung der Bochumer Ruhr-Uni (siehe dazu VDI-Nachrichten vom 10.9.93) über den Stand der LP-Entwicklung in der Maschinenbaubranche der BRD stützte sich auf folgende Bewertungskriterien: Gruppenarbeit, Fertigungstiefe, Produktinnovation und strategische Allianzen - jedoch bezeichnenderweise nicht auf den Einsatz von Informationstechnologie als gesamtbetriebliches Steuerungsinstrument. Nach dieser Untersuchung ist in jedem zweiten Betrieb dieser Branche Gruppenarbeit die vorherrschende Werkstattorganisation. Oder anders: Jeder zweite Betrieb steht an der Schwelle zur LP. Auch in der BRD-Automobilindustrie kann von LP nicht die Rede sein, sondern es laufen wie z.B. bei Opel oder VW innerbetriebliche Schulungsprogramme auf Vorbreitung von LP-förmiger Gruppenarbeit.

Daß LP sich in weiten Teilen noch im Vorstadium seiner Einführung befindet, hat weniger aktuelle krisenbedingte Gründe, wenngleich ein "echter" LP-Arbeitsplatz heute zwischen ca. 100.000 DM (Krauss-Maffei, Kunststofftechnik, Treuchtlingen, Quelle: VDI-Nachrichten v. 3.9.93) und 700.000 DM (Deutzer Industriemotoren GmbH, Quelle: Computerwoche vom 13.8.93)) kosten kann, sondern eher solche Gründe die darin liegen, daß die Abbildung des Informationsdatenflusses an eine Hardware gebunden ist, die softwareseitig enthierarchisierte Informationsarchitekturen unterstützt. Hier ist der Entwicklungsstand nicht sehr weit fortgeschritten. Desweiteren gibt es gegenwärtig weltweit nur eine geringe Zahl von Anbietern entsprechender Hard- und Software, sodaß das Einzelkapital unter solchen Voraussetzungen ungern bereit ist, sich auf lange Sicht von diesen abhängig zu machen. Gerade dann nicht, wenn der Stachel der Konkurrenz in einer bestimmten Branche nicht so sehr sticht, daß LP als notwendige Innovation angesehen werden muß. Hinzu kommen auch Gründe, die in der wissenschaftlichen Beherrschung der Naturprozesse zu suchen sind (z.B. die Nichtumwandelbarkeit bestimmter analoger Signale in digitale wegen noch nicht entwickelter Sensoren). Nicht jede Produktion und jedes Produkt lassen sich daher heute "objektorientiert", LP-mäßig neu-/umorganisieren. 

Ein weiteres Hemmnis für die Einführung von LP in der BRD (in anderen hochindustrialisierten Staaten dürfte es prinzipiell nicht anders aussehen) bildet die nicht ausreichend vorhandene Infrastruktur. Angefangen bei den fehlenden ISDN-Glasfasernetzen als technische Voraussetzung umfassend digitalisierter Kommunikation bis hin zu den kollabierenden Verkehrsnetzen, die rollende Läger als stofflich-logistische Bedingung von Just-in-Time-Produktion als ein Hauptkettenglied der LP immer unrealisierbarer erscheinen lassen. Zu nennen wären ferner historische Besonderheiten, wie etwa in der BRD, wo z.B. das duale Berufsbildungssystem gar nicht auf die für LP notwendige Qualifikationen abgestellt ist. Realiter hat also LP derzeit mehr fiktiven als realen Charakter.

7)

Dennoch: Die Wertungen über Arbeit, die in LP-Konzepten transportiert werden (Autonomie der Gruppe, Entfaltung von Individualität im Arbeitsprozeß, Enthierarchisierung, verstärktes Ineinanderfließen von Hand- und Kopfarbeit, Identifikation mit Produkt und Produktion etc.) und die überwiegend Denkfiguren marktindividueller Erfahrung in sich aufnehmen, müssen daher unter kommunistischen Gesichtspunkten - dh. Arbeit nicht mehr unter dem Kommando von Kapital und seinen Verwertungszwängen, sondern als eine Form vergesellschafteter Individualität in Prozeß der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion - diskutiert werden. Dabei gilt es die rationalen Kerne herauszufinden, die bereits Keime einer nicht mehr der Wertgesetzmäßigkeit folgenden Produktionweise in sich tragen. 

Abstrakte Arbeit als Substanz des Wertes materialisiert sich in der Zirkulation in der Form des Geldes. Mit LP wird beabsichtigt, die Geldform zur direkten Vermittlungsform zwischen den Produzentenindividuen innerhalb der Produktionsphäre zu machen. Diese werden sich dadurch nicht mehr additiv entlang der Gebrauchswertseite des herzustellenden Produktes (der Dienstleistung) kooperierend erleben, sondern sie sollen sich in ihrer Erwerbstätigkeit so aufeinander beziehen, wie sie dies als Marktindividuen - also vor Eintritt in das Lohnarbeitsverhältnis - bereits tun. Wenn auch durch das Geld fetischisiert, so fallen nun Arbeit(serfahrung) und Leben(serfahrung) scheinbar in eins. Der Kapitalismus tendiert also mittels LP dahin, daß das ihm in der Sphäre der Produktion unterworfene Individuum sich als vergesellschaftet begreifen muß. Gegen dieses Ineinanderfallen steht das Kapital mit seiner Kommandogewalt über die Arbeit. Zwar kann der Kollege bei Krauss-Maffei direkt aus der seiner Fertigungsinsel heraus in Absprache mit seiner Gruppe Waren in eigner Regie akquirieren, aber sowohl das Bestellvolumen als auch der Bestellweg sind rechnerseits durch die finanziellen Vorgaben der Geschäftsleitung begrenzt. 

Als autonome vergesellschaftete Individuen können die Menschen nur produzieren, wenn die Vermittlung ihrer Gesellschaftlichkeit direkt und ohne die Dazwischenkunft des Geldes erfolgt. Für das Kommando des Kapitals über die Arbeit bildet das Geld aber die genuine Voraussetzung. Damit treibt das Kapital durch LP den Widerspruch zwischem dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und ihrer privaten Form der Aneignung - ausgedrückt in geldförmigen Beziehungen - auf die Spitze, ein Widerspruch, der eben auf seinen eigenen Grundlagen nicht lösbar ist, dessen Lösung aber im LP-Konzept bereits sinnlich erfahrbar aufscheint. Denn z.B. jener Krauss-Maffei-Kollege, den es ja wirklich gibt, erlebt am Rechner die Metamorphose der herkömmlichen Geldform in eine digitalisierte Form, iconisiert in einer Windows-Benutzeroberfläche erscheinend - einer Vermittlungsform von Wertbeziehungen, die er als Marktindividuum auch kennt, weil er - um im Bild zu bleiben - unter Windows per BTX sein Girokonto von zu Hause aus verwaltet. Indem die herkömmliche Geldform in der virtuellen Rechnerwelt aufgehoben wird, wird der innere Zusammenhang der Geldform zur Realabstraktion Wert in eine andere Form überführt. Durch die digitalisierte Vermittlung des Werts auf der Grundlage einer binären Codierung entsteht die Möglichkeit des Zerbrechens des Geldfetisch, wenn diese digitalisierte Vermittlung von Wertbeziehungen sich gesellschaftlich verallgemeinert. 

8) 

In LP als verallgemeinertem Akkumulationstyp sind mehrere Tendenzen ungleichzeitig enthalten, die das Wert- und Kapitalverhältnis untergraben: Die Tendenz der Zersetzung des Geldfetisch in seiner herkömmlichen Form, der Widerspruch zwischen allumfassender Unterstellung der Ware Arbeitskraft unter den Betriebszweck und dem Konzept der Produzentenautonomie, die Reduzierung von sinnlich-konkreten Erfahrungen zugunsten der Anhäufung von wissenschaftlich-abstrakter Tätigkeit hervortreibend die Gleichgültigkeit gegenüber Produkt und Arbeitsprozeß unter der Bedingung "gläserner Betriebsstrukturen. Diese Tendenzen werden hervorgerufen vom Zweck und Ziel der Veranstaltung: Senkung der "Kapitalintensität" und Steigerung des relativen Mehrwerts. Durch diese Zielvorgaben führt LP immer auch zur Senkung der durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit bei gleichzeitig steigendem materiellem Reichtum. Der neuerliche Einsatz von Informationstechnologie bei der Firma Tschibo verkürzte z.B. die Suche nach einem bestimmten Auftrag/Lieferschein von vier Wochen auf 15 Minuten und machte eine Reihe Kollegen arbeitslos. In Krauss-Maffeis LP-Bude konnten die "Stillstands- und Wegezeiten" um 80 Prozent gekürzt werden, so daß nur noch 150 Facharbeiter nötig sind, um einen Jahresumsatz von 613 Mio DM erwirtschaften. Jobkill und LP gehören folglich zusammen, aber der Ort, wo dies erfahren wird, wird die "gläserne Fabrik" sein. Der Wunsch nach einer anderen Verteilung der gesamtgesellschaftlichen Reproduktionszeit, der hierdurch erwächst, wird die Tendenzen, die in LP eingebettet sind, aufnehmen und ihn in Richtung "produktiver Müßigang" (R.Kurz) formen, weil bereits ein antizipierendes Wissen darüber besteht; bestehen muß, denn ohne diese Kompetenz auf der Seite der lebendigen Arbeit kann LP nicht funktionieren. 

9) 

Der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital ist die soziale Form in der sich der Widerspruch zwischen konkret-nützlicher und abstrakt-wertschaffender darstellt. Die dem Menschen äußerliche Natur, deren Raubbau durch das Kapitalverhältnis auf die Spitze getrieben wurde, stellt eine objektive Bedingung dar, die auf der Grundlage der Verkehrungen der Warenlogik subjektiv erfahren wird. Im Kapitalismus bedeutet subjektives Erfahren, daß die Gebrauchwertseite von Produkt- und Menschenbeziehungen überformt ist durch die Tauschwertseite. Dh. das Verhältnis zur Natur, das die Menschen einnehmen, ist ganz allein bestimmt durch die sozialen Verhältnisse, wie sie miteinander verkehren (müssen). Um dieses Problem heute ins gesellschaftliche Bewußtsein zu heben, bedurfte es nicht der KommunistInnen, sondern der Club of Rome und in seinem Gefolge die "grüne" Bewegung leisteten dies in dem Sinne, daß sie die ökologische Frage unter Ausblendung der sozialen Frage im Alltagsbewußtsein verankerten. LP, die mit allen Ressourcen sparsam umzugehen vorgibt, muß aus dieser immanenten Konsequenz ökologische Überlegungen direkt zu einem Stützpfeiler ihrer Konzeption machen (Stichwort: Ökobilanz). Dadurch wird die ökologische Frage sinnlich erfahrbar direkt mit der ökonomischen Frage verbunden. Die Vorstellung einer Aufhebung der Lohnarbeit als der spezifischen sozialen Form, in der die Menschen heute miteinander/gegeneinander das Verhältnis zu der ihnen äußerlichen Natur gestalten, die ihren Ausgangpunkt bei LP als dem entwickeltsten Stand der Produktivkräfte nimmt, muß daher eine andere Form des Stoffwechsels Mensch-Natur notwendigerweise formulieren. In diese Überlegung ist als Voraussetzung eingeschlossen, daß die Erfahrungen im Reproduktionsbereich letztlich konstituierend für die "ökologische Verantwortung" sind.

10)

LP ist (bisher) - und so wird sie gerade auch in der "linken" Diskussion verwandt - eine deskriptive Kategorie, in der der gesamte Bereich der Informationstechnologie ausgeblendet bleibt, wodurch man sich den Blick für das Heranreifen eines neuen Akkumulationstypus verstellt. Dieser Mangel entspringt daraus, daß auf Seiten der kapitalistischen Rationalisierer LP tatsächlich als begriffliches Schleppnetz für ganz vielfältige Rationalisierungsvorhaben genommen wird - auch und gerade für solche, die meiner obigen Charakterisierung gar nicht entsprechen. Und da die heutige Linke sich nur ideologiekritisch an der Wirklichkeit abarbeitet, sie also nur die Ideologien der kapitalistischen Rationalisierer zum Gegenstand der Kritik nimmt, wenn sie sich der gesellschaftlichen Arbeit zuwendet, teilt sie den theoretischen Mangel mit der "anderen Seite". Da die für die Realisierung von LP notwendigen technologischen Implementationen erst in Ansätzen realisiert sind, der Begriff der Wirklichkeit nicht zu entsprechen scheint, begünstigt die Empirie der Verhältnisse das Unverständnis gegenüber den in LP angelegten neuen "ganzheitlichen" Formen der kapitalistischen Vernutzung der lebendigen und toten Arbeit.

Ein weiteres Manko der "linken" Debatte ist vor allem die unzulässige Identifizierung von LP mit japanischer oder koreanischer Fabrikorganisation. Unzulässig aus mehreren Gründen. Einmal weil bislang den asiatischen Konzepten - historisch bedingt - die synchronisierende Abstützung in der EDV fehlte. Zum anderen weil die mit LP in Verbindung gebrachte Fabrikorganisation eine spezifische Erscheinung einer Branche - nämlich der Automobilindustrie - war; LP - begriffen als neuer Akkumulationstyp - dagegen branchenunabhängig ist. Vor allem aber unzulässig, weil LP-Konzepte bei der Vernutzung von Arbeitskraft gerade darauf abstellen, "außerbetriebliche" Qualifikationen der ProduzentInnen zusätzlich in Kombination zum fachlichen "Know-How" auszubeuten. Bei diesen Qualifikationen handelt es sich um Verhaltensdispositionen, die auf dem jeweiligen konkret-historischen, politisch-kulturellen Hintergrund als spezifische Ausformung des bürgerlichen Individuums erwachsen. Zum Beispiel: Das, was im Begriff "Teamgeist" an ideologischen Mustern und subjektiven Bewertungen enthalten ist, ist z.B in Japan konkret anders gefüllt (z.B. durch in ZEN-bhuddistischen Klöstern antrainierte subalterne Verzichtshaltung) und mit anderen Verhaltensweisen kombiniert als in westeuropäischen Staaten. Südkorea, das andere LP-Musterländle, kann wohl kaum als entfaltete bürgerliche Gesellschaft bezeichnet werden. Eher trifft für diese Gesellschaft der Begriff "kapitalistische Kommandowirtschaft" zu, wo das Denken und die Verhaltensweisen der Menschen tief im Konfuzianismus wurzeln. Es handelt sich bei den japanischen und südkoreanischen LP-Konzepten tatsächlich um Formen der "klaglosen Kooperation" (DGB-Jargon). Gerade der gescheiterte Versuch, das LP-Konzept in den USA bei NUMMI (Gemeinschaftsunternehmen von Genral Motors und Toyota) gleichsam als Kopie des japanischen Vorbildes einzuführen, zeigt die Bedeutung eines bestimmten sozio-kulturellen backgrounds für das Gelingen bzw. Scheitern an.

Kurzum: Die "soziale Frage", ihre Erscheinungsformen und ihre Lösung sind gebunden an solche konkreten, historischen Bedingungen. Dh. eine wertkritische Bestimmung von LP eröffnet noch kein unmittelbares Verständnis der Widersprüche, wie sie an der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft und gerade in diesem gesellschaftlichen Segment erscheinen werden. 

Womit wir es gegenwärtig alltagspraktisch zu tun haben und wo theoretischer Nachholbedarf besteht, sind die konkreten Formen der Durchsetzung von LP-Konzepten, die bislang überwiegend als Verlust von "Nischen" der fordistischen Fabrikarbeit erlebt werden. Bisherige informelle und formelle, individuelle und kollektive Konzepte des Widerstands gegen Ausbeutung werden durch LP ihre materielle Grundlage verlieren - und zwar in doppelter Weise: a) in den Formen der Arbeitsorganisation und der Verwertung des Werts sowie b) in den ProduzentInnen selber. Damit läutet die Totenglocke rein betriebsbezogener "proletarischer" Mobilisierungs- und Interventionstrategien, die sich im Anspruch antikapitalistisch definierten. Zukünftig in allen Branchen vorkommende LP-Betriebe bilden eine andere, entwickeltere materielle Grundlage des Arbeits- und Verwertungsprozesses und folglich werden Widerstandskonzepte nur unter Berücksichtigung dieser Grundlagen eine minimale Chance auf Realisierung erlangen. Sie werden keine Chance haben, wenn sie diese neu entstehende Wirklichkeit betriebsborniert mit ideologischem "Blick zurück nach vorn" reflektieren, ohne die gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen als Ganzes in ihre Überlegungen einzubeziehen.