Schlagloch Nr.1 / 2000 | Zeitung der JungdemokratInnen/Junge Linke NRW

Die Gemeinschaft schlägt zurück

Schluß mit lustig:
Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!
Der neue sozialstaatlich organisierte Arbeitszwang

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Seit Anfang der siebziger Jahre sehen wir uns einer Entwicklung gegenüber, die den Sozialstaat immer autoritärer gestaltet: statt denen, die keine Arbeit haben oder die keine haben wollen, wenigstens ein Leben knapp über dem Existenzminimum zu sichern, sollen LeistungsempfängerInnen zu Arbeit gezwungen werden.

In diesem wie auch in den anderen Artikeln dieser Zeitung geht es allein um den heutigen Arbeitszwang, der nicht mit der NS-Zwangsarbeit gleichzusetzen ist; ging es ihr doch darum, Menschen durch Arbeit zu vernichten. Beim heutigen Arbeitszwang geht es vielmehr darum, Menschen zu disziplinieren und zu ihrem “Glück”, zur Arbeit nämlich, zu zwingen.

Schwarz-rot, rot-gelb, schwarz-gelb, rot-grün: 
alles eine Soße

Die (Wieder-) Einführung eines staatlich organisierten Arbeitszwangs hatte zwar seinen Höhepunkt in den 90ern unter der Kohl-Regierung, wird aber kontinuierlich seit 1969, also unter der “Großen Koalition” betrieben. Umgesetzt werden all diese Maßnahmen auf kommunaler Ebene von Parteien aller Coleur.
Mit der Umsetzung des Arbeitszwanges wurde wie immer bei der Durchsetzung autoritärer Politik bei den Schwächsten der Gesellschaft, den AsylberwerberInnen, begonnen. Im Winter 1991/92 wurden sie zum Schneeschippen herangezogen, ein Jahr später waren dann die ersten SozialhilfebezieherInnen dran. Dem entsprach des Vorgehen auf gesetzlicher Ebene: Der Zwang zur Annahme von Arbeitsgelegenheiten unter Androhung des Taschengeldentzugs wurde zuerst im AsylbewerberInnenleistungsgesetz 1993 festgeschrieben. 1994 folgte dann eine entsprechende Reform der Sozialhilfe.

Aktuelle Lage

Mit “Hilfe zur Arbeit” sind die entsprechenden Paragraphen im Bundessozialhilfegesetzt (BSHG III) übertitelt, “Zwang zur Arbeit” wäre richtiger gewesen. Grundsätzlich geht es darum, Menschen zur Annahme jeder Arbeit zu zwingen, sei sie noch so schlecht bezahlt oder sinnleer.
Zunächst wird festgeschrieben, dass jedeR SozialhilfeempfängerIn zur Annahme von sich bietenden Arbeitsgelegenheiten verpflichtet ist. Arbeitsgelegenheiten sind hier auch irgendwelche beschissenen 630-Mark-Jobs, wie Toilettenputzen bei McDoof nach Ladenschluß oder Flurreinigung im Krankenhaus. Was dann noch zur Existenzsicherung fehlt, wird vom Sozialamt beigesteuert.
Wem sich solch eine Arbeitsgelegenheit zu allem Unglück nicht bietet, für den hält der Gesetzestext weitere Schikanen bereit.
Zum einen die “gemeinnützige und zusätzliche Arbeit” (GZA) (s. Glossar): hier handelt es sich zumeist um unqualifizierte Hilfsarbeiten in der Arbeitsvertrags- oder Mehraufwandsvariante (s. Glossar). Ein Beispiel hierfür bietet die Stadt Frankfurt: hier durften sich ein paar SozialhilfeempfängerInnen zum Gespött der Öffentlichkeit machen, indem sie in gelbe Uniformen gesteckt wurden. Sodann durften sie die Stadt sauberer und sicherer machen. Andere Städte sind weniger kreativ und setzen sie zum Laub- und Müllpicken auf Friedhöfen und in Pärken ein.
Und dann gibt es noch die “besonderen Arbeitsgelegenheiten”. Diese müssen nicht mal mehr gemeinnützig oder zusätzlich sein. Wer jetzt jedoch denkt, sie seien völlig zwecklos, irrt. Sie dienen der der “Gewöhnung” an Arbeit, der Disziplinierung, dem Beibiegen von fragwürdigen Tugenden wie Folgsamkeit, Ordentlichkeit und Pünktlichkeit. Meist junge oder ältere Menschen, die keinen Ausbildungsplatz oder keine Arbeit (mehr) bekommen, sollen (wieder) an Arbeit gewöhnt werden. Auch hier handelt es sich teilweise um Friedhofsgärtnerjobs, aber auch um Bewerbungstrainings oder Qualifizierungsmaßnahmen, in denen die eine Gruppe Montags und Dienstags die Mauer aufbaut, die von der anderen Gruppe Donnerstag und Freitag “fachmännisch” wieder abgerissen wird. Wichtig ist nicht, was getan wird, sondern das irgend etwas getan wird.
Der Zwangscharakter all dieser Maßnahmen wird in § 25 deutlich.
Hier heißt es: “Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen (...) nachzukommen, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.” In einem ersten Schritt wird die Hilfe um 25% gekürzt, nach drei Monaten komplett gestrichen. Trotzdem behaupten die VerfechterInnen dieser Maßnahmen die Freiwilligkeit. Betroffene könnten ja auch auf die Sozialhilfe verzichten.
Ebenso betroffen vom Zwang zur Arbeit sind EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld und –hilfe. Der Zwang wird hier in zwei Formen durchgesetzt: zum einen werden Billigjobs, also z.B. 30 Stunden Spargelstechen die Woche für 10 DM/Stunde brutto, durch die “Arbeitnehmerhilfe” (25,-/Tag) subventioniert. Zum anderen durch die Herabsetzung der Zumutbarkeitsgrenzen bei der Arbeitsvermittlung, das heißt: Jobs müssen angenommen werden, auch wenn sie weit vom Wohnort entfernt sind, eine niedrigere Qualifikation erfordern als der /die Betroffene besitzt, und dementsprechend der Lohn unter dem zuletzt erhaltenen liegt.
Auch hier ist die Streichung von Leistungen entsprechend dem §25 des BSHG III das Mittel zur Durchsetzung des Zwangs.

“Jede Arbeit ist besser als keine!”

Dies ist das Motto moderner Sozialpolitik á la Schröder, Blair und Clinton. Statt “social welfare” heißt es jetzt “welfare to work”, statt “Hilfe zum Leben” “Hilfe zur Arbeit”. Einen möglichen Endpunkt eines solchen Politikkonzeptes zeigen die USA: Jeder US-Bürger darf in seinem gesamten Leben nur noch fünf Jahre Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Die Konsequenz ist die Annahme von Jobs, die kaum noch den Lebensunterhalt sichern können. Nach einer Studie von 1998 hatten rund 31 Millionen Menschen in den USA nicht genug zu essen. Hinter der extrem niedrigen Arbeitslosigkeit in den USA (ca. 5%) steckt  eine Klasse von “working poor”, etwa ein Drittel der Gesellschaft, die trotz regelmäßiger Arbeit kaum genug zum Leben haben. In Großbritannien gibt es ähnliche Tendenzen, wann es hier so weit ist, bleibt abzuwarten.

dirk.burczyk

glossar:

Sozialhilfe: Ist definiert als “Hilfe zum Leben”; besteht aus einem Sockelbetrag und einzeln zu beantragenden Sonderzuwendungen (z.B. Kleidergeld). Geregelt wird sie im Sozialhilfegesetzbuch III (SGHB III)

Arbeitslosengeld: Erhalten Arbeitslose am Beginn ihrer Arbeitslosigkeit. Länge und Höhe der Zahlungen richten sich nach dem letzten Lohn/Gehalt.

Arbeitslosenhilfe: Im Anschluß an das Arbeitslosengeld. Niedriger, daher sind die EmpfängerInnen teilw. auf Sozialhilfe angewiesen.

Arbeitnehmerhilfe: Arbeitslose werden  unter Androhung des Leistungsentzugs zur Annahme unqualifizierter und niedrig bezahlter (ca. 10 DM/Stunde) Jobs gezwungen und erhalten 25,- Arbeitnehmerhilfe/Tag.

“Hilfe zur Arbeit”: Geregelt in den §§ 18-20 des Sozialhilfegesetzbuches III (SHGB III). Unter Androhung von Leistungsentzug werden SozialhilfeempfängerInnen zur Annahme von “Arbeitsgelegenheiten” oder Teilnahme an “Qualifizierungsmaßnahmen” gezwungen.

Gemeinnützig: Arbeiten, die dem Gemeinwohl dienen.

Zusätzlich: Arbeiten, die sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet würden. Arbeitsvertragsvariante: Eine Kommune richtet, unter Umständen durch sogenannte Baschäftigungsgesellschaften, sozialversicherungspflichtige, aber unter Tarif bezahlte Arbeitsplätze ein.

Mehraufwandsvariante: SozialhilfeempfängerInnen erhalten für gemeinnützige und meist zusätzliche Arbeiten oder Qualifizierungsmaßnahmen eine Mehraufwandsentschädigung von 1-3 DM.