ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 440 / 06.07.2000

Der "Geschichtsdenker" Ernst Nolte und sein "missverstandenes" Lebenswerk

Der Historikerstreit geht weiter

7-8/00 trdbook.gif (1270 Byte) trend online zeitung Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net   ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin

Die nationalkonservative Deutschland-Stiftung hat dem Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte den Konrad-Adenauer-Preis verliehen - "in dankbarer Würdigung seines herausragenden geschichtsphilosophischen Lebenswerkes". Der Preisträger seinerseits dankt der Deutschland-Stiftung für den "außergewöhnlichen Mut, von der Hauptströmung des gegenwärtigen intellektuellen Lebens in Deutschland abzuweichen." In Wahrheit ist Nolte, der sich als Opfer politischer Verfolgung ausgibt, von der "Hauptströmung des intellektuellen Lebens" allzu lange gehätschelt worden - sehr zu Unrecht, wie der folgende kritische Blick auf wesentliche Teile seines "Lebenswerks" zeigt.

In seiner Laudatio klagte Horst Möller, seit 1992 Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Noltes Werk sei oft auf "gewolltes Missverständnis" gestoßen. Natürlich musste und sollte das Publikum dies auch auf Noltes skandalöseste Aussage beziehen, die 1986 zum wesentlichen Auslöser des Historikerstreits wurde: "Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ,asiatische` Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potenzielle oder wirkliche Opfer einer ,asiatischen` Tat betrachteten? War nicht der ,Archipel GULag` ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ,Klassenmord` der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmords` der Nationalsozialisten?"

Diese Umdeutung des Nationalsozialismus zur Reaktion auf den Bolschewismus war nun wirklich nicht misszuverstehen. Zumal Nolte auf seine rhetorischen Fragen selbst die Antwort gab: nämlich dass "ein kausaler Nexus wahrscheinlich ist", d.h. dass aus dem bolschewistischen "Klassenmord" der nazistische "Rassenmord" gefolgt sei. Wenn Nolte missverstanden wurde, dann von denen, die 1986 aus allen Wolken fielen, weil sie ihn fälschlich für einen Antifaschisten gehalten hatten. Ihnen hat Nolte drei Jahre später deutlich widersprochen. In der Vorbemerkung zur Neuauflage seines wichtigsten Werkes, "Der Faschismus in seiner Epoche", das erstmals 1963 erschien, schrieb er 1989, also nach dem Historikerstreit: "Die Grundauffassungen haben sich indessen nicht verändert, auch nicht im Hinblick auf die ,Endlösung der Judenfrage`." In seinem Buch "Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945", erschienen 1987, gebe es dazu lediglich "Ergänzungen" und "Akzentveränderungen."

Wenn Möller, der sich von Noltes Schlussfolgerungen halbherzig distanziert, heute dessen "Lebenswerk von hohem Rang" rühmt, dann hat er dabei vor allem das Buch "Der Faschismus in seiner Epoche" im Blick, das eine Gesamtauflage von 34.000 Exemplaren erreichte: ein kompaktes und mit Wissen voll gestopftes Buch über die Action Française, den italienischen Faschismus und den Nationalsozialismus. Es ist schon deshalb lesenswert, weil es die vernachlässigte Problematik der "vergleichenden Faschismusforschung" zum Thema hat. Allerdings läuft es im Abschnitt über den Nationalsozialismus mehr oder weniger zielstrebig auf die oben zitierte These hinaus. Diese hat Nolte 1986 so zugespitzt, dass sie für die Massenpresse handhabbar wurde.

Völkermord aus Angst?

Schon Noltes Darlegung seiner "phänomenologischen Methode" musste kritische Geister stutzig machen. Aufgabe des Historikers müsse es sein, "den Faschismus und den Nationalsozialismus zu Wort kommen zu lassen ohne voreilige Kritik"; wegen der Bedeutung der Führerpersönlichkeiten Mussolini und Hitler habe er deren Gedanken in das Zentrum seiner Darstellung gerückt.

Bei Hitler sind es allerdings weniger Gedanken als Gefühle, die Nolte als Triebkräfte ausmacht. Ob Hitler im klinischen Sinne krank war, lässt Nolte offen - die stärkste, Hitler leitende "Grundempfindung" aber sei seine "Angst" gewesen: Angst vor dem Fremden, das er in Wien sieht, Existenzangst, Angst vor Krankheit, Angst vor dem Bolschewismus und dem Aufruhr der Massen, Angst vor Folter durch die Bolschewisten, Angst aber auch, als der Reichstag brennt. Hitlers Judenhass führt Nolte ebenfalls auf Angst zurück: Angst vor der "rassischen Geschlossenheit" der Juden und Angst vor der "Macht der ,Widernatur`, die im jüdischen Volke ihr Werkzeug hat" - die Juden widersetzen sich der "Höherzüchtung und Veredelung der Menschheit" und schüren seit Moses die Aufstände der rassisch minderwertigen Knechte gegen ihre natürlichen Herren, glaubte Hitler.

Natürlich teilt Nolte nicht den Rassenwahn, den er in aller Breite darstellt. Allerdings hebt er ausdrücklich Hitlers "Konsequenz" hervor, die ihn von den angeblichen Saboteuren des Holocaust (angefangen bei Göring!) unterscheide. Letztere seien "nicht zufällig die Beute des konsequenteren Geistes" geworden. Für Hitler und Himmler gelte aber auch: "Sie waren nicht nur konsequenter, sie hatten im Rahmen ihrer Denkweise auch Recht." Der Nationalsozialismus als "Faszinosum" (Jenninger) geistert immer wieder durch Noltes Buch. Da dürfen die Autobahnen nicht fehlen, insbesondere ist es aber die SS, die es Nolte angetan hat: "Zwar zeigt sich auch bei ihr nichts schlechthin Neues, aber gerade die außerordentliche Konsequenz (!) in der Entfaltung ist das Faszinierende."

Eine Konsequenz, die der deutschen Wehrmacht, glaubt man Nolte, ganz fehlte. Die Wehrmacht habe sogar bei den Bombenangriffen auf englische Städte "ritterlich" gekämpft. Das Ziel der Generäle, die "nationale Restitution", sei schon im September 1938 erreicht gewesen. Das Münchner Abkommen, mit dem die Zerstörung der Tschechoslowakei eingeleitet wurde, bewertet Nolte, der "Geschichtsphilosoph", rundum positiv: "Die Schaffung des Großdeutschen Reiches entsprach ohne Zweifel einer tiefen und jahrhundertealten Sehnsucht, und sie war in sich selbst (wenn man von der Komplikation durch den Zeitpunkt absieht) um kein Haar weniger legitim als die Errichtung des französischen oder italienischen Nationalstaates."

Wie aber bekam Hitler, der Einzeltäter, Macht über ein ganzes Volk einschließlich seiner Eliten, darunter die eigentlich "unpolitischen" Generäle der Wehrmacht? Nolte greift in seiner Erklärung nicht einfach auf das Stereotyp vom "dämonischen Verführer" zurück, der die willenlosen Massen in seine Verbrechen hineingezogen hätte. Entscheidende Voraussetzung dafür sei gewesen - hier ist Nolte durchaus originell -, dass die vielen Millionen Mitläufer von dem gleichen Grundgefühl beherrscht worden seien wie ihr Führer: der Angst.

Da gibt es die "bürgerliche Revolutionsfurcht", ja sogar die Angst vor der roten Fahne! Auch "die Fahne (der Nazis) war zwar blutrot", räumt Nolte ein, "aber doch nicht von jener Angst erregenden (!) Einfarbigkeit, sondern mit einem freilich fremdartigen Heils- und Hoffnungszeichen in der Mitte." Von Angst geschüttelt sieht Nolte auch die Spitze der Wehrmacht, die vor dem Überfall auf die Sowjetunion ihre berüchtigten Vernichtungsbefehle ausarbeitete: "In den bekannten Erlassen der Marschälle von Reichenau und von Manstein ist in der Tat noch etwas spürbar von dem Schrecken der Offiziere vor dem fremdartigen Phänomen der Revolution von 1918."

Dieses Erschrecken "bis in den Tod" ist für Nolte "das banale Grundfaktum, ohne das Faschismus und Nationalsozialismus nicht denkbar sind". Auch wenn 1922 in Italien und erst recht 1933 in Deutschland objektiv keine "Revolutionsgefahr" bestand, hat Nolte für die Angst volles Verständnis. Zwar sei der "rote Terror" schon bald vom Terror der Faschisten übertroffen worden; diese hätten aber die Methoden des Bolschewismus nur übernommen und abgewandelt.

So sind es letztlich auch schon in Noltes Buch aus dem Jahre 1963 die Linken, die den "Boden für die neue Saat" bereiten. Sie sind verantwortlich für die Angst einer ganzen Epoche, die in Deutschland besonders katastrophale Wirkungen hatte - wegen Hitler: "Er war ein Mensch an der Grenze der Krankheit, gejagt von pathologischen Ängsten, als deren Ursache ihm sein infantil-eidetisches (anschauliches; ak) Vermögen ,den Juden` vor die Augen stellte. Aber seine Angst war als solche die Angst eines Volkes, einer Kultur, einer Epoche."

Demnach wäre, was Hitler und die Deutschen verband, vor allem das Gefühl, sich gegen eine tödliche Gefahr wehren zu müssen. Nolte geht aber noch weiter, wenn er nahe legt, dass dieses kollektive Gefühl der Bedrohung zumindest teilweise berechtigt war. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion sei "in einem noch näher zu bestimmenden Sinne ein Verteidigungskrieg" gewesen, schreibt er. "Verteidigt" wurde, so Nolte, die deutsche "Souveränität" gegen einen Feind, der durch seine rasant wachsende Wirtschaftskraft zur "Weltgefahr" geworden war - und damit "in einem realeren Sinne" als in der NS-Propaganda behauptet. Nolte schreibt: "Wer den Entwicklungsvorsprung (Deutschlands bzw. des Westens; ak) als ein ewiges Recht empfand, musste sich bedroht fühlen" - " weil ein industrialisiertes Osteuropa eo ipso die Negation der totalen, das heißt vor allem militärgeographischen deutschen Souveränität bedeutete."

Die "verzerrte Kopie" des Kommunismus

So tastet sich Nolte ebenfalls schon 1963 an die These vom "Präventivkrieg" heran: Lenin eröffnet den "europäischen Bürgerkrieg", aber Hitler ist schneller als Stalin - das ist, ungeachtet gelegentlicher stilistischer Raffinesse, Geschichtsschreibung auf Illustrierten-Niveau.

Das bisher Gesagte soll nun beileibe nicht heißen, dass Nolte sich im Historikerstreit nur selbst zitiert hätte. Zudem richtete sich seine Provokation von 1986, den Judenmord als "Reaktion oder verzerrte Kopie" zu verkleinern, gezielt an ein Massenpublikum. FAZ-Herausgeber Joachim Fest, der Nolte ein Forum bot, hatte die politische Nützlichkeit des Tabubruchs erkannt. Diese bestand darin, schrieb Jürgen Habermas in seiner Replik, dass sie dem konservativen Projekt der "Wiederbelebung des Nationalbewusstseins" auf doppelte Weise diente: "Die Nazi-Verbrechen verlieren ihre Singularität dadurch, dass sie als Antwort auf (heute fortdauernde) bolschewistische Vernichtungsdrohungen mindestens verständlich gemacht werden. Auschwitz schrumpft auf das Format einer technischen Innovation und erklärt sich aus der ,asiatischen` Bedrohung durch einen Feind, der immer noch vor unseren Toren steht."

Als dieser Feind zwischen 1989 und 1991 die Fahne einholte, wurde der tapfere Frontsoldat Ernst Nolte nicht mehr gebraucht. Dass er fortan in den meisten deutschen Zeitungen, die FAZ eingeschlossen, nicht mehr publizierte, hängt allerdings auch mit dem Ausgang des Historikerstreits zusammen. Nolte und seine Anhänger konnten sich damals mit ihren Thesen nicht durchsetzen, weil selbst deutschnationale Kommentatoren wie Rudolf Augstein ihnen deutlich widersprachen. Anders als in Italien, wo er auch in liberalen Blättern regelmäßig interviewt wird, ist es in Deutschland still geworden um Nolte. Führende CDU-Politiker, selbst bayerische Landesminister zogen es vor, der Münchner Preisverleihung fern zu bleiben.

Über solchen Undank muss sich Nolte nicht grämen. Er darf es sich als "Verdienst" anrechnen, die Renaissance der Totalitarismustheorie vorbereitet und angeschoben zu haben. In diversen "Light"-Versionen kann sie heute als hegemonial gelten - wie z.B. die Diskussion um das "Schwarzbuch des Kommunismus" zeigt. Nolte hat in seiner Dankesrede auf diese Kontinuität selbst hingewiesen. Darüber hinaus hat er seine etwas umständlich formulierte These von 1986 bekräftigt und zu dem Lehrsatz komprimiert, "dass die KPdSU die früheste und stärkste Vernichtungsorganisation des 20. Jahrhunderts war und dass die nationalsozialistische Partei eine spätere und weniger umfassende Entsprechung darstellte, ja vielleicht nicht mehr als eine ,verzerrte Kopie`."

Soweit mir bekannt, hat es kein deutscher Politiker für nötig befunden, dieser grotesken Verharmlosung des Nationalsozialismus zu widersprechen. Offensichtlich erscheint Noltes Lehre auch denen politisch funktional, die einer Begegnung mit ihm lieber aus dem Wege gehen.

Js.

Literatur:
Deutschland Stiftung e.V. (Hg.): Festschrift zur Verleihung der Konrad-Adenauer-Preise 2000 für Wissenschaft und Literatur
"Historikerstreit". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung; München (Piper) 1987
Thomas Nipperdey/Anselm Doering-Manteuffel/Hans-Ulrich Thamer: Weltbürgerkrieg der Ideologien. Antworten an Ernst Nolte; Berlin (Propyläen) 1993
Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action Française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus; München (Piper) 1990
Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus; Berlin (Propyläen) 1987
Hans-Ulrich Wehler: Entsorgung der deutschen Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum Historikerstreit; München (Beck) 1988

Auf Kommentare, Anregungen und Kritik freuen sich AutorInnen und ak-Redaktion