Quelle: www.sozialismus.de 

Heiße Musik und linke Behäbigkeit

von Martin Büsser

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»Das Ohr ist dumpf und reaktionär« (Rigobert Dittmann/Bad Alchemy-Fanzine)

Es fällt schwer, innerhalb der Linken (und gemeint sind hier ganz verschiedene Traditionen: gewerkschaftliches Umfeld, Autonome, Antifa-Gruppen etc.) ästhetische Ansätze zu vermitteln, die vom Experiment - vom Experiment im Sinne einer ästhetisch entgrenzenden oder doch zumindest ungewohnt konfrontierenden Erfahrung - leben, was im Falle der Musik heißt: die Dissonanzen besitzen. Auf der anderen Seite sind es zugleich - und vor allen anderen - die Linken, die der reinen Tanzmusik (Stichwort: Techno, House) vorwerfen, diese Musik sei apolitisch, hedonistisch, konsumorientiert und niveaulos, verführe schließlich die Konsumenten dazu, ihre affirmative Haltung gegenüber der Kultur (Tanz, Spaß) auch im Politischen als affirmativ an den Tag zu legen.

Abgesehen davon, dass solche Rückschlüsse nicht stimmen (Techno spricht in erster Linie gar keine politische Sprache, weder eine dezidiert kritische noch eine affirmative, also lässt sich auch nichts über den politischen Standpunkt seiner Fans aussagen), müsste der Rückschluss ja eigentlich lauten: Wenn Techno vielen Linken zu spaßbetont, niveaulos, zu unterhaltend erscheint, kann linke Musikästhetik im Gegenzug im Grunde nichts anderes als ernste Musik bedeuten, eine Musik, die den Spaß zumindest teilweise mit Hilfe von Brüchen und Dissonanzen (laut Adorno: Ausdruck von Leiderfahrung) zurücknimmt. Das aber ist ganz und gar nicht der Fall.

Ein Großteil der Linken kennt die Dichotomie von »E« und »U« gar nicht und die daran gebundene Frage nach einer Materialästhetik - sie hört und mag weder das eine noch das andere. Ein Großteil der Linken hat sich weder mit Techno noch mit der Tradition von Schönberg, Webern, Ligeti und Nono beschäftigt. Wenn es einen Mainstream des linken Musikgeschmacks gibt, dann ist er eher im Bereich der Unterhaltungsmusik anzusiedeln, in Agit-Prop, letztlich also in parolenhafter Marschmusik, die sich materialästhetisch kaum von rechter Propagandamusik unterscheidet (vergleiche die Adaption von Arbeiterliedern durch die Nazis und die musikalische Ähnlichkeit von Punk und rechtem Oi): Am wohlsten fühlt sich die Linke dort, wo sich zur richtigen Gesinnung schunkeln lässt. Ältere Semester bekommen bei Ton, Steine, Scherben ein Funkeln in den Augen, jüngere bei linken Punkbands wie Slime.

Daneben gibt es natürlich jede Menge Mischformen, etwa die Vorliebe für Rock-Mainstream mit sozialdemokratischer Gesinnung (Beispiel: BAP), eine ausgeprägte Lateinamerika-Sentimentalität (die übrigens den Linken ebenso »hedonistisch« zum Tanz dient wie anderen der Techno) und unter den Älteren einen Hang zu Rock-Fossilen wie Eric Clapton und Frank Zappa, in deren Musik gerne etwas Kritisch-Progressives gedeutelt wird, das sich aber de facto weder materialästhetisch noch textlich (Zappas Texte strotzen beispielsweise vor frauen- und schwulenfeindlichen und sogar antisemitischen - höre »Jewish Princess« auf »Sheik Yerbouti« - Witzen) erkennen lässt.

So viel erst einmal zur Lage, die ich hier zwar nicht empirisch per Tabelle belegen kann, die aber auf meiner Erfahrung von knapp zehn Jahren Lesungen, Diskussionen und Symposien in autonomen Jugendzentren und anderen linksalternativen Orten in der gesamten Bundesrepublik basiert.

Die Linke möchte meist nicht mehr, als angenehm unterhalten sein. Allerdings muss der Stempel »links« auf der Verpackung stehen, damit sie guten Gewissens der Unterhaltung frönen kann. Deshalb war und ist Techno so irritierend: Die Platten kommen ganz ohne Aufschrift daher, nirgends ein Stempel, nirgends ein Verweis. Statt auf die eigenen Ohren zu vertrauen, nagten viele beunruhigt an den Fingernägeln: darf ich das jetzt hören?

Wenn aber nicht die Linken, wen sonst, frage ich mich schon seit etlichen Jahren, sollte eine sperrige, verstörende und also vom musikalischen Material her unbequeme Musik (wobei: unbequem ist auch eine Frage der Hörgewohnheit, der musikalischen Sozialisation) denn überhaupt ansprechen? Ein geschulter Linker wird mir freilich prompt Antwort geben: den Bildungsbürger.

Mit dem Schimpfwort Bildungsbürger ist die Sache dann auch schnell vom Tisch. Neue Musik, Free Jazz, Klangexperimente im Fluxus - all das kann leicht als Tradition der bürgerlichen Avantgarde abgeschrieben werden, die letztlich nichts anderes als Kunstautonomie, also die Loslösung der Kunst von sämtlichen gesellschaftlichen Prozessen gefördert hat. Soziohistorisch stimmt ein solcher Befund ja auch: Im Konzertsaal bei einer Stockhausen-Aufführung sitzt in der Regel weder der gewerkschaftlich organisierte Arbeiter noch der Autonome, sondern der Zahnarzt nebst Gattin und der Rechtsanwalt nebst Gattin bzw. die Rechtsanwältin nebst Gatten und natürlich die ganze Schar an Journalisten und Kulturmanagern. Dem Befund ließe sich aber entgegnen, dass solche Musik nicht an sich elitär und spezifisch aufs Bildungsbürgertum zugeschnitten ist, sondern dass es die Diskurse rund um diese Musik sind, die damit geschaffenen Zugangsmöglichkeiten, die Strategien von Ausgrenzung und Exklusivität.

Will es die Linke einmal in Sachen Kultur nicht mit Marx halten (der diesbezüglich auch wenig hergibt), würde es helfen, sich an Adorno und auch an Marcuse zu wenden. Adorno, selbst Musiker und Musikkritiker, hat neben Ernst Bloch wie kein anderer linker Denker dafür gekämpft, die    ||Dissonanz gegenüber dem Vorwurf der  rein kunstimmanenten Ästhetisierung und   also bürgerlichen Verfallserscheinung zu  retten. Er deutete sie vielmehr als klanglich womöglich einzig legitimen Weg einer Negation des Bestehenden. Seine Essays zu Schönberg und Mahler sind brillante kulturkritische Schriften, in denen Adorno aufzeigt, wie solche Musik die Versöhnung mit dem gesellschaftlich Bestehenden verweigert und daher - quasi als Negativ - bereits auf eine andere, befreite Gesellschaft hinzuweisen vermag. Musik als Unterhaltung verbietet sich für Adorno geradezu, weil sie das Leid der antagonistischen, auf Unterdrückung und Verzicht basierenden Gesellschaft in tumber Fröhlichkeit übertönt und damit negiert.

Zu einem ganz anderen - trotz aller musikalisch unterschiedlichen Vorlieben und Einschätzungen der sozialen Lage dann aber doch letztlich ähnlichen -Berund kommt Herbert Marcuse: In seinen späten Schriften (z.B. »Versuch über die Befreiung«) erkennt Marcuse im Beat der Rockkultur(en) den Ausdruck von Befreiung, die Kraft einer vorwiegend schwarzen, sexualisierten Musik, in der sich bereits die Überwindung des Gegebenen ankündigt. Die Subkulturen in den USA sind für ihn neue soziale Bewegung mit marxistischem Background, die einen lustbetonten, erotischen (!) Sozialismus zu leben versuchten.

So sehr beide sich bezüglich der gesellschaftlichen Wirkung von Musik geirrt haben mögen (Adornos Interpretation der Neuen Musik brachte die Linke nicht ins Konzerthaus, Marcuses Optimismus gegenüber den 68ern und Psychedelic-Rock wurde enttäuscht, die Musik Teil der Kulturindustrie - sofern sie es nicht von Anfang an war), sind hier doch musiksoziologisch zwei wesentliche Punkte angesprochen:

Weil der Mensch im Kapitalismus unfrei ist, physisch wie psychisch deformiert, von seinen Bedürfnissen entfremdet (also auch vom Eros entfremdet), kann es letztlich nur zwei legitime Formen geben, eine solche Deformation musikalisch auszudrücken und bewusst zu machen. Die eine, für die Adorno plädierte, meint Dissonanz als Ausdruck von Schmerz und als musikalische Struktur, welche sich allem Soldatischen, Triumphalen verweigert, Musik also, die den Antagonismus kenntlich macht, aber aus der Opferperspektive heraus dessen Überwindung zugleich durchschimmern lässt (was Adorno eindrucksvoll im letzten Drittel seiner Mahler-Monographie beschrieben hat). Die andere Form ist eine Form der Entgrenzung, die dem Eros freien Lauf lässt und somit musikalisch eine Ungezügeltheit herstellt, die bereits eine Ahnung davon geben kann, wie befreite Gesellschaft sich anfühlen mag. Das, schätze ich, war Marcuses Eindruck von Funk, Jazz und Psychedelic in den ausgehenden Sechzigern.

Die Linke heute hat sich weder das eine noch das andere zu Herzen genommen. Sie verurteilt die Neue Musik für ihre Bürgerlichkeit und sie verurteilt die dionysischen Entgrenzungen innerhalb der verschiedensten Pop-Subkulturen als Spaßkultur und Flucht. Auf die Idee, dass ihr »Buena Vista«-Schmalz das nur denkbare Höchstmaß     an Kulturindustrie ist und zugleich eine   exotistische Revolutions-Romantik, die nichts verändert - schon gar nichts im   eigenen Land -, auf diese Idee kommt sie nicht.                               

Mit Recht lässt sich behaupten, dass   !sämtliche atonale Musik - ob sie nun   im Rahmen der Neuen Musik, im Jazz     oder in den avancierten Formen der Popkultur stattfindet - dazu neigt, als Hochkultur musealisiert zu werden und in einen »L'art pour l'art«-Käfig gesperrt zu werden, dem sie selbst doch ursprünglich entkommen wollte. Mit Recht lässt sich auch behaupten, dass sämtliche sexualisiert-entgrenzte Musik - von Psychedelic bis Techno – statt auf eine andere Gesellschaft zu verweisen, für den oberflächlich kontrollierten Sex dieser Design- und Werbe-Gesellschaft instrumentalisiert werden kann (und auch wird), und zudem die Fans dieser Musik nur Energie tanken, um am nächsten Morgen wieder als kontrollierte Glieder des Ganzen zu funktionieren (nebenbei: eine steinalte Kritik gegenüber allem, was mit Jazz, Pop oder Rock zu tun hat).

Es lässt sich aber auch behaupten, dass die Wirkung einer Musik davon abhängt, von wem sie auf welche Weise kontextualisiert wird. Ernst Bloch gab gegenüber Adornos Musiksoziologie zu Recht zu bedenken, dass die emanzipierteste Musik nichts nütze, wenn sie vom Publikum nicht als emanzipatorisch wahrgenommen wird. Um so wichtiger ist demnach ein breitenwirksamer linker Diskurs um die »richtige«   Musik.                

Als zum Beispiel der junge, engagierte Konzertveranstalter und Autor  Wolfgang Sterneck John Cage kurz vor dessen Tod darum bat, ihm eine Aufnahme zugunsten des besetzten Hauses in der Metzgerstraße in Hanau zu  schicken (worauf John Cage auch prompt einging), war der »bürgerliche« Komponist plötzlich linksautonom kontextualisiert. Solche Wege sind notwendig und durchaus beschreitbar, um die (ich behaupte das jetzt einmal) bessere Musik nicht an jene zu verlieren, gegen deren erstarrtes Bewusstsein die Linke doch anzugehen vorgibt.

Natürlich gibt es Grenzen. Nicht jede Musik eignet sich dazu, links kontexualisiert zu werden und über eine solche Kontextualisierung zu einer Art ästhetischen Erfahrung des Anderen zu verhelfen. Das, was sich eindeutig der Kulturindustrie verschrieben hat -vom Lloyd-Webber-Musical bis zu Phil Collins - steht hier allemal nicht zur Disposition. Es geht um die beiden (nur auf den ersten Blick einander entgegengesetzten, de facto aber einander bedingenden, sich dialektisch umspielenden) musikalischen Felder von Avantgarde und Atonalität einerseits und körperlicher Entgrenzung und Intensität andererseits.

Die Tatsache, dass es immer wieder einmal für eine kurze Zeit innerhalb des Kapitalismus gelungen ist, nonkonforme musikalische Avantgarde wie auch intensive, den ganzen Körper durchdringende Power-Musik als Teil einer linken Ästhetik zu erleben und zu leben (beispielsweise der höchst atonale Freejazz Mitte bis Ende der 60er Jahre und die höchst physische Hardcore-Punk-Bewegung in den 80er Jahren) zeigt, dass es alleine auf die Bereitschaft seitens der Linken ankommt, sich mit ästhetischen Fragen auseinanderzusetzen. Wer jegliche künstlerische Äußerung jenseits von Gesinnungs-Standards á la Degenhardt und Rio Reiser bereits an den Kapitalismus verraten sieht, erklärt zugleich den kulturellen Bankrott der angestrebten, nichtkapitalistischen Gesellschaft. Weil eine Überwindung des Kapitalismus zugleich auch Ästhetik be

inhaltet (eine andere Ästhetik als die der Werbeflächen, versteht sich), ist es äußerst naiv, zu glauben, Ästhetik könne sich alleine auf Parolen zur Überwindung des Kapitalismus beschränken (denn wer mag die noch hören wollen, sobald der Kapitalismus denn tatsächlich überwunden ist?!).

Es werden im Gegenteil in der - angenommenen, noch weit vor uns liegenden - befreiten Gesellschaft alleine die Dissonanz (nicht nur mahnender Ausdruck von Leid, sondern auch Ausdruck der befreiten Form in der sich eine befreite Gesellschaft spiegelt, so wie es jetzt schon gerne von der kapitalistischen Ideologie behauptet wird) und alleine rauschhafte Formen wie Techno (als Ausdruck einer Ekstase, die den Körper nicht mehr als versklavt empfindet) noch möglich, denkbar und letztlich legitim sein.

Zugegeben: Das soeben Geschriebene ist ein wenig plakativ, da Musik wie auch Gesellschaft einem permanenten Wandel ausgesetzt sind und in dreißig Jahren womöglich niemand mehr von Techno reden wird. Dann aber wird es einen ähnlichen Stil bzw. eine ähnliche Struktur geben, die als körperlich aufpeitschende, rauschhaft monotone Musik wie Techno funktionieren wird.

Mir geht es allerdings weniger darum, gewisse Stile und Gattungen als verkannt und doch im Sinne einer linken Ästhetik wertvoll hervorzuheben, sondern vor allem darum, zwei ästhetische Prinzipien innerhalb der Musik für die Linke zu retten (genauer: ihr überhaupt erst einmal schmackhaft zu machen), die der Linken nicht ohne Grund abhanden gekommen sind. An Dissonanz mag dort nämlich auch außermusikalisch niemand mehr denken, da Zusammenhalt sich als Parole auf dem sinkenden Schiff viel besser eignet, das bevorstehende Ertrinken zu ertragen. Von Spaß, Körper und Erotik redet längst auch niemand mehr öffentlich links, weil das ja - mitsamt Parfüm und Porno - erklärtermaßen an den Kapitalismus verraten ist... um den Preis jener Frage, die in denen eigenen Reihen selten bis nie gestellt wird, welche Zukunft die Linke denn haben soll, wenn sie sowohl die Missklänge wie den Sex verloren hat.

Im Kölner »a-Musik«-Laden, einem Plattenladen, der sowohl Neue Musik von Webern bis Xenakis wie auch Techno und Elektronik im Programm hat, kaufen die Kunden beides, ohne Berührungsängste oder überhaupt ein trennendes Empfinden von »U« und »E« zu haben. So soll es sein: Musik als Kontemplation und Reflexion einerseits und Musik zum Abheben, Sich-Austoben andererseits können und dürfen nicht länger als Gegensatz gedacht werden, da sie ein Paar einander bedingender existenzieller menschlicher Bedürfnisse sind. Sowohl bei Marx, Adorno wie auch Marcuse lässt sich nachlesen, dass es linker Politik daran gelegen sein muss, den Menschen dazu zu verhelfen, sekundäre, künstlich geschaffene Bedürfnisse von existenziellen zu trennen. Sowohl Arnold Schönberg wie auch die Techno-Knaller von Daft Punk haben diesbezüglich ein Lied bereit.

 Martin Büsser ist Kulturwissenschaftler in Stuttgart.