Quelle: http://www.ainfos.ca/ 

In The Spirit Of Total Resistance
Gegen den Polizeistaat in Los Angeles


Von Arthur J. Miller
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Wir reisten aus dem Nordwesten nach LA zu den Protesten beim demokratischen Parteitag, mit 24 Leuten in einem alten Schulbus, und davon taten mir schon die alten Knochen weh. Aber das wars wert. Der Polizeistaat erlebt eine neue Blüte in den USA, und LA hat gezeigt, wie weit die Entwicklung seit den Protesten gegen die WTO in Seattle gegangen ist. Egal was der/die Einzelne über Demos als Taktik denkt, wenn ihr euch dem Polizeistaat nicht entgegenstellt, wird er euch überwältigen und es wird euch betreffen, auch wenn ihr den Kopf ganz weit in den Sand steckt und euch bemüht, ihn zu ignorieren. Diese neue Welle von Polizeigewalt ist weniger ausgelöst durch die Zahl der Leute, die in Seattle auf den Straßen waren, sondern beruht auf der Tatsache, daß die Polizei am 30. November eine zeitlang die Kontrolle verloren hatte, und wenn die DemonstrantInnen es gewollt hätten, dann hätten sie sie überwältigen können. Danach ging ein Weckruf durch die Bullengemeinde von Amerika.

Wir hatten Übernachtungen in einer schwarzen Kirche organisiert, die nur ein paar Blocks von dem Platz entfernt liegt, auf dem der Aufstand von LA im Jahr 1992 stattfand. Das hatte auch einen lehrreichen Aspekt für die vielen jungen Leute, die mit dabei waren. Sie konnten sehen, wie sehr sich die schwarzen und Latino-Gemeinden in LA von den weißen Unterscheiden. Der Mangel von städtischen Dienstleistungen, viel weniger Läden, verdammt, da findest du nicht mal eine Zeitungsverkaufsbox. Für diejenigen von uns, die mit den Leuten in der Nachbarschaft sprachen, wurde deutlich, daß der Polizeistaat, den wir jetzt erleben, für die Leute hier eine durchgängige Realität ist. Für diejenigen, deren Augen für die Wahrheit offen sind, lebt die Apartheid in den Innenstädten Amerikas.

Beim Gespräch mit den Leuten in der Nachbarschaft, sowohl beim Herumgehen als auch in den Bussen, erlebte ich, daß die Leute daran interessiert waren, was wir in LA vorhatten und unser Vorhaben auch unterstützten. Aber es ist auch Realität, daß wir in einigen Tagen wieder abreisen, während sie in diesem Polizeistaat weiterleben müssen, wenn wir abgefahren sind, und wenn sie allein protestieren, ändert das sehr wenig am System.

Es war sehr deutlich, von der Mumia-Demo am Sonntag bis hin zur letzten Demo am Donnerstag, daß die Polizei die Situation die ganze Zeit völlig kontrollierte. Es gab keinen Augenblick, in dem wir nicht vollkommen von einem überwältigenden Polizeiaufgebot umgeben waren. Sie kontrollierten die Straßen um uns und es gab keine Möglichkeit zu entkommen, wenn sie es nicht zulassen wollten. Die Polizei war sehr gut vorbereitet und hoch diszipliniert. Ich merkte gleich von Anfang an, daß es keine Wiederholung der WTO-Proteste von Seattle geben würde.

Die organisierte Polizeimacht war nicht nur da, um alle sich ergebenden Situation zu kontrollieren, sondern bedeutete auch eine Botschaft an die DemonstrantInnen und Gemeinden: daß alle Aktivitäten, sei es nur die Straße langgehen oder einkaufen, nur möglich waren, solange die Polizei dies erlaubte. Die Art und Weise, wie sie mit erhobenen Schlagstöcken in der Gegend herumstanden, war die Ankündigung, daß sie bereit waren, uns jeden Moment die Seele aus dem Leib zu prügeln. Die Gewehre für die Gummigeschosse waren immer in Bereitschaft. Polizeiautos und -motorräder, die mit heulenden Sirenen durch die Innenstadt rasten, erklärten ihre große Überlegenheit allen in Hörweite. Ihnen folgten häufig Krankenwagen oder Feuerwehr. Sie kontrollierten auch die Autobahnen und hätten sie zu jedem Zeitpunkt schließen können. Vergessen wir dabei auch nicht die Polizeihubschrauber am Himmel, die über uns Wache hielten und die Hubschrauber der Medien daran hinderten, in die Nähe der Demonstrationen zu gelangen. Innerhalb der Demos hatte die Polizei sogenannte "Scouts", 
die Informationen über alle geplanten Aktionen an den Polizeistaat weitergaben. Sie informierten sogar die Medien darüber, wie es scheint, eine Taktik, mit der sie unter den Organisationen und Leuten Paranoia auslösen wollen.

Bei der Mumia-Demo gab es einige gute RednerInnen, aber es gab auch Redebeiträge von ML-Parteien, die offensichtlich Mumia schamlos ausbeuten, um sich in den Vordergrund zu rücken. Sie machen sich um Mumias Wohlergehen weit weniger Sorgen als darum, ihre "Führungsrolle" bei der immer noch weit entfernten Revolutionen durchzusetzen. Das war in der Mumia-Befreiungsbewegung seit langem ein Problem, aber ich glaube nicht, daß sie die von ihnen gewünschte Wirkung erreichen, denn ihre organisierten Marschgruppen sind immer noch sehr klein. Die meisten Leute waren da wegen Mumia und hatten keine Verbindung zu denen, die ihn nur ausbeuten. Die Demo war gut, sehr militant im Ton.

Als wir die Protestzone in der Nähe des Konferenzzentrums erreichten, war ich etwas schockiert über das, was ich sah. Um dieses Gebiet herum waren an drei Seiten hohe Zäune aufgestellt und Barrikaden an den Eingängen. Nur wenige Leute konnten gleichzeitig rein oder raus. Wir gingen geradewegs in eine Falle! Am Montag gingen wir mit drei verschiedenen Demozügen in die Falle am Konferenzzentrum. Bei einem wollten die Leuten bürgerlichen Ungehorsam ausüben und sich auf die Straße setzen. Obwohl einige festgenommen wurden, nahmen die Bullen das zum Vorwand, den hinteren Teil des Demozuges mit Schlagstöcken anzugreifen. Das war die größte Demo der Woche mit Tausenden von Leuten. Wir gingen mit den anderen Wobbly- KollegInnen mit einem großen IWW-Banner. Beim Konferenzzentrum gab es ein Konzert von Rage Against The Machine und einer Latinoband, deren Namen ich nicht mitbekommen habe. Es waren bereits einige Tausend Leute dort, die wegen des Konzerts gekommen waren, als die Demo eintraf.

Ich bin ja schon ein alter Knochen, und daher hatte ich nie mitgekriegt, wie viele Fans Rage unter den jungen Latinos und anderen nichtweißen Gruppen hat. Es war inspirierend, soviele junge Leute aus so vielen Bevölkerungsgruppen zu sehen, die alle für ein ausgesprochen militantes Ereignis zusammenkamen. Rage Against The Machine haben keineN enttäuscht und ihrem Namen alle Ehre gemacht.

Als die Latinoband gerade angefangen hatte, erklärten die Bullen das Konzert zur "illegalen Versammlung" und gaben allen Anwesenden 15 Minuten Zeit, das Gebiet zu verlassen. Die Bullen wußten sehr gut, daß es den Anwesenden unmöglich war, in dieser kurzen Zeit rauszukommen, denn die aufgebaute Falle war so konstruiert, daß nur wenige Personen durch die schmalen Zugänge kamen. Die Bullen ließen ein paar Leute raus und gingen dann auf die Menge los. Zuerst teilten sie die Leute, indem sie in die Mitte der Leute gingen, die vor den Ausgängen standen, und dann griffen sie in beide Richtungen an. Es machte keinen Unterschied, ob du gerade raus wolltest oder der Anordnung keine Folge leisten wolltest, die Bullen gingen auf alle los. Sie schossen mit Gummigeschossen auf die Leute. Die haben sogar auf eine Frau im Rollstuhl geschossen, sie haben Leute am Rücken getroffen, die weg wollten, sie haben auf Jugendliche geschossen, und sie schossen auf Leute, die ihre Hände hoben und sich in dieser Nacht dem Polizeistaat ergeben wollten. Die Polizei schickte dann berittene Bullen rein, und die Pferde traten die Leute; sie schickten Bullen auf Motorrädern rein, die die Leute überfuhren. Sie gingen auch auf die VertreterInnen der alternativen Medien los. Kurz vor diesem Angriff machten die Bullen eine Razzia beim Independent Media Center, so daß die keine Berichte mehr rausbekamen. Im großen und ganzen schien dieser Angriff sehr gut vorbereitet, und sollte offenbar auch unabhängig von den tatsächlichen Ereignissen durchgezogen werden. Damit sollte die Botschaft verbreitet werden, daß der Polizeistaat die Kontrolle hat und alles tun könnte, wonach ihm gerade sei. Ich hatte auch den Eindruck, daß dieser Angriff ein Test für ihre Taktik war.

Am nächsten Tag nahmen wir an der Demo der BusfahrerInnengewerkschaft teil, die mir sehr gefiel, weil sich wegen der hier aufgegriffenen kommunalen Themen viele EinwohnerInnen beteiligten. Dann gingen wir bei der "Fair Share"-Demo mit. An dieser Demo nahmen auch Tausende von GewerkschafterInnen teil, die gegen die AFL-CIO-Verräter und deren Bündnis mit der Demokratischen Partei protestierten. Wir nahmen auch an der anschließenden Kundgebung teil, die sich gegen die Sanktionen gegen den Irak richtete. Kurz bevor die Kundgebung anfing, kam eine Gruppe von rechten Christen mit großen Transparenten und drängte sich genau vor die Bühne, und die Ordner (besser Ordnerbullen) taten nichts dagegen. Wir schlossen uns einer Gruppe von Leute an, die sich aus der Protestzone herausdrängte. Die Ordner unternahmen nichts gegen diese Christen, die eindeutig dort waren, um Stunk anzufangen, aber sie gingen gegen die Leute vor, die die Protestzone verlassen wollten. Die Ordner schubsten uns herum und versuchten, uns mit Gewalt zurückzuziehen. Nachdem einer der Ordnerbullen meinen 13jährigen Sohn brutal ergriffen hatte, wehrte der sich, und ich erklärte dem Typen, wenn er nochmal meinen Sohn anfassen würde, dann würde er in genau demselben Moment arge gesundheitliche 
Einbußen erleben. Darauf ließen sich meinen Sohn und mich in Ruhe. Wir hakten uns dann alle unter und drückten die Christen raus, worauf eine Gruppe Ordnerbullen auf meinen Sohn und mich zukam und uns drohte, sie würden uns [von der Polizei] festnehmen lassen. Ich erklärte ihnen, das sollten sie nur tun, dann würde ich hinter ihren Ärschen her sein und sie könnten was erleben.

Während der Ereignisse der ganzen Woche unternahmen die Ordnerbullen nicht einmal was, um die Leute vor dem wahren Feind, dem Polizeistaat, zu schützen. Dagegen wurden sie meiner Meinung nach zum Kolaborateur des Polizeistaats und versuchten Leute davon abzuhalten, sich selbst zu verteidigen. Sie gingen sogar auf Leute los, die die Polizei kritisierten, wenn wir ohne Grund von der Polizei angegriffen wurden. Die Ordnerbullen nannten alle Personen 'Provokateure', die sich verteidigten, die die Polizei kritisierten, und alle Leute im Schwarzen Block.

Am Mittwoch gingen wir mit der Demo zur Polizeiwache Rampart Station. Als wir da waren, brauchten wir nicht mehr die LA Times zu lesen, um mitzukriegen, daß der dort ausgeübte bürgerlicher Ungehorsam mit den Bullen und dem Justizministerium abgesprochen waren (das Justizministerium kontrollierte zu jedem Zeitpunkt den Polizeistaat), denn das spielte sich direkt vor unseren Augen ab. Der bürgerliche Ungehorsam sollte offenbar einen militanten Protest auflösen. Wir hauten angeekelt ab und schlossen uns der militanteren Demo gegen Polizeibrutalität an, die zum Parker Center, dem Hauptquartier der Polizei in LA, ging. Vom Parker Center führten militante Jugendliche die Demo zur Protestzone am Parteitag. Unterwegs schubsten die Bullen alle Leute vom Fußweg, selbst PassantInnen, die nur zufällig da waren. Ein Bulle schlug einem Fotografen hart in die Rippen, der auf dem Fußweg stand. Als die Bullen am Fußweg eine Kette bildeten, sprangen einige aus dem Schwarzen Block in einem gut organisierten Zug in die Mitte der Kette und drückte die Bullen an die Wand. Gut so, Leute! Steht für das Volk ein und beschützt es! Ich war da ganz stolz, daß ich Anarchist bin. Kurz danach gab es einen Sprechchor, den ich für den besten der ganzen Woche halte: "Bad Cops, no donuts!" [Volkstümliches Vorurteil (?) gegen Bullen in den USA, daß sie ihre Zeit damit zubringen, Donuts zu essen, ein 'ordentlicher' Bulle darf also nie ohne Donut zu sehen sein; d.Ü.].

Als die Demo sich der Protestzone näherte, verweigerten die Bullen dem Lautsprecherwagen die Einfahrt in die Protestzone, also machten die Leute auf der Straße halt. Die Bullen kesselten den Demozug ein und griffen mehrmals an, beschossen die Leute mit Gummigeschossen und schlugen sie mit Schlagstöcken. Unter den Angegriffenen war Jean Day, eine Native American beim LPDC [Leonard Peltier Defense Comittee] und Älteste bei ihrem Volk, sie wurde von einem Gummigeschoß getroffen und mit dem Stock ins Gesicht geschlagen. Es schien, daß die Bullen dann erkannten, daß sie immerhin in Sichtweite vieler demokratischer Delegierter auftraten und diese womöglich gefährdeten, also zogen sie sich zurück. Einige von uns riefen den Delegierten zu: "So sieht eure Demokratie aus!", "Die Menschen wollen Brot und Gerechtigkeit, und ihr Demokraten gebt uns Kugeln, Schlagstöcke und Tränengas!" und so weiter. Ich hörte von einigen Leuten, daß die Direct Action Network-Führer in ihrem Zentrum den Leuten sagten, sie sollten nicht in die Innenstadt gehen und uns unterstützen, die wir uns nicht den Bullen beugen wollten.

Am letzten Tag nahmen wir nur an einer Demo teil. Das war die Demo gegen Sweatshops, die im Garment District anfing, einem Bezirk, in dem es viele hohe heruntergekommene Gebäude gibt, in denen ein Sweatshop neben dem anderen sitzt. Viele dieser Firmen hatten für den Tag geschlossen und ihren ArbeiterInnen erzählt, sie seien wegen der Demo hier nicht sicher. Bei den noch arbeitenden Firmen schauten viele ArbeiterInnen aus den Fenstern und begrüßten uns, als wir vorbeigingen. Danach kletterten wir in unseren Bus und fuhren zurück in den Nordwesten.

Mein abschließender Kommentar ist: wir müssen erkennen, daß der Polizeistaat jetzt über mehr Macht verfügt als früher, und daß wir in einer Zeit der sich wiederbelebenden sozialen Bewegungen leben, deren Speerspitze vor allem junge Leute bilden. Diese beiden Elemente werden auch weiterhin zusammenstoßen. Wir sollten nicht versuchen, die jungen Leute zurückzuhalten, sondern sie vielmehr auf jede uns mögliche Weise unterstützen und immer für sie da sein. Es ist zwar wahr, daß soziale 
Veränderung nur durch fortgeschrittenere Formen der Organisations der Macht unserer Klasse erreicht werden kann, aber wir dürfen uns nicht in arroganter Weise von der Jugend abwenden.

Translation: AFD/IFA Hamburg, email: i-afd_2@anarch.free.de