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Alles im Lot?
Die rot-grüne Koalition und ihre Konjunkturdelle

von Joachim Bischoff
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Eine Regierungskoalition, die die wirkliche Entwicklung in der Gesellschaft nicht zur Kenntnis nehmen will, gerät in Gefahr, sich von den sozialen Konflikten und der politisch-gesellschaftlichen Debatte zu entfremden. In eine solche Falle läuft die Regierung Schröder, wenn sie vor Pessimismus und Schwarzmalerei angesichts des abgeflachten Wirtschaftswachstums warnt. Die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hatten zuvor ihre Wachstumserwartungen für das laufende Jahr von 2,1% des BIP auf 1,3 bis 1,7% reduziert. Das DIW will selbst eine rezessive Entwicklung nicht ausschließen. Anders als die anderen Forschungsinstitute sieht das DIW nicht mehr eine konjunkturelle Erholung in der zweiten Jahreshälfte.

Schon bei oberflächlicher Betrachtung sind Zweifel an einer Fortführung der konjunkturellen Aufwärtsbewegung angebracht:
– Die Preissteigerungsrate erreicht mit 3,5% einen mehrjährigen Höchststand. Man kann es drehen und wenden wie man will: die Arbeitseinkommen bleiben deutlich hinter den Preisen zurück. Dies ist zwar für die Produktionskosten und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit günstig, aber die Schwäche des privaten Verbrauchs wird dadurch verfestigt.
– Durch die Entwertung des Euro, und damit der DM, wurde die Konkurrenzfähigkeit der ausgeführten Waren und Dienstleistungen verbessert. Aber die massive Abschwächung der US-Konjunktur, die Stagnation in Japan und die ökonomisch-finanziellen Probleme einiger Schwellenländer (Türkei, Argentinien, Brasilien) haben den bundesdeutschen Exportmotor gedrosselt.
– Das veränderte Wirtschaftsklima schlägt sich in deutlichen Produktions- und Umsatzeinschränkungen nieder. Nach der Informations- und Kommunikationsindustrie (vor allem Chip-Hersteller) melden auch die Automobil-, Chemie- und Elektroindustrie Absatzprobleme. Die hiesige Automobilindustrie hat ihr Absatzziel angesichts der Exportabschwächung und des schrumpfenden Inlandsmarktes unter das Vorjahresergebnis zurückgenommen. Die Produktionsleistung der Bauindustrie lag im April 14% unter dem Vorjahresniveau.

Trotz all dieser eindeutigen Hinweise für eine wirtschaftliche Talfahrt hält die Bundesregierung an ihrem Optimismus fest. Finanzstaatssekretär Diller (SPD): »Nach allem gibt es keinen Anlass, die konjunkturelle Entwicklung schwarz zu malen.« Der Vorwurf der Schwarzmalerei wird von der hegemonialen Schicht der politischen Klasse stets erhoben, um eine öffentliche Debatte über die Ausgestaltung der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu unterbinden. Fakt ist: Für das zweite Quartal 2001 erwarten die meisten Experten ein Nullwachstum und angesichts dieser Stagnation ist das Ziel von ca. 2% Zuwachs des BIP nicht zu erreichen. Auch die schon unter der Regierung Kohl propagierte Formel von der Wachstums- oder Konjunkturdelle wurde wieder ausgemottet.

Schröders Benchmark

Die rot-grüne Regierungskoalition hat noch ein Jahr Zeit, um ihr zentrales Versprechen einzulösen. Die Arbeitslosigkeit solle »unter die Zahl von 3,5 Millionen« gedrückt werden, versprach Bundeskanzler Schröder; vor allem an dieser Zahl wolle er sich messen lassen. Zur Zeit liegt die Arbeitslosenzahl bei 3,8 Millionen und nach Einschätzung von Arbeitsmarktexperten deutet der leichte Anstieg der Arbeitslosigkeit im laufenden Jahr darauf hin, dass ohne außerordentliche Anstrengungen die Vorgabe des Kanzlers nicht zu erreichen ist. Vor allem Finanzminister Eichel will seine mühselig austarierten Sparhaushalte nicht aufweichen lassen: Für zusätzliche Konjunkturförderungen soll es sowenig Geld geben wie für eine Ausweitung der Arbeitsmarktförderung. In Erwartung eines fortgesetzten Konjunkturaufschwungs hat Eichel alle Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit zurückgefahren und wollte mit der Ausweitung des Aktionsradius des »aktivierenden Staates« die Leistungen für Lohnersatzzahlungen weiter verringern.

Die bisherigen Effekte der Steuersenkungspolitik (Steuertarif, Kindergeld, Familienförderung) sind faktisch verpufft. Ihr Volumen dürfte im laufenden Jahr gut einen Prozentpunkt des nominalen Bruttoinlandsprodukts erreichen. Aber eine Ausweitung des privaten Verbrauchs kann es angesichts der überlieferten Verteilungsverhältnisse, der ausgeweiteten Belastung durch Sozialabgaben und der hohen Inflationsrate nicht geben. Von der Möglichkeit einer Konjunkturförderung durch ein Zukunftsinvestitionsprogramm ist die rot-grüne Regierung grundsätzlich abgerückt, so dass im Fall einer weiteren Beschleunigung der Abwärtsentwicklung allein durch das Vorziehen der nächsten Steuersenkungsschritte eine begrenzte Gegensteuerung erfolgen kann. Die Regierung hofft darauf, dass der Konjunkturmotor in den USA rasch wieder auf Touren kommt und somit eine eigenständige Anstrengung unterbleiben kann.

US-Wirtschaft vor einer Rezession?

Der langjährige Wirtschaftsboom in den USA in den 90er Jahren ist vor allem durch die Binnennachfrage und - deutlich geringer - durch eine Expansion der Investitionen getragen worden. Die privaten Konsumausgaben sind von 1992-2000 weitaus stärker gestiegen als die Einkommen der privaten Haushalte: Während die verfügbaren Einkommen um 47% stiegen, nahm der private Konsum um 61% zu. Die Folge: die Sparquote der privaten Haushalte ging von +8,7% auf -1,2% im ersten Quartal zurück.

Durch drastische Zinssenkungen, eine expansive Geldpolitik und rückwirkend zum Jahresbeginn in Kraft gesetzte Steuersenkungen will die neue US-Administration eine sanfte Landung der Konjunktur erzwingen. 70% des auf 1,35 Billionen Dollar bemessenen Steuersenkungsprogramms bis 2011 fallen erst ab dem Jahr 2006 an; gleichwohl werden in diesem Jahr an einen Teil der US-Steuerzahler Regierungsschecks über 300 oder 600 Dollar als Erstattung einer zu hohen Steuerbelastung versandt. Nach Berechnung des Budget Office des US-Kongresses (CBO) »ergäbe das etwa einen Effekt von 50 Mrd. US-$ in diesem und 75 Mrd. US-$ im nächsten Jahr. Dies entspräche rechnerisch einer Konjunkturstimulierung in Höhe eines halben Prozentpunktes des nominalen Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und eines dreiviertel Prozentpunktes im nächsten Jahr.«1 Zusammen mit den deutlichen Zinssenkungen stellen die rasch umgesetzten Steuersenkungen durchaus wirksame Maßnahmen zur Stützung des privaten Verbrauchs und damit der Konjunktur dar. In den 90er Jahren entwickelten die US-Ökonomen die Faustformel, dass auf nationaler Ebene ein Vermögenszuwachs von einem Dollar bei den privaten Haushalten eine Expansion des Konsums von 3-5% auslöste. Die spannende Frage lautet freilich, ob bei den sich abzeichnenden Verlusten beim Geld- und Aktienvermögen und einem ausgeschöpften Sparprozess diese Tendenz fortgeschrieben werden kann. Zu Recht bemerkt das DIW, »dass es kaum noch möglich sein dürfte, die Sparquote der privaten Haushalte weiter zu vermindern - genauer, das Geldvermögen weiter abzubauen. Die US-amerikanischen Haushalte können ihren Konsum nicht unbeschränkte Zeit ›auf Pump‹ finanzieren. Vielmehr dürften zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit, weniger stark steigende verfügbare Einkommen sowie gedrückte Aktienkurse und Dividenden über kurz oder lang dazu führen, dass die privaten Haushalte weniger ›entsparen‹ oder sogar wieder Nettogeldvermögen bilden werden. Dies wird für sich genommen die Expansion des privaten Verbrauchs weiter beeinträchtigen.«2

Die große Kündigungswelle - auch aus dem Bereich der New Economy - steht der US-Wirtschaft erst noch bevor. Der Umsatz der Chip-Industrie dürfte in diesem Jahr um über 50% einbrechen: verlangsamte Auslieferung der PCs und ein deutlicher Anstieg der Lagerbestände. Die Produktionsprobleme in der Automobil- und chemischen Industrie sind bekannt. Die Hoffnungen, dass es durch massive Zinssenkungen und eine begleitende Fiskalpolitik rasch zu einer Überwindung des konjunkturellen Periodenwechsel kommen würde, haben sich verflüchtigt.

Szenario für 2002

Angesichts der hohen Inflationsrate hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) nicht getraut, den Zinssatz von 4,5% zurückzunehmen. EZB-Präsident Duisenberg sieht zwar den Scheitelpunkt der Preissteigerungen erreicht und bleibt auch für das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone optimistisch. Von der Gefahr einer Rezession will jedoch niemand sprechen. Dominant ist nach wie vor die Einschätzung, dass der Tiefpunkt in der Abschwächung der US-Konjunktur erreicht ist und die beiden Wirtschaftsblöcke (Japan, Europa) von der bevorstehenden Aufwärtsbewegung partizipieren werden. Schiebt man dieses Prinzip Hoffnung beiseite, dann ist es eher berechtigt, von einer weiteren Eintrübung der Konjunkturlage im weltwirtschaftlichen Verbund auszugehen. Die neu formierte japanische Regierung geht davon aus, dass während der nächsten zwei bis drei Jahre in Japan harte Strukturanpassungen durchgesetzt werden. Das bisherige offizielle Wachstumsziel von 1,7% des BIP ist faktisch kassiert. Für den angestrebten Übergangszeitraum könne bestenfalls ein Wirtschaftswachstum von 0-1% realisiert werden. Erst nach der Wertberichtigung des riesigen Schuldengebirges bei Banken, Versicherungen und Immobilienfirmen könne man von einer Beschleunigung der Akkumulationsrate auf 2-3% ausgehen.

In den USA ist die neue Administration bereit, weitere Konjunkturspritzen einzusetzen, und die fiskalische Konstellation lässt dies zu. Gleichwohl ist es eher unwahrscheinlich, dass mit solchen Interventionen eine Erneuerung eines konsumgetragenen Aufschwungs erzwungen werden kann. Eine weitere Abschwächung in der Euro-Zone und vor allem der Bundesrepublik ist daher zu erwarten. Die rot-grüne Regierungskoalition wird also nicht nur wegen ihrer Verteilungspolitik, der Teilprivatisierung der Alterssicherung und des bevorstehenden Umbaus der Krankenversicherung, sondern auch wegen der elementaren Defizite in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Verteilungspolitik unter Druck geraten.


Joachim Bischoff ist Redakteur von Sozialismus.

1 DIW-Wochenbericht 23/2001, US-Wirtschaft im Abschwung, S. 350.
2 Ebda, S. 349.