Attac Deutschland zur Gewaltdiskussion
Diskussionspapier

Dieser Text ist Teil der Debattenseite zur Gewaltdiskussion, wo auch noch einige weitere Texte zu finden sind.
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3.7.2001
  1. Die gegenwärtig herrschende Form der "Globalisierung" stellt eine historisch neue Qualität gesellschaftlicher Entwicklung dar, die auf eine Art Manchesterkapitalismus auf globaler Ebene hinausläuft. Sie führt zu einer Vertiefung von sozialer Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. Die Armut nimmt zu - etwa die Hälfte der Menschheit muss mit weniger als 2 Dollar täglich überleben - und das nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrieländern. Die internationalen Finanzmärkte diktieren in immer stärkerem Maße die Wirtschafts- und Sozialpolitik der zu Standorten mutierten Nationalstaaten und machen damit auch die parlamentarische Demokratie zunehmend zur leeren Hülse. Die Umweltzerstörung beschleunigt sich, der Markt dringt in alle Lebensbereiche vor und selbst die menschlichen Gene sollen der kommerziellen Verwertung unterworfen werden.
  2. Es ist nur logisch und natürlich auch gut so, dass diese Entwicklung Kritik, Widerstand und Gegenbewegung hervorruft. Die Akzeptanz der Globalisierung sinkt. Das Scheitern des Multilateralen Investitionsabkommens und die seit Seattle nicht mehr abreißende Kette von Protestaktionen gegen internationale Regierungskonferenzen sind nur spektakuläre Ausdrucksformen dieser globalisierungskritischen Gegenbewegung. Sie ist sehr vielfältig und umfasst Menschen und Organisationen unterschiedlichster politischer, philosophischer, religiöser, sozialer und kultureller Herkunft. Sie bedient sich einer pluralistischen Vielfalt von Instrumenten, Aktions- und Ausdrucksformen und sucht noch nach Wegen zu Zusammenarbeit und politischer Durchsetzungsfähigkeit. Sie ist eine Bewegung im Werden und Hoffnungsträgerin für viele. Sie ist aber auch noch keineswegs so stabil, als dass sie nicht jeder Zeit scheiten könnte.
  3. Genauso unvermeidlich wie die Entstehung einer globalisierungskritischen Bewegung ist es, dass die wenigen Gewinner der herrschenden Form der Globalisierung und ihre politischen Vertretungen ein Interesse daran haben, dass diese Bewegung sich nicht zu einer mächtigen politischen Kraft formieren kann. Dazu bedienen sie sich eines großen Arsenals an Mitteln, darunter Diskreditierung, Spaltung und offene Repression. Daher ist es nicht verwunderlich, dass seit Seattle eine Eskalation beim Einsatz polizeilicher Mittel zu beobachten ist, immer häufiger Gewalt von der Polizei ausgeht und die Einsätze von immer drastischerer Unverhältnismäßigkeit geprägt sind. ATTAC verurteilt den konfrontativen, provokanten und mit der Einschränkung demokratischer Rechte einhergehenden Einsatz von Polizei gegen friedliche Proteste. Insbesondere ist der Einsatz von Schusswaffen nicht zu rechtfertigen. Er stellt für Europa eine neue Qualität staatlicher Übergriffe dar.
  4. Trotzdem ist bei Protestaktionen nicht die Polizei unser Gegner. Sie ist nur Instrument der herrschenden Politik, nicht aber Ursache der gesellschaftlichen Probleme. Eine Strategie, die auf Militanz setzt und die Konfrontation mit der Polizei sucht, lehnen wir deshalb ab. Wir wissen, dass es unter den GlobalisierungskritikerInnen auch andere Meinungen gibt. Wir halten diese für theoretisch falsch und politisch schädlich. Die Kontroverse darüber muss selbstverständlich geführt werden, solche Positionen können und müssen - auch öffentlich - kritisiert werden. Umgekehrt ist es ebenfalls völlig legitim, wenn Gruppen und Individuen für sich selbst das Recht in Anspruch nehmen, uns und andere zu kritisieren. Diese gegenseitige Kritik ist notwendig zur Klärung der Widersprüche untereinander und dient nicht der Distanzierung und Auslieferung an die Polizei noch der Diffamierung als Helfershelfer des Systems.
  5. ATTAC ist der Meinung, dass gesellschaftliche Veränderungen durch die Köpfe der Menschen gehen müssen. Ohne die Emanzipation von ideologischer Bevormundung wird es keine Veränderung geben. Veränderung kann deshalb auch nur demokratisch, d.h. durch die Teilnahme vieler Menschen an gesellschaftlicher Bewegung erreicht werden. Anders funktioniert sie nicht. An diesem demokratischen Imperativ orientieren sich auch die Aktionsformen von ATTAC. Aktionsformen, die diesem Ziel widersprechen und zur politischen Isolierung und moralischen Diskreditierung der Bewegung führen, lehnen wir ab. Daraus ergibt sich, dass unsere Aktionsformen friedlich und frei von physischer Gewaltanwendung sind. Das schließt Aktionen zivilen Ungehorsams, wie Blockaden und begrenzte Regelverletzungen nicht aus.
  6. Die Anwendung physischer Gewalt ist ein Problem, das für alle Menschen eine existenzielle Dimension hat. Jedes Kind, das einmal geschlagen wurde, hat diese Erfahrung gemacht. Deshalb erweckt diese Gewalt so tiefgehende Emotionen, wie wir gerade erst jetzt wieder im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel in Göteborg erlebt haben. Deshalb wird die Präsenz von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung als besonders schwerwiegend empfunden. Aber gerade deshalb auch ist das Gewaltthema so leicht politisch instrumentalisierbar, gerade deshalb ist es ein so wirksames Mittel zur Diskreditierung und Spaltung von sozialem Protest. Diese besondere Qualität von Gewalt muss in eine politische Strategie, die diesen Namen verdient, eingehen.
  7. Dies gilt umso mehr, als angesichts des Einflusses der Medien auf die Meinungsbildung, insb. des Fernsehens, die politische Instrumentalisierbarkeit der Gewaltfrage heute noch mehr Brisanz erhält. Denn Gewaltszenen kommen der visuellen Logik des Mediums in besonderem Maße entgegen. Seine dramaturgischen Bedürfnisse nach Action, einfachen Schemata von Gut und Böse und sein Sensationalismus entfalten ihre Wirkung auf dem Hintergrund der o.g. existenziellen Bedeutung von physischer Gewaltanwendung bei den ZuschauernInnen. Auch wenn es uns nicht passt, dass die Darstellung in viele Medien einseitig und sensationslüstern ist, die Medien sind ein Machtfaktor, den man nicht ungestraft geringschätzen darf.
  8. Auch die Einebnung des qualitativen Unterschieds zwischen struktureller Gewalt, dem "stummen Zwang der Verhältnisse" also, und physischer Gewalt ist ein Irrweg. Es ist und bleibt ein qualitativer Unterschied, ob sich z.B. patriarchale Gewalt darin äußert, dass Eltern von ihren Kindern Gehorsam über nicht-physische Druckausübung durchsetzen, oder ob sie diesen mit Prügel erzwingen. Es ist und bleibt ein qualitativer Unterschied, ob ich gezwungen bin, meine Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, oder ob etwas mit vorgehaltener Waffe erzwungen wird.

Als praktische Schlussfolgerung für zukünftige Aktionen wird ATTAC sich an folgenden Eckpunkten orientieren:

  • Wir sind mit jeder Organisation und Person aus der globalisierungskritischen Bewegung zum Gespräch und zur Kooperation bereit. Niemand darf a priori ausgegrenzt werden; mit Gruppen die die Globalisierung aus nationalistischen und chauvinistischen Motiven kritisieren, wollen wir allerdings nichts zu tun haben;
  • Uns ist es wichtig, dass Aktionen, an denen wir beteiligt sind, von vorneherein einen klaren, erkennbaren Charakter haben - wer dort hinkommt, muss vorher wissen, was sie/ihn erwartet.
  • Für gemeinsame Aktionen streben wir deshalb Absprachen an, die für alle Partner verbindlich sind; sind solche Absprachen nicht möglich, kommen gemeinsame Aktionen nicht zu Stande. Jeder handelt dann als autonomer Akteur und auf eigene Verantwortung.
  • Wir erwarten, dass getroffene Absprachen eingehalten werden. Gegenseitige Instrumentalisierungen haben in einer gemeinsamen Bewegung keinen Platz. Akteure, die sich daran nicht halten, begreifen wir nicht als Bündnis- oder GesprächspartnerInnen und werden sie gegebenenfalls - auch öffentlich - entsprechend eindeutig kritisieren.

Der vorliegende Text ist Konsens im Koordinierungskreis von ATTAC Deutschland. Mitglied im Koordinierungskreis sind:

Lena Bröckl (ATTAC Regionalgruppe Berlin), Hugo Braun (Euromärsche), Sven Giegold (ATTAC-Büro) Martin Gück (KAIROS Europa), Martin Herndlhofer (Pax Christi) Philipp Hersel (blue 21), Dirk Krüger (ATTAC Regionalgruppe Rheinland) Oliver Moldenhauer (ATTAC-Büro), Pedro Morazan (Südwind), Werner Rätz (ila), Peter Wahl (WEED).

Die Organisationsangaben in Klammern dienen nur der Information.