Die türkische Rechte im Aufwind
Geschichte und Aktualität

Von Kemal Bozay

7-8/02
 

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Die türkische rechtsextreme und faschistoide Gruppierung “Graue Wölfe” macht wieder von sich reden. Spätestens seit dem Brandanschlag in Solingen tritt sie wieder vermehrt öffentlich auf. Und auch die Welle der Gewaltanschläge hat mit dem Mord an Erol Ispir in Köln im Jahr 1998 eine neue Dimension erreicht.

Doch der Aufschwung der neofaschistischen “Grauen Wölfe”, die in der Türkei unter dem Namen “Nationalistische Bewegungspartei” (MHP) bekannt sind und sich in der Bundesrepublik mit der Ablegerorganisation “Türk Föderation” tarnen, bleibt nicht darauf begrenzt. Zumal der Wahlerfolg der faschistoiden MHP der rechtsextremen Bewegung in der Türkei eine neue Dynamik verschafft hat. Nicht zuletzt hat die staatlich organisierte Nationalismuswelle nach der Verschleppung des PKK-Führers Öcalan den Aufwind der Rechtsextremen in der Türkei weiter verstärkt. Davon profitierten die “Grauen Wölfe”, die zur zweitstärksten Kraft avancierten und als Kooperationspartner an der Regierung mitwirkten. Dies stärkte auch ihre Politik und Position in Deutschland.

Geschichtlicher Rückblick

Nach der Gründung der Türkischen Republik 1923 wurde der Nationalismus in der Türkei zur herrschenden Staatsauffassung. Unmittelbar nach der Gründung der Republik wurde die Existenz aller anderen Völker außer dem der Türken negiert. In den 1930er Jahren wurde das faschistisch-italienische Strafgesetzbuch ins Türkische übersetzt und für die türkische Strafgesetzgebung wurden zahlreiche Paragraphen direkt übernommen. Um die Jugend nach dem Prinzip des rassistischen Gedankenguts zu erziehen, wurde der "Nationale Türkische Studentenbund – MTTB" gegründet.

Mit erheblicher Unterstützung Nazi-Deutschlands florierte Ende der 1930er Jahre der Pan-Turanismus (Vorreiter der türkischen Rechtsextremen) erneut. Nazideutschland versuchte die Türkei an sich zu binden und nutzte die panturanistische Bewegung. Zeitschriften wie “Bozkurt” (“Grauer-Wolf”), die vom deutschen Geheimdienst finanziert wurden, unterstützten den Panturanismus. Als Gegenleistung sollten die Turanisten die Türkei an der Seite des deutschen Faschismus in den Zweiten Weltkrieg führen. Zahlreiche Turanisten kämpften auf der Seite Deutschlands in Jugoslawien.

Anfang der 1960er Jahre begann ein neuer Aufschwung und es wurden im ganzen Land "Antikommunistische Kampfvereine" als Vorläufer der MHP (“Partei der Nationalistischen Bewegung”) gegründet. Oberst Alparslan Türkeş, der inzwischen verstorbene Führer der türkischen Faschisten, beteiligte sich mit weiteren zehn Offizieren zunächst an der CKMP (“Republikanisch-nationale Bauernpartei”), die 1969 in MHP umbenannt wurde. 1968 wurden die ersten rechtsextremen Kommandolager in der Türkei gegründet, in denen ehemalige Offiziere Jugendliche militärisch und ideologisch ausbildeten.

In diesen Kommandolagern wurden bis zu 100.000 Jugendliche ausgebildet. Die Kommandos erhielten den Namen “Bozkurtlar” (“Graue Wölfe”) - in Erinnerung an das legendäre Tier, das entsprechend der pan-turanistischen Ideologie die letzten türkischen Stämme aus dem Altai-Gebirge in Zentralasien geführt und diese somit vor dem Aussterben gerettet hatte. Der “Graue Wolf” ist für die MHP ein bedeutungsvolles Symbol der Militanz. Als einen weiteren wichtigen ideologischen Grundbaustein stützt sich die rechtsextrem-faschistoide Bewegung in der Türkei auf den fanatisch-geprägten “Idealismus” (Ülkücülük), der mehr als die Orientierung auf “Ideale” ist.

1975 wurde die MHP zum Bündnispartei der konservativen “Gerechtigkeitspartei” (AP) und damit auch zur Regierungspartei. Türkeş wurde stellvertretender Ministerpräsident und hatte damit volle staatliche Rückendeckung für den organisierten Terror. Während dieser Koalitionszeit wurden viele Schlüsselpositionen von MHP-Funktionären besetzt. Bereits Anfang der 1970er Jahre waren die Todesschwadronen der MHP in allen Teilen des Landes bestens organisiert. Durch Straßenterror, Massaker und Provokationen ermordeten die “Grauen Wölfe” zwischen 1974 und 1980 nahezu 5.000 Menschen. Sie schufen die Voraussetzung für den Militärputsch vom 12. September 1980.

Der Militärputsch von 1980 zerschlug nicht nur die Arbeiterbewegung, sondern auch alle anderen oppositionellen Bewegungen. Um sich angeblich “unabhängig” darzustellen, benutzte die Militärjunta die Demagogie “wir sind sowohl gegen Rechts- als auch gegen Linksextremismus”. Deshalb wurde - wie andere Parteien auch - die MHP verboten und gegen einige Funktionäre dieser Partei ein Verfahren eingeleitet. Diesen Schritt musste die Militärjunta tun, um vor den Augen der Bevölkerung glaubhaft zu erscheinen. Denn die MHP war vor dem Putsch von breiten Bevölkerungsteilen geächtet. Die zahlreichen Morde an Intellektuellen, Wissenschaftlern und Gewerkschaftern durch die “Grauen Wölfe” hatten breite Bevölkerungsteile erschüttert. Es entwickelte sich ein starker Widerstand gegen diesen Terror. Um die Verantwortung des Staates (Militär, Polizei, Justiz etc.) zu vertuschen, den Widerstand des Volkes zu unterbinden und eine breite Unterstützung zu erlangen, wurden auch gegen den Vorsitzenden der MHP und einige ihrer Führungskader “Schauprozesse” durchgeführt. Der Führer der “Grauen Wölfe” Türkeş sagte damals: “Wir sind zwar hinter Gittern, aber unsere Ideen sind an der Macht.”

Nach 1983 wurden wieder Parteien zugelassen. Zahlreiche MHP-Funktionäre und Anhänger organisierten sich in der neu gegründeten “Mutterlandspartei-ANAP”. Bis Ende der 1980er Jahre haben die Herrschenden durch die ANAP-Regierung die politischen Macht inne gehabt. Doch die Proteste der Gewerkschaften und die kurdische Bewegung stellten für die Regierung Probleme dar. Gerade in dieser Phase wurde die bis dahin in den Hintergrund gerückte zivile faschistische Bewegung wieder aktiviert, um ihrer früheren “Pflichten” nachzukommen.

Neues Outfit der “Grauen Wölfe”

Seit Anfang der 1990er Jahren treten die alten und neuen Gesichter der MHP immer häufiger in Erscheinung. Es ist kein Zufall, dass in dieser Zeit die "Memoiren" des Faschistenführers Alpaslan Türkeş in großen Massenblättern publiziert wurden. Dort wurde die MHP als gemäßigte Organisation dargestellt, die sich reformiert habe, sich zu den Grundlagen der Republik bekenne und den Fundamentalismus ablehne. Während der politische Kurs der MHP in den 1970ern durch ihre antikommunistische Haltung geprägt war, rückte in den letzten Jahren die antikurdische Haltung in den Vordergrund. Mit Hilfe des Staates fing die Partei an, sich in Schulen, Stadtteilen etc. kurdischer Provinzen zu organisieren. Ausschlaggebende Parole für die MHP ist die "Unteilbarkeit der Nation und des Staates".

Nach der Auflösung der Sowjetunion versuchten die türkischen Machthaber ihren Einfluss im Kaukasus – insbesondere in den Turkrepubliken – auszuweiten. Sie definierten ihren Machtanspruch mit Parolen wie "von der Adria bis zur chinesischen Mauer" und versuchten durch ihre chauvinistische Außenpolitik die repressive Innenpolitik zu überdecken. Besonders Türkeş wurde mehrmals zu Staatsbesuchen in diese Gebiete geschickt, obwohl er damals nicht an der Regierungskoalition beteiligt war. Die bewusst provozierte nationalistisch-chauvinistische Welle in den turksprachigen Republiken begünstigte wiederum gleiche Tendenzen im Inland. Während die Koalition der “Partei des rechten Weges” (DYP) mit der “Republikanischen Volkspartei” (CHP) zwischen 1991 und 1995 lautstark von der Demokratisierung redete, wurde die Unterdrückung der Arbeiterbewegung und der Kurden permanent verstärkt und gleichzeitig der MHP der Weg geebnet. Die kleinbürgerliche Schicht, die durch die Wirtschaftskrise in eine ideologische Sackgasse geraten war, sah die Rettung im idealistischen Nationalismus der “Grauen Wölfe”. Daher hat sich auch das Klientel der MHP geändert. Im Gegensatz zu den 1970ern rekrutiert sie ihre Anhänger größtenteils nicht aus rückständigen ländlichen Gebieten wie Zentral- oder Ostanatolien, sondern durchaus auch aus den Großstädten und Tourismuszentren.

Die MHP hat es geschafft, einen Teil des Kleinbürgertums mit streng nationalistischer Propaganda für sich zu gewinnen, der sich von Parteien der "Zentrumsrechten" losgelöst hat. Besonders anfällig sind jedoch Jugendliche, die in der jetzigen wirtschaftlichen Lage perspektivlos sind. Ein anderer Grund, aus dem faschistische Argumentationen in bestimmten Kreisen Zuspruch finden, ist sicher der seit den 1990er Jahren deutlich stärker hervortretende Anspruch auf kurdische Selbstbestimmung. Staat, Regierung und offizielle Ideologie nahmen diese Realität zum Anlass, den türkischen Nationalismus und Chauvinismus in alle Bevölkerungsteile zu tragen. Insbesondere der Nationalismustrend nach der Verschleppung Öcalans hat den “Grauen Wölfen” einen breiten Zuspruch verliehen.

Im Rahmen der Wahlen in der Türkei im Dezember 1998 haben türkische Medien und Massenblätter immer wieder vom veränderten Image der MHP gesprochen. Sie alle versuchten, der MHP eine saubere Weste zu verleihen. Doch die Praxis hat deutlich gezeigt, dass die MHP entgegen allen Behauptungen stets ein kompromissloser Verfechter des rechtsextremen Systems ist. Gerade die Tatsache, dass sich die offizielle Politik auf die Kernideologie der Türkisch-Islamischen-Synthese stützt, bestätigt nochmals den Einfluss des fanatischen Rechtsextremismus in der Türkei.

Lobbyorganisationen und rechtsextremer Zulauf

Die politischen Kontakte der türkischen Rechtsextremen zu deutschen Politikern und offiziellen Kreisen gehen weit zurück bis auf die “Türkisch-Deutsche-Waffenbrüderschaft” im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg auf die gemeinsame ideologische Auffassung und in der jüngsten Zeit auf den Schutz vor dem “roten Terror”. Zahlreiche türkische und deutsche Rechtsextreme, die während des Zweiten Weltkriegs zusammenarbeiteten, waren auch seit Anfang der 1970er Jahren Propagandisten der MHP in Deutschland. Mit Hilfe einflussreicher deutscher Politiker konnte die MHP zwischen 1975 und 1977 in der BRD ihre Auslandsorganisation aufbauen.

Die MHP gründete im Jahre 1978 die “Türk-Föderation” (ADÜTF – “Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa”) mit dem Hauptsitz in Frankfurt am Main und organisiert sich in Deutschland auf der Basis von Vereinsstrukturen. Diesem Verbund sind zirka 220 Vereine – davon 170 in der BRD – angeschlossen.

Die Organisation unterhielt gute Kontakte zu deutschen Politikern. So kam es 1978 zu einem Treffen von Türkeş mit dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Anschließend traf sich Türkeş mit deutschen Unternehmern. Gerold Tandler (CSU) beurteilte damals die MHP folgenderweise: “Die MHP und die Türk-Föderation setzen sich für die Interessen der Türkischen Republik und Nation im Rahmen der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland ein.” Laut eines Berichts der Zeitschrift “2000e Dogru” vom 6. Dezember 1992 erklärte der frühere Vorsitzende der “Türk-Föderation”, dass der BND bei der Entstehung der Organisation mitgewirkt habe. Zudem hat die “Föderation” europaweite Kontakte zu faschistischen Gruppen und Organisationen. Aus Deutschland flossen mehrere hunderttausend Mark für Wahlpropaganda und Schulungen der MHP. In Deutschland wurden auf Türkeş Namen mehrere Konten eingerichtet. Die “Stuttgarter Zeitung” schrieb am 11. Dezember 1980 auf der Basis von Angaben eines MHP-Mitglieds, dass ETKO (“Esir Türkleri Koruma Ordusu” = “Befreiungsarmee gefangener Türken”), die unter Führung der MHP ihre Aktivitäten betreibt, ihre Anhänger in Deutschland militärisch ausgebildet habe.

Die Entwicklungen in der Türkei beeinflussen die Menschen aus der Türkei im Ausland unmittelbar. Obwohl viele seit drei Jahrzehnten fern ihrer Heimat leben, sind die Kontakte zum Ursprungsland noch stark erhalten. Die kommunikationstechnische Entwicklung macht für viele die “Heimat” näher als es vorher je der Fall war. Durch Kabelanschluss kann das staatliche Fernsehprogramm TRT seit Jahren im Ausland empfangen werden. Zudem können neun Privatkanäle über Satellit empfangen werden. Dies bietet dem türkischen Staat und verschiedenen (fundamentalistisch-nationalistischen) Gruppierungen die Möglichkeit, politische Einflussnahme auch außerhalb der Türkei auszuüben.

Der türkische Staat ging ab Anfang der 1990er Jahren in die Offensive; die “Landsleute im Ausland" hatten wieder an Bedeutung gewonnen. Bis dahin wurden sie lediglich als “Devisenbeschaffer” angesehen. Nun sollten sie auch die “Lobbyarbeit” für die Türkei in Europa übernehmen. Die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller verkündete 1993, welche Aufgaben den “Landsleuten” in Europa dabei zukommen sollten. “Der Kampf gegen den Terrorismus sollte nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland – insbesondere in Europa – geführt werden”.

Zu diesem Zweck wurden auf Initiative des türkischen Botschafters Onur Öymen alle türkisch-nationalistischen und türkisch-islamistischen Organisationen zu Bündnissen zusammengeschlossen, um aktiv aufzutreten. Sie sollten im Rahmen der türkischen Lobby-Politik als eine geschlossene Struktur tätig sein. In diesem Zusammenhang wurden auch die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT neu strukturiert. Jenen Organisationen wurde die Aufgabe übertragen, gegen die kritische Haltung zur Türkei Präsenz zu zeigen. Als Öcalan nach Italien flüchtete, organisierten türkisch-nationale Lobbyorganisationen Massenaktionen auf bundesrepublikanischen Boden und griffen zum Teil kurdische, italienische und griechische Einrichtungen an. Alle diese Vereinigungen sind sich mindestens in einem Punkt einig: das Image der Türkischen Republik zu verbessern und den türkischen Nationalismus auszubreiten. Die “Grauen Wölfe” üben bei der Entstehung solcher Organisationen großen Einfluss aus.

Besonders nach den rassistischen Anschlägen in Mölln und Solingen begannen viele Jugendliche aus der Türkei sich gegen neonazistische Angriffe zu organisieren und politisch aktiv zu werden. Türkische Rechtsextreme und “Graue Wölfe” haben diese Entwicklung begrüßt und den Protest der Jugendlichen unter dem Motto “Zusammenhalt der Türken” zu ihren Zwecken instrumentalisiert.

Bundesrepublikanische Behörden verharmlosen immer wieder die Aktivitäten der “Grauen Wölfe”. Im neuen Verfassungsschutzbericht sind die “Grauen Wölfe” als politisch agierende Gewaltorganisation nicht einmal aufgeführt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Reaktion des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke aus dem Jahr 1995: “Die Türk-Föderation bezweckt in Form von Folklore- und Saalveranstaltungen [...] die Interessen der türkischen Republik im Rahmen der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zur Geltung zu bringen.”

Nicht zu vergessen ist, dass die Argumente der “Grauen Wölfe” Ähnlichkeiten mit denen der Neonazis haben. Die Parole “Deutschland den Deutschen” bis hin zu “Türkei den Türken” und viele andere Beispiele bestätigen, dass die inhaltliche Propaganda der türkischen Rechtsextremen sie keineswegs von den Neonazis trennt. Ferner sind es verwandte politische Ideologien, die Faschisten und Rechtsextreme unter einer Zielsetzung vereinen.
 

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel erschien in: DER RECHTE RAND Nr. 75 vom März / April 2002, S. 15 ff. und ist eine Spiegelung von:
http://www.nadir.org/nadir/periodika/drr/ARCHIV/NR75/nr75-bozay1.htm