Handelt es sich um das Eingeständnis eines Fehlers ? Um einen
taktischen Rückzug ? Oder um ein erzwungenes Nachgeben ? Fakt
ist, dass der französischen Öffentlichkeit Anfang der
vergangenen Woche bekannt wurde, dass die heftig umstrittenen
Wahlen der Führungsspitze von Attac Frankreich in einem halben
Jahr wiederholt werden. Dies hatte der Vorstand der Vereinigung
am vorletzten Samstag beschlossen. Dadurch soll die schwere
Krise der Organisation überwunden werden, die 1998 gegründet
wurde und mehrere Jahre lang eine der erfolgreichsten
außerparlamentarischen politischen Zusammenschlüsse war, jedoch
in den letzten beiden Jahren an Bedeutung verlor und von inneren
Widersprüchen zerrissen zu werden droht.
Die Vereinigung, die sich vor allem mit Themen der Weltwirtschaft
befasst und deren Gründung ursprünglich von einem
Intellektuellenzirkel rund um Le Monde diplomatique
lanciert worden war, wurde zunächst allgemein als «
globalisierungskritisch » bezeichnet. Später wählte sie jedoch
die Selbstbezeichnung « altermondialistisch » – abgeleitet von
’autre monde’ oder auch ’autre mondialisation’,
also dem Eintreten für eine andere Welt respektive eine andere
Globalisierung. Auf diesem Wege wollten viele der Kräfte, die an
dem heterogenen Attac-Bündnis beteiligt sind, ihren
internationalistischen Anspruch unterstreichen: Ihr Eintreten
gegen die aktuell dominierenden Formen der wirtschaftlichen
Globalisierung solle keineswegs bedeuten, dass sie etwa für
einen Rückzug auf die Nation oder auch eine « Gemeinschaft »
einträten. Vielmehr wolle man einen « neuen Internationalismus »
begründen, nachdem jener Internationalismus aus den Jahren der
Entkolonialisierung, der vor allem die Gründung neuer
unabhängiger Staaten in Afrika und Asien begleitete, historisch
überkommen ist.
Aber real koexistierten immer zwei unterschiedliche Grundströmungen
innerhalb von Attac. Einerseits vertritt der Flügel rund um
Attac-Gründer und – Ehrenpräsident Bernard Cassen die
Auffassung, entgegen der in den letzten 25 Jahren praktizierten
Deregulierung der Märkte sollten die Nationalstaaten wieder
stärker das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und dadurch
soziale und ökonomische Krisen eindämmen. Neben den
Nationalstaaten könne möglicherweise auch die EU, falls sie eine
« Umorientierung » im positiven Sinne erfahre, einen solchen
Akteur der « Re-Regulierung » der weltweit entfesselten
kapitalistischen Ökonomie darstellen. Die Fraktion auf der
anderen Seite will aber politisches Handeln nicht vorrangig von
den Staaten her denken, sondern setzt auf eine supranationale
Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen, die als wirkliche
Gegenmacht zu den ökonomisch dominerenden Kräften zu betrachten
seien.
Dieser letzten Auffassung neigen vor allem viele der Attac
angeschlossenen linksgewerkschaftlichen Kräfte zu: Attac
Frankreich besteht aus derzeit rund 25.000 Einzelmitgliedern –
vor der Krise waren bereits fast die 30.000 erreicht -, aber
auch rund eintausend Kollektivmitgliedern. Zu letzteren gehören
etwa mehrere CGT-Einzelgewerkschaften, die linksalternativen
Basisgewerkschaften des Zusammenschlusses Solidaires – die
bekanntesten unter ihnen hören auf den Titel SUD -, die linke
Bauerngewerkschaft Confédération paysanne oder die
Bildungsgewerkschaft FSU sowie Arbeitslosenvereinigungen.
Diese Orientierungen, die seit Jahren nebeneinander her
bestanden, mussten früher oder später aneinander geraten.
Anlässe dazu boten sich in den letzten beiden Jahren genug.
Bernard Cassen plante, eine eigene Liste mit Unterstützung aus
Attac-Kreisen zu den Europaparlamentswahlen 2004 zu
präsentieren, um eine seinen Vorstellungen entsprechende
Neuorientierung der EU zu propagieren. Doch es gab einen
Aufschrei, und eine Koalition aus basisorientierten Kräften und
bei Attac vertretenen Anhängern verschiedener Linksparteien, die
aus unterschiedlichen Gründen gegen das Kanditaturprojekt
opponierten, erzwang den Rückzug des Vorhabens. Seitdem
Regierungen wie jene von Hugo Chavez in Venezuela als Gegenpole
zu den USA – die sie als Hauptträger der neoliberalen
Umgestaltung des globalen Kapitalismus ausmachen - und zu den
bestehenden weltwirtschaftlichen Strukturen auftreten, sehen
Bernard Cassen und seine Anhänger sich nunmehr in ihrer
Auffassung vom politischen Agieren der Staaten als progressivem
Faktor bestätigt. Die Cassen-Fraktion mobilisierte in diesem
Sinne für eine massive Präsenz beim letzten Teil-Weltsozialforum
in Caracas, im Januar dieses Jahres.
Einheitskandidatur der Linken ? Unter welchen inhaltlichen
Vorzeichen ?
Das
Herannahen der französischen Präsidentschaftswahl im April 2007
beschleunigte die Entwicklung der Widersprüche. In einem Teil
der Linken wird über eine Einheitskandidatur debattiert, unter
der Devise einer
’candidature antilibérale’.
Der Begriff des ’libéralisme’ bezeichnet in Frankreich
allein den Wirtschaftsliberalismus, also eine Politik zugunsten
der Durchsetzung des wirtschaftlich Stärkeren. Dagegen wird das
Engagement zugunsten der Bürgerrechte, das im Deutschen mit dem
Wirtschaftsdarwinismus begrifflich zum « Liberalismus » vermengt
wird, in Frankreich mit anderen Begriffen und namentlich dem
Adjektiv ’citoyen’ belegt (beispielsweise: engagement
citoyen, intervention citoyenne, gauche citoyenne...). Unter
einer « anti-wirtschaftsliberalen Kandidatur » können sich also
alle linken Kräfte prinzipiell etwas vorstellen. Dennoch ist
unklar, was der Begriff bezeichnen soll: Das Eintreten für eine
Neuauflage keynesianischer Praktiken ? Oder eine schärfer
gefasste Kapitalismuskritik ?
Ähnlich unbestimmt bleibt bisher auch das politische Profil der
möglichen Einheitskandidatur, für deren Zustandekommen bereits
eine Reihe von Veranstaltungen abgehalten worden sind. Die
französische KP propagiert lauthals ein solches Bündnis, möchte
es aber gerne um sich herum organisiert wissen und selbst den
Kandidaten oder – wahrscheinlich - die Kandidatin stellen. Die
trotzkistisch-undogmatische LCR äußerte sich zunächst
grundsätzlich zugunsten eines Bündnisses auch zu den Wahlen, hat
sich aber vorerst zurückgezogen, da sie zur Bedingung macht,
dass es keine Regierungsbeteiligung vorbereiten dürfe, und eine
spätere Koalition mit der Sozialdemokratie ausgeschlossen wissen
möchte. Genau dies aber steht quer zu den längerfristigen
Absichten der KP. Aus den Reihen des « altermondialistischen »
Spektrums hat Ende Juni nun auch der ehemalige Sprecher der
linken Bauerngewerkschaft, José Bové, nun auch seine
Bereitschaft zur Kandidatur für eine solche Allianz erklärt. Er
möchte aber, dass die KP, die LCR und die Grünen – neben Kräften
aus den sozialen Bewegungen - ein solches Bündnis unterstützen.
Dass dies klappt, ist de facto aber eher unwahrscheinlich.
An diesem Punkt aber brechen nun die Widersprüche bei Attac erst
recht heftig auf: Attac-Präsident Jacques Nikonoff, der in
grundsätzlichen Fragen Bernard Cassen nahe steht, war früher
Vorstandsmitglied bei der KP. Ihm darf getrost unterstellt
werden, dass er eine Kandidatur der Linksparteien und auch eine
spätere Regierungskoalition begleiten und seitens von Attac
argumentativ unterfüttern möchte. Dagegen stehen etwa Bové und
seine Freunde eher auf dem anderen Flügel von Attac. Allerdings
hat auch José Bové, der über ein sehr gesundes Ego verfügt, sich
in jüngerer Zeit an grüne und einige sozialdemokratische
Politiker (Laurent Fabius) angenähert. Und bisher lässt er die
Frage der künftigen Strategie gegenüber den Linksparteien und
einer möglicherweise von ihnen gestellten Regierung ziemlich
weit offen. Dennoch stützen sich die Pläne Nikonoffs und Bovés
auf unterschiedliche Kräfte bei Attac, während die Vereinigung
als solche bisher große Schwierigkeiten hat, sich überhaupt zu
positionieren.
Verdacht von Wahlbetrug und Richtungskampf
Am 17. und 18. Juni flogen dann anlässlich der Generalversammlung
von Attac Frankreich, die im westfranzösischen Rennes stattfand,
vor den Kameras die Fetzen. Eine handlungsfähige Führung konnte
nicht bestimmt werden. Nachdem sich schon im Vorfeld zwei große
politische Blöcke misstrauisch bis feindlich gegenüber standen,
kam es bei den Vorstandswahlen zu einer Pattsituation. In dem
von zuvor 30 auf jetzt 42 Sitze erweiterten Vorstand konnten die
Anhänger der bisherigen Führungsspitze unter dem amtierenden
ATTAC-Präsidenten Jacques Nikonoff nur eine hauchdünne Mehrheit
erringen, mit zwei Sitzen Vorsprung vor der Opposition.
Und damit nicht genug: Alsbald wurden auch Vorwürfe von Wahlbetrug
laut. Tatsächlich wurden statistisch unwahrscheinliche
Abweichungen bei der Auszählung von Briefwahlergebnissen
festgestellt, die auf mögliche Unregelmäßigkeiten hindeuten.
Rund 6.000 Einzelmitglieder von Attac hatten per Briefwahl
abgestimmt. Ihre Unterlagen wurden alphabetisch sortiert und,
zur Auwertung, in vier Haufen eingeteilt. Die Stimmenergebnissen
in allen vier Stapeln hätten also nach dem Zufallsprinzip
verteilt sein müssen, und von der Statistik her hätten
Unterschiede bei der Verteilung der Resultate von höchstens zwei
Prozent gemessen werden müssen. Die Auszählung des letzten
Haufens von 1.900 Stimmen ergab dann aber plötzlich signifikante
Abweichungen zugunsten der Freunde von Cassen und Nikonoff. Nach
Auffassung vieler Mitglieder roch dies verdächtig, manche zogen
sogar Vergleiche zu den Wahlpraktiken eines Silvio Berlusconi
heran.
Nikonoff plädiert für « Effektivität » und möchte vor allem eine
starke, handlungsfähige Führung bei Attac konstitutieren. Dabei
möchte er die Struktur aus den Gründungsjahren beibehalten, die
bislang den Gründungsmitgliedern einen Mehrheitsanteil an den
Sitzen im Vorstand sicherte. Hintergrund dieser Regelung ist,
dass Attac ursprünglich nicht als Massenorganisation konzipiert
war, sondern als Expertengremium, das sich in Fragen der
weltwirtschaftlichen Strukturen zu Wort melden sollte. Dem
entsprach eine Struktur mit einem kleinen Olymp von
Spezialisten, die auch die ursprüngliche Linie in den
öffentlichen Äußerungen bewahren helfen sollte. Doch der Zulauf
von Einzel- und vor allem von Kollektivmitgliedern hat dieses
Konzept längst obsolet gemacht. Dennoch möchten Cassen und
Nikonoff die ursprüngliche, « abgeriegelte » Struktur
beibehalten, um die Attac-Spitze zur schlagkräftigen Lobby zu
machen, die auch in der etablierten Politik ein Wörtchen
mitreden kann. Dagegen plädieren die Oppositionskräfte dafür,
den Vorrang der Gründungsmitgliedern aufzugeben und den
Mitgliedern von Attac eine stärkere Rolle und echte
Entscheidungsrechte zu verleihen. Nicht zuletzt möchten sich
auch die Gewerkschaftsgruppen nicht so leicht von einem «
starken Vorstand » übergangen wissen.
Der strukturelle Widerspruch für die derzeitige Direktion besteht
darin, dass sie einerseits die Position der Gründungsmitglieder
absichern will – andererseits aber der lauteste Widerspruch aus
den Reihen dieser Gründungsmitglieder selbst kommt, am stärksten
von den Gewerkschaften. Die Einzelmitglieder an der Basis
dagegen verstehen den Konflikt oft nicht und fühlen sich
überfahren. Der Streit hat durch die jüngste Eskalation nun
solche Ausmaße angenommen, dass manche Mitglieder bereits das «
Ende von Attac » an die Wand malten.
Editorische Anmerkungen
Den Text erhielten wir
von Bernhard Schmid am 4.7.2006 zur Veröffentlichung.