Heftiges Flügelschlagen bei Attac Frankreich
Wohin geht die « Globalisierungskritik » ?

von Berhard Schmid
7/8-06

trend
onlinezeitung

Handelt es sich um das Eingeständnis eines Fehlers ? Um einen taktischen Rückzug ? Oder um ein erzwungenes Nachgeben ? Fakt ist, dass der französischen Öffentlichkeit Anfang der vergangenen Woche bekannt wurde, dass die heftig umstrittenen Wahlen der Führungsspitze von Attac Frankreich in einem halben Jahr wiederholt werden. Dies hatte der Vorstand der Vereinigung am vorletzten Samstag beschlossen. Dadurch soll die schwere Krise der Organisation überwunden werden, die 1998 gegründet wurde und mehrere Jahre lang eine der erfolgreichsten außerparlamentarischen politischen Zusammenschlüsse war, jedoch in den letzten beiden Jahren an Bedeutung verlor und von inneren Widersprüchen zerrissen zu werden droht.  

Die Vereinigung, die sich vor allem mit Themen der Weltwirtschaft befasst und deren Gründung ursprünglich von einem Intellektuellenzirkel rund um Le Monde diplomatique lanciert worden war, wurde zunächst allgemein als « globalisierungskritisch » bezeichnet. Später wählte sie jedoch die Selbstbezeichnung « altermondialistisch » – abgeleitet von ’autre monde’ oder auch ’autre mondialisation’, also dem Eintreten für eine andere Welt respektive eine andere Globalisierung. Auf diesem Wege wollten viele der Kräfte, die an dem heterogenen Attac-Bündnis beteiligt sind, ihren internationalistischen Anspruch unterstreichen: Ihr Eintreten gegen die aktuell dominierenden Formen der wirtschaftlichen Globalisierung solle keineswegs bedeuten, dass sie etwa für einen Rückzug auf die Nation oder auch eine « Gemeinschaft » einträten. Vielmehr wolle man einen « neuen Internationalismus » begründen, nachdem jener Internationalismus aus den Jahren der Entkolonialisierung, der vor allem die Gründung neuer unabhängiger Staaten in Afrika und Asien begleitete, historisch überkommen ist.  

Aber real koexistierten immer zwei unterschiedliche Grundströmungen innerhalb von Attac. Einerseits vertritt der Flügel rund um Attac-Gründer und – Ehrenpräsident Bernard Cassen die Auffassung, entgegen der in den letzten 25 Jahren praktizierten Deregulierung der Märkte sollten die Nationalstaaten wieder stärker das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und dadurch soziale und ökonomische Krisen eindämmen. Neben den Nationalstaaten könne möglicherweise auch die EU, falls sie eine « Umorientierung » im positiven Sinne erfahre, einen solchen Akteur der « Re-Regulierung » der weltweit entfesselten kapitalistischen Ökonomie darstellen. Die Fraktion auf der anderen Seite will aber politisches Handeln nicht vorrangig von den Staaten her denken, sondern setzt auf eine supranationale Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen, die als wirkliche Gegenmacht zu den ökonomisch dominerenden Kräften zu betrachten seien.  

Dieser letzten Auffassung neigen vor allem viele der Attac angeschlossenen linksgewerkschaftlichen Kräfte zu: Attac Frankreich besteht aus derzeit rund 25.000 Einzelmitgliedern – vor der Krise waren bereits fast die 30.000 erreicht -, aber auch rund eintausend Kollektivmitgliedern. Zu letzteren gehören etwa mehrere CGT-Einzelgewerkschaften, die linksalternativen Basisgewerkschaften des Zusammenschlusses Solidaires – die bekanntesten unter ihnen hören auf den Titel SUD -, die linke Bauerngewerkschaft Confédération paysanne oder die Bildungsgewerkschaft FSU sowie Arbeitslosenvereinigungen.   

  Diese Orientierungen, die seit Jahren nebeneinander her bestanden, mussten früher oder später aneinander geraten. Anlässe dazu boten sich in den letzten beiden Jahren genug. Bernard Cassen plante, eine eigene Liste mit Unterstützung aus Attac-Kreisen zu den Europaparlamentswahlen 2004 zu präsentieren, um eine seinen Vorstellungen entsprechende Neuorientierung der EU zu propagieren. Doch es gab einen Aufschrei, und eine Koalition aus basisorientierten Kräften und bei Attac vertretenen Anhängern verschiedener Linksparteien, die aus unterschiedlichen Gründen gegen das Kanditaturprojekt opponierten, erzwang den Rückzug des Vorhabens. Seitdem Regierungen wie jene von Hugo Chavez in Venezuela als Gegenpole zu den USA – die sie als Hauptträger der neoliberalen Umgestaltung des globalen Kapitalismus ausmachen - und zu den bestehenden weltwirtschaftlichen Strukturen auftreten, sehen Bernard Cassen und seine Anhänger sich nunmehr in ihrer Auffassung vom politischen Agieren der Staaten als progressivem Faktor bestätigt. Die Cassen-Fraktion mobilisierte in diesem Sinne für eine massive Präsenz beim letzten Teil-Weltsozialforum in Caracas, im Januar dieses Jahres. 

Einheitskandidatur der Linken ? Unter welchen inhaltlichen Vorzeichen ? 

Das Herannahen der französischen Präsidentschaftswahl im April 2007 beschleunigte die Entwicklung der Widersprüche. In einem Teil der Linken wird über eine Einheitskandidatur debattiert, unter der Devise einer

’candidature antilibérale’. Der Begriff des ’libéralisme’  bezeichnet in Frankreich allein den Wirtschaftsliberalismus, also eine Politik zugunsten der Durchsetzung des wirtschaftlich Stärkeren. Dagegen wird das Engagement zugunsten der Bürgerrechte, das im Deutschen mit dem Wirtschaftsdarwinismus begrifflich zum « Liberalismus » vermengt wird, in Frankreich mit anderen Begriffen und namentlich dem Adjektiv ’citoyen’ belegt (beispielsweise: engagement citoyen, intervention citoyenne, gauche citoyenne...). Unter einer « anti-wirtschaftsliberalen Kandidatur » können sich also alle linken Kräfte prinzipiell etwas vorstellen. Dennoch ist unklar, was der Begriff bezeichnen soll: Das Eintreten für eine Neuauflage keynesianischer Praktiken ? Oder eine schärfer gefasste Kapitalismuskritik ?  

Ähnlich unbestimmt bleibt bisher auch das politische Profil der möglichen Einheitskandidatur, für deren Zustandekommen bereits eine Reihe von Veranstaltungen abgehalten worden sind. Die französische KP propagiert lauthals ein solches Bündnis, möchte es aber gerne um sich herum organisiert wissen und selbst den Kandidaten oder – wahrscheinlich - die Kandidatin stellen. Die trotzkistisch-undogmatische LCR äußerte sich zunächst grundsätzlich zugunsten eines Bündnisses auch zu den Wahlen, hat sich aber vorerst zurückgezogen, da sie zur Bedingung macht, dass es keine Regierungsbeteiligung vorbereiten dürfe, und eine spätere Koalition mit der Sozialdemokratie ausgeschlossen wissen möchte. Genau dies aber steht quer zu den längerfristigen Absichten der KP. Aus den Reihen des « altermondialistischen » Spektrums hat Ende Juni nun auch der ehemalige Sprecher der linken Bauerngewerkschaft, José Bové, nun auch seine Bereitschaft zur Kandidatur für eine solche Allianz erklärt. Er möchte aber, dass die KP, die LCR und die Grünen – neben Kräften aus den sozialen Bewegungen - ein solches Bündnis unterstützen. Dass dies klappt, ist de facto aber eher unwahrscheinlich.  

An diesem Punkt aber brechen nun die Widersprüche bei Attac erst recht heftig auf: Attac-Präsident Jacques Nikonoff, der in grundsätzlichen Fragen Bernard Cassen nahe steht, war früher Vorstandsmitglied bei der KP. Ihm darf getrost unterstellt werden, dass er eine Kandidatur der Linksparteien und auch eine spätere Regierungskoalition begleiten und seitens von Attac argumentativ unterfüttern möchte. Dagegen stehen etwa Bové  und seine Freunde eher auf dem anderen Flügel von Attac. Allerdings hat auch José Bové, der über ein sehr gesundes Ego verfügt, sich in jüngerer Zeit an grüne und einige sozialdemokratische Politiker (Laurent Fabius) angenähert. Und bisher lässt er die Frage der künftigen Strategie gegenüber den Linksparteien und einer möglicherweise von ihnen gestellten Regierung ziemlich weit offen. Dennoch stützen sich die Pläne Nikonoffs und Bovés auf unterschiedliche Kräfte bei Attac, während die Vereinigung als solche bisher große Schwierigkeiten hat, sich überhaupt zu positionieren. 

Verdacht von Wahlbetrug und Richtungskampf 

  Am 17. und 18. Juni flogen dann anlässlich der Generalversammlung von Attac Frankreich, die im westfranzösischen Rennes stattfand, vor den Kameras die Fetzen. Eine handlungsfähige Führung konnte nicht bestimmt werden. Nachdem sich schon im Vorfeld zwei große politische Blöcke misstrauisch bis feindlich gegenüber standen, kam es bei den Vorstandswahlen zu einer Pattsituation. In dem von zuvor 30 auf jetzt 42 Sitze erweiterten Vorstand konnten die Anhänger der bisherigen Führungsspitze unter dem amtierenden ATTAC-Präsidenten Jacques Nikonoff nur eine hauchdünne Mehrheit erringen, mit zwei Sitzen Vorsprung vor der Opposition. 

Und damit nicht genug: Alsbald wurden auch Vorwürfe von Wahlbetrug laut. Tatsächlich wurden statistisch unwahrscheinliche Abweichungen bei der Auszählung von Briefwahlergebnissen festgestellt, die auf mögliche Unregelmäßigkeiten hindeuten. Rund 6.000 Einzelmitglieder von Attac hatten per Briefwahl abgestimmt. Ihre Unterlagen wurden alphabetisch sortiert und, zur Auwertung, in vier Haufen eingeteilt. Die Stimmenergebnissen in allen vier Stapeln hätten also nach dem Zufallsprinzip verteilt sein müssen, und von der Statistik her hätten Unterschiede bei der Verteilung der Resultate von höchstens zwei Prozent gemessen werden müssen. Die Auszählung des letzten Haufens von 1.900 Stimmen ergab dann aber plötzlich signifikante Abweichungen zugunsten der Freunde von Cassen und Nikonoff. Nach Auffassung vieler Mitglieder roch dies verdächtig, manche zogen sogar Vergleiche zu den Wahlpraktiken eines Silvio Berlusconi heran. 

Nikonoff plädiert für « Effektivität » und möchte vor allem eine starke, handlungsfähige Führung bei Attac konstitutieren. Dabei möchte er die Struktur aus den Gründungsjahren beibehalten, die bislang den Gründungsmitgliedern einen Mehrheitsanteil an den Sitzen im Vorstand sicherte. Hintergrund dieser Regelung ist, dass Attac ursprünglich nicht als Massenorganisation konzipiert war, sondern als Expertengremium, das sich in Fragen der weltwirtschaftlichen Strukturen zu Wort melden sollte. Dem entsprach eine Struktur mit einem kleinen Olymp von Spezialisten, die auch die ursprüngliche Linie in den öffentlichen Äußerungen bewahren helfen sollte. Doch der Zulauf von Einzel- und vor allem von Kollektivmitgliedern hat dieses Konzept längst obsolet gemacht. Dennoch möchten Cassen und Nikonoff die ursprüngliche, « abgeriegelte » Struktur beibehalten, um die Attac-Spitze zur schlagkräftigen Lobby zu machen, die auch in der etablierten Politik ein Wörtchen mitreden kann. Dagegen plädieren die Oppositionskräfte dafür, den Vorrang der Gründungsmitgliedern aufzugeben und den Mitgliedern von Attac eine stärkere Rolle und echte Entscheidungsrechte zu verleihen. Nicht zuletzt möchten sich auch die Gewerkschaftsgruppen nicht so leicht von einem « starken Vorstand » übergangen wissen.  

Der strukturelle Widerspruch für die derzeitige Direktion besteht darin, dass sie einerseits die Position der Gründungsmitglieder absichern will – andererseits aber der lauteste Widerspruch aus den Reihen dieser Gründungsmitglieder selbst kommt, am stärksten von den Gewerkschaften. Die Einzelmitglieder an der Basis dagegen verstehen den Konflikt oft nicht und fühlen sich überfahren. Der Streit hat durch die jüngste Eskalation nun solche Ausmaße angenommen, dass manche Mitglieder bereits das « Ende von Attac » an die Wand malten.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von Bernhard Schmid am 4.7.2006 zur Veröffentlichung.