Frankreich / Internationale Wirtschaft:
De Villepins « Wirtschaftspatriotismus » gescheitert ?

von Bernhard Schmid (Paris)
7/8-06

trend
onlinezeitung

« Der Patriotismus in wirtschaftlichen Belangen hat in Europa keinen großen Sinn » titelt die französische Wirtschaftszeitung La Tribune am vorigen Donnerstag (06. Juli). Angesicht der Tatsache, dass die 100 größten europäischen Unternehmen im vorigen Jahr nur noch 36,9 % ihrer Umsätze auf dem jeweiligen nationalen Markt erzielt hätten, gegenüber 50,2 % im Jahr 1997, habe ein solches Herangehen keine Aussichten auf Erfolg. Ähnlich hatte bereits drei Tage zuvor die konservative Tageszeitung Le Figaro in ihrer Wirtschaftsbeilage argumentiert, deren Seite Eins die Überschrift trug: « Die Zahlen widersprechen dem ‘Wirtschaftspatriotismus’ ».

Der in den beiden Artikeln benutzte Begriff des patriotisme économique bezeichnet das Ansinnen, heimische Arbeitsplätze und im Inland investierte Forschungsgelder vor den Auswirkungen der internationalen, globalisierten Konkurrenz zu schützen. Beispielsweise durch gegenseitige Abstimmung von staatlichen Maßnahmen mit Handlungen und Interessen der inländischen Privatwirtschaft. Alles in allem, eine kuriose Mischung aus Nationalismus und Wirtschaftsliberalismus. In theoretische Form gegossen und auf einen Begriff gebracht worden ist dieses Vorhaben vor nunmehr einem Jahr durch den französischen Premierminister Dominique de Villepin.  

Neben Zustimmung, etwa in den Reihen der französischen Sozialdemokraten, stößt eine solche Politik aber auch auf grundsätzliche Kritik. So beklagen Wirtschaftsliberale eine Verletzung der Dogmen des freien Markts und des freien Kapitalverkehrs. Auch die französische Arbeitgeberpräsidentin erklärt, wenngleich diplomatisch, in einem Interview mit dem ‘Figaro Magazine’ vom 01. Juli auf eine Nachfrage, was sie von einem solchen ‘patriotisme économique’  halte: « Ich finde das sehr gut, so lange dieser Patriotismus nicht dazu führt, die Regeln der Marktwirtschaft zu verletzten. Vermeiden wir es, auch an dieser Stelle, auf die Illusion einer Intervention des Staates (...) in die Angelegenheiten dieses oder jenes Unternehmens zu verfallen. » Andere kritische Stimmen monieren eher die « asymmetrische Ethik » (der Ausdruck stammt von Wikipedia Frankreich) des Konzepts. Vereinfach drückt es die französische Gratiszeitung 20 minutes aus: « Der Wirtschaftspatriotismus, den Frankreich zum Schutz der eigenen Unternehmen gegen stärkere ausländische Konkurrenten heraus streicht, steht im Widerspruch zur Aggressivität der französischen Unternehmen im Ausland. Die Aufkäufe ausländischer Unternehmen durch französische Konzerne haben im Jahr 2005 stark zugenommen (+ 157 Prozent), während die ausländischen Operationen bezüglich französischer Unternehmen laut dem ‘Fusions et Acquisitions Magazine’ um 44 Prozent zurückgegangen sind. » (Quelle: http://www.20minutes-services.com) Beide Kritikpunkte können sich auch gegenseitig ergänzen, und gemeinsam im Namen einer Forderung nach korrektem Funktionieren der Märkte vorgebracht werden. 

Ein wichtiges Anwendungsfeld gefunden hat dieser offizielle  « Wirtschaftspatriotismus » in den letzten Monaten anlässlich des Übernahmeversuchs, den das multinationale Stahlunternehmen Mittal Steel bei dem französisch-luxemburgisch-spanischen Konzern Arcelor durchführte. Das Angebot des indischstämmigen Unternehmers Lakshmi Mittal (56) an die Aktionäre von Arcelor, ihre Aktien zum Vorzugspreis von 40,40 Euro aufzukaufen, lief bis zum Donnerstag, den 13. Juli. Nunmehr wurde an diesem Dienstag (18. Juli) bekannt, dass Mittal sein Übernahmeangebot erfolgreich abgeschlossen habe. Durch die Fusion der beiden Giganten wird nun der weltweit größte Stahlkonzern entstehen, mit 320.000 Beschäftigten und zehn Prozent des weltweiten Umsatzes in der Branche.  

Der französische Staat hatte zunächst anhaltenden Widerstand gegen den Aufkaufversuch von Mittal Steel geleistet, und dabei hatten seine führenden Repräsentanten auch vor Argumenten nicht zurück geschreckt, die von verschiedenen Seiten als Ausdruck von Chauvinismus oder gar Rassismus kritisiert worden sind. Zuletzt hat der französische Wirtschaftsminister Thierry Breton aber klein beigegeben und die Auffassung vertreten, der ursprüngliche « unfreundliche Übernahmeversuch » sei nunmehr zu einem « freundlichen Übernahmeangebot » geworden.  

Ein Rückblick auf die wirtschaftspolitischen Debatten der letzten 12 Monate soll es erlauben, den Charakter und die Erfolgschancen des so genannten « Wirtschaftspatriotismus » besser zu erfassen. Muss dessen Scheitern konstatiert werden, oder könnte er in naher Zukunft noch einen neuen Aufschwung erleben ? 

    Prolog: Vom Nationalismus und den Gesetzen der Ökonomie 

So ist das nun mal im Wirtschaftsleben: Der Zaster kommt im Zweifelsfall vor der Ideologie; meistens jedenfalls. Anders als beim Ringen um knapper werdende Arbeitsplätze, wo die Lohn- oder Gehaltsabhängigen sich mitunter auf ihre nationale Herkunft zum – vermeintlichen – Schutz ihrer Interessen berufen, sollte Geburtsort oder Hautfarbe bei der Auswahl von Aktionären gerade keine Rolle spielen. Solange sie flüssig sind und frisches Geld beibringen, dürfen sie auf « dem Markt » mitspielen. Dieser wird als eine nach abstrakten Kriterien funktionierende, von persönlichen Eigenschaften (und außerökonomischer Moral) abstrahierende, « vernünftige » und sich selbst regulierende Einrichtung definiert. So weit jedenfalls die Theorie...  

In der Praxis sehen die Dinge freilich anders aus. Denn dort geht es nicht um ein zum Selbstzweck durchgeführtes Spiel nach einem abstrakten, in sich geschlossenen Regelwerk. Es geht um Gewinnen und Verlieren in ganz materieller Form, vor allem aber um Macht – um die Erringung oder Ausübung wirtschaftlicher Macht. Jedenfalls von einer bestimmten Unternehmensgröße an aufwärts dürfte dieser Faktor « Macht » auch die Bedeutung des Geldes in den Schatten stellen.  

Kaum verwunderlich ist es daher, dass die Protagonisten führender Wirtschaftsunternehmen den « Spielverlauf » zu ihrer persönlichen Angelegenheit erheben – und danach trachten, jenen in den Arm zu fallen, die ihnen das Spiel verderben oder sie gar vom Platz drängen möchten. Dabei nimmt es ebenfalls nicht Wunder, dass dabei dann auch solche Kriterien, die außerhalb der « ökonomischen Vernunft » liegen, plötzlich doch wieder eine erhebliche Rolle spielen. Auch nicht verwunderlich ist es ferner, dass auch die Staaten und politischen Apparate sich – ob der Tragweite der Entscheidungen von Wirtschaftsführer, die sich auch auf ihren eigenen Machtbereich erheblich auswirken – dabei einmischen wollen. Wenn sie schon immer weniger kontrollieren können, was die Wirtschaftsführer konkret tun und entscheiden, so wollen sie doch zumindest bei der Auswahl der « Spielteilnehmer » möglichst ein Wörtchen mit zu reden haben. Und trachten danach, möglichst viel Entscheidungsgewalt auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet oder in ihrem Hoheitsbereich zu versammeln, auch wenn die konkrete Entscheidungsmacht dabei in privaten Händen konzentriert ist und nicht bei den Politikern liegt.  

« Geht hinaus in die Welt, und Euer Kapital sei fruchtbar und mehre sich », so lautet ihr Auftrag an die Wirtschaftsführer, « aber die Firmensitze und Schaltzentralen haben bitte hier zu bleiben, oder hierher zu kommen. »   

Patriotisme économique: Ein Reinfall sondergleichen ? 

Ein anschauliches Beispiel dafür liefert der so genannte  « Wirtschaftspatriotismus », den der französische Premierminister Dominique de Villepin vor nunmehr genau einem Jahr ausgerufen hat. Damals, im Juli 2005, ging es darum, dass die offizielle französische Politik eine Warnung vor der angeblich geplanten feindlichen Übernahme des Nahrungsmittelproduzenten Danone durch den US-amerikanischen Konzern PepsiCo aussprach.  

Vor diesem Hintergründ tönte Premierminister de Villepin damals, bei einer Pressekonferenz am 27. Juli vergangenen Jahres, wortgewaltig, es gehe darum, « sämtliche Energien rund um einen wahrhaften Wirtschaftspatriotismus zu sammeln und zu bündeln ». Dies ist die eigentliche Geburtsstunde des ‘patriotisme économique’. De Begriff hatte zwar schon der damalige sozialdemokratische Premier Lionel Jospin om Oktober 2001 in den Mund genommen, damit aber etwas Anderes gemeint. Nämlich die Aufforderung an die Französinnen und Franzosen, sich nach den Attentaten vom 11. September nicht durch Schwarzseherei über die weltpolitische Situation vom Konsumieren abhalten zu lassen, sondern die schwächelnde Konjunktur durch Konsum – und durch Investitionen - zu unterstützen. Im Sommer 2005 nun wandte sein Amtsnachfolger de Villepin den Begriff erstmals direkt auf die staatliche Wirtschaftspolitik und die Praktiken grober Unternehmen an. 

Doch die Nachricht vom Übernahmeangebot, die dem Vorstob des Regierungschefs zugrunde lag, hatte sich schon zuvor als Gerücht erwiesen. Sie war sowohl durch Danone selbst - in Gestalt eines Interviews von Generaldirektor Franck Riboud, das am 21. Juli in ‘Les Echos’ erschien - als auch durch PepsiCo am 24. Juli gegenüber der Börsenaufsichtsbehörde dementiert worden. Die Information darüber war ursprünglich, am 07. Juli 2005, durch das Wirtschaftsmagazin Challenges veröffentlicht worden, ohne Quellenangabe, und mit zahlreichen « soll » und « angeblich » versehen. Im Original hörte sich das so an: « Neues Gerücht über einen Übernahmeversuch bei Danone. Dieses Mal soll sich Pepsi für den französischen Konzern interessieren, und soll bereits acht Millionen Akten (3 Prozent des Firmenkapitals) ... eingesammelt haben. » Das Gerücht war immerhin stark genug, dass Präsident Jacques Chirac sich in seiner Rede zum Nationalfeiertag vom 14. Juli vorigen Jahres im französischen Fernsehen über die « Risiken, dass ausländische Kapitalinhaber die Kontrolle über französische Unternehmen übernehmen » besorgt zeigte. Frankreich hatte seine Heuschreckendebatte, in Anlehnung an die wahlkampfträchtigen Warnungen eines Franz Müntefering vor ausländischen Finanzinvestoren...  

Ein Hauch von Eigeninteresse 

Pikant daran war, unter anderem, aus welcher Quelle die Information gestreut worden war. ‘Challenges’ ist eine Filiale des Verlags, in dem das sozialliberale Wochenmagazin ‘Le Nouvel Observateur’ (Nouvel Obs) – eine Zeitschrift, die zu über 60 Prozent aus Werbung besteht – erscheint, gehört also zur Pressegruppe « Groupe Nouvel Observateur » von Claude Perdriel. Die damalige Chefredakteurin des ‘Nouvel Obs’, Christine Mital, die auch regelmäßig in der Wochenzeitschrift ‘Challenges’ schrieb und dort als Beraterin der Redaktion fungierte, war aber niemand anders als die Mit-Konzernerbin von Danone: Sie war die Tochter des Danone-Gründers Antoine Riboud, der 2002 verstorben ist. Ihr Bruder Franck Riboud hatte die Nachfolge des Industriekapitäns an der Konzernspitze angetreten, und Christine Mital hielt eine stattliche Anzahl von Aktien an dem Unternehmen. (Am 26. Januar dieses Jahres starb sie selbst an einem Herzinfarkt, im Alter von 59 Jahren.) Auch über diese leibliche Verwandtschaft hinaus waren ‘Le Nouvel Oberservateur’ und die Unternehmerfamilie Riboud einander übrigens verbunden: Antoine Riboud hatte zu jenen so genannten « patrons de gauche » gezählt, den « linken » Wirtschaftsführern, die 1981 die Wahl des sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand gut hießen oder unterstützten. Dies begründete eine Nähe zu sozialdemokratischen Presseorganen wie dem ‘Nouvel Obs’, aber auch ‘Libération’, wo Danone in den neunziger Jahren zeitweise ein wichtiger Aktionär im Eigenkapitel der Tageszeitung war.

Ohne diese « Verwandtschaftsbeziehung » zwischen der Pressegruppe Nouvel Observateur und der Danone-Spitze zu nennen und vielleicht ohne sie zu kennen, hatte die Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ bereits in ihrer  Ausgabe vom 26. Juli ausdrücklich gemutmaßt, es liege eine Manipulation seitens des französischen Nahrungsmittelkonzerns vor. Dieser habe es geschafft, Presse, Politik und öffentliche Meinung – vorübergehend – für seine Interessen zu mobilisieren. Die ‘International Herold Tribune’ brachte das pikante Detail dann am 2. August 2005 bei, wobei sie hinzu fügte, Christian Mital habe dementiert, irgend etwas mit dem Erscheinen des Artikels zu tun zu haben. Die Zeitung drang aber mit ihrer Information in der französischen Presse nur schwer durch, denn die meisten Presseorgane beließen es bei dem dezenten Hinweis, die nordamerikanische Zeitung habe auf eine « Verbindung » zwischen Christine Mital und Danone hingewiesen. Die Patriotismuskampagne war freilich auch ihren Redaktionen bis dahin längst in schiefem Licht erschienen. 

Bis dahin hatten sich allein zwischen dem 19. und dem 23. Juli um die 50 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zur vermeintlichen Bedrohung des französischen Nahrungsmittelproduzenten geäußert: Der Präsident und der Premierminister, vier weitere Regierungsmitglieder, 25 Abgeordnete und auch zehn Gewerkschaftsfunktionäre. Vor allem der sozialdemokratische Gewerkschaftsbund CFDT und die (konservative) Bauerngewerkschaft FNSEA – ihre Mitglieder beliefern das Unternehmen mit landwirtschaftlichen Produkten - wollten dem angeblich gefährderten Danone-Konzern zu Hilfe eilen. Der ex-kommunistische Gewerkschaftsdachverband CGT dagegen hielt sich etwas abseits ; er erklärte, man müsse eine Vergesellschaftung des Unternehmens ins Auge fassen, falls es denn wirklich « bedroht » sei. Seitens der CGT war man aber nicht unbedingt gewillt, der Konzernführung unter die Arme zu greifen. Neben der Regierung tat sich unterdessen auch die sozialdemokratische Parlamentsopposition eifrig als Retterin des nationalen französischen Kapitals hervor. Ihr Parteivorsitzender François Holland hatte in der Tageszeitung ’Le Parisien’ eine « Mobilisierung aller Akteure, ob staatlich oder privatwirtschaftlich », und namentlich der Banken und potenter Privataktionäre zugunsten von Danone propagiert. 

Der hauptsächliche Gewinner bei dieser sommerlichen Aufregung war natürlich die Danone-Spitze um Franck Riboud – und dies sowohl auf materieller, ökonomischer Ebene als auch auf ideologisch-symbolischer Ebene. Was das Materielle betrifft, so war zunächst einmal ein Anstieg des Aktienkurses unmittelbar nach der Ankündigung des « Übernahmegerüchts » zu verzeichnen. Bei « feindlichen Übernahmeangeboten » versucht ja ein anderes Wirtschaftsunternehmen, sich gegen den Willen ihrer eigenen Unternehmensführung in das Aktienkapital einer Gesellschaft einzukaufen. Und dafür muss es den Aktionären stattliche Preise bieten, um sein Angebot verlockend erscheinen zu lassen ; der Aktienpreis wird also in die Höhe getrieben. Bereits im Vorfeld der erwarteten Aufwärtsspirale für die Danone-Aktie war deren Preis in den ersten 13 Tagen nach Erscheinen des ‘Challenges’-Artikels um über 27 Prozent geklettert. Auch wenn der Aktienkurs in den Tagen nach dem formellen Dementi des Übernahmeangebots durch PepsiCo wieder um rund 5 Prozent verlor, so blieb dennoch unter dem Strich ein stattlicher Kursgewinn zu verzeichnen. Bis dahin hatte die Danone-Spitze mit Einbrüchen des Aktienkurses gerechnet, da das am 21. Juli verkündete Geschäftsergebnis für das erste Halbjahr 2005 (mit 347 Millionen Euro, im Vergleich zu 547 Millionen im Vorjahreszeitraum) deutlich hinter dem von 2004 zurück blieb.  

Ferner konnte die Konzernspitze infolge der Sommerloch-Affäre ihre Kontrolle über das Nahrungsmittelunternehmen deutlich erhöhen. Bis dahin hatte es bei Danone an einem so genannten ‘noyau dur’ oder  « harten Kern » gemangelt, also an einem festen Aktionärsblock, dem die Kontrolle über den Konzern nicht so leicht aus den Händen gleiten kann. Die Erben des ursprünglichen Familienunternehmens und  « befreunde Aktionäre » halten um die 16 Prozent am Eigenkapital der Firma, aber circa 85 Prozent der Anteile werden an den Börsen frei gehandelt und wechseln häufig den Besitzer. Einen Großteil daran hielten bis dahin wechselnde Kleinanleger, mindestens die Hälfte von diesen Aktionären befanden sich im Ausland. Insofern bestand zumindest potenziell die Möglichkeit, dass ein Aufkäufer, der rund 25 Milliarden Euro auf den Tisch gepackt hätte, die Kontrolle über den Nahrungsmittelkonzern übernehmen könnte. Infolge der Aufregung um die drohende Heuschreckenoffensive im Juli 2005 aber ergab sich die Aussicht für den Vorstand, den bestehenden « harten Kern »,  also den ihm nahe stehenden Aktionärsblock auszubauen und dadurch seine Kontrolle zu erhöhen. Denn mittelfristig soll nun der Crédit Agricole, die französische Landwirtschaftsbank, als neuer Großaktionär in das Kapital von Danone eintreten. Bisher blieb es allerdings bei der Ankündigung.      

Selektive moralische Kapitalismuskritik 

Auf ideologischer und symbolischer Ebene zog die Danone-Spitze ebenfalls ihren Nutzen aus der Affäre. Dabei war gerade Danone – weit entfernt davon, ein leuchtendes Beispiel humaner und sozial verträglicher Unternehmenspraktiken abzugeben – wenige Jahre zuvor aufgrund eigener Unternehmensentscheidungen in der Öffentlichkeit angeprangert worden. Nunmehr schien die Erinnerung daran wie weg gewischt. Die Pariser Tageszeitung ‘Libération’ schrieb dazu am 21. Juli 2005: « (Generaldirektor) Franck Riboud, der damals als ein Monster durchging, als er die LU-Fabriken dicht machen ließ, wird zu einer Art Jean d’Arc der Nahrungsmittelindustrie », unter Anspielung auf die so genannte heilige Jungfrau von Orléans. 

Was hat es mit der durch ‘Libération’ erwähnten Episode auf sich? Im Jahr 2000 hatte die Danone-Aktie um 37 Prozent an Wert gewonnen. In jenem Kalenderjahr machte der Konzern einen Reingewinn von fast 5 Milliarden Francs (800 Millionen Euro). Allerdings: Im Gegensatz zur Getränkeherstellung wies die Abteilung Keksproduktion, mit knapp acht Prozent im Vergleich zum Umsatz während der Jahre 1999 und 2000, in den Augen der Aktionäre und des Managements eine zu kleine Gewinnspanne auf. Deshalb waren Neuinvestitionen in diesem Sektor ausgeblieben. 

Im Frühjahr 2001 behauptete die Konzernführung dann, dass die Danone-Standorte in Frankreich Überkapazitäten aufwiesen, weil sie lediglich zu etwa 42 Prozent ihres Produktionsvermögens ausgelastet seien. Doch diese Rechnung ging nur dann auf, wenn man voraussetzte, dass die Maschinen das ganze Jahr hindurch rund um die Uhr in Betrieb sein müssen – ob in der Nacht, am Samstag oder am Sonntag -, was bis dahin noch nicht durchgesetzt werden konnte. In Wirklichkeit traf die nachfolgende Ankündigung, man werde zwei Niederlassungen in Frankreich schließen, nicht zufällig die Produktionsstandorte in Calais und Ris-Orangis – die Fabriken der Marke LU. Denn dort war der gewerkschaftliche Organisierungsgrad traditionell hoch. Nunmehr sollte das dort beschäftigte Personal, das im Durchschnitt älter als 40 Jahre war, durch jüngere (also « produktivere ») und schlechter bezahlte Arbeitskräfte ersetzt werden, die man nach den Schließungen an den verbleibenden Standorten in Frankreich einstellte. Daneben wurde aber auch ein Teil der Keksherstellung nach Osteuropa verlagert, wo Danone kurz zuvor den polnischen Kekshersteller UB aufgekauft hatte.  

Im nordfranzösischen Calais und in Ris-Orangis, im Großraum Paris, zog die Schließung der beiden LU-Fabriken über 800 Entlassungen nach sich. Die Empörung über diese « betriebsbedingten  Kündigungen » in einem Augenblick, wo der Danone-Konzern dicke schwarze Zahlen schrieb, breitete sich in Windeseile in der französischen Gesellschaft aus. Im April 2001 sorgte eine extra zu diesem Zwecke geschaltete Webpage für Furore, die unter dem Name http://www.jeboycottedanone.com/  (« Ich-boykottiere-Danone ») zum Einkaufsstreik gegenüber Produkten des Konzerns aufrief und die zahlreichen zu ihm gehörenden Lebensmittel- und Mineralwassermarken auflistete. So entwickelte sich die bis dahin erfolgreichste Boykottkampagne in Frankreich, die sich weitgehend auf das Internet stützte und - auf der Ebene der ethischen Werte argumentierend - einem Markenimage beträchtlichen Schaden zufügen konnte. Kurzfristig soll Danone Verkaufseinbußen bis zu 10 Prozent verzeichnet haben.  

Aber alsbald untersagte die Justiz in einer einstweiligen Verfügung, die auf Antrag des Konzerns hin erlassen wurde, den Urhebern der Webpage die Verwendung des Markennamens Danone. Das Unternehmen hatte sich nicht auf die Inhalte der inkriminierten Webpage, sondern allein auf sein Recht am eingetragenen Markennamen berufen. An 23. Mai 2001 ging die Webpage daher off-line. Aber nach zwei Jahren Verfahrensdauer verlor Danone schließlich im April 2003 (in zweiter Instanz) doch noch den Prozess, und daraufhin ging die Seite http://www.jeboycottedanone.com/   « zu dokumentarischen Zwecken » wieder on-line. Den Beschäftigten der beiden LU-Fabriken nutzte das wenig - ebenso wenig wie die Tatsache, dass sein ziemlich missratener Auftritt vor den zornigen Arbeitern von LU in Ris-Orangis dem damaligen Premierminister Lionel Jospin im Frühjahr 2002 wahrscheinlich mit die Wahl gekostet hat. Der Politiker war offensichtlich ratlos und hatte den wütenden Beschäftigten nichts zu bieten, der PR-Effekt war miserabel. Dasselbe Werk, einige Kilometer südlich von Paris, wurde dennoch im März 2003 definitiv geschlossen. Anderthalb Jahre später begann die Demolierung des Werks, das – in einer Aktion des letzten Aufbäumens – Anfang November 2004 noch kurzfristig von zwanzig entlassenen Ex-Beschäftigten besetzt wurde, die den Beginn der Abbrucharbeiten behinderten. Im selben Jahr verzeichnete Danone eine Erhöhung seines Reingewinns um 9,3 Prozent auf 917 Millionen Euro. All diese Vorkommnisse hinterließen, eine Zeit lang, einen sehr negativen Nachgeschmack in der Öffentlichkeit.  

Seit dem vergangenen Jahr ist nun aber ein Perspektivenwechsel eingetreten, infolge der – behaupteten – Übernahmeabsicht durch PepsiCo. Denn mit ihr ging eine Form von faktischer moralischer Rehabilitierung des Konzerns einher, der in anderem Licht dargestellt wurde, seitdem er sich vornehmlich als potenzielles Opfer der Gier eines ausländischen Investors präsentieren konnte. Aus einer Reportage der Tageszeitung ‘Libération’ unter Beschäftigten und Gewerkschaftern bei Danone sowie bei Pepsi in Frankreich ergibt sich jedoch, dass die Arbeits- und Lohnbedingungen für französische Beschäftigte der US-Firma eher deutlich besser waren, als jene bei Danone. Insofern hätten die Beschäftigten von einer Übernahme sogar noch eher etwas zu gewinnen gehabt – zumindest theoretisch. Nicht einfach vom Tisch gewischt werden kann freilich zugleich die Befürchtung, dass eine Unternehmensfusion oder –übernahme immer auch einen Personalabbau und Entlassungen vorbereitet, da ja im vergröberten Unternehmen viele Strukturen (die vorher auf beiden Seiten existierten) nunmehr « doppelt » vorhanden sind. 

Eine romantisierende Sichtweise, die Danone als Repräsentanten der bedrohten französischen Nationalkultur sah, der als kleiner David vom nordamerikanischen Goliath besiegt zu werden drohte, wurde von Danone-Chef Franck Riboud selbst dementiert. Mehrfach wiederholte er sinngemäb gegenüber der französischen oder internationale Presse, was er im Wirtschaftsmagazin ‘Challenges’ erklärte: « Die Nationalität von Danone, ist Danone. Der französische Markt vertritt 22 Prozent unseres Umsatzes, dieser Anteil wird abnehmen. Frankreich ist (für uns) ein Land wie jedes andere. » Auch zu beachten wäre: Danone beschäftigt heute weltweit 90.000 Mitarbeiter, darunter nur noch 4.000 in Frankreich.

Infolge der Danone-Pepsi-Affäre kündigte die Regierung im vergangenen Herbst an, nunmehr Ernst zu machen mit dem « Wirtschaftspatriotismus » und ein neues Gesetz zu verabschieden, das französische Unternehmen vor der feindlichen Übernahme durch ausländische Investoren schützen solle. Dieses Gesetz ist zum 01. April 2006 auch in Kraft getreten. Aber dahinter verbirgt sich eine unspektakuläre Realität: In Wirklichkeit handelt es sich bei dem, anfänglich mit groben Tratra angekündigten, Gesetz nur um die Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Thema, die Frankreich binnen eines Jahres in nationales Recht überfuhren musste. Die Richtlinie gibt zwar europäischen Unternehmen neue Mittel an die Hand, um sich gegen eine geplante feindliche Übernahme zu werden: Ihre Vorstände können zusätzliche Aktientitel herausgeben, um den Aufkauf zu grober Anteile durch einen feindlich gesonnen Investor zu unterlaufen. Aber gleichzeitig werden solche Mabnahmen auch wieder erschwert, da die Richtlinie vor allem die Einführung von Transparenz zum Gegenstand hat: Jeder solcher Schritt eines Vorstands muss vorab den Aktionären bekannt gegeben werden. An der ökonomischen Realität dürfte sich durch die neuen Bestimmungen nicht Erhebliches ändern. 

            Lakshmi Mittal vor der Tür: Wer rettet uns vor dem Inder? 

Am 27. Januar dieses Jahres verkündete Mittal Steel, der Welt größter Stahlkonzern mit über 200.000 Beschäftigten, sein Interesse an einer Übernahme der Kapitalmehrheit bei dem Branchenriesen der EU, Arcelor. Der westeuropäische Konzern war erst 2002 aus einer Fusion der französischen Usinor, des belgisch-luxemburgischen Stahlunternehmens Arbed und der spanischen Aceralia hervorgangen und zählt rund 95.000 Beschäftigte. Der luxemburgische und der spanische Staat sowie die belgische Region Wallonei – wo sich das (ehemalige) Kohle- und Stahlrevier des Königreichs befindet - halten bis heute öffentliche Anteile an dem multinationalen Konzern. Dagegen hat der französische Staat sämtliche Anteile an Usinor, die 1981 wie die gesamte Stahlindustrie des Landes unter François Mitterrand nationalisiert worden war, mittlerweile verkauft. 

Die Kapitalanteile an Mittel Steel gehören zu erheblichen Teilen – ‘Le Monde’ spricht in ihrer Samstagausgabe von 88 Prozent, ‘Le Canard enchaîné’ vom 1. Februar dieses Jahres gar von 97 Prozent – der Familie von Lakshmi Mittal. Der Selfmade-man, der aus einem Dorf in der indischen Provinz Rajahstan stammt, wo es in seiner Jugend nicht einmal einen Stromanschluss gab, war 1976 aus dem damals noch stark staatssozialistisch geprägten Indien ausgewandert, um sein Geschäftsglück im Ausland zu suchen. Zunächst hatte er in Indonesien mit dem Aufkauf eines kleinen Stahlwerks Erfolg, später kaufte er im ex-sozialistischen Osteuropa für relativ geringe Beträge Stahlfabriken und ehemalige Kombinante zusammen. Seit 1995 lebt er im Londoner Milliardärsviertel Kensington Palace Gardens. Im Vergleich dazu lebte etwa der – kürzlich infolge der bevor stehenden Fusion abgetretene - Arcelor-Generaldirektor Guy Dollé auf wesentlich provinzielle Art und Weise.  

Die ersten Reaktionen auf das Übernahmeangebot von Mittal Steel waren von einer geradezu irrationalen Herablassung und Arroganz geprägt. Es handele sich um einen « Inderkonzern », der seinen Einstieg in das Kapital des Westeuropäers Arcelor mit « Affenwährung » - dieser französische Begriff (monnaie de singe) bezeichnet auch Spielgeld – bezahlen wolle, erklärte der Arcelor-Generaldirektor Guy Dollé wörtlich. Letzteres war eine Anspielung darauf, dass Mittal Steel in seinem ersten Angebot an die Aktionäre von Arcelor 90 Prozent der auf den Tisch gelegten Gesamtsumme mit eigenen Aktien bezahlen wollte, womit die Anteilnehmer ein gewisses Risiko eingegangen wären. Dollé fügte auch noch hinzu, dass man selbst bei Arcelor « Parfum » produziere, wozu Mittal Steel im Vergleich nur « Kölnisch Wasser » herstelle. Dies verwies zwar insofern auf eine ökonomische Realität, als Arcelor sich auf bestimmte Produktionszweige im oberen Marktsegment spezialisiert hat – etwa auf hochwertige Stahlsorten für die Automobilindustrie -, während Mittal Steel alle möglichen Stahltypen produziert, namentlich ‘einfachen’ Baustahl für die schnell wachsenden Industrien etwa in Osteuropa oder in Indien. Dies verweist zunächst einfach auf einen unterschiedlichen Bedarf der jeweiligen Kunden. Dennoch waren die Worte, in denen Konzernchef Dollé die unterschiedlichen objektiven Realitäten beschrieb, abwertend und geringschätzig gemeint.   

Der französische Wirtschaftsminister Thierry Breton seinerseits meinte herabwürdigend, Mittal Steel kenne « die Grammatik der internationalen Geschäftswelt nicht », wenn es einem europäischen Konzern ein solches  « Papierangebot » mache. Es fehlte fast nur noch der Vorwurf, Mittal Steel werde von barfüßigen Amateuren geleitet, deren Büros von heiligen Kühen oder von Affenhorden mit bevölkert werden... 

Dabei übersahen diese Reaktionen einen wesentlichen Punkt: Die Bezeichnung als « Inder » oder auch als « nicht europäisch » (so wiederum Guy Dollé) trifft zwar auf die Person, auf die individuelle Herkunft des Gründers von Mittal Steel zu – aber mitnichten auf sein Industrieunternehmen selbst. Denn Mittal Steel ist ein in der Europäischen Union ansässiger Konzern, der teilweise von britischem und teilweise – überwiegend – von niederländischem Recht regiert wird, da der Hauptsitz in Rotterdam angesiedelt ist. Sein Aktivkapital sitzt zu 40 Prozent in Europa und ansonsten vor allem in Nordamerika; das Unternehmen ist sehr wenig in Asien präsent und bisher gar nicht in Indien, dort weder mit Kapital noch mit Produktionsstandorten. Dies soll sich allerdings nunmehr ändern, denn die Wirtschaftszeitung ‘La Tribune’ berichtet am Montag (10. Juli), dass Lakshmi Mittal jetzt plane, eine 6,5 bis 8,7 Milliarden Euro teure Stahlfabrik mit einer Verarbeitungskapazität von 12 Millionen Tonnen in der an Eisenerz reichen indischen Provinz Orissa zu errichten. Diese Nachricht geht auf einen Besuch von Unternehmenschef Mittal in seinem Herkunftsland am vergangenen Freitag zurück. Aus diesem Anlass hatte Lakshmi Mittal die indischen Unternehmer aufgefordert, nach seinem Vorbild verstärkt in Europa und auf internationaler Ebene aktiv zu werden. Aber wenn das Projekt realisiert wird, so handelt es sich nur um eine weitere Diversifizierung eines Konzerns, der längst eine weltweite Dimension hat: Nimmt man die Produktionskapazitäten der ab dem 1. August vereinigten Unternehmen Arcelor und Mittal Steel zusammen, so sind die stärksten Anteile in Europa und Nordamerika angesiedelt, aber auch 8 Prozent in Brasilien, 7 Prozent in Südafrika, 6 Prozent in der Ukraine oder 4 Prozent in Kasachstan. Insofern kann man den Konzern kaum als « indisch » bezeichnen. 

So war der Vorwurf nachgerade absurd, Mittal Steel sei mit europäischen Geschäftspraktiken nicht vertraut (oder, implizit, ihrer nicht « würdig »). Als der französische Präsident Jacques Chirac sich im Februar dieses Jahres zu einem Staatsbesuch in Indien aufhielt, musste er sich von seinen dortigen Gesprächspartnern den kaum verhüllten Vorwurf anhören, indische Interessen fielen in Europa rassistischen Diskriminierungspraktiken zum Opfer. Chirac legte in einem Interview mit der Wochenzeitung ‘India Today’ deshalb Wert darauf, seinerseits zu betonen, Mittal Steel sei « eine niederländische und keine indische Gesellschaft », und « das Probleme (habe) nichts mit der Persönlichkeit seines Unternehmensführers » zu tun. Auf einer späteren Lateinamerikareise sprach Chirac sich dann aber klar gegen das Angebot von Mittal Steel, und für den konkurrierenden Plan einer Fusion mit dem russischen Unternehmen Sewerstal aus. 

            Zwischen Indern und Russen 

Doch im Laufe der Wochen begann die Situation allmählich zu kippen, da Mittal Steel sein Angebot an die Arcelor-Aktionäre aufbesserte und ihnen am 19. Mai dieses Jahres nunmehr 37,74 Euro pro Aktie bot (statt ursprünglich vorgeschlagener 28,21 Euro). Die Anzahl derjenigen Anteilsinhaber, die geneigt waren, sich nunmehr auf die Konzernehe mit Mittal Steel einzulassen, nahm zu. Angesichts dieser wachsenden Tendenz in der Anlegerschaft ging die Konzernführung unter Guy Dollé, die partout nicht mit « dem Inder » fusionieren mochte, in die Gegenoffensive und arrangierte ein konkurrierendes Übernahmeangebot: Der russische Stahlkonzern Sewerstal – ein anderer Branchenriese - kündigte am 26. Mai an, er werde ein eigenes Angebot zum Aufkauf von Arcelor-Aktien abgeben, zu einem Stückpreis von 44 Euro. Dies wurde durch die Konzernspitze von Arcelor als « freundliches Übernahmeangebot » gewertet, also als die Offerte eines Dritten an die Aktionäre, die – im Gegensatz zur « feindlichen Übernahme » - mit Rückendeckung durch die eigene Konzernleitung abgegeben wird.   

Aber ein bedeutender Teil der Aktionäre wollte dennoch nicht mitziehen. Ein durch ‘Le Monde’ in ihrer Ausgabe vom letzten Samstag zitierter Bänker macht dafür « das Negativimage Russlands und seiner Oligarchen » verantwortlich, der Repräsentant eines Investmentsfonds wird mit den Worten zitiert: « Die Russen haben zu viele Leichen im Keller. » Jenseits von Ressentiments lieferte die persönliche Nähe von Sewerstal-Konzernchef Alexej Mordachow, der sich auf den Trümmern der früheren Sowjetunion ein Vermögen herausbilden konnte, zu  Präsident Wladimir Putin und seiner autoritären Machthabergruppe hinreichend Munition für Kritiken und Einwände. Zudem war nicht klar, welchen ökonomischen und industriellen Synergieeffekte eine Fusion von Arcelor und Sewerstal ergeben sollte, deren wirtschaftliche Perspektiven im Dunkeln blieben. Angesichts der anhaltenden Widerstände aus Aktionärskreisen und im Aufsichtsrat musste Sewerstal sein Angebot sukzessive reduzieren: Ursprünglich hatte er die Absicht verkündet, 38 Prozent der Kapitalanteile an Arcelor zu übernehmen, sein erstes Übernahmengebot hatte dann aber den Erwerb von 32 Prozent der Anteile zum Gegenstand. Am 21. Juni schlieblich reduzierte er diese Zahl auf 25 Prozent der Kapitalanteile. 

Doch dann ging alles sehr rapide: Mittal Steel besserte sein Angebot nochmals auf und bot nunmehr 40,40 Euro pro Aktie. Das waren rund 40 Prozent mehr als bei seinem ersten Übernahmeangebot. Überdies beinhaltete das neue Angebot die Bereitschaft von Mittal Steel, drei Zehntel (statt ursprünglich nur einem Zehntel) des Aktienpreises in Cash auszubezahlen, den Rest in Aktien. Und ferner machte der Konzern britisch-niederländischen Rechts mit indischen Inhabern auch die wichtige Konzession, dass er sich mit 43 Prozent der Kapitalanteile am neuen Gesamtkonzern begnügen werde – womit er freilich der mit Abstand gröbte Aktionär an ihm wird – und während fünf Jahren eine Schwelle von 45 Prozent nicht überschreiten werde. Nur 6 von 18 Vorstandsmitgliedern des durch die Fusion entstehenden Gesamtunternehmens sollten zunächst durch Mittal Steel bestimmt werden. 

Die Mehrheit im Aufsichtsrat kippte nun, in den letzten Junitagen, um, und der Vorstandsvorsitzende Joseph Kinsch empfahl die Annahme der Fusion mit Mittal Steel. Der amtierende Generaldirektor Guy Dollé sperrte sich bis zuletzt weiterhin dagegen, kündigte jedoch an, seinen Hut zu nehmen. Der französische Wirtschaftsminister Thierry Breton musste jetzt mitspielen und erklärte in einer öffentlichen Stellungnahme, was ursprünglich das Ansinnen einer « feindlichen Übernahme » gewesen sei, sei nunmehr zu einer « freundlichen Übernahme » geworden. Am 30. Juni votierte dann eine, wenn auch relativ knappe, Mehrheit von 58 Prozent im Aufsichtsrat von Arcelor dagegen, das Projekt einer Fusion mit Sewerstal weiter zu verfolgen. Der russische Konzern hatte nun noch die theoretische Möglichkeit, seinerseits ein « feindliches » Übernahmeangebot abzugeben und/oder ein höheres Gebot als Mittal Steel abzugeben und dadurch zu versuchen, das Ruder nochmals herum zu reiben. Doch allgemein wird vermutet, dass Sewerstal dafür nicht genügend liquides Eigenkapital besitzt und eine solche Option daher in der Praxis ausscheidet. 

Pecunia non olet, mögen sich da die Lateinkenner unter den Aktionären und Vorständlern gedacht haben: « Geld stinkt nicht », selbst wenn es « vom Inder » kommt. Insofern hatte das ökonomische Interesse am Ende doch über die ideologischen Vorbehalte gesiegt. Der Frontenwechsel einer Mehrheit in den Entscheidungsgremien des Arcelor-Konzerns scheint tatsächlich auf zwei Antriebskräfte zurückzugehen. Die erste ist finanzieller Natur: Der Wert der Arcelor-Aktien ist im Laufe des Übernahmeversuchs durch Mittal Steel stark angestiegen, und während der wirtschaftliche Wert des Gesamtkonzerns im Januar dieses Jahres auf rund 17 Milliarden Euro veranschlagt wurde, wird er in dem jüngsten Gebot von Mittal Steel auf 27,7 Milliarden Euro angesetzt. An Dividendenausschüttungen verdienten die Aktionären innerhalb von fünf Monaten, in der ersten Jahreshälfte 2006, mehr als sonst in zwei Jahren. Und wer seine Aktien zum richtigen Zeitpunkt verscherbelte, solange die nach und nach steigenden Übernahmeangebote den Druck auf dem Kurs aufrecht erhielten, konnte ein schönes Geschäft machen. « Diejenigen, die den Zusammenschluss mit Mittal Steel durchgesetzt haben, sind bereits nicht mehr », moniert ein der Fusion gegenüber feindlich eingestellter Berater von Arcelor in ‘Libération’ (vom 01. Juli). « Es handelt sich um die Hegdefunds (Investmentsfonds, die ihre Gelder spekulativ anlegen, Anm.), die in das Kapital von Arcelor eingetreten sind, als die Aktie bei 30 Euro stand, und wieder ausgestiegen sind, als sie infolge des neuen Angebots von Mittal Steel auf 38 Euro angestiegen war. » Zum Zweiten gab auch das Stimmverhalten des luxemburgischen Staates, der zu den öffentlichen Anteilseigern an Arcelor gehört, mit den Ausschlag. Es war offensichtlich davon motiviert, dass das Grobherzogtum gute Aussichten darauf zu behalten wünschte, den Konzernsitz nach einer Fusion auf seinem Territorium zu behalten - und damit auch die Steuereinnahmen.  

Viele Stimmen vertreten nachträglich die Auffassung, das konkurrierende Angebot des russischen Konzerns Sewerstal sei überhaupt nur eingeholt worden, um Mittal Steel zur Abgabe eines höheren Angebots als des bisherigen anzustacheln. In Moskau jedenfalls zeigte man sich Ende Juni beleidigt, da man mit den russischen nationalen Interessen gespielt habe. « Manche betrachten uns durch den Filter der Vorurteile von einst (aus Zeiten der ehemaligen Sowjetunion, Anm.) und sehen in einem starken Russland eine steigende Bedrohung », notierte Präsident Wladmir Putin persönlich am 27. Juni vor Botschaftern seines Staates im Ausland. « Es hat den Anschein, dass man in bestimmten Ländern nicht wünscht, Russland als strategischen Partner zu haben » merkte der Vorsitzende des russischen Unternehmerverbands, Alexander Schokhin, an. In Russlands Hauptstadt erwog man eine Gegenoffensive vor allem auf dem Feld der Energiepolitik, wo das Land seit dem Erdgasstreit vom vergangenen Winter sein Gewicht hat spürbar werden lassen. « Arrogantes Russland » titelte deshalb ‘Le Monde’ vom 29. Juni in einem Leitartikel. Die Affäre um die Unternehmensfusionen könnte insofern also noch ein politisches Nachspiel haben.  

Verwunderliches Plädoyer gegen Xenophonie 

Das wirtschaftsnahe französische Wochenmagazin ‘Valeurs actuelles’  frohlockt in seiner Ausgabe vom 30. Juni über den Ausgang des Fusionskrimis Arcelor/Mittal Steel: « Der Aktionär hat gewonnen. (...) Genau so müssen Unternehmen von internationaler Statur, die sich über die Börse finanzieren, funktionieren. » Der Kommentator der Zeitschrift mokiert sich über « die fremdenfeindlichen Reflexe, erst gegen Inder und dann gegen Russen ». Eine Kritik, die von dieser Seite her auf den ersten Blick verwundern kann. Denn ‘Valeurs actuelles’, das lange Jahre als Sprachrohr des Rüstungsindustriellen Serge Dassault diente – er hat das Magazin vor kurzem verkauft – und neben wirtschaftlichen vor allem auch Armeethemen behandelt, kann nicht eben als Hort des Antinationalismus gelten. Das ist auch logisch, denn zumindest im Bereich der Rüsungsindustrien haben Nationalstaaten, die die wesentlichen Auftragbilder bilden, nach wie vor eine hohe Bedeutung. Von seiner aubenpolitischen Orientierung her ist das Blatt pro-atlantisch und pro-US-amerikanisch (im Unterschied zur französischen gaullistischen Rechten), aber innenpolitisch einwandererfeindlich und weit rechts angesiedelt. Eine Studie ergab 2004, dass 65 Prozent der Leser von ‘Valeurs actuelles’ konservativ wählen und weitere 25 Prozent rechtsextreme – letztere schätzen wahrscheinlich vor allem die Negativberichterstattung über Einwanderung (vor allem aus moslemischen Ländern) sowie die positive Behandlung des Militärischen.  

Aber das Plädoyer gegen « Fremdenfeindlichkeit » im Hinblick Wirtschaftsunternehmen hat durchaus auch in diesem Blatt einen Sinn, denn der positive Bezug auf das Übernahmeangebot dient im folgenden dazu, die argumentative Basis nach einer Neustrukturierung des französischen Kapitalismus zu liefern: « Es ist nur zu bedauern, dass seit Jahren nichts unternommen worden ist, um einen starken französischen Kapitalismus zu ermutigen (...). Aufgrund des französischen Geschmacks am Egalitarismus verfügt unser Land heute weder über private Rentenfonds wie in den USA und Grobbritannien, noch über grobe Privatvermögen wie jenes der Familie Mittal, um in dem weltweiten Spiel mitspielen zu können. Es ist nie zu spät, den Kurs zu korrigieren. » 

Angeschmierte Gewerkschaften ? 

Infolge der Entscheidung der Mehrheitsaktionäre zugunsten der Fusion mit Mittal Steel fühlen sich die Gewerkschaften bei Arcelor angeschmiert. Diese hatten zunächst gemeinsam mit der Konzernleitung gegen die Aufkaufpläne des britisch-niederländischen Unternehmens mobilisiert. Im Hintergrund stand dabe vor allem die Befürchtung, dass die neue Megafusion Arbeitsplätze vernichten könne. Bisher beschäftigt Arcelor 27.000 Mitarbeiter in Frankreich und je 13.000 in Belgien und Luxemburg. Insgesamt sind es 95.000. 

Tatsächlich hatte die Führung von Mittal Steel bereits im Vorfeld Pläne zum Stellenabbau bekannt gegeben, die je nach Angaben 23.000 (laut ‘Le Monde’ vom 08. Juli) oder, laut dem ‘Canard enchaîné’ vom 01. Februar dieses Jahres, 46.000 Arbeitsplätze kosten sollen. Allerdings betrifft dies weniger die in Westeuropa ansässigen Konzernspartern, sondern aller Voraussicht nach die auf geringerem technischem Niveau angesiedelten Produktionsstandorte auberhalb der (alten) EU. Und zu Recht erinnert der ‘Canard enchaîné’ daran, dass der bisherige Konzern bzw. die Firmen, aus denen Arcelor 2002 entstand, ihrerseits in den letzten Jahrzehnten über 70.000 Stellen in Europa vernichtet haben. Es handelt sich also nicht um eine spezifische Erscheinung, die nur Mittal Steel beträfe. 

Infolge des Kurswechsel der Aktionäre sieht man sich bei den Gewerkschaften betrogen und bereut es, die Arcelor-Konzernleitung eine Zeit lang unterstützt zu haben. Das Wirtschaftsmagazin ‘Valeurs actuelles’ (30. Juni) zitiert den nationalen Leiter der CGT bei Arcelor, Marc Barthel, mit den Worten: « Man versucht wirklich, die Leute für dumm zu verkaufen! Wochenlang wurde eine intensive Propaganda gegen Mittal geführt und die Kriegstrommel gerührt. Um am Ende zu diesem Ergebnis zu kommen... Das schlucken wir nich! » 

Nicht angeschmiert war die Armee von Beraterfirmen, Kommunikationsagenturen und für Expertisen eingeschalteten Geschäftsbanken, auf deren Dienste beide Konzerne im Vorfeld ihrer Fusionsentscheidung zurückgegriffen haben. ‘Libération’ vom 01. Juli schätzt, dass allein für solche Consulting-Tätigkeiten, für das Schalten ganzseitiger Anzeigen in der französischen Presse – für und gegen den Aufruf zum Aktienverkauf an Mittal Steel – und die entsprechende Kommunikationsguerilla insgesamt 360 Millionen Euro ausgegeben worden sind. Den Löwenanteil davon streichn 15 Geschäftsbanken ein. 

Hauen und Stechen bei innereuropäische Firmenfusionen 

Nicht nur bei solchen interkontinentalen, sondern auch bei innereuropäischen Unternehmensfusionen kommt es zu erheblichen Machtkämpfen, bei denen auch die jeweiligen Staaten mit einbezogen werden. Dies zeigte nicht zuletzt im Jahr 2004 das deutsch-französische Tauziehen um die Firmenfusionen in der chemischen Industrie – Sanofi und Synthélabo betreffend – sowie um die Absichten des Siemens-Konzerns, beim französischen Unternehmen Alstom einzusteigen. Beide Staaten interventierten dabei in nicht unbeträchtlichem Mabe in die Abläufe und zeigten sich bemüht, möglichst die Konzernzentralen auf ihrem jeweiligen Boden zu behalten. (Vgl. http://www.labournet.de

Einen besonders brisanten Konflikt, dessen Zuspitzung jüngst durch die französische Regierung um wenige Monate vertagt worden ist, verspricht der Streit um die konkurrierenden Fusionsprojekte im Energiesektor des Landes auszulösen. Anfang dieses Jahres war bekannt geworden, dass das italienische Energieversorgungsunternehmen ENEL ein Übernahmeangebot für den französisch-belgischen Energie-, Umwelt- und Wasserkonzern Suez unterbreiten wolle. Dies gab Anlass zu der Befürchtung, dass der Mischkonzern in seine Einzelbestandsteile zerlegt werden könnte. Tatsächlich scheint sich Enel vor allem für die Suez-Filiale im Stromgeschäft (Electrabel) mit 20.000 Beschäftigten zu interessieren, wobei den Aufkäufer besonders ihre Präsenz auf dem belgischen Strommarkt und am dortigen Atomstrom interessieren würde. Suez hatte im Jahr 2005 ein Übernahmeangebot für Electrabel vorgelegt und den Stromversorger übernommen. ENEL lieb durchblicken, dass man sich vor allem für diese Energiesparte (20.000 Beschäftigte) interessiere, aber den Rest des Suez-Konglomerats mit insgesamt 161.000 Beschäftigten (inklusive Electrabel) abstoben könne. Später, im Juni, kündigte dann General Electric Interesse an der Wassersparte von Suez an. Deswegen wurde eine Zerschlagung der Gesamtstruktur befürchtet.  

Dem aber wollte die Regierung in Paris einen Riegel vorschieben. Stattdessen regte das französische Kabinett, als Alternativprojekt für Suez – dessen Eigenkapital ihm nicht genügend Widerstandskräfte gegen ein feindliches Übernahmeangebot verleiht -, einen Zusammenschluss mit dem französischen Gasversorgungsunternehmen GdF (Gaz de France) mit 53.000 Beschäftigten an. Aus diesem Anlass grub man auch den ‘patriotisme économique’ wieder aus.  

Manche kritischen Stimmen, etwa ein Beitrag vom linken Flügel des französischen Parti Socialiste für das Magazin ‘Démocratie & Socialisme’, vertreten allerdings die Auffassung, dass der französische Staat genau diese Situation provozieren wollte, da er seit längerem geplant habe, den bisher noch (mehrheitlich) öffentlichen Energieversorger GdF mit Suez zu fusionieren. Deshalb auch habe man anlässlich der Teilprivatisierung der beiden groben französischen Energieversorgungsunternehmen, Electricité de France (EDF) und Gaz de France, einen Zusammenschluss der beiden unter einem gemeinsamen Dach abgelehnt: Die Pläne für eine Fusion zwischen GdF und Suez seien bereits in den Schubladen gewesen. ( http://www.legrandsoir.info/article.php3?id_article=3365  ) (Anmerkung: EDF und GDF bildeten früher zusammen,die einheitliche öffentlich-rechtliche Anstalt EDF-GDF bildeten. Im Zuge der Teilprivatisierung, die 2003 eingeleitet und im Juni 2004 vom französischen Parlament abgesegnet wurde, beschloss der damalige Wirtschaftsminister Francis Mer am 05. August 2004 ihre Auftrennung in zwei getrennte Gesellschaften.) 

Die Sache hatte, und hat immer noch, mehrere Haken. So befindet sich GdF bisher noch mehrheitlich in öffentlichem Besitz. Als die französische Regierung im Sommer 2003 erste Schritte für eine Teilprivatisierung der beiden Energieversorger (EDF/GdF) einleitete und ein Jahr später ein entsprechendes Gesetz verabschieden lieb, verpflichtete sie sich gegenüber der Öffentlichkeit, den Staatsanteil nicht unter 70 Prozent sinken zu lassen. Bereits eine solche Öffnung für Privatkapital stöbt in Frankreich auf erhebliche Kritik. Denn erstens schliebt nach dem bisherigen französischen Verständnis vom ‘Service public’ (d.h. öffentliche Dienstleistung, aber abweichend vom deutschen Verständnis) das Erbringen einer allgemeinen Versorgungsleistung bestimmte Kriterien ein, für deren Einhaltung die öffentliche Hand zu sorgen hat: Nicht-Rentabilität, gleicher Zugang aller BürgerInnen zu der Versorgung, finanzieller Ausgleich zwischen reichen und armen Regionen. Zum Zweiten sorgt die Vorstellung für Albträume, die französischen Atomkraftwerke – das Land verfügt über einen völlig überdimensionierten Park von Atomanlagen mit fast 60 AKWs im Betrieb, die über 85 Prozent des Stroms herstellen – in privater Hand und « Wirtschaftlichkeitserfordernissen » unterworfen zu sehen.  

Um die geplante Fusion zwischen GdF und Suez auf den Weg zu bringen, müsste der Staat aber sein vormals gegebenen Versprechen aufkündigen und seinen Anteil am Kapital von Gaz de France privatisieren. Wobei, siehe oben, manche Stimmen glauben, genau dies sei (hinter den Kulissen) von Anfang an beabsichtigt worden... 

Ein weiterer Haken an der Sache war, dass Italien energisch protestierte und sich auf die Ungleichbehandlung der wirtschaftlichen Akteure berief. Tatsächlich hat Electricité de France (EDF) in den letzten Jahren massiv auf der Appeninhalbinsel investiert und kontrolliert rund ein Fünftel des italienischen Energiemarkts. Der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi protestierte im Februar energisch. Auch die EU-Kommission in Brüssel sowie die Regierung von Angela Merkel in Berlin zeigten sich über den französischen « Protektionismus » und « Wirtschaftsnationalismus » pikiert.  

Danach kehrte für einige Wochen Ruhe zu dem Thema ein, aber nach dem Regierungswechsel in Italien brach es alsbald wieder auf. Anlässlich seines Antrittsbesuchs in Paris am 13. Juni 2006 unterstützte der neue italienische Ministerpräsident Romano Prodi nunmehr offen die Ambitionen von Enel, sich bei Suez einkaufen. Während er bei seiner Unterredungen mit Präsident Chirac Einigkeit zu anderen Themen – etwa der Zukunft der EU-Institutionen – erzielen konnte, blieb eine Einigung zu diesem Thema aus. Prodi berief sich gegenüber der französischen Presse auf die Ungleichbehandlung mit Electricité de France, das in Italien präsent sei. Die französische Staatsspitze berief sich darauf, die Anteile der italienischen Auslandsinvestitonen in Frankreich (18 Prozent) und an französischen Invesititionen in Italien (20 bis 21 Prozent) seien ungefähr gleich grob, so dass man nicht von einer Diskriminierung sprechen könne.  

Am 28. Juni nun hat das Kabinett von Premierminister Dominique de Villepin beschlossen, die heikle Angelegenheit zu vertagen. Ein Gesetzentwurf, der ursprünglich an diesem Tag vom Ministerrat abgesegnet werden sollte, wird jetzt im September 2006 vorgelegt werden. Im Vorfeld hatte es deutliche Konflikte auch in den Reihen der konservativen Regierungspartei UMP gegeben: Ein erheblicher Teil ihrer Abgeordneten wollen, drei Vierteljahre vor der französischen Präsidentschaftswahl im April 2007, keinen massiven Konflikt mit den Gewerkschaften bei GdF riskieren. Selbst der absehbare konservative Präsidentschaftskandidat und Innenminister Nicolas Sarkozy, normalerweise ein Mann des neoliberalen Umbaus von Staat und Sozialsystemen, meldete stärkere Bedenken an. Hatte er doch als damaliger Wirtschaftsminister im Juni 2004, bei der Teilprivatisierung von EDF und GDF, persönlich sein Wort gegeben, es bleibe definitiv bei der Absenkung des Staatsanteils auf 70 Prozent - darunter werde man nicht gehen. Einen Bruch dieses Widersprechens, der ihm im Wahlkampf um die Ohren gehauen werden könnte, wollte er nicht riskieren. Und überhaupt erschien ihm das Unterfangen so dicht vor der Vorwahlperiode zu riskant. Als Alternativmodell schlug Sarkozy vor, die Gesellschaftsform von Gaz de France zu belassen und den Energieversorger nicht mit Suez zu fusionieren, aber wechselseitige (Minderheits-)Beteiligungen von GdF und Suez am Kapital des jeweils anderen Unternehmens einzufädeln. Sogar eine Nationalisierung von Suez, um beide Unternehmen unter den Fittichen des französischen Staates zusammenzuführen, wollte der ansonsten wirtschaftsliberale Minister in diesem Zusammenhang nicht ausschlieben. 

Gewerkschaftliche Positionen  

Aus Furcht vor Uneinigkeit in den eigenen Reihen und vor den Reaktionen der Gewerkschaften, die bereits am 20. Juni einen « Aktionstag » mit Warnstreiks bei GdF durchführten, wurde das Vorhaben also erst einmal auf den Herbst 2006 vertagt. Aber auch die Gewerkschaften sind sich unter sich nicht völlig einig. Fünf Branchengewerkschaften im Energiesektor (die Mehrheitsgewerkschaft CGT, die populistische FO, die Angestelltengewerkschaft CGC, die linksalternative SUD und die « unabhängige » UNSA) hatten die 150.000 betroffenen Beschäftigten zu den Warnstreiks aufgerufen. Ihnen hatten sich auch manche Einzelgewerkschaften des christlichen Gewerkschaftsbunds CFTC angeschlossen.  

Dagegen befürwortete die (rechts)sozialdemokratische CFDT - zweitgröbter Gewerkschaftsbund in Frankreich – zunächst die Fusion von Gaz de France und Suez, « sofern sie vernünftig durchgeführt wird ». Sie erklärte, sie lehne das « dogmatische Vorgehen » der übrigen Gewerkschaften ab, und eine Energieversorgungsleistung könne durchaus unter staatlichen Kontrolle von einem Privatkonzern übernommen werden. (Vgl. ‘Le Monde’ vom 21. Juni) Dies entsprach im Übrigen auch den strategischen Orientierungen des Kongresses, den der Dachverband CFDT im Juni in Grenoble abhielt: Neben anderen Grundsatzbeschlüssen (wie jenem, man müsse « nach anderen Aktionsformen suchen, die weniger Belastungen für die Kunden verursachen als ein Streik ») wurde dort auch ein faktischer Pro-Privatisierungs- Beschluss gefällt. Er lautet, dass nach Auffassung der CFDT eine öffentliche Dienstleistung « auch durch einen Privaten unter Aufsicht des Staates erbracht werden kann ». Aber in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung ‘La Tribune’ vom 11. Juli 06 bremst CFDT-Generalsekretär François Chérèque die Privatisierungseuphorie: Sein Gewerkschaftsverband lehne eine Privatisierung von Gaz de France ab, erklärt Chérèque dort, und befürworte stattdessen eine « gegenseitige Beteiligung » (Überkreuzbeteiligung) von Suez und GdF am Kapital des jeweils anderen Unternehmens, unter Beibehaltung des öffentlichen Mehrheitsanteils bei GdF. Daraus bastelte die Wirtschaftstageszeitung dann auch ihren Titel auf der Seite Eins (« Gaz de France: Chérèque sagt Nein zur Privatisierung »). Diese neue Linie entspricht in etwa der Position, die Minister Sarkozy im Juni 2006 bei den UMP-internen Debatten eingenommen hatte. Nachdem die Privatisierungspläne der Regierungspartei UMP vorerst auf Eis gelegt oder zumindest verschoben worden sind und Kritik in den eigenen Reihen laut wurde, konnte Chérèque sich wohl kaum auf die Überholspur der Befürworter einer schnelleren Privatisierung setzen... 

Soweit die Positionen auf nationaler Ebene. Aber auf Konzernebene sieht es teilweise anders aus, da dort auch die CGT die Fusionspläne (Suez/Gaz de France) befürwortet. Von ihnen erhofft man sich auf gewerkschaftlicher Seite die Schaffung von Arbeitsplätzen, sowie ein Ausbleiben der Zerschlagung des Mischkonzerns Suez. In Wirklichkeit ist aber gar nicht sicher, dass das aktuell unter dem Dach von Suez vorhandene Konglomerat aufrecht erhalten bleibt, wenn der Konzern mit dem Energieversorger GdF zusammen geht. Denn dann stellt sich die Frage, ob der neue Zusammenschluss sich nicht auf den Energiesektor konzentrieren, und die Sparten « Wasser » und « Umweltrechnik » bei Suez abstoben soll. Premierminister de Villepin hat bislang versichert, dass dies nicht der Fall sein werde – aber das grüne Licht dafür, dass ein eventueller gemeinsamer Energieriese GdF/Suez diese (« zusätzlichen ») Sektoren behalten darf, müsste durch die EU-Kommission in Brüssel gegeben werden. Manche Stimmen (wie die bereits oben zitierte: http://www.legrandsoir.info/article.php3?id_article=3365 )  halten es daher für fraglich, ob der Mischkonzern Suez auf dem Wege eines solchen Zusammenschlusses nicht doch zerschlagen würde. Als Alternative befürworten sie einen Einstieg der öffentlichen Hand bei Suez (um Übernahmeversuche durch private Konzerne zu verhindern und das Ganze zu bewahren), während sie bei Gaz de France präsent bleiben müsse.  

Führungswechsel bei EADS/Airbus: Deutsche und französische Ansprüche im Hintergrund  

In jüngster Zeit kam es erneut zu einem hinter den Kulissen stattfindenden Kräftemessen zwischen Deutschland und Frankreich, was die Interesse beider Staaten bei dem europäischen Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen EADS betrifft. Der deutsch-französisch-spanische Konzern war ins Schlingern geraten, als führende Unternehmensvertreter im Frühjahr dieses Jahres in die so genannte Clearstream-Affäre verwickelt wurden. Also in jene Bespitzelungsaffäre, deren Auffliegen im April und Mai die französische politische Klasse erschütterte, aber in deren Verlauf sich auch ein Machtkampf zwischen verschiedenen « Seilschaften » bei EADS abgespielt hatte. (vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22635/1.html )  

Kaum war die Affäre halbwegs ausgestanden und der an prominenter Stelle in die Affäre verwickelte Vizedirektor Jean-Louis Gergorin durch den Konzern entlassen worden, da platzte im Juni bereits der nächste Skandal. Er drehte sich um die EADS-Filiale Airbus, durch welche der Konzern den gröbten Teil seiner Einnahmen bezieht: Angeblich hatte es seit Februar 2006 Schwierigkeiten bei Tests des neuen Grobraumflugzeugs Airbus A380 gegeben. Und beim A350 gab es ebenfalls Schwierigkeiten, da die Maschine voraussichtlich – gegenüber dem vergleichbaren Modell des US-Konkurrenten Boeing – deutlich zu viel Treibstoff schluckte. Während der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass es zu mehrmonatigen Lieferungsverzögerungen bei der Auslieferung des neuen Airbus A380 kommen werde und dass EADS deshalb mit Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe gegenüber dem geplanten Geschäftsergebnis rechne, wurde zugleich ruchbar, dass führende Konzernvertreter im März 2006 Kapitalanteile mit Gewinn abgestoben hatten, zu einem Zeitpunkt, als sie möglicher Weise bereits von den bevor stehenden Turbulenzen wussten, aber auf diesem Wege noch rechtzeitig Gewinn einstrichen.  

Vor allem der inzwischen zurückgetretene Konzernchef Noël Fogeard, der zwischen dem 9. und dem 17. März 2006 Vorzugsaktien (stock options) zu seinen und seiner Kinder Gusten im damaligen Wert von 3,75 Millionen Euro abgestoben hatte, sowie der französische Grobaktionär Arnaud Lagardère kamen auf diese Weise ins Gerede. Der Luftfahrt- und Rüstungsindustrielle Lagardère hatte im Frühjahr seinen Anteil am Kapital von EADS von zuvor 15,1 Prozent auf 07,5 Prozent reduziert und dabei zwei Milliarden Euro verdient. Dadurch wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich nur um einen für die Betreffenden günstigen zeitlichen Zufall handelte – oder aber ob sie vorab wussten, dass Airbus (und damit EADS) auf eine Verlustzone zusteuere, und gerade noch rechtzeitig ihre Anteile mit Gewinn « los werden » wollten. 

Arnaud Lagardère, der Konzernerbe des Rüstungs- und Luftfahrtunternehmens Matra, tätigte dafür im Juni (nachdem die Angelegenheit bekannt geworden war) den öffentlichen Ausspruch: « Ich habe die Wahl, nun als jemand Unehrliches zu gelten oder als jemand Inkompetentes, der keine Ahnung hat, was in den Fabriken (des eigenen Konzerns) los ist. Ich ziehe die zweitere Version vor. » Doch in der Öffentlichkeit sprach man wesentlich mehr von Vorstandsdirektor Noël Forgeard, auf den sich auch die Abgeordneten des französischen Parlamets einschossen, und wesentlich weniger vom Grobaktionär Arnaud Lagardère. Nun kein Wunder, gehören doch Lagardère die Hälfte der Verlagshäuser im Land und mit seinem Pressekonzern Hachette auch Anteile an den wesentlichen Presseunternehmen (‘Le Monde’, ‘Journal du dimanche’...), aber auch an anderen Medien (Fernsehsender Canal Plus, Regenbogenzeitschrift ‘Paris Match’...), sowie der gesamte Zeitungsvertrieb... Lagardères Papa hatte seinen schönen Luftfahrtkonzern Aérospatiale, den er in die EADS einbrachte, vom französischen Staat quasi geschenkt bekommen: Der damalige sozialliberale Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn hatte ihm den 1999 für 0,85 Milliarden Euro verkauft. Geschätzer Wert des Unternehmens: 80 bis 120 Milliarden, also rund das Einhundertfache. Und wer hat jetzt die Verluste aufgefangen, die daraus entstanden, dass Lagardère noch eben rechtzeitige seinen Aktienanteil Gewinn bringend abstieb, bevor die Anteile spürbar an Wert verloren? Wiederum der werte Staat, denn die von Lagardère verkauften 7,5 Prozent Kapitalanteile wurden durch eine Staatsbank (Caisse des dépôts) übernommen... 

Hinter der Affäre stecken aber eben offensichtlich auch deutsch-französische Spannungen, die sich um die Kontrolle des strategisch bedeutenden Flugzeug- und Rüstungskonzern drehen. « EADS: Der deutsch-französische Streit » übertitelte‘Le Monde’ vom 27. Juni einen ganzseitigen Artikel auf ihrer Seite Drei. Die Pariser Abendzeitung baut ihren Hintergrundbericht vor allem rund um das Protokoll einer entscheidenden Sitzung der EADS-Führungsspitze, die am 10. Mai in Amsterdam stattgefunden hatte, herum auf. Aus ihm geht hervor, dass auf dieser Sitzung erwogen wurde, ob man die Öffentlichkeit und die Märkte über die voraussichtlichen Verzögerungen bei der Auslieferung des A380 - für den schon zahlreiche Bestellungen von internationalen Fluggesellschaften wie der Singapore Airlines für die nächsten Monate und die Jahre bis 2009 vorlagen – informieren solle oder nicht. Vor allem das damalige EADS-Vorstandsmitglied Louis Gallois (seinerzeit zugleich noch Präsident der französischen öffentlichen Bahngesellschaft SNCF) und, verhaltener, EADS-Exekutivdirektor Noël Forgeard plädierten für eine Politik der Transparenz gegenüber den Kunden und den Märkten. Eventuelle Lieferverzögerungen sollten diesen lieber frühzeitig als zu spät gemeldet werden. Dagegen, so geht es aus dem in ‘Le Monde’ dokumentierten Protokoll eindeutig hervor, plädierten die Deutschen im Konzern für eine Politik des Hinwartens: Der deutsche Co-Vorstandsvorsitzende Manfred Bischoff betonte, dass es noch zu früh sei, Lieferschwierigkeiten zu bestätigen oder ihr Ausmab zu bestimmen. Und der damalige Vorsitzende der Filiale Airbus, der Deutsche Gustav Humbert, den Manfred Bischoff in den Saal herein bat, plädierte ebenfalls für Abwarten: Erst eine Serie weiterer Tests erlaube es, zu sagen, ob es zu Verzögerungen kommen werde oder nicht – frühestens im August.  

Fakt ist, dass EADS wegen der technischen Schwierigkeiten beim Airbus schon ab Mitte Juni 2006 in schwere Turbulenzen geriet und sein Image erheblichen Schaden nahm. Die Frage ist, was hinter diesen unterschiedlichen Strategien steckte. ‘Le Monde’ begnügt sich mit der Feststellung: « Die Diskussionen zwischen diesen Führungsmitgliedern zeichnen sich weniger, wie man annahm, durch eine Divergenz der Sichtweise zwischen (dem Mutterkonzern) EADS und der Filiale Airbus aus, sondern eher durch zwei Lager, auf der einen Seite die Deutsche, auf der anderen Seite die Franzosen. »  

Eine mögliche Interpretation ist, dass die Deutschen die bis dahin amtierende Konzernführung ihre Geschäftspolitik erst einmal gründlich gegen die Wand fahren lassen wollten, um danach Veränderungen bei den Strukturen von EADS durchzusetzen. Eine andere Variante lautet, dass es auf der deutschen Seite darum ging, zu verhindern, dass – neben der jetzt entbrannten Debatte um den Verkauf von Kapitalanteilen durch Lagardère (mit seiner Unternehmen Matra) und von Vorzugsaktien durch Noël Forgeard – auch die Veräuberung von Anteilen durch den deutschen Grobaktionär Daimler-Chrysler ins Gerede komme. Tatsächlich hatte Daimler-Chrysler, ebenfalls in diesem Frühjahr, seinen Anteil an EADS von zuvor 30,2 Prozent auf 22,3 Prozent reduziert. Allem Anschein nach hat der Konzern damit auf den bevorstehenden Kurssturz, der durch das Abstoben seiner Vorzugsaktien durch Forgeard (vom 9. bis 17. März) sowie durch den am 20. März angekündigten Teilrückzug Lagardères ausgelöst wurde, reagiert. Gerade noch rechtzeitig, denn die Aktie, die im vorausgegangenen Jahr um 40 Prozent an Verkaufswert gewonnen hatte, lag damals noch bei rund 35 Euro. In den folgenden Wochen fiel sie zunächst auf 32 Euro, bevor die Ankündigung der Lieferverzögerungen am 13. Juni sie nochmals um ein Viertel nach unten sacken lieb

Für die erstgenannte Variante spricht, dass es tatsächlich Konflikte zwischen Deutschen und Franzosen um die Strategie und Konzbei EADS gegeben hat. Von deutscher Seite her gab es harsche Vorwürfe gegen den französischen Co-Exekutivdirektor des Konzerns (neben dem Deutschen Thomas Enders), Noël Forgeard. Über ihn schreibt das Wochenmagazin ‘Marianne’ vom 08. Juli: « Seit Wochen wünschten die Regierung von Angela Merkel und der deutsche Aktionär Daimler-Benz (Anm.: in Wirklichkeit Daimler-Chrysler) seine Absetzung. Vor dem Hintergrund des Verdachts, er habe gelogen und rechtswidrig Insiderinformationen zu seinen Gunsten benutzt, haben sie endlich den Kopf von Noël Forgeard erhalten, dessen Ernennung Jacques Chirac 2005 durchgesetzt hatte. »   

Ihm wurde Fehlverhalten vorgeworfen, weil er den Produktionsstandort Hamburg für die technischen Schwierigkeiten verantwortlich zu machen versuchte (was den Zorn der IG Metall hervor rief), doch den Standort Toulouse nicht in die Vorwürfe einbezog. Aber auch, weil er - als er es vor einem Jahr an die Spitze des Konzerns schaffte - keinen Hehl daraus machte, dass er am liebsten eine Ein-Mann-Präsidentschaft durchgesetzt hätte, was dem Prinzip der deutsch-französischen Co-Direktorenschaft widersprach.  

Vor allem aber wurde Forgeard auf strategischer Ebene zum Vorwurf gemacht, dass er eine Annäherung von EADS an den französischen Elektronikkonzern Thales (ehemals Thomson) einzufädeln versuchte - bis hin zum Gedanken einer Fusion beider Unternehmen. Das wollten die Deutschen nicht hinnehmen, vordergründig, weil es die Machtgleichgewichte im Konzern zugunsten der französischen Seite verschoben hätte. Aber vor allem herrscht auch ein handfester Konkurrenzkampf in der Rüstungssparte zwischen den Interessen von Daimler-Chrysler sowie der EADS-Rüstungssparte, die durch einen Deutschen (Stefan Zoller) geführt wird, auf der einen Seite und jenen der französischen Industrie auf der anderen Seite. Von deutscher Seite her betreibt man – statt eine Zusammenarbeit oder gar Fusion mit Thales an,zustreben – eine Annäherung an ThyssenKrupp, vor allem im Kriegschiffbau. « Unter massiver Einflussnahme der Bundesregierung », berichtet die Webpage ‘German Foreign Policy’, sei etwa der Verkauf des in Bremen ansässigen Marineausrüsters Atlas Elektronik an den französischen Konzern Thales « verhindert » worden. Stattdessen haben EADS und ThyssenKrupp die Firma gemeinsam aufgekauft und führen sie nun als Tochterunternehmen, an dem die beiden Anteile von je 49 bzw. 51 Prozent halten. EADS brachte zusätzlich ihr Marinesystemgeschäft in das Joint Venture ein, schreibt die Webpage. Gleichzeitig strebe die Rüstungssparte von EADS unter deutscher Führung einen Zusammenschluss mit dem von Siemens veräuberten Panzerhersteller Krauss-Maffei-Wegmann an, einem der beiden Hauptlieferanten der Bundeswehr ; « gelänge dies, würde die deutsche Position im Rüstungsgeschäft des Konzerns weiter gestärkt » (http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56420). EADS verdient derzeit mit Rüstungsaufträgen mehr Geld in Deutschland als in Frankreich. Aber Anfang Juli dieses Jahres wurde bekannt, dass der Konzern jetzt zudem auch zu einem der Haupt-Auftragnehmer der US-amerikanischen Streitkräfte wird, nachdem die US Army 352 Mehrzweck-Hubschrauber bei EADS bestellt hat. 

Auch um die Führungsstrukturen sind Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Franzosen entbrannt. Zwar sind die Mechanismen, mit denen der Staat nationalen Industrien wie im obigen Beispiel unter die Arme greift, durchaus ähnlich. Aber das französische Muster einer direkten Staatsbeteiligung und expliziten Einflussnahme der Politik – der französische Staat hält 15 Prozent der Anteile an EADS – führt auf der deutschen Seite zu Naserümpfen. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wünsche eine « Normalisierung des Managements » bei EADS, schreibt ‘Marianne’ (01. Juli). Dies ist im Sinne eines Übergangs zu Führungsstrukturen wie bei einem ‘normalen’ Privatkonzern, bei dem nicht Rücksichten auf direkte Staatsbeteiligungen und eine ständige deutsch-französische Parität auf den wichtigsten Entscheidungsebenen genommen werden müssen, zu verstehen. Ihrerseits zitiert ‘German Foreign Policy’ einen Ministerialbeamter aus dem deutschen Wirtschaftsministerium, der sich « mit allergröbter Sorge » um den französischen Staatseinfluss bei EADS äubere und seiner Zuversicht Ausdruck verleihe, dass das Bundeskanzleramt « demnächst aktiv wird und die Partner an der Seine zur Raison ruft ». 

Vorerst sind die Wogen der Konflikte geglätten: Louis Gallois, der bisher Vorstandsmitglied bei EADS sowie Chef der französischen staatlichen Bahngesellschaft SNCF war – das zweitere Amt hat er nun abgegeben -, wurde Anfang Juli als Nachfolger von Noël Forgeard zum Co-Exekutivdirektor von EADS bestimmt. Damit übernahm ein Anhänger staatsintervenionistischer Praktiken und EU-Skeptiker dieses Amt, der aber zugleich aufgrund seiner technischen Kompetenz und Seriosität respektiert wird. Die Wirtschaftszeitung ‘La Tribune’ vom 10. Juli zitiert Gallois jedoch mit den Worten, er setze auf « allerengste Kooperation » mit dem deutschen Co-Präsidenten Thomas Enders. Mit diesem Anspruch, so schreibt die Zeitung, setze er sich auch von seinem Vorgänger Noël Forgeard ab: Diesem hätten die französischen Abgeordneten, bei ihrer Anhörung Forgeards am 28. Juni wegen der Korruptionsvorwürfe, auich vorgehalten, dass er « Spannungen mit den Deutschen genährt » habe. « Die französischen Abgeordneten, so ‘La Tribune’, hielten « Personenwechsel an der Spitze des Konzerns für umso notwendiger, als die deutsch-französischen Spannungen gar das Überleben von EADS gefährdeten. » 

Eine radikale Umgestaltung der Strukturen von EADS sei, so fährt die Wirtschaftszeitung fort, unter Gallois aber vorerst ausgeschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob bzw. wie lange dies das letzte Wort sein wird. Denn wie ‘Marianne’ meldet, hat die spanische Staatsführung jetzt ihren Willen angemeldet, ihren Anteil bei EADS von bisher 5 Prozent auf 10 Prozent auszubauen. Damit aber würde der bisherige offizielle Anspruch, eine deutsch-französische Parität zu wahren, ohnehin ins Wanken kommen. « Durch ihre konfliktreiche Ehe mit den Franzosen abgekühlt », schreibt ‘Marianne’, « werden die Deutschen sich nicht ohne Garantien auf eine Ehe zu dritt einlassen. Und dafür haben sie ein gewichtiges Argument: die riesigen Aufträge der Lufthansa an Airbus. »  

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von Bernhard Schmid zur Veröffentlichung. Es ist eine leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags, der am Sonntag, 16. Juli unter dem Titel « Der Nationalismus und die Gesetze der Ökonomie » im Internetmagazin ‘telepolis’ publiziert wurde.