Mensch gebe einmal die Begriffe
„Wertschöpfung“ oder „Wertschöpfungsprozess“ bei google ein und
nehme sich nur eine Stunde Zeit für flüchtige Lektüre einiger
der Seiten und Dokumente, die da aus den Tiefen des Internet
hervorgezaubert werden.
Da heißt es dann z. B:
„Produktion ist ein
Wertschöpfungsprozess. Wertschöpfung entsteht in jedem
einzelnen Produktionssystem, wenn aus einzelnen oder komplexen
Teilen wertgesteigerte Teile erzeugt werden.“
oder:
„Wertschöpfung ist das
originäre Ziel produktiver Tätigkeit. Diese transformiert
vorhandene Güter in Güter mit höherem Nutzen und damit - in
einer Geldwirtschaft - in Güter höheren Geldwertes. Der
geschaffene Mehrwert wird zu Einkommen.“
Die aktuelle, zeitgemäße
Politische Ökonomie (hier: Betriebswirtschaftlehre) betrachtet
den „Wertschöpfungsprozess“ durch Produktion von Waren
(Produktionsmittel, Konsumtionsmittel, Dienstleistungen) als
Kernprozess jedes kapitalistischen Unternehmens, den es
kontinuierlich zu „optimieren“ gilt. („Produktion als primäre
Wertschöpfungsaktivität, keine Wertschöpfung ohne Produktion“)
Er wird flankiert durch „Leitungsprozesse“ und „unterstützende
Prozesse“
Aufgabe der „Leitungsprozesse“
ist es für folgendes zu sorgen:
Entsprechend werden Aufgaben
etwa wie folgt formuliert
„Die ständige Verbesserung des
Wertschöpfungs-Prozesses ist eine unabdingbare Voraussetzung
für dauerhaften Erfolg
Die Straffung und Optimierung
der Geschäftsprozesse - nämlich derjenigen Vorgänge im
Unternehmen, mit denen Geld verdient wird - ist der Schlüssel
zum Unternehmenserfolg, heute und in Zukunft!
Durch die Konzentration auf
den Wertschöpfungsprozess werden die Unternehmensabläufe
transparenter, Schwachstellen werden offensichtlich und die
Gesamtleistung kann oft schon durch kleine Korrekturen
wesentlich verbessert werden.
Hier gilt es klar und präzise
den Wertschöpfungsprozess des Unternehmens aufzuzeigen,
Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, die
ergebniswirksamen Stationen im Ablauf aufzuzeigen und das
Unternehmen straff und konsequent danach auszurichten.“
Wie die
Theorie der Politischen Ökonomie, so die Praxis!
Während die Sachwalter des
Kapitals ihre Kräfte darauf konzentrieren, die kapitalistischen
Produktionsprozesse auf Teufel komm raus zu restrukturieren, zu
reorganisieren etc., und die erforderlichen Rahmenbedingungen
für die Durchsetzbarkeit ihrer rigiden Maßnahmen zu schaffen,
weil sie den kapitalistischen Produktionsprozess, den
Arbeitsprozess als „Wertschöpfungsprozess“ verstehen,
interessiert das, was da abgeht, theoretisch und praktisch
eigentlich niemanden mehr in den luftigen Höhen von „kritischer
Wissenschaft“ oder „theoretischer Kritik“. Wie sollte auch, wenn
„erkannt“ wurde, dass es keine Wertsubstanz gibt, das Wert nicht
in der Produktion der Waren entsteht, vielmehr die einzelnen
Waren nur Gebrauchsgegenstände sind, der Arbeitsprozess nur
technischer Arbeitsprozess ist. Oder wenn erkannt wurde, dass
die wertschöpfende Arbeit eh schon so gut wie verschwunden sei,
man von Mehrwert gar nicht reden dürfe, weil es sonst nur noch
um Verteilung desselben gehe. Stattdessen interessiert man sich
sehr für die „Entbettung“ des Marktes, für kaufen und verkaufen
durch kaputte „Warensubjekte“ etc., starrt auf das jeder
Kontrolle entwachsene Finanzkapital. Was man noch kritisiert ist
die Wertform, der Tauschwert und die aberwitzigen Erscheinungen
des Marktes. Im Gegensatz zu den Sachwaltern des Kapitals ist
der „Kritik der Politischen Ökonomie“ jedes der
gesellschaftlichen Praxis angemessene Verständnis zwischen
„Wertschöpfung“ (Produktion von Wert und Mehrwert) und
Wertrealisierung abhanden gekommen. Die sogenannte „Kritik der
Politischen Ökonomie“ fällt hinter die Erkenntnisse der
Politischen Ökonomie selbst zurück. Eine verdrehte Welt ist das!
Man beschränkt sich auf die Kritik der unheimlichen
„Wertschöpfung“ von Spekulation etc., als einer „Wertschöpfung“,
die der sozialen Kontrolle entwachsen sei. Teilweise möchte man
Kontrolle des Finanzkapitals und verkürzt die Kapitalkritik auf
eine Kritik an den „Heuschrecken“. Ja, auch die teils
scharfsinnig analysierten Mechanismen der „Wertschöpfung“ des
Finanzkapitals laufen in der Konsequenz auf platte
„Heuschreckenkritik“ raus, weil der Zusammenhang mit dem
Produktionsprozess des Kapitals theoretisch aufgehoben ist. (Von
einer Durchsetzung des Wertgesetzes ist nichts mehr zu sehen:
Spekulation des Finanzkapitals als Folge des Falls der
Profitrate, der „Klassenkampf von oben“ als Versuch, den Fall
der Profitrate aufzuhalten und umzudrehen.) Das ist keine Kritik
des Kapitals mehr, aber es ist sehr populär. Für die
„Heuschreckenkritik“ ist leicht eine Mehrheit zu bekommen, doch
wehe, diese „Heuschrecken“ werden als logische Quintessenz des
Kapitals selbst benannt. Da sperrt sich der gesunde
Menschverstand und auch die in Selbstauflösung begriffene
„Kritik der Politischen Ökonomie“.
Die Sachwalter des Kapitals
drücken auf
-
Verlängerung der Arbeitszeit
-
Flexibilisierung
der Arbeitszeit
-
Streichung
oder Kürzung von Pausen
-
Ausdehnung
von Nacht- und Schichtarbeit
Ihr Traum besteht nach wie vor
darin, alle Lebenszeit der Lohnabhängigen in Arbeitszeit für das
Kapital zu verwandeln. Nur soziale Bewegung und
gesellschaftlicher Zwang kann dem Grenzen setzen oder diesem
Traum der Kapitalisten ein für alle Mal die Grundlage entziehen.
Damit die Zeit, die die
Lohnabhängigen für ihre eigene Reproduktion arbeiten, verkürzt
wird, müssen natürlich auch die Löhne sinken, egal um welche
Form des Lohnes es sich dabei handelt, um direkt ausbezahlte
Löhne oder jene Lohnbestandteile, die das Kapital an
Sozialversicherungen abführt. Umwandlung der Lebenszeit von
Lohnabhängigen in Arbeitszeit fürs Kapital bedeutet Ausdehnung
der unbezahlten Mehrarbeit. Das ist die Quintessenz einer
„optimierten Wertschöpfung“ durch Arbeit. Als jemand, der von
diesen radikalen Veränderungen betroffen ist und sie
aufmerksam verfolgt, bin ich immer wieder sprachlos über das
Ausmaß der theoretischer Ignoranz gegenüber dieser sozialen
Reaktion. Und:
Wer sich auf grund „reiflicher
theoretischer Überlegung“ und eines erfolgreichen „Abschieds vom
Proletariat“ nicht für den kapitalistischen Produktionsprozess
interessiert, der interessiert sich auch nicht für die mehr oder
weniger verheerenden psychischen, physiologischen und sozialen
Folgen von langer Arbeitszeit, Flexibilisierung der Arbeitszeit,
Ausdehnung von Nacht- und Schichtarbeit, etc. (Nachgewiesen
durch arbeitsmedizinische Untersuchungen). Was die Arbeit mit
den Menschen macht ist nicht Gegenstand von Kritik und
Forderungen, wird allenfalls mit Phrasen von der Abschaffung von
„Arbeit überhaupt“ abgetan. Während das Kapital ein klares
Programm zur Veränderung der Arbeit entwickelt hat und verfolgt,
haben die „Linken“ entweder gar keins oder faseln von
„abstrakter Vernutzung von Mensch und Natur“ oder der
„Abschaffung der Arbeit als solcher“. Beides ist gleichermaßen
perspektivlos. Über die verderblichen Auswirkungen des Marktes
kann man dagegen überall lesen (was nicht falsch, aber
ungenügend ist).
Fast alles Denken und Handeln
der bürgerlichen Welt konzentriert sich komischer Weise auf die
„Optimierung der Wertschöpfung“ und die Schaffung neuer
Arbeitsgelegenheiten für „Wertschöpfung“. Eigentlich sind unsere
Kapitalisten ziemlich dumm, weil sie nicht verstanden haben,
dass die Produktion für die „Wertschöpfung“ irrelevant ist,
vielleicht gar schon eine Sache der Vergangenheit oder Wert
allenfalls eine „gegenständliche Reflexion“ auf die
gesellschaftliche Gesamtarbeit ist. Aber die Sachwalter des
Kapitals sind instinktiv „Materialisten“ (sei es, weil sie ihr
nun einmal in produktives Kapital angelegtes Geld mit
ordentlicher Rendite vermehren wollen, sei es, dass sie als
Politiker oder Verbandsfunktionäre eine ungefähre Vorstellung
vom Gesamtreproduktionsprozess des Kapitals haben, die um den
Zusammenhang von „Wertschöpfung“ durch Arbeit und
Wertrealisierung auf dem Markt weiß) und misstrauen der
verselbständigten „Wertschöpfung“ mit dem Handel von
Wertpapieren.
Die wichtigsten sozialen
Prozesse, Zusammenhang und Ausmaß der sozialen Reaktion, die
über uns hinweg rollt, betreffen allesamt den kapitalistischen
Produktionsprozess, spitzen sich auf seine Veränderung und
Ausdehnung zu. Aber mit dem „Abschied vom Proletariat“ ist nicht
nur das revolutionäre Subjekt abhanden gekommen, damit die Sache
rund wird, fällt auch die revolutionäre Zuspitzung von Kritik
der Politischen Ökonomie. Sei es, dass der Wert primär eine
Sache des Austausches sei, sei es, dass die „wertschöpfenden“
Potenzen der Arbeit eh schon erschöpft seien, man kann den
kapitalistischen Produktionsprozess in jedem Fall getrost
ausblenden. (Wehren tut sich obendrein kein Schwein.) Die
Verwertung von Wert in der kapitalistischen Produktion ist
einfach kein Thema mehr, was eine ganz verheerende Auswirkung
auf die Stoßrichtung der theoretischen Kritik und mögliche
Perspektiven einer praktischen Politik hat. Es ist der Weg der
„Linken“ in die absolute Bedeutungslosigkeit, angereichert mit
ein paar weltfremden esoterischen Zirkeln, die sich bei Bedarf
mal eben selbst zerfleischen.
Für die Perspektive sozialer
Emanzipation ist Kritik und Veränderung der Arbeit ein zentraler
Programmpunkt. Dabei geht es weder um Phrasen von der
Abschaffung der Arbeit noch um das Ausmalen von Utopien. Es geht
um die konkrete Kritik der kapitalistischen Arbeit und deren
Folgen, sowie daraus unmittelbar ableitbare Forderungen. Das
Kapital selbst setzt die Frage des Normalarbeitstages wieder auf
die Tagesordnung! (Wird seinem Treiben nicht angemessen bewusst
begegnet, dann wird die veränderte Realität allein ein tüchtiger
Leermeister sein.) Forderungen nach Begrenzung der Arbeitszeit,
die dem Stand der Produktivkraftentwicklung entsprechen, sowie
nach Verboten für Überstundenarbeit, Nacht- und Schichtarbeit
etc., die den arbeitsmedizinischen Erkenntnissen über die
schädlichen gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen solcher
Arbeitsformen entsprechen, sind die zentralen Eckpunkte für
Diskussionen über die Veränderung der Arbeit, ohne die sich kein
Bewusstsein und keine soziale Bewegung entwickeln kann.
Editorische Anmerkungen
Peter
Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine
Kommentare zum Zeitgeschehen.