Stichwort RAF

»Mai-Offensive" der RAF (1972)

von Peter Bakker Schut
7-8/07

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Am 11. Mai 1972, dem Tag, an dem die Bombenblockade Nordvietnams durch die Vereinigten Staaten mit heftigen Bombenangriffen gegen Hanoi, die Hafenstadt Haiphong und die Provinz Than Hoa begann, verübte die RAF durch ein „Kommando Petra Schelm" (Petra Schelm war 1971 als RAF-Mitglied von der Polizei in Hamburg erschossen worden) einen Bombenanschlag auf das Hauptquartier des 5. Armeekorps der amerikanischen Streitkräfte in der BRD und Westberlin mit Sitz im früheren IG-Farben-Haus in Frankfurt. Ein Armeeangehöriger kam ums Leben, 13 weitere wurden verwundet. In der Kommandoerklärung vom 14.5.72(1) heißt es zum Anschlag:

„Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam sollen Westdeutschland und West-Berlin kein sicheres Hinterland mehr sein. Sie müssen wissen, daß ihre Verbrechen am vietnamesischen Volk ihnen neue, erbitterte Feinde geschaffen haben, daß es für sie keinen Platz mehr geben wird in der Welt, an dem sie vor den Angriffen revolutionärer Guerilla-Einheiten sicher sein können".

Der Sitz des europäischen Hauptquartiers des einflußreichsten amerikanischen Nachrichtendienstes, der National Security Agency (NSA), befand sich ebenfalls im IG-Farben-Haus in Frankfurt. Dazu äußerte sich der ehemalige NSA-Agent Winslow Peck auf einer Pressekonferenz am 23.6.76 in Frankfurt(2):

„Das Hauptquartier der NSA in Europa, das IG-Farben-Haus, das in NSA-Kreisen unter dem Decknamen USF-798 firmiert, verfügt über einen immensen elektronischen Spionageapparat, mit dessen Hilfe nicht nur Informationen über den Ostblock, sondern auch über westeuropäische Regierungen gesammelt werden.

Viele der an USF-798 angeschlossenen NSA-Stationen in England, Italien, Griechenland, Marokko und vor allem in Deutschland überwachen sogar die Nachrichtenwege jener Regierungen, die mit den USA verbündet sind. Das heißt, daß unter anderem die Kommunikation in den Bereichen der Diplomatie, des Militärs, des Handels (Industriespionage), der öffentlichen Anstalten und der Schiffahrt abgehört wird. Diese Aufgabe wird mit solcher Fertigkeit und Präzision erfüllt, daß es praktisch für keine europäische Regierung im Osten wie im Westen möglich ist, einen Schritt zu tun, den die amerikanische Regierung nicht erfährt.

Überall, wo amerikanische Truppen in Deutschland stationiert sind, gibt es Stützpunkte von USF-798. Dazu kommt noch, daß USF-798 der NSA von deutschen BND-Spezialeinheiten und dem britischen GCHQ unterstützt wird, die beide ebenfalls auf elektronische Spionage spezialisiert sind. Während meines Aufenthaltes in Indochina habe ich erlebt, daß deutsche Elektronik-Spionage-Agenten in Vietnam waren und dort der NSA geholfen haben.

USF-798 ist nicht nur das wichtigste Geheimdienstzentrum der USA und der Nato in Europa, sondern wurde gelegentlich auch eingesetzt, um für andere Teile der Welt zu arbeiten. So sind beispielsweise viele Berechnungen und Auswertungen von Einsätzen des US-Militärs im Indochinakrieg im IG-Farben-Haus gemacht worden".

Anschließend ging Peck auf die Schlüsselposition des IG-Farben-Hauses im Indochinakrieg sowie innerhalb der gesamten US-Spionage gegen den Ostblock, gegen die Verbündeten der USA, gegen Befreiungsbewegungen in der dritten Welt sowie gegen Wirtschaftsunternehmen, die sich in Konkurrenz zu amerikanischen Firmen befanden, ein. Schlußfolgernd sagte er:

„Aufgrund meiner Forschungen auf dem Gebiet des Terrors und Gegenterrors bin ich der Ansicht, daß die Rote Armee Fraktion eine Antwort auf die kriminelle Aggression der US-Regierung in Indochina und die Beihilfe der deutschen Regierung war. In dieser Hinsicht glaube ich nicht, daß man auch nur eine der sogenannten ,Terrorismus'-Aktionen der Roten Armee Fraktion in menschlicher oder logischer Hinsicht vergleichen kann mit dem Terrorismus, der von den USA, in massivem Ausmaß in Vietnam, verübt wurde. Die Bombenanschläge auf das IG-Farben-Haus aufgrund dessen Rolle in diesem kriminellen Krieg können unmöglich verglichen werden mit dem Bombardement auf Laos oder dem Versuch, die Flußdeiche in Nordvietnam zu zerstören. Die wahren Terroristen, das war meine Regierung und nicht die Rote Armee Fraktion".

Am 12.5.72 folgten zwei weitere Bombenanschläge der RAF, bei denen 13 Personen verletzt wurden und erheblicher Sachschaden entstand. Sowohl der Anschlag gegen das Polizeipräsidium in Augsburg als auch der gegen das Landeskriminalamt in München wurden von einem „Kommando Thomas Weisbecker" der RAF ausgeführt, das mit diesen Aktionen auf die Erschießung Weisbeckers durch Angehörige der obigen Polizeidienststellen bei dessen Festnahme am 2.3.72 in Augsburg antworten wollte.

Am 16.5.72 explodierte eine unter dem Auto des Bundesrichters Buddenberg angebrachte Bombe. Buddenberg war am Bundesgerichtshof verantwortlich für die Ausgestaltung der Haftbedingungen für Personen, die im Zusammenhang RAF gefangengehalten wurden. Für den Anschlag, bei dem Frau Buddenberg verletzt wurde, hatte ein „Kommando Manfred Grashof" der RAF die Verantwortung übernommen(3). Am 19.5.72 wurden bei einem Bombenanschlag auf die Zentrale des Axel-Springer-Konzems (u. a. Herausgeber von „Bild" und „Welt") in Hamburg 34 Menschen verwundet. In der Erklärung eines „Kommando 2. Juni" (am 2.6.67 wurde in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen) wurde u. a. mitgeteilt, daß frühzeitig dreimal telefonisch zur Räumung des Hochhauses aufgefordert worden war(4). Vom Springer-Konzern wurde gefordert, „die antikommunistische Hetze gegen die Neue Linke, gegen solidarische Aktionen der Arbeiterklasse wie Streiks, gegen die kommunistischen Parteien hier und in anderen Ländern" und „gegen die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt (...), besonders gegen die arabischen Völker, die für die Befreiung Palästinas kämpfen", in den konzerneigenen Zeitungen einzustellen.

Schließlich erfolgte am 24.5.72 ein Bombenanschlag auf das europäische Hauptquartier der amerikanischen Armee in Heidelberg. Ein Gebäude, in dem sich die Computerzentrale befand, wurde fast völlig zerstört, drei Personen wurden getötet und sechs verwundet. Ein RAF-Kommando „15. Juli" (am 15.7.71 wurde das RAF-Mitglied Petra Schelm in Hamburg erschossen) übernahm die Verantwortung. In der Kommandoerklärung vom 25.5.72 (5) heißt es:

„Im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa in Heidelbergsind gestern abend, am Mittwoch den 24. Mai 1972 zwei Bomben mit einer-Sprengkraft von 200 Kg TNT explodiert. Der Anschlag wurde durchgeführt, nachdem General Daniel James, Abteilungsleiter im Pentagon, am Mittwoch in Washington erklärt hatte: ,Für die US-Luftwaffe bleibt bei Bombenangrif-fenkünftig kein Ziel nördlich und südlich des 17. Breitengrades ausgenommen.

Am Montag hatte das Außenministerium in Hanoi die Vereinigten Staaten erneut beschuldigt, dichtbesiedelte Gebiete in Nordvietnam bombardiert zu haben.

Die amerikanische Luftwaffe hat in den letzten 7 Wochen mehr Bomben über Vietnam abgeworfen als im Zweiten Weltkrieg über Deutschland und Japan zusammen. Von weiteren Millionen Tonnen Sprengstoffen ist die Rede, die das Pentagon einsetzen will, um die nordvietnamesische Offensive zu stoppen. Das ist Genocid, Völkermord, das wäre die .Endlösung', das ist Auschwitz."

Über das Heidelberger Computerzentrum sagte der ehemalige CIA-Agent K. Barton Osborne auf der im Zusammenhang mit dem NSA-Agenten Winslow Peck zitierten Pressekonferenz:

Da die meisten geheimdienstlichen US-Stützpunkte in der Bundesrepublik während des Kalten Krieges eingerichtet worden waren, benützten die amerikanischen Agenten die zur Verfügung stehenden deutschen Einrichtungen auch während der Vietnam-Ära. In großem Umfang wurden erfahrene Geheimdienstler von der Bundesrepublik nach Vietnam geschleust und die hier vormals entwickelten geheimdienstlichen Techniken wurden nach Vietnam exportiert. Inzwischen war das hiesige Netz von US-Einrichtungen zur Unterstützung des Kriegs in Vietnam herangezogen worden, darunter die Computer-Anlage der logistischen Kommandostelle der US-Armee in Heidelberg, mittels derer der Bombennachschub für die gewaltigen Flächenbombardierungen von Zivilgebieten Südvietnams und Deichen des Roten Flusses in Nordvietnam berechnet wurden"(6).

Die „Mai-Offensive"7 der RAF, von ihr als Antwort auf die Wiederaufnahme der amerikanischen Luftangriffe gegen Vietnam gedacht, löste eine zentralgesteuerte Hetzjagd auf die Mitglieder der RAF aus, an der mehr als 130 000 Polizisten und Staatsschutzbeamte, unterstützt von westdeutschen und amerikanischen Armee-Einheiten, teilnahmen. Am 2. Juni 1972 wurden Jan Carl Raspe, Holger Meins und Andreas Baader festgenommen, am 7. Juni Gudrun Ensslin und am 15. Juni Ulrike Meinhof.
 

Anmerkungen

1) RAF. Texte, Bo Cavefors. Malmö 1977, S. 448
2) Ebenda, S. 496-502
3) Aus der Kommandoerklärung vom 20.5.72; RAF, a.a.O., S. 449: „(...) Buddenberg, das Schwein, hat Grashof zu einem Zeitpunkt vom Krankenhaus in die Zelle verlegen lassen, als der Transport und die Infektionsgefahr im Gefängnis
noch lebensgefährlich für ihn waren. Er hat den Mordversuch an Grashof, Bullen nicht gelungen ist. an dem wehrlosen Grashof wiederholt. Buddenberg das Schwein, ist dafür verantwortlich, daß Carmen Roll narkotisiert worden ist,' um sie zum Reden zu bringen. Der voraussehbare Verlauf der Narkose hat bewiesen, daß das ein Mordversuch war. Buddenberg, das Schwein, kümmert sich einen Dreck um geltende Gesetze und Konventionen. Die strenge Isolation, in der die Gefangenen gehalten werden, um sie psychisch fertig zu machen: Einzelhaft, Einzelhofgang. Redeverbot mit Mitgefangenen, permanente Verlegung Arreststrafen, Beobachtungszelle, Briefzensur. Unterschlagung von Briefen Büchern, Zeitschriften, die Maßnahmen, mit denen sie physisch fertiggemacht u, den: grelle Zellenbeleuchtung nachts, häufiges Wecken und Durchsuchen. Fesselung beim Hofgang, körperliche Mißhandlungen - das sind nicht die Schikanen von kleinen, frustrierten Gefängniswärtern, das sind Buddenbergs Anordnungen, um die Gefangenen zur Aussage zu erpressen. Das ist der bereits institutionalisierte Faschismus in der Justiz. Das ist der Anfang von Folter (...)".

4) RAF, a. a. O., S. 450: „Gestern, am Freitag den 19. Mai um 15 Uhr 55 sind zwei Bomben im Springerhochhaus in Hamburg explodiert. Weil trotz rechtzeitiger und eindringlicher Warnungen das Haus nicht geräumt worden ist, sind dabei 17 Menschen verletzt worden. Um 15 Uhr 29 ist unter der Nummer 3471 die erste Warnung durchgegeben worden mit der Aufforderung, das Haus wegen Bombenalarm binnen 15 Minuten zu räumen. Die Antwort war: Hören Sie auf mit dem Blödsinn. Es wurde aufgelegt. Zweiter Anruf um 15 Uhr 31: Wenn Sie nicht sofort räumen, passiert etwas Fürchterliches. Aber die Telefonistinnen hatten offenbar Anweisung, solche Anrufe nicht zu beachten. Der dritte Anruf um 15 Uhr 36 ging an die Bullen: Sorgen Sie, verdammt nochmal, dafür, daß endlich geräumt wird. Weil der Springerkonzem die Tatsache, daß er gewarnt worden ist, nicht unterschlagen kann, verdreht er die Nachricht: Es sei nur ein Anruf gewesen und der sei zu spät gekommen. Zwei Telefonistinnen und die Bullen können bestätigen daß die Springerpresse einmal mehr lügt. Springer ging lieber das Risiko ein. daß seine Arbeiter und Angestellten durch Bomben verletzt werden als das Risiko, ein paar Stunden Arbeitszeit, also Profit durch Fehlalarm zu verlieren. Für die Kapitalisten ist der Profit alles, sind die Menschen, die ihn schaffen, Dreck. - Wir bedauern, daß Arbeiter und Angestellte verletzt worden sind."

5) Nicht veröffentlicht

6) RAF, a. a. O., S. 503-505

7) Peter Brückner. Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse. Wagenbach. Berlin 1977, S. 154.

Editorische Anmerkungen

Der Text ist das 1. Kapitel in dem Buch "Stammheim - Die notwendige Korrektur der herrschenden Meinung" von Pieter Bakker Schut, Kiel 1986, S. 33ff, 

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