Die dritte Überprüfung
Eine Berliner Petition

von Peter Sonntag
7-8/07

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Im Jahr 1986 wurde in Anerkennung seiner Verdienste als Schriftsteller und antifaschistischer Widerstandskämpfer eine Straße im Neubaugebiet Berlin-Hellersdorf nach Alexander Abusch benannt. 1992 annullierten die Bezirksoberen diese Ehrung, indem sie die Straße umbenannten. Der Lyriker Peter Huchel wurde Namenspatron.

2004 überprüfte der sich seiner Sache nicht sichere Kulturausschuß der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Marzahn-Hellersdorf diesen Verwaltungsakt, ohne allerdings die Forschungsergebnisse des englischen Literaturwissenschaftlers Stephen Parker zu Rate zu ziehen. Daß Huchel seine literarische Arbeit in den Dienst der Kriegspropaganda des »Dritten Reiches« gestellt hatte, wäre seit 1995 bei Parker nachzulesen gewesen.

Jetzt reichte Antonín Dick, Sohn deutsch-jüdischer Antifaschisten und jW-Autor, beim Petitionsausschuß der BVV von Marzahn-Hellersdorf eine Petition ein. Dick führt an, daß mit der Umbenennung mehrfach gegen geltendes Recht verstoßen wurde: Erstens fordert der Staatsvertrag zwischen der BRD und dem Zentralrat der Juden, daß die Bundesregierung ihren Teil »zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes« beiträgt. Zu diesem Erbe gehören zweifelsohne die Werke des deutsch-jüdischen Autors und Holocaust-Überlebenden Alexander Abusch, von denen einige 1933 auf Scheiterhaufen verbrannten.
Die Rezeption seiner deutschlandkritischen Studie »Der Irrweg einer Nation«, seines Essays »Der gelbe Stern und das deutsche Volk«, seines Erzählungsbandes »Der Kampf vor den Fabriken«, seiner Reportagen über Exil und Widerstand etc. wird von den Straßenumbenennern massiv behindert. Wer Leben und Werk dieses engagierten Autors öffentlich demontiert, verhindert die Erfüllung des oben genannten Staatsvertrages.
Zweitens besagt Artikel 139 Grundgesetz: »Die zur ›Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‹ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.« Da Abuschs öffentliche Ehrung auf Rechtsvorschriften beruhte, die im Zusammenhang mit der Befreiung des deutschen Volkes vom Nazismus und Militarismus standen, ist diese Straßenumbenennung verfassungswidrig.
Drittens war Abusch aktiver Teilnehmer der Résistance. Die Straßenumbenennung verstößt gegen den Geist der deutsch-französischen Freundschaft und der sie untermauernden Verträge. Abusch steht unter dem besonderen Schutz von Gesellschaft und Staat der Französischen Republik, denn die Erinnerung an die Résistance ist hier Staatsräson.
»Die Straße der Zerinnerung«, wie der Petent die Peter-Huchel-Straße nennt, »führt ins geistig-politische Nichts, ermutigt nur Neofaschisten und Antisemiten und sollte daher zusammen mit dem gesamten Straßenumbenennungsprozeß möglichst bald in der Marzahn-Hellersdorfer BVV einer dritten, nunmehr wissenschaftlich hieb- und stichfesten Überprüfung unterzogen werden«. Repräsentanten der Berliner Kultur und unabhängige Fachgutachter sollten unbedingt eingebunden werden, empfiehlt Dick. Man darf auf die Eröffnung des Petitionsverfahrens gespannt sein.

Editorische Anmerkungen

Wir wurden von Antonin Dick gebeten, den Artikel zu spiegeln, der am 7.7.07 in der JUNGEN WELT unter  http://www.jungewelt.de/2007/07-11/016.php veröffentlicht wurde.