Nicolas Sarkozy kann jetzt mehr denn je den
Superstar spielen. An diesem Mittwoch (25. Juli) wird er nach
Libyen reisen und dort in der Stadt Syrte mit dem seit 1969
amtierenden Staatschef bzw. „Revolutionsführer“ Muammar
Kaddafi zusammentreffen. Am Vortag hatte eine französische
Präsidentenmaschine -- es handelt sich um ein Flugzeug des
Präsidialamts vom Typ Airbus 317 – fünf bulgarische
Krankenschwestern und einen palästinensisch-bulgarischen Arzt
von Tripolis nach Sofia transportiert. Alle sechs waren seit
Februar 1999 in libyscher Haft gewesen und unter dem Vorwurf,
über 400 Kinder im Krankenhaus von Benghazi bewusst mit dem
AIDS-Virus infiziert zu haben, angeklagt und zum Tode
verurteilt worden. Sie hatten Gefängnis und Folter
durchgemacht und waren schlussendlich zum Spielball
diplomatischer Verhandlungen zwischen der Europäischen Union
und dem libyschen Staat geworden.
Was als eine Variante der in der politischen Landschaft
arabischer Länder oftmals beliebten Verschwörungstheorie vom
„ausländischen Komplott“ begonnen hatte, endete als
multilateraler Deal. Bei ihm ging es um Finanzen,
Technologietransfer, eine verbesserte Anerkennung des
libyschen Regimes – das sich bereits Ende 2003 mit den
US-amerikanischen und britischen Regierenden „aussöhnen“
konnte. Und auch um die Eingliederung Libyens in die
europäische Politik der Abwehr unerwünschter Immigranten und
Flüchtlinge. So spricht die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ in
ihrer Mittwochsausgabe von einem sich anbahnenden Abkommen
zwischen Tripolis und der EU, worin es um einen effizienteren
„Kampf gegen illegale Einwanderung“, Handelserleichterungen
sowie Hilfe auf dem Sektor der Archäologie gehen soll. Einen
noch brisanteren Punkt spricht unterdessen ein Kommuniqué des
französischen „Netzwerks Atomausstieg“ (Réseau Sortir du
nucléaire) vom Dienstag Nachmittag an. Demnach habe Sarkozy
einen „nicht zu rechtfertigenden atomaren Tauschhandel“ mit
dem Regime Kaddafis abgeschlossen und diesem die Lieferung
ziviler Nukleartechnologie zugesagt. Die Gruppe von
Atomkraftgegnern, deren Pressemitteilung durch die
Nachrichtenagentur Reuters übernommen wurde, nennt den von ihr
ausgemachten Deal „verantwortungslos“. Tatsächlich bestätigte
der französische Atomkonzern Areva (früher COGEMA) am
Dienstag, in jüngster Zeit durch Libyen um die Lieferung von
Material und Technologie angefragt worden zu sein. (FUSSNOTE 1
)
Mögen diese Informationen nun stimmen oder nicht – fest steht,
dass die französiche Staatsspitze es verstanden hat, die
Affäre um die festgehaltenen Krankenschwestern und den
palästinensischen Arzt (dem Bulgarien im Juni dieses Jahres
seine Staatsbürgerschaft verliehen hatte) zu eigenen
Publicityzwecken zu nutzen. Denn die Auflösung der Affäre
hatte bereits vor der Amtsübernahme Nicolas Sarkozys in Paris
begonnen, so hatten sich besonders die britische (2005) und
die deutsche (2007) Ratspräsidentschaft der EU auf dem
Verhandlungswege für eine Freilassung der Inhaftierten
eingesetzt. Und bis dahin hatte der französische Staat nicht
sonderlich viel mit dieser Angelegenheit zu tun. Doch Sarkozy
brachte die Rede darauf in seiner Ansprache am Abend seiner
Wahl, dem 6. Mai 2007, als die Verhandlungen bereits recht
weit gediehen gewesen sein dürften.
In letzter Minute sprang das von Nicolas Sarkozy geführte
Frankreich, so hat es den Anschein, auf den fahrenden Zug auf.
Zudem wurde die Präsidentengattin Cécilia Sarkozy zwei mal als
„persönliche Emissärin“ ihres Mannes aktiv. Ihre erste Reise
nach Libyen am 12. Juli soll in Brüssel noch ziemlichen Ärger
hervorgerufen haben, den sie bei ihrem zweiten Abstecher nach
Tripolis ab vergangenem Sonntag zu lindern verstand, indem sie
die EU-Außenkommissarin (und frühere österreichische
Außenministerin) Benita Ferrero-Waldner auf ihren Trip
mitnahm. Doch verfügt die Dame aus Neuilly-sur-Seine über
keinerlei demokratische Legitimation, weder durch Wahl noch
durch demokratisches Verfahren. Ihre einzige offizielle
Qualität ist die, Ehefrau des Gewählten Sarkozy zu sein.
Deswegen hat der französische Sozialistenpolitiker und
Ex-Minister Pierre Moscovici auch darin Recht, folgenden
Unterschied aufzumachen: „Wenn es sich um eine humanitäre
Affäre handelt, dann bewegt sich (die First Lady) innerhalb
ihrer Rolle. Handelt es sich aber um eine politische Affäre,
dann missbillige ich die gewählte diplomatische Methode
ausdrücklich.“
In jedem Falle wirft das Hau- Ruck-Verfahren, das die
französische Staatsführung mutmaßlich betrieben hat, um sich
selbst in den Mittelpunkt dieser Affäre zu befördern, sichtbar
Fragen auf. Auch wenn es selbstverständlich im Ergebnis nur
begrüßt werden kann, dass die sechs Gefangenen endlich aus
libyscher Haft freikommen konnten. Auch fragt sich nur, welche
politischen Gegenleistungen ihre Freilassung konditioniert
haben – wäre es „nur“ um Geldsummen gegangen (FUSSNOTE 2 ), so
wäre dies ja noch vergleichsweise beruhigend.
Auch innenpolitisch macht Nicolas Sarkozy durch seinen rast-
und ruhelosen Aktivismus auf sich aufmerksam, der die
Opposition kaum zur Besinnung kommen, ja nicht einmal Atem
schöpfen lässt. Zumal er die größte Oppositionspartei, die
französische Sozialdemokratie, erfolgreich rupfen konnte wie
ein Suppenhuhn: Er warb der in jämmerlichem Zustand
befindlichen Partei einfach einige ihrer führenden Köpfe ab,
indem er ihnen lukrative Posten und Jobs anbot. Letzte
Trouvaillen sind die Beförderung des sozialistischen
Ex-Kulturministers Jack Lang zum Mitglied einer
hochoffiziellen Kommission , die über eine „Reform der
Institutionen“ nachdenken soll, im Sinne eines Übergangs zu
einer noch stärker akzentuierten Präsidialrepublik – und die
Unterstützung Sarkozys für die Kandidatur von Dominique
Strauss-Kahn, sozialliberaler Wirtschaftsminister von 1997 bis
99, für das Amt des Direktors des Internationalen
Währungsfonds (IWF).
Verheißung oder Drohung?
Eines wird man dem neuen Präsidenten bei alledem nicht
vorwerfen können: Dass er nicht Wort hielte und sich bequem
auf seinen Lorbeeren ausruhe, seitdem er ins Amt gewählt
worden ist. Tatsächlich ist der Mann drauf und dran, einen
Gutteil seiner Ankündigungen aus dem Wahlkampf in die Tat
umzusetzen. Ein Teil des französischen Publikums freut sich
über eine solche Einlösung abgegebener Versprechen, während
ein anderer Teil die Nachricht eher als handfeste Drohung
auffasst. In jedem Falle sind die Abgeordneten der
französischen Nationalversammlung derzeit dabei, den ganzen
Monat Juli über – während sonst längst die parlamentarischen
Sommerferien begonnen hätten – zu einer Sondersitzungsperiode
zusammenzutreten. Es dreht sich darum, ein ganzes Paket von
Gesetzesentwürfen in Windeseile noch vor dem Abgang in den
Urlaub in drei Lesungen durchzuwinken.
Eine passende Gelegenheit, zu prüfen, ob die in Sarkozy
gesetzten Hoffnungen respektive Befürchtungen aus dem
Frühjahr, als der Mann noch konservativer
Präsidentschaftskandidat war, fundiert waren oder nicht.
Zunächst ein kurzer Rückblick: Die Methode ist nicht gänzlich
neu. Schon im Juli 2002 und 2003 hatten, unter der damaligen
konservativen Regierung von Jean-Pierre Raffarin, solche
sommerlichen Sitzungsperioden stattgefunden. Damals ging es
darum, im ersten Jahr die Maßnahmen zur „Inneren Sicherheit“
und im zweiteren Falle die so genannte Rentenreform des
damaligen Sozialministers – und jetzigen Premiers – François
Fillon zu verabschieden. Die letztgenannte Reform, die in
jenem Jahr über zwei Monate lang auf erbitterte soziale
Widerstände und Massenproteste gestoßen war (am 26. Mai 2003
demonstrierten frankreichweit eine Millon Menschen dagegen),
konnte auf diesem Wege während der Urlaubsperiode und nach
Erschöpfung der Demonstranten durchgedrückt werden. Die
Vorlage wurde am 24. Juli 2003 angenommen. Sie hebt die Anzahl
der Beitragsjahre zur Rentenkasse, die erforderlich sind, um
eine Pension zum vollen Satz beziehen zu können, von zuvor
37,5 bzw. 40 Jahren (je nach Beschäftigtenkategorie) auf
künftig 42,5 Jahre an. Bei der heutigen Länge von Studien-,
Ausbildungszeiten und Phasen der Arbeitssuche lässt sich
leicht ausmalen, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die in
Zukunft diese Anforderung nicht mehr erfüllen werden und
deshalb mehr oder minder hohe Abschläge an ihrer Rente werden
hinnehmen müssen. Im Oktober des nächsten Jahres soll diese
„Reform“ nunmehr einer Bilanz unterzogen, und eventuell an
einzelnen Punkten überarbeitet werden – im Sinne einer
besseren sozialen Abfederung oder aber auch einer
wirtschafsliberalen Verschärfung. Da der amtierende
Regierungschef, unter dessen Fittichen die Bilanzierung
stattfinden wird, identisch ist mit dem damals für die Reform
verantwortlichen Minister, dürfte es kaum zu Überraschungen
kommen.
Aber im Unterschied zu den Sondersitzungen von 2002 und 2003
betreffen die neuen Gesetze und Beschlüsse, die während der
diesjährigen Sommerpause verabschiedet werden sollen, eine
breite Themenpalette. Als erstes Maßnahmenbündel berieten die
Abgeordneten der Nationalversammlung – des parlamentarischen
Unterhauses, das im Streitfall das letzte Wort gegenüber dem
Senat oder Oberhaus behält - seit dem 10. Juli über das
Gesetzespaket zu „Arbeit, Beschäftigung und Kaufkraft“,
abgekürzt TEPA. Dieses ist inzwischen, in der Nacht zum 17.
Juli, in erster Lesung, verabschiedet worden. Am selben Tag
wurde den Abgeordneten der Nationalversammlung zum
Jugendstrafrecht und zur Behandlung von Mehrfachstraftätern
vor, das bereits im Senat, dem parlamentarischen „Oberhaus“,
angenommen worden war. Üblicherweise werden Gesetzestexte
zuerst in der Nationalversammlung debattiert, also im
„Unterhaus“, das im Streitfalle – wenn trotz
Vermittlungsversuchen keine Einigkeit zwischen beiden Kammern
hergestellt werden kann – ohnehin das letzte Wort behält. Aber
die Regierung hat in diesem Sommer das Eilverfahren gewählt,
das es erlaubt, einige sonst geltende Verfahrensregeln über
den Haufen zu werfen. So sollen alle Vorlagen noch im Juli bis
in dritter und abschließender Lesung angenommen werden. Um
dies zu erreichen, wurden einige Vorlagen zuerst im Senat
beraten, um sie im Anschluss an die Nationalversammlung
weiterzureichen.
Neoliberale Hochschulreform
Gesetzgeberischer Aktivismus wird so auch die soeben begonnene
letzte Juliwoche bestimmen: Am Montag fing die Beratung über
das neue Hochschulgesetz an, das eine „Autonomie der
Universitäten“ auf den Weg bringen soll und von der
zuständigen Ministerin Valérie Pécresse (UMP) ausgearbeitet
wurde. Hinter dem Begriff der Autonomie verbirgt sich dabei
vor allem eine verstärkte Selbstständigkeit der Präsidenten,
die an der Spitze der französischen Hochschulen stehen, nicht
etwa studentischer oder wissenschaftlicher
Selbstverwaltungsgremien.
Jede Universität soll künftig ihr Finanzbudget und eigenes
Vermögen verwalten, Drittmittel etwa auch aus der
Privatwirtschaft anwerben und durch freie Aushandlung von
Honoraren und Gehältern auch begehrte hochqualifizierte
Lehrkräfte wie auf dem freien Markt anwerben können.
Befürchtet wird dabei allgemein, dass es zu verstärkten
Ungleichheiten zwischen „ärmeren“ und „reicheren“
Etablissements kommen werde. Anfänglich führte dieses
Vorhaben, im Laufe des Juni, noch zu erheblichen Protesten.
Diesen versuchte Hochschulministerin Pécresse, einigen Wind
aus den Segeln zu nehmen, indem sie gewisse „Zugeständnisse“
ankündigte. So begegnete sie dem Vorwurf, künftig werde es ein
Zwei-Klassen-System aus Hochschulen, die „autonom“ geworden
sind, und solchen, die weiterhin vom Staat unterhalten werden,
geben. Ihm steuerte sie gegen, indem die Gesetzesvorlage
nunmehr anordnet, sämtliche Universitäten gleichermaßen
müssten sich bis in fünf Jahren dem neuen Regime der
„Autonomie“ unterstellen. Dies dürfte die Reform allerdings
eher verschlimmerbessern. Zudem rückte sie vom bisherigen
Verteilungsmodus der Sitze in den künftigen Vorständen der
Hochschulen ab: Statt drei studentischen Vertretern bei 20
Sitzen sollen es nunmehr „drei bis fünf“ studentische
Vertreter bei einer Gesamtzahl von „20 bis 30“ Mitgliedern des
Gremiums werden. Dies, „um der unterschiedlichen Größen der
Universitäten Rechnung zu tragen“. An den Proportionen bei der
Sitzeverteilung ändert sich dadurch freilich nichts. Der
Protest schwächte sich freilich ab, nachdem die Medien unisono
vermeldet hatten, die Regierung habe nunmehr eine
Kompromissregelung gewählt. Aber die Studierendengewerkschaft
UNEF erklärte nun am Dienstag dieser Woche, der in der Debatte
befindliche Gesetzentwurf sei „unakzeptabel“.
„Arbeit, Beschäftigung und Kaufkraft“: Steuergeschenke für
die obersten Einkommensklassen
Hinter dem Kürzel „TEPA“ verbergen sich auf der einen Seite
der Plan, Überstunden zu erleichtern, indem sie künftig von
Steuern (für die abhängig Beschäftigten) und von Sozialabgaben
(für die Unternehmen) befreit werden. Dies soll für die
Lohnabhängigen umso attraktiver erscheinen, als die
Geringverdiener unter ihnen am Monatsende immer weniger über
die Runde kommen. Dazu passt haargenau „wie die Faust aufs
Auge“, dass die von Nicolas Sarkozy eingesetzte Regieung
jegliche über den obligatorisch vorgeschriebenen
Inflationsausgleich hinausgehende Anhebung des gesetzlichen
Mindestlohns (SMIC) zum 1. Juli abgelehnt hat. (FUSSNOTE 3 )
Auf der anderen Seite geht es um steuerliche Maßnahmen,
Kritiker nennen sie Steuergeschenke an Besser- und
Bestverdienende. Insbesondere wird nunmehr ein so genanntes
„steuerliches Schutzschild“ (bouclier fiscal) eingeführt, das
es Vermögensbesitzern und Großverdienern erlauben soll, den
Ansprüchen des Fiskus besser zu widerstehen. Die Idee ist
folgende: Personen, die bereits Millionäre sind und daneben
Einnahmen etwa aus Managergehältern oder Kapitaleinkünften
beziehen, fallen bisher unter die Großvermögenssteuer (ISF,
„Solidaritätssteuer auf Vermögen“). Da diese sich zur üblichen
Einkommenssteuer addiert, kann es vorkommen, dass ein
beträchtlicher Teil der zusätzlichen Neueinnahmen – nicht des
bereits angehäuften Vermögens – abgeführt werden muss. Dem
möchte die Regierung nun ein Ende setzen.
Noch im Vorjahr hatte das konservative Vorgängerkabinett unter
dem damaligen Dominique de Villepin eine Begrenzung der
fiskalen Abgaben für diesen Personenkreis eingeführt: Nicht
mehr als 60 Prozent der Neueinkünfte sollen, alle Steuerarten
zusammengezählt, abgeführt werden können. Ausgenommen bliben
dabei aber ausdrücklich die beiden Sondersteuern CSG
(Allgemeiner Sozialbeitrag) und CRDS (Beitrag zur Abzahlung
der sozialen Schulden), die 1990 bzw. 1995 eingeführt worden
waren, um die Sozialversicherungskassen – bei gleichzeitiger
fortschreitender Entlastung der Unternehmen – durch die
Steuerzahler sanieren zu lassen. Die CSG war unter dem
soziallliberalen Preministerminister Michel Rocard, der eine
Minderheitsregierung anführte, in einem Stimmbündnis mit den
Konservativen und gegen das Votum der (ansonsten damals oft
mit den Sozialisten stimmenden) KP eingeführt worden, und die
CRDS geht auf den konservativen Premierminister Alain Juppé
zurück. Die besondere Natur dieser beiden Steuern liegt darin,
dass sie unabhängig vom Lohn- und Gehaltseinkommen liegen. Das
bedeutet, dass sie auch sowohl auf Kapital- und Mieteinkünfte
als auch auf die Einkommen von Rentnern und Arbeitslosen,
sofern sie ein bestimmtes Minimum überschreiten, erhoben
werden.
Nunmehr möchten Sarkozy und Fillon jedoch die Großverdiener
ausdrücklich auch gegen diese beiden Sondersteuern schützen.
Die neue Regel, die wesentlich radikaler ausfällt als die 2006
durch die Konservativen angenommene Steuerreform, lautet:
Nicht mehr als 50 Prozent (statt bisher 60) der Neueinkünfte
dürfen abgeführt werden (FUSSNOTE 4 ). Und sowohl die CSG als
auch die CRDS sollen in diese 50-Prozent-Regelung bereits
einberechnet werden. Das läuft in der Praxis darauf hinaus,
dass zwar Arbeitslose und Rentner der Sondersteuer nicht
entfliehen können, wohl aber Vermögensbesitzer. Aufgrund der
Einbeziehung der beiden „Sozialsteuern“ in das „steuerliche
Schutzschild“ bedeutet dies, dass die sonstige Steuerlast –
ohne CSG und CRDS – beim Spitzensatz für die höchsten
Einkommen nicht über 39 Prozent liegen wird.
Unterdessen berichtete die Pariser Wochenzeitung ‚Le Canard
enchaîné’ Mitte Juli, dass die CSG ab Januar 2008
voraussichtlich noch erhöhen werden soll. Dies ist aber
inzwichen – am 18. Juli – durch Haushaltsminister Eric Woerth
dementiert worden, wobei das Dementi eher lau ausfällt
(„kurzfristig“ sei keine solche Erhöhung geplant). Und am
Montag, 23. Juli berichtete die Wirtschaftstageszeitung ‚La
Tribune’, der französische Senat spreche sich für die Erhöhun
der anderen Sondersteuer – der CRDS – aus. Über kurz oder lang
werden also die Steuerzahler allgemein wohl für den Ausgleich
der Defizite der Sozialsysteme erneut zur Kasse gebeten
werden; nur die Superreichen werden dabei ganz speziell über
ihr „Schutzschild“ verfügen.
Dies führt derzeit auch innerhalb des bürgerlichen Lagers zu
Spannungen, da ein Teil der konservativen Abgeordneten – wie
auch die Europäische Union – dagegen die Imperative von
Sparpolitik und Reduzierung es Haushaltsdefizits geltend
machen. Doch davon ließen sich Sarkozy und Fillon nicht
beirren, der neue Präsident plädierte vielmehr
höchstpersönlich am 8. Juli in Brüssel vor den versammelten
Finanzministern der Union (der so genannten „Eurogroupe“) für
eine Verschiebung der Defizit-Reduzierung auf „so bald wie
möglich“. Statt im Jahr 2010 soll das Ziel, das jährliche
Haushaltsdefizit der EU-Mitgliedsländer auf Null zu
reduzieren, nachdem der Maastricht-Vertrag eine Obergrenze von
drei Prozent eingeführt hatte, nun erst 2012 vorgeblich
erreicht werden.
Die Pariser Abendzeitung Le Monde berechnete unterdessen, dass
rund 250.000 Haushalte aus den obersten Einkommensbereichen
von den Steuergeschenken profitieren und rund 800 Millionen
Euro einstreichen werden. Davon kassieren aber die 13.000
bestsituierten Steuerhaushalte allein 583 Millionen.
Offenkundig wird versucht, die Wirtschaft durch den Konsum der
Schwerreichen anzukurbeln. Premierminister François Fillon
spricht von einem „Vertrauensschock“ (choc de confiance), der
dazu führen solle, dass die Inhaber von Kapitalien oder großer
Sparguthaben diese vertrauensvoll in Frankreich investieren
werden. Dafür müsste ihnen zunächst einmal die günstigst
möglichen Bedingungen bereitet werden. Dieses Paradigma ähnelt
dem der einstmals von Präsident Ronald Reagan ausgerufenen
„Konservativen Revolution“ in den USA. Letztere konnte
freilich dem von ihr angerichteten ökonomischen Schlamassel
durch einen so genannten „Rüstungskeynianismus“ entfliehen,
also durch massive staatliche Investititionen zur Ankurbelung
der Rüstungsindustrie und der von ihr abhängigen oder
beeinflussten Wirtschaftssektoren. Deren Anteil an der
Gesamtökonomie ist jedoch in Frankreich nicht so hoch wie
jener des „militärisch-industriellen Komplexes“ (Eisenhower)
in den USA.
Hartes Vorgehen gegen Straftäter
Weniger mit Samthandschuhen angefasst werden unterdessen
Straftäter und Ausländer. Für Erstere führte die neue Vorlage
von Justizminiserin Dati nunmehr Mindeststrafen ein, falls sie
– durch die Begehung derselben Straftat wie beim ersten Mal –
rückfällig werden. Bislang kennt das französische Strafrecht
nur Höchststrafen, ansonsten entscheidet der Richter unter
Würdigung der Gesamtumstände sowie eines Persönlichkeitsbilds
über das Strafmaß. 16- und 17jährige Jugendliche sollen ab der
zweiten „Rückfalltat“ automatisch dem schärferen
Erwachsenenstrafrecht unterliegen. Bislang garantierte die
Anwendung des Jugendstrafrechts – welche die Norm darstellte,
während die Unterstellung unter das Erwachsenenstrafrecht in
begründeten Ausnahmefällen möglich war – den Betreffenden eine
besondere Berücksichtigung ihrer Persönlichkeit und ihres
Werdegangs, familiären Hintergrunds oder sozialen Umfelds,
sowie eine Reduzierung der verhängbaren Höchststrafen um die
Hälfte.
In beiden Fällen, bei den Mindeststrafen und bei Jugendlichen,
soll der Richter aber auch künftig in Ausnahmefällen und mit
spezieller Begründung von den neuen Regeln abweichen können.
Andernfalls, hätten die Gerichte also keinerlei minmalen
Ermessensspielraum mehr eingeräumt bekommen, wäre die Reform
auch verfassungswidrig gewesen. Höchst fraglich ist jedoch, ob
diese Regelung, die eine besondere schriftliche Begründung
voraussetzt, oft Anwendung finden wird. Da die Justiz sich
bereits heute über Arbeitsüberlastung, zu hohen Andrang,
Personalmangel und sich einen anhäufenden „Verfahrensberg“
beklagt, werden die Richter wohl in der Regel kaum Zeit für
die Begründung von Ausnahmesituationen aufbringen können.
Offenkundiges Ziel ist es, die Knäste aufzufüllen, obwohl
diese mit derzeit 61.000 Insassen für offiziell 50.000 Plätze
bereits überfüllt sind. Dazu passt, dass Präsident Sarkozy,
unter Bruch einer alten Tradition der Präsidenten (und vor
ihnen der französischen Monarchen), keinen Gnadenerlass für
Häftlinge zum Nationalfeiertag am 14. Juli unterzeichnet hat.
In den kommenden Jahren wird das Problem des Platzmangels in
den Haftanstalten theoretisch dadurch eine Linderung erfahren,
dass das 2002 durch die konservative Regierung in Auftrag
gegebene Gefängnisbauprogramm – das über 10.000 zusätzliche
Haftplätze vorsieht – erste Ergebnisse bringen wird.
Theoretisch. Denn in der Praxis erweist sich, dass jede
Erhöhung der Zahl zur Verfügung stehender Gefängnisplätze auch
dazu führt, dass die Richter um so leichter Haftstrafen ohne
Bewährung aussprechen und umso leichter die Verwahrung von
Verdächtigen in der Untersuchungshaft anordnen. Die Pariser
Abendzeitung ‚Le Monde’ veröffentlichte am Wochenende des 14.
Juli einen „Alarmruf“ der Gewerschaften des Gefängnispersonals
und prognostizierte, bis im Jahr 2007 werde die Anzahl der
Insassen französischer Haftanstalten auf 80.000 wachsen.
Sortierung von Einwanderung nach ökonomischer Nützlichkeit
Im Wahlkampf hatte Nicolas Sarkozy lautstark versprochen, sich
um die „nationale Identität“ zu kümmern. Sein
Schutzversprechen für die bedrohte Identität ging zwar eine
merkwürdige Mischung mit einem anderen Diskurs des Kandidaten
Sarkozy ein – dem wirtschaftsliberalen Register der „Öffnung
zur Welt“, das in Wirklichkeit vor allem auf die Herstellung
nationaler Wettbewerbsfähigkeit für den Standortstaat
Frankreich abzielte -, war aber durchaus ernst gemeint. Vor
Arbeitern im Krisenbezirk der Ardennen versprach Sarkozy im
Dezember Schutz vor den bedrohlichen äußeren Mächten und den
Gefahren, die der französischen Identität drohten – und vor
jungen Aufsteigern französischer Herkunft in London, die dort
Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten im Paradies der
neoliberalen Deregulierung nachjagen, beschwor er im Februar
die Notwendigkeit der wettbewerberischen „Weltoffenheit“.
Dieses Amalgam machte die Erfolgsgrundlage des
Präsidentschaftskandidaten Sarkozy aus.
Es blieb nicht bei leeren Versprechen. Bei der
Regierungsbildung im Mai dieses Jahres, unter dem frisch
ernannten Premierminister François Fillon, wurde ein eigenes
Ministerium geschaffen, das laut amtlicher Bezeichnung für
„Zuwanderung, Integration, nationale Identität und
co-développement“ – unter letzterem Begriff, wörtlich
„gemeinsame Entwicklung“, werden die Beziehungen zu den
Herkunftsländern von Einwanderern gefasst - zuständig ist. Der
offizielle Titel ist ein Bandwurmname, doch real hat sich in
den Medien und im Politikerjargon längst die kürzere
Bezeichnung „Ministerium für Immigration und nationale
Identität“ zuständig. Besetzt wurde es mit dem konservativen
Hardliner Brice Hortefeux, seit 30 Jahren ein persönlicher
Freund Nicolas Sarkozys und sein früherer Berater im
Innenministerium.
Nicolas Sarkozys Herangehen an die Einwanderung ist vor allem
von Utilitarismus geprägt, also von der Fragestellung, wessen
Aufenthalt in Frankreich aus Sicht des Staates und der
nationalen Wettbewerbsfähigkeit nützlich ist - und wer
umgekehrt kein Lebensrecht auf französischem Boden haben soll.
Der Mann hält sich nicht lange mit Blut und Boden-Schimären
auf, auch wenn er deren Anhänger mit seinen markigen Sprüchen
und seinem angeblich „politischen Voluntarismus“
ausstrahlenden Auftreten ebenfalls – überwiegend - für sich
gewonnen hat. Stimmten doch bei den insgesamt vier Wahlgängen
der Präsidentschafts- und der Parlamentswahlen in diesem
Frühjahr annähernd drei Viertel der früheren Wähler Jean-Marie
Le Pens nunmehr für Sarkozy und die Kandidaten seiner UMP. Der
konservative Haudraufpolitiker hat es also erfolgreich
geschafft, das Wählerpotenzial der extremen Rechten
anzuzapfen. Diese Wähler spricht er damit an, dass er ihnen
verspricht, die Staatsmacht notfalls rücksichtslos gegen jene
einzusetzen, deren Anwesenheit nicht im nationalen Interesse
sei. So fixierte er als Zielsetzung für seinen neuen Minister
Hortefeux für das laufende Jahr eine feste Abschiebequote von
25.000 Personen, die es bis zum Ende 2007 außer Landes zu
schaffen gelte – egal, um welche Menschen es dabei in den
kommenden Monaten konkret gehen wird, wie ihr Schicksal
aussieht und was die Gründe für ihren Aufenthalt in Frankreich
sind. Ansonsten aber teilt Sarkozy nicht die ideologischen
Grundlagen der Nationalistenromantik, sondern teilt die
Menschen knallhart nach ökonomischem Nutzen ein.
In der zweiten Juliwoche forderte der neue Präsident etwa,
dass Zuwanderungskandidaten künftig vor der Einreise stärker
nach ökonomischem Nutzen gefiltert werden. Zur Zeit sind der
größte Teil der legal Einreisenden Familienangehörige und
Ehegatten von Franzosen oder „legal“ in Frankreich lebenden
Ausländerinnen. Nur 5 Prozent der neu erteilten
Aufenthaltserlaubnisse hängen mit einer Arbeitsaufnahme
zusammen, da offiziell seit 1974 das Prinzip der Schließung
der Grenzen für Arbeitsimmigration gilt. Präsident Sarkozy hat
nun die Priorität aufgestellt, diese Proportionen müssten
umgekehrt werden. Mindestens 50 Prozent der legalen Einreisen
müssten an eine Arbeitsaufnahme gekoppelt sein, wobei
ausschließlich für „Mangelberufe“ und besonders gesuchte
Qualifikationen Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen. Im
Umkehrschluss sollen sowohl die Aufnahme von
Familienangehörigen als auch von Asylsuchenden begrenzt und zu
diesem Zweck kontingentiert, d.h. nach einer jährlich vorab
festgelegten fixen Quote bemessen werden. Die Gesamtzahl der
aufgenommenen Zuwanderer soll dabei nicht wachsen, sondern
kontinuierlich bleiben. Nicht so sehr Menschen sollen künftig
kommen, sondern vorzugsweise nur Träger rarer Qualifikationen.
(Die rechtsextreme Opposition versuchte, Ängste und
Ressentiments gegen die neue Einwanderungspolitik zu schüren,
indem Jean-Marie Le Pen fälschlich behauptete, die Anhebung
des Anteil der an an eine Arbeitsaufnahme gekoppelten
Aufenthaltserlaubnisse von z.Zt. 05 % auf 50 % werde „eine
Verzehnfachung der Zahl der nach Frankreich kommenden
Einwanderer“ bedeuten. Auch wenn er dies der französischen
Öffentlichkeit weiszumachen suchte, um seinen Konkurrenten auf
der politischen Rechten Nicolas Sarkozy auszustechen, beibt
dies dennoch eine Lüge. Nicht die Gesamtzahl der Zuwandernden
soll Sarkozy/Hortefeux zufolge wachsen, sondern die Zahl der
„Unnützen“ unter ihnen soll abgesenkt werden, bei
gleichbleibendem Gesamtvolumen der Zuwanderung.)
Unter dem jetzigen Minister Hortefeux wird es nun in naher
Zukunft realpolitisch vor allem eine Verschärfung der Regeln
für den Familiennachzug von Einwandern gehen. Ein Entwurf dazu
ist bereits am 13. Juni 07 vorgestellt worden, im Laufe der
sommerlichen Sondersitzung des Parlaments soll er – zusammen
mit der ersten Welle der von Nicolas Sarkozy vorangetriebenen
„Reformen“ – verabschiedet werden. Demnach soll ein „legal“ in
Frankreich sich aufhaltender Zuwanderer seine
Familienmitglieder (Ehepartner und Kinder) nur dann auf
gesetzlichem Wege nach Frankreich holen können, wenn diese
bereits im Herkunftsland ausreichende Französischkenntnisse
und den „Respekt der Werte der Republik“ nachweisen können. De
facto dreht es sich hauptsächlich darum, zusätzliche Hürden zu
errichten. Die beschworene Erfordernis der „Integration in die
französische Gesellschaft“ wird dazu benutzt, um das Gegenteil
zu betreiben - nämlich eine Ausschlussmaßnahme, dergestalt,
dass man eine wachsende Zahl von Personen gar nicht erst
kommen lässt und ihnen damit freilich auch keine
„Integrationschance“ erteilt.
Einschränkung des Streikrechts
Seit Mitte vergangener Woche flammt nun auch die Debatte über
die künftige Regulierung bzw. Einschränkung des Streikrechts
wieder auf. Am vergangen Donnerstag wurde im Senat ein Text
über die Einführung eines so genannten ‚Service minimum’
(Mindestbetrieb) in den öffentlichen Verkehrsbetrieben
angenommen, der nun noch durch die Nationalversammlung muss.
Dieser geht noch nicht so weit, eine Dienstverpflichtung für
streikwillige Beschäftigte vorzusehen (weshalb manche
Beobachter auch erwarten, dass die neuen Vorschriften von
begrenzter Wirkung bleiben werden, wie die liberale Pariser
Abendzeitung ‚Le Monde’ annimmt). Jedoch enthält der
Gesetzentwurf eine Reihe von Vorwarn-, Verhandlungs- und
Informationspflichten der streikwilligen
Transportbediensteten, die de facto die Eröffnung eines
Arbeitskampfs erschweren und die Fristen dafür erheblich
verlängern werden.
Bisher besteht in den öffentlichen Diensten, seit einem Dekret
von 1963, eine Anmeldungspflicht für Arbeitskämpfe – die es in
der Privatindustrie und im privaten Dienstleistungsgewerbe
nicht gibt. Auch sonst ist das Streikrecht in den öffentlichen
Diensten zwingender als in der Privatwirtschaft, so wird etwa
bereits ab der ersten Stunde einer Arbeitsniederlegung in den
öffentlichen Diensten ein voller Tageslohn vom Gehalt
abgezogen, auch wenn der Arbeitskampf nach 60 Minuten wieder
aufhört.
Den bestehenden Regeln zufolge muss ein Ausstand in den
öffentlichen Diensten fünf Tage zuvor, durch eine der
anerkannten Gewerkschaften, für die Dauer von 24 Stunden
angemeldet werden. Diese Erfordernis war nach einem
überraschend kommenden Métrostreik in Paris, der spektakuläre
Folgen hatte, unter Präsident Charles de Gaulle 1963
eingeführt worden. Freilich war es bislang auch Praxis, dass
im Ausblick auf einen (mutmaßlich) länger dauernden
Arbeitskampf so genannte „Bündelanmeldungen“ vorgenommen
wurde. Das bedeutet, dass etwa am 1. Juli ein Bündel von
Anmeldungen für einen wahrscheinlichen Ausstand am 6. Juli, am
7. Juli, am 8. Juli, am 9. Juli… hinterlegt werden. Damit
hielten sich bis zum jetzigen Zeitpunkt die Gewerkschaften der
Transportarbeiter den Rücken frei, um im Rahmen einer so
genannten ‚Grève reconductible’ (eines Streiks, über dessen
Fortführung oder Nichtfortführung alle 24 Stunden in
Vollversammlungen mit erhobener Hand abgestimmt wird) den
Arbeitskampf fortführen zu könen. Solche ‚grèves
reconductibles’, die der Dynamik von Streikversammlungen
unterliegen, sind bei den Arbeitgebern besonders gefürchtet.
Dem soll nunmehr ein Riegel vorgeschoben werden: „Bündelweise
Anmeldungen“ sollen nicht mehr möglich sein. Stattdessen soll
die Anmeldung für einen erneuten 24stündigen Ausstand erst
hinterlegt werden können, wenn der vorherige Arbeitskamp(tag)
abgelaufen ist, d.h. nach jedem stattfindenden 24stündigen
Streik soll die Vorwarnfrist erneut anzulaufen beginnen.
Zudem werden dem jetzt vorliegenden Entwurf zufolge neue,
zusätzlichen Fristen eingeschoben werden, die die
Vorbereitungszeiten für einen Streik erheblich verlängern
werden. So soll nach einer Vorankündigungsperiode, „deren
Dauer zwei Tage nicht überschreiten kann“, auf Antrag einer
der beiden Streitparteien hin (also auch des Arbeitgebers)
eine Verhandlungsperiode eröffnet werden, „deren Dauer acht
Tage nicht überschreiten kann“. Zwar kann keine der
verhandelnden Parteien zum Abschluss eines Abkommens
verpflichtet werden, aber die Eröffnung und Durchführung von
Verhandlungen während eine Periode von höchstens 8 Tagen kann
demnach erzwungen werden. Alles in allem kommt man, mit den
neuen Vorschriften, auf eine Periode von nicht mehr 5 Tagen,
sondern nunmehr (bis zu) 16 Tagen, bevor ein Arbeitskampf im
Transportsektor real eröffnet werden kann. Bei Ablauf dieser
Periode werden die Beschäftigten der Gesetzesvorlage zufolge
dazu verpflichtet sind, individuell bis spätestens 48 Stunden
vor Beginn eines Arbeitskampfs zu erklären, ob sie persönlich
am Streik teilnehmen werden. Dies wird es ihren Arbeitgebern
ermöglichen, vorauszuplanen und eventuell Umbesetzungen von
Personal vorzunehmen - aber auch, eventuell Druck auf einzelne
Streikwillige auszuüben.
Zudem soll bei Streiks generell, also möglicherweise zukünftig
auch im Privatsektor der Wirtschaft, nach Ablauf von 8 Tagen
eine Urabstimmung aller Beschäftigten des betroffenen
Unternehmens „mit einem Votum per geheimer Urnenabstimmung“
stattfinden müssen. Dies soll die Dynamik von
Streik-Vollversammlungen brechen helfen. Zudem sollen „minoritäre“
Streiks, die entweder durch eine aktive Minderheit im Betrieb
oder aber durch eine bestimmte, besonders benachteiligte
Beschäftigtengruppe (etwa durch die Arbeiter in einem Werk,
ohne Zustimmung der ‚white collar’-Angestellten) oder eine
bestimmte Abteilung aufgrund spezifischer Probleme
durchgeführt werden, nach spätestens 8 Tagen unterbunden
werden. Auch Streiks, deren Unterstützungsfront infolge der
harten Verweigerungshaltung des Arbeitgebers und
möglicherweise aufgrund von Repressalien oder
Umgehungsstrategien durch die Kapitalseite bröckelt, könnten
eventuell auf diese Weise abgewürgt werden.
Alles in allem geht es Regierung und Kapital darum, die
Besonderheiten des französischen Streikrechts (das im
Unterschied zum deutschen kein „organisches Recht“ in der Hand
der Gewerkschaftsapparate, sondern ein Individualrecht aller
Lohnabhängigen darstellt) so weit wie möglich einzuschränken.
Historisch erklärt sich die Entstehung dieses besonderen
Streikrechts aus der doppelten Geschichte einer zum Teil
anarchosyndikalistisch geprägten Arbeiterbewegung und einer
Arbeitgeberschaft, die (vor dem Gesetz von Dezember 1968, das
die Existenz von Gewerkschaftssektionen im Unternehmen
anerkennt) „bloß keine Gewerkschaft im Betrieb“ dulden mochte.
Deswegen war es in bestimmten historischen Perioden den in
paternalistisch-personalistischer Tradition stehenden
Betriebseigentümern sogar noch lieber, „anarchisch
aufwallende“ Arbeitskampfbewegungen zu beobachten, als die
„Einnistung“ von Gewerkschaften im Betrieb hinzunehmen. Die
Zeiten haben sich aber diesbezüglich gründlich geändert, zumal
die deutliche Mehrzahl der französischen Gewerkschaften ihre
einstmalige quasi-revolutionäre Tradition seit längerer oder
kürzerer Zeit abgelegt hat.
Ausdehnung der neuen Regeln zum Streikrecht auf andere
Sektoren?
Bisher ist die Einführung der neuen Spielregeln zum
Streikrecht nur für die Transportbetriebe, genauer für den
Personentransport, geplant. Am Dienstag und Mittwoch
vergangener Woche hat das Regierungslager jedoch einen
doppelten Vorstoß zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der
Neuregelung unternommen.
Am vergangeneb Dienstag begann im Senat die Debatte des seit
längerem ausgearbeiteten Gesetzentwurfs zur Einrichtung eines
‚Service minimum’ in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die
dort bis am Donerstag dauerte. Die Gesetzeskommission des
Senats, unter dem Vorsitz der Senatorin Catherine Procacchia
aus dem noblen Pariser Vorort Vincennes, hatte dazu einen
Bericht vorgelegt. In ihrem Bericht schlägt die Kommission
vor, zu den bestehenden neun Artikeln der Gesetzesvorlage
einen zehnten Artikel hinzuzufügen. Dieser soll die Pflicht
für den Gesetzgeber beinhalten, bis spätestens zum 1. Oktober
2008 eine Bilanz aus der Anwendung der neuen Vorschriften in
den Verkehrsbetrieben zu ziehen – und dies, um „die
Opportunität einer Ausdehnung (dieser Bestimmungen zum
‚Service minimum’) auf die übrigen Beförderungsmittel, ja ihre
Übertragung au die anderen öffentlichen Dienste zu
untersuchen“.
In ihrer Ansprache vor den Mitgliedern des parlamentarischen
Oberhauses machte sich die Senatorin Procacchia im übrigen
dafür stark, die Ausdehnung des zunächst für den
Personentransport anvisierten ‚Mindestbetriebs’ auch „auf
andere Beförderungsmittel, insbesondere den Wasser- und
Luftverkehr und den Gütertransport“ zu prüfen. Und sie fügte
hinzu: „Die Frage der Einrichtung eines ‚Mindestbetriebs’ in
anderen öffentlichen Diensten wiebei der Post oder im
Schulwesen wird ebenfalls von den Schlussfolgerungen des
(Anm.: bis im Oktober 2008 zu erstellenden) Berichts
profitieren können.“
Im Hintergrund steht der Druck, den insbesondere die
Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände entfalten: Während der
Anhörungen des Senats im Vorfeld der Gesetzesdebatte hatten
die Kapitalvertreter sich energisch dafür ausgesprochen, auch
beim Gütertransport und bei der Postzustellung über
Einschränkungen des Streikrechts (oder zumindest der
Streikfolgen im Falle eines Arbeitskampfs) nachzudenken und
entsprechend zu handeln. Denn das Kapital möchte nicht länger
wirtschaftliche Verluste hinnehmen müssen, falls es zu
Arbeitskämpfen bei der Fracht- und der Postzustellung kommt,
wie dies vor allem im November/Dezember 1995 frankreichweit
der Fall war. Hingegen kommt sowohl von der Kapitalseite als
auch von manchen Elternverbänden (vor allem den rechteren,
während der eher linke größte Elternverband FCPE seinerseits
dagegen ist) Druck, um die Einrichtung eines „Mindestbetriebs“
in den öffentlichen Schulen im Streikfalle zu fordern, um
nämlich die Eltern von der Frage „Wohin mit den Kindern
während eines Ausstands?“ zu entlasten. Bisher hatte die
Wirtschaft sich darüber beklagt, dass die Ausfallzeiten
wachsen bzw. die abhängig Beschäftigten sich geballt
Urlaubstage nehmen, wenn sie Kinder im Vorschul- oder
Grundschulalter haben und es im Bildungswesen zu sozialen
Konflikten kommt. Denn für die bis zu 12jährigen sind die
Lehrer/innen selbst für die Aufnahme von SchülerInnen
verantwortlich (auch wenn kein Unterricht erteilt wird);
sofern sie ihr Streikrecht ausüben möchten, können sie dieser
Pflicht nicht nachkommen. Hingegen gibt es in den Mittel- und
Oberschulen ein besonderes Aufsichtspersonal, die ‚Pions’ (oft
etwa Studierende mit Zeitverträgen, die für die Pausenaufsicht
und Sicherheitsvorkehrungen zuständig sind), welches auch bei
Totalausfall des Unterrichts dafür sorgt, dass die
Jugendlichen im Schulgebäude aufgenommen werden können. Es sei
denn natürlich, dass auch dieses Personal streikt...
Mit diesen Anforderungen, die insbesondere von der
Kapitalseite her vorgetragen werden, entfernt man sich aber
natürlich von den vorgeblichen Nöten und Ängsten der
Bevölkerung (in Gestalt von Passagieren der Transportdienste
bzw. der Eltern im Schulwesen), die die Regierung allein im
Auge zu haben behauptet. Im Falle des Gütertransports etwa
lässt sich das Argument des „Wohls der Passagiere“ nicht
länger geltend machen.
Am vergangenen Dienstag Abend kündigte dann Premierminister
François Fillon selbst im Fernsehsender France 3 an, eine
Ausdehnung des z.Zt. für den Personentransport debattieren
‚Service minimum’ in Zukunft auch auf die übrigen öffentlichen
Dienste „und darunter auf den Schulbetrieb“ anzuregen. Ihm
hielt der rührige (links)sozialistische Senator Jean-Luc
Mélenchon deswegen vor, „die alte Figur der sozialen Revanche“
– Revanche, die gegen die Unterklassen gerichtete ist – zu
repräsentieren.
Gewerkschaftliche Reaktionen
Am vergangenen Mittwoch hatten sich die verschiedenen
Gewerkschaften im Bildungswesen ohnehin treffen sollen. Dies
war seit längerem geplant. Gegenstand ihres vorhersehbaren
Protests waren bis dahin die Regierungpläne gewesen, ab
kommendem Schuljahr 17.000 Stellen im öffentlichen Schulsystem
zu streichen. Bereits in den vergangenen Jahren waren dort,
summa summarum, mehrere Zehntausende Stellen weggestrichen
worden.
Im Frühsommer war zunächst von 10.000 die Rede gewesen; aber
Anfang Juli hatte die Wirtschaftstageszeitung ‚Les Echos’
enthüllt, dass sogar 17.000 abgebaut werden sollten. Dies
stieß dann doch auf Empörung. Es entspricht freilich exakt der
Regel, die der neue Präsident Nicolas Sarkozy für die nahe
Zukunft im Wahlkampf angekündigt hatte: 50 Prozent der
altersbedingten Abgänge sollen nicht ersetzt werden. (In der
gemeinsamen Ferhsendebatte am 02. Mai mit Ségolène Royal hatte
Sarkozy verkündet, die Hälfte der Abgänge aus Alters- und
sonstigen Gründen solle nicht ersetzt werden, und die dadurch
entstehenden Einsparungen sollten zu gleichen Teilen auf die
Defizitreduzierung für den Staatshaushalt sowie auf den
Nominallohngewinn für die Staatsbediensteten aufgeteilt
werden. Kritische Arbeitspsychologen werteten diese
Ankündigung jedoch als den ‚perversen’ Versuch, die öffentlich
Bediensteten zur Zustimmung zu der Aussage zu bewegen, dass
„ihre Arbeit nichts wert“ sei. Da die Vernichtung von Stellen
sich darin niederschlage, dass etwas auf ihre Nominallöhne und
–gehälter „draufgeschlagen“ werde, sollten sie dazu gebracht
werden, die Idee zu akzeptieren, dass es bis dahin zu viele
und also „unnütze“ Arbeitskollegen gegeben habe. Dass Sarkozy
mit dieser Ungeheuerlichkeit scheinbar problemlos durchkam,
lag allerdings auch an der dümmlichen Unfähigkeit der
Gegenkandidatin Ségolène Royal: Diese kündigte im Gegenzug an,
sie werde zwar Stellen in manchen Sektoren des öffentlichen
Diensts abbauen, dafür aber Umbesetzungen in die bedürftigeren
Sektoren vornehmen. Etwa vom Zoll in den Krankenhausdienst.
Dem konnte Sarkozy freilich leicht Unserisiotät nachweisen,
was vom bürgerlich-immanenten Standpunkt her auch stimmte.
Denn tatsächlich handelt es sich um voneinander juristisch und
finanzierungsmäßig strikt getrennte Dienste, die nicht
miteinander zusammenhängen, so dass auch kein Personal hin-
und herversetzt werden kann. Dass Ségolène Royal auf diesen
Vorhalt nur mit dämlichem Geblubber und platten
Allgemeinplätzen – „Alles hängt doch mit allem zusammen“ –
antworten konnte, stärkte die reaktionäre Vision Nicolas
Sarkozys.)
Am vergangen Mittwoch wurde nun eine Resolution verabschiedet,
in der sich die verschiedenen Gewerkschaften im Bildungswesen
dafür aussprechen, „so bald wie möglich nach Beginn des neuen
Schuljahrs“ (das Anfang September anfängt) „die Bedingungen
für eine möglichst breite Mobilisierung zu schaffen“. Dabei
soll sowohl gegen den Stellenkahlschlag als auch gegen die
Pläne zur Aushöhlung des Streikrechts gekämpft werden.
Unterzeichner des gemeinsamen Kommuniqués sind die FSU
(Hauptgewerkschaft des Lehrpersonals, früher KP-nahe), die
Bildungsgewerkschaften der CFDT (SGEN-CFDT), der CGT (FERC-CGT)
und des „unpolitisch-refomistischen“ Dachverbands UNSA (SE-Unsa)
sowie die nicht einem Dachverband angehörende Gewerkschaft
Faen.
Am vorigen Mittwoch versuchte Bildungsminister Xavier Darcos
daraufhin, die Situation zu beruhigen. „Im Moment gibt es nur
einen einzigen ‚Mindestbetrieb’ (Service minimum), und der
betrifft die Transportbetriebe“ versuchte er, am Ausgang der
mittwöchlichen Kabinettssitzung vor der Presse zu
beschwichtigen. Die Lehrer seien also („zunächst“) nicht
betroffen. Doch freilich fügte er hinzu, dies „hinder(e)
mittelfristig nicht daran“, im Schulwesen über „Möglichkeiten
der Aufnahme von Schülern, der Fortsetzung der öffentlichen
Dienstleistung (im Streikfalle)“ nachzudenken. Arbeits- und
Sozialminister Xavier Bertrand dementierte am Mittwoch
seinerseits, über die Einrichtung eines ‚Service minimum’ im
Transportsektor hinausgehen zu wollen. Allerdings sprach er
sich für den Mechanismus einer „Überprüfung und Bilanz“ des
demnächst dazu verabschiedeten Gesetzes bis im Oktober 2008,
wie es in der Senatsdebatte angeregt worden war, aus. Dies
bedeute aber noch nicht, dass die Vorschriften auch auf andere
Sektoren und Dienste übertragen würden, denn dies sei
„juristisch kompliziert“.
Im Transportbereich kommt es ebenfalls zur Vorbereitung von
Mobilisierungen und möglichen Aktionen der abhängig
Beschäftigten. Am 31. Juli findet ein seit Anfang des Monats
Juli durch die CGT (zunächst allein) vorbereiteter Aktionstag
gegen die Regierungspläne zum Streikrecht statt. Ihm hat sich
nun seit gestern, branchenübergreifend, der Dachverband der
linken Basisgewerkschaften SUD/Solidaires angeschlossen.
Speziell bei den Eisenbahnern kommen zur CGT nun sowohl die
Basisgewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) als auch die
CFDT-Transportgewerkschaft FGTE-CFDT (die relativ
fortschrittlich ist und in Linksopposition zur
sozialliberalen, im allgemeinen relativ regierungsfreundlichen
Führung des Dachverbands steht) hinzu. Allerdings ist für den
31. Juli, mitten im französischen Sommerloch, nicht mit
riesigen Mobilisierungen zu rechnen. So geht die Sprecherin
des Dachverbands Solidaires (dem hauptsächlich die
SUD-Gewerkschaften angehören), Annick Coupé, davon aus, dass
an jenem Tag „eher symbolische, von aktiven
Gewerkschaftsmitgliedern getragene“ Aktionen stattfinden
würden; es es sei aber „wichtig, dass wir zeigen, dass wir
dieses Gesetz nicht passieren lassen, ohne etwas zu tun“
(zitiert nach ‚Les Echos’ vom Donnertag). Doch immerhin sind
Protestversammlungen bzw. –kundgebungen in ganz Frankreich auf
dem Plan vorgesehen.
Nicht ausgeschlossen ist, dass die Mobilisierung am 31. Juli
als Auftakt zu weiteren sozialen Konflikten ab dem Herbst
dient. Eine solche Ankündigung („für den Fall, dass die
Regierung die Gewerkschaften weiterhin ignoriert“) hat
CGT-Generalsekretär Bernard Thibault am vorigen Mittwoch
angekündigt. In einer gemeinsamen Erklärung des Dachverbands
Solidaires (SUD-Gewerkschaften), von SUD-Rail, der
Lehrergewerkschaft FSU und von Attac wird am selben Tag
ebenfalls angekündigt, dass „das Dossier im Herbst erneut
geöffnet wird“.
Kommt es tatsächlich, wie sich z.Zt. abzuzeichnen scheint, zu
mehr oder massiven Konflikten im Bildungswesen, dann könnte
die seit der Wahl Nicolas Sarkozys bislang noch anhaltende
Phase der „bleiernen Ruhe an der inneren (sozialen) Front“
möglicherweise sein. Ähnlich wie Jacques Chirac ein halbes
Jahr nach seiner Wahl, im Herbst 1995, müsste er dann die
Probe eines sozialen Konflikts durchstehen.
FUSSNOTEN
[1] Das Ganze verwundert insofern nicht, als
Nicolas Sarkozy vor den Wahlen in diesem Frühjahr ein Junktim
versprach: Er werde Ländern des Nahen und Mittleren Osten die
Verfügung über die A-Bombe (wie im Falle des Iran) verwehren,
ihnen zugleich aber den Erwerb ziviler Atomtechnologie in
Aussicht stellen und ihnen dabei behilflich sein. Damit hielt
er das politische und völkerrechtliche Dogma der „sauberen
Trennbarkeit“ zwischen ziviler und militärischer
Atomtechnologie aufrecht. Hingegen setzte sich seine
Gegenkandidatin Ségolène Royal im Winter 2006/07 dafür ein,
dem Iran den Zugang sowohl zur einen wie auch der anderen
Variante von Atomtechnologie zu verwehren. (Was mit geltendem
internationalem Recht kaum zu vereinbaren wäre, und auch
seltsam aussähe, falls die Initiative dazu von einem
französischen Staat mit einem Atomstrom-Anteil von 85 % der
Elektrizitätsversorgung ausginge. Obwohl Ségolène Royal diesen
auf 50 %, in manchen Stunden grobzügig auch mal auf 20 % zu
reduzieren versprach.)
[2] Wie etwa Jean-Marie Le Pen argwöhnt. Am Dienstag (24. Juli
07) bemängelte der rechtsextreme Politiker in einem
Kommuniqué, dass die herausragende Rolle des offiziellen
Frankreichs bei der Befreiung der Inhaftierten „ sich nur
erklären lässt, wenn wir mehr bezahlen als die anderen
(Länder)“. Ach, wäre es blob darum gegangen, also lediglich
um Geld..
[3] Alljährlich muss die Regierung zu diesem Datum den SMIC an
die Inflationsentwicklung anpassen, so schreibt es das
französische Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) vor. Und
dabei hat die Regierung dem ‚Code du travail’ zufolge freie
Hand, ihren politischen Spielraum auszuschöpfen und den
gesetzlichen Mindestlohn über das vom Gesetz vorgeschriebene
Minimum (Anhebung um den durchschnittlichen Preisanstieg und
die Hälfte des durchschnittlichen Zuwachses der anderen Löhne)
hinaus anzuheben. Üblicherweise wurde der SMIC bislang, durch
die Vorgängerregierungen, im Jahr der Präsidentschaftswahl
etwas stärker erhöht als sonst, um „einen guten Neuanfang“ auf
dem Gebiet des „sozialen Dialogs“ hinzulegen. Dies nennt man
einen ‚Coup de pouce’, was bedeutet, dass man den SMIC (den
Pegel des Mindestlohns) „mit dem Daumen nach oben drückt“.
Nach der Wahl des „sozialistischen“ Präsidenten François
Mitterrand im Mai 1981 wurde der SMIC zum darauffolgenden 1.
Juli etwa um 10 Prozent angehoben. Im Jahr der Wahl von
Präsident Jacques Chirac, im Mai 1995, sowie des
sozialdemokratischen Premierministers Lionel Jospin (Juni
1997) wurde der SMIC jeweils am 1. Juli um vier Prozent
angehoben, das entsprach je circa dem Doppelten des
obligatorischen Ausgleichs für die Inflation. Aber in diesem
Jahr 2007 gab und gibt es keinen ‚Coup de pouce’, also keine
Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns. Kein Herz für die
Bezieher/innen kleiner Löhne, lautet offenkundig die Devise. –
Derzeit beträgt der Nettolohn für SMIC-Empfänger bei ziemlich
genau 1.000 Euro pro Monat, für eine Vollzeitarbeit. Circa 15
Prozent der französischen Lohnabhängigen „verdienen“ den SMIC,
auf Vollzeit- oder Teilzeit-Basis.
[4] - Eine entsprechende Regel wurde übrigens in Deutschland
bereits 1994 oder 1995 durch das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe zwingend vorgeschrieben, da „niemand mehr als 50 %
seiner Einkünfte abführen darf“.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am
25.7.07 zur Veröffentlichung.
Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus
und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid
wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch
erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu
haben sein.