„Hauptsache, wir haben mal darüber geredet“: Ungefähr so lässt
sich, vorläufig, das Ergebnis der „informellen Konferenz zum
innerlibanesischen Dialog“ vom vergangenen Wochenende in der
Nähe von Paris zusammenfassen. Diese hatte am 14. und 15. Juli
unter der Schirmherrschaft der ehemaligen Schutzmacht
Frankreich, welche nach dem Ersten Weltkrieg im Namen des
Völkerbunds ein Protektorat über den Libanon und das
Nachbarland Syrien – zwei Bruchstücke des Osmanischen Reichs –
ausübte, stattgefunden.
An
jenem Wochenende im Juli trafen sich also rund dreibig
Delegierte, die insgesamt 14 politische Kräfte der
Zedernrepublik – mit je zwei Repräsentanten pro politischer
Formation – sowie „die Zivilgesellschaft“ vertraten, auf dem
Schloss von La-Celle-Saint-Cloud westlich von Paris. Auf diesem
ehemaligen Besitztum der Madame de Pompadour, der einstigen
Hauptgeliebten Ludwig XV., blieben die Unterhändler zwei Tage
lang quasi von der Aubenwelt
abgeschnitten. Die Benutzung von Mobiltelefonen und Kontakte
nach drauben
waren ihnen untersagt. Auf manifeste Weise sollte dies dazu
dienen, dass eine Debatte über die Zukunft des Libanon einmal
„ohne Einmischung äuberer
Mächte“ stattfinden könne.
Auswärtige Mächte, das sind in diesem Verständnis aber einmal
mehr nur die beiden Regionalmächte Syrien und Iran, die
tatsächlich politische Eigeninteressen im Libanon verfolgen. Den
Hauptkräften der derzeitigrn libanesischen Opposition wird eine
Nähe zu den beiden Regionalmächten nachgesagt. Nicht völlig zu
Unrecht. Dagegen nicht als auswärtige Einmischung aufgefasst
wird in dieser Lesart aber die Rolle Frankreichs und der USA,
die sich seit der unter Federführung dieser beiden Mächte
betriebenen Annahme der UN-Resolution 1559 vom September 2004
sehr offensiv in die libanesische Politik eingemischt haben. Die
Resolution forderte den Abzug der damals noch im Libanon
stationierten syrischen Truppen, die Entwaffnung der Hizbollah,
aber auch die Nicht-Verlängerung des Mandats des libanesischen
Präsidenten Emile Lahoud, der einer „pro-syrischen“ Rolle
verdächtigt wurde. Letzteres wurde freilich durch die
libanesischen Parlamentarier in der Folgezeit verlängert, mit
breiterer Mehrheit als erwartet. Die Ausarbeitung dieser
Resolution markierte zugleich eine offene Annäherung zwischen
Paris und Washington in der Region, nachdem die beiden im
Vorfeld des Irakkriegs von 2003 zunächst auseinanderstrebene
Interessen zu verfolgen schienen.
In
Wirklichkeit ist der Libanon, der selbst ein Mosaik aus
Bevölkerungs- und Konfessionsgruppen bildet – wobei bisher
leider keine Überwindung des konfessionellen
Repräsentationssystems in der Politik gelang -, für all diese
Mächte oft nur ein Schachbrett ihrer Interessen in der Region.
Quer durch das multikonfessionelle Land verläuft die Frontlinie
zwischen den Einflusssphären weltweit tätiger, aber auch
regionaler Mächte. Die christliche Rechte, welche vor allem die
Oberschichten des Landes – das eine Rolle als eine Art Schweiz
des Nahen Ostens, Bankenstandort und Geldwäscheanlage in einem,
anstrebt – vertritt und einen ungeschminkten Rassismus gegenüber
den moslemischen Bevölkerungen rundherum alias den
„Unzivilisierten“ an den Tag legt, hat Paris und Washington im
Rücken. Teile der Opposition können auf politische Unterstützung
aus dem Iran (wie die Hizbollah, die entgegen vereinfachender
Darstellungen im westlichen Ausland aber nicht lediglich eine
Marionette Teherans darstellt) oder aus Syrien bauen.
Erstere christliche Rechte bildet neben der sunnitischen,
Saudi-Arabien nahe stehenden Bourgeoisie die Hauptkraft des
regierenden „Bündnis des 14. März“, während die letztgenannte
Opposition u.a. die schiitische Hizbollah und die Anhänger des
christlichen Ex-Generals Michel Aoun – derzeit ihre
Bündnispartner – umfasst. Zwischen beiden steht, als relativ
schwache Mittelkraft, die libanesische KP, die zu Beginn der
scharfen Polarisierung von 2004/05 eine Position zwischen beiden
Blöcken oder jenseits von ihnen einzunehmen versuchte. Zwischen
den gigantischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen des
pro-westlichen Lagers einerseits, der „pro-syrischen Opposition“
andererseits initiierte sie damals eigenständige
Manifestationen. Im Kampf gegen die israelische Aggression vom
Juli/August 2006 arbeitete die libanesische KP, die dabei zwölf
Mitglieder und Sympathisanten verlor, hingegen auch mit der
Hizbollah zusammen. Die KP zählt zu den wenigen politischen
Kräften im Libanon, die überkonfessionnell strukturiert sind.
Eine reale Annäherung zwischen diesen Kräften konnte in La
Celle-Saint-Cloud bei den wesentlichen Streitfragen nicht
erzielt werden. Die wichtigsten Sach- bzw. Machtfragen bleiben
offen: am 23. November 07 läuft das Mandat von Präsident Emile
Lahoud aus, und normalerweise muss in den zwei vorausgehenden
Monaten eine Präsidentschaftswahl organisiert werden. In dieser
Fragen knallen die Fronten jedoch hart aufeinander. Während auf
vielen Seiten von einer „nationalen Einheitsregierung“ – ähnlich
dem früher vorherrschenden, nach Konfessionen sortierten
Proporzsystem – die Rede ist, fordert die Opposition, darin
mindestens ein Drittel der Schlüsselposten zu besetzen. Dadurch
möchte sie eine „Sperrminorität“ bilden können, und falls der
Verlauf der Präsidentschaftswahl zu sehr zu ihren Ungunsten
verläuft, könnte sie in diesem Falle durch einen kollektiven
Rücktritt die Regierungsgeschäfte blockieren. Eine ähnliche
Situation, verursacht durch den Boykott der politischen
Institutionen durch die „pro-syrische“ Opposition, besteht
bereits heute, ohne dass es die Staatsmacht ernsthaft lahmlegen
könnte.
In
La Celle-Saint-Cloud wurden keine Namen für die
Präsidentschaftskandidatur in Erwägung gezogen oder in Umlauf
gebracht. Eine Klärung der Fronten im Hinblick auf diesen
entscheidenden Termin, der wahrscheinlich Ende September
anstehen wird, steht also – nur gut zwei Monate vorher – noch
aus. Ebenso wenig konnte in der Nähe von Paris eine Einigung zur
Frage der „nationalen Einheitsregierung“, also der Einräumung
einer Sperrminorität für die Oppositionskräfte, erzielt werden.
Einigkeit wurde lediglich darüber hergestellt, dass künftig „ein
zivilisierterer Tonfall“ in die Auseinandersetzungen einziehen
solle und die unterschiedlichen Medien nicht gar zu stark zu
Hasskampagnen zwischen politischen Lagern instrumentalisiert
werden sollten.
Der neue französische Aubenminister
Bernard Kouchner wertet dies jedoch nicht als Misserfolg des
„informellen Treffens“, da diesem von vornherein nur
bescheidende Ziele gesteckt worden seien: Es sollte lediglich
darum gehen, den Dialog an und für sich zu ermöglichen. Am 28.
Juli möchte er nun seinerseits „für mindesten 48 Stunden“ den
Libanon besuchen und seine Bemühungen als „Dialogeinfädler“ dort
in Bälde fortsetzen.
In
der Sache konnten dadurch bislang keine Konflike gelöst werden,
auch wenn Teilnehmer und Beobachter angeben, nach einem ersten
Konferenztag „in angespannter Atmosphäre“ habe am zweiten Tag
ein freundliches, ja „brüderliches“ (Kouchner) Klima geherrscht.
Eine der wesentlichen „Errungenschafen“ der Konferenz ist
freilich, dass die Ex-Protektoratsmacht Frankreich als ein
vermeintlich selbstverständlicher Partner des
„innerlibanesischen Dialogs“ mit am Tisch sitzt, ja ihn an
führender Stelle anleiert. Im Gegenzug war die französische
Politik realistisch genug, die schiitische Hizbollah von
vornherein in ihre Verhandlungsstrategie einzubinden. Diese
„Partei Gottes“ mit (trotz ihrer reaktionären Ideologie) echter
Massenbasis in den schiitischen Zonen –- wo die im Durchschnitt
ärmste Bevölkerungsgruppe wohnt –-, deren Prestige durch den
„erfolgreichen Widerstand“ gegen die israelischen Invasionen
seit 1982 erheblich gestärkt wurde, war folglich auch in La
Celle-Saint-Cloud eingeladen. Auch wenn manche Kräfte, vor allem
auch der Zentralrat der französischen Juden (CRIF) – der seit
Anfang des Jahrzehnts durch politisch rechts stehende Kräfte
dominiert wird und einen beinharten Kurs der Unterstützung für
die israelische Militärpolitik fährt – im Vorfeld wortradikal
(sowie mit einer ganzseitigen Annonce in ‚Libération’ vom
Freitag, 13. Juli und einer sonntäglichen Kundgebung) gegen die
Anwesenheit der in ihren Worten „terroristischen“ Hizbollah auf
französischem Boden protestiert hatten.
Im
Gegenzug zu ihrer eigenen faktischen Anerkennung als wichtiger
Akteur im Libanon und quasi offen als solche auftretende
„Schutzmacht“ hat die Pariser Aubenpolitik
de facto auch den Iran als „Hintermann“ der schiitischen
Hizbollah anerkannt, ja indirekt mit ins Boot geholt. Zwei mal
reiste der französische Emissär Jean-Claude Cousseran, der in
den kommenden Tagen den anstehenden Beirut-Besuch des Ministers
Kouchner vor Ort vorbereiten wird, im Vorfeld der jüngst
stattgefundenen Konferenz auch nach Teheran. Dieses Bemühen um
Einbeziehen des Regimes der Islamischen Republik als regionale
Grobmacht
entspricht im übrigen auch der Linie, welche das Pariser Aubenminister
– damals unter dem notorisch unfähigen Amtsinhaber Philippe
Douste-Blazy - im August 2006 auf dem Höhepunkt des
Libanonkriegs erprobt hatte, um sie nach einigen politischen
Irritationen kurz darauf wieder fallenzulassen.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am
25.7.07 zur Veröffentlichung.
Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus
und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid
wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch
erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu
haben sein.