Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

LIBANON-KONFERENZ(CHEN) IN PARIS:
Ausgang ergebnislos? Oder Legitimationsbasis für französische Rolle in Nahost?
7-8/07

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„Hauptsache, wir haben mal darüber geredet“: Ungefähr so lässt sich, vorläufig, das Ergebnis der „informellen Konferenz zum innerlibanesischen Dialog“ vom vergangenen Wochenende in der Nähe von Paris zusammenfassen. Diese hatte am 14. und 15. Juli unter der Schirmherrschaft der ehemaligen Schutzmacht Frankreich, welche nach dem Ersten Weltkrieg im Namen des Völkerbunds ein Protektorat über den Libanon und das Nachbarland Syrien – zwei Bruchstücke des Osmanischen Reichs – ausübte, stattgefunden.

An jenem Wochenende im Juli trafen sich also rund dreibig Delegierte, die insgesamt 14 politische Kräfte der Zedernrepublik – mit je zwei Repräsentanten pro politischer Formation – sowie „die Zivilgesellschaft“ vertraten, auf dem Schloss von La-Celle-Saint-Cloud westlich von Paris. Auf diesem ehemaligen Besitztum der Madame de Pompadour, der einstigen Hauptgeliebten Ludwig XV., blieben die Unterhändler zwei Tage lang quasi von der Aubenwelt abgeschnitten. Die Benutzung von Mobiltelefonen und Kontakte nach drauben waren ihnen untersagt. Auf manifeste Weise sollte dies dazu dienen, dass eine Debatte über die Zukunft des Libanon einmal „ohne Einmischung äuberer Mächte“ stattfinden könne.  

Auswärtige Mächte, das sind in diesem Verständnis aber einmal mehr nur die beiden Regionalmächte Syrien und Iran, die tatsächlich politische Eigeninteressen im Libanon verfolgen. Den Hauptkräften der derzeitigrn libanesischen Opposition wird eine Nähe zu den beiden Regionalmächten nachgesagt. Nicht völlig zu Unrecht. Dagegen nicht als auswärtige Einmischung aufgefasst wird in dieser Lesart aber die Rolle Frankreichs und der USA, die sich seit der unter Federführung dieser beiden Mächte betriebenen Annahme der UN-Resolution 1559 vom September 2004 sehr offensiv in die libanesische Politik eingemischt haben. Die Resolution forderte den Abzug der damals noch im Libanon stationierten syrischen Truppen, die Entwaffnung der Hizbollah, aber auch die Nicht-Verlängerung des Mandats des libanesischen Präsidenten Emile Lahoud, der einer „pro-syrischen“ Rolle verdächtigt wurde. Letzteres wurde freilich durch die libanesischen Parlamentarier in der Folgezeit verlängert, mit breiterer Mehrheit als erwartet. Die Ausarbeitung dieser Resolution markierte zugleich eine offene Annäherung zwischen Paris und Washington in der Region, nachdem die beiden im Vorfeld des Irakkriegs von 2003 zunächst auseinanderstrebene Interessen zu verfolgen schienen. 

In Wirklichkeit ist der Libanon, der selbst ein Mosaik aus Bevölkerungs- und Konfessionsgruppen bildet – wobei bisher leider keine Überwindung des konfessionellen Repräsentationssystems in der Politik gelang -, für all diese Mächte oft nur ein Schachbrett ihrer Interessen in der Region. Quer durch das multikonfessionelle Land verläuft die Frontlinie zwischen den Einflusssphären weltweit tätiger, aber auch regionaler Mächte. Die christliche Rechte, welche vor allem die Oberschichten des Landes – das eine Rolle als eine Art Schweiz des Nahen Ostens, Bankenstandort und Geldwäscheanlage in einem, anstrebt – vertritt und einen ungeschminkten Rassismus gegenüber den moslemischen Bevölkerungen rundherum alias den „Unzivilisierten“ an den Tag legt, hat Paris und Washington im Rücken. Teile der Opposition können auf politische Unterstützung aus dem Iran (wie die Hizbollah, die entgegen vereinfachender Darstellungen im westlichen Ausland aber nicht lediglich eine Marionette Teherans darstellt) oder aus Syrien bauen.  

Erstere christliche Rechte bildet neben der sunnitischen, Saudi-Arabien nahe stehenden Bourgeoisie die Hauptkraft des regierenden „Bündnis des 14. März“, während die letztgenannte Opposition u.a. die schiitische Hizbollah und die Anhänger des christlichen Ex-Generals Michel Aoun – derzeit ihre Bündnispartner – umfasst. Zwischen beiden steht, als relativ schwache Mittelkraft, die libanesische KP, die zu Beginn der scharfen Polarisierung von 2004/05 eine Position zwischen beiden Blöcken oder jenseits von ihnen einzunehmen versuchte. Zwischen den gigantischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen des pro-westlichen Lagers einerseits, der „pro-syrischen Opposition“ andererseits initiierte sie damals eigenständige Manifestationen. Im Kampf gegen die israelische Aggression vom Juli/August 2006 arbeitete die libanesische KP, die dabei zwölf Mitglieder und Sympathisanten verlor, hingegen auch mit der Hizbollah zusammen. Die KP zählt zu den wenigen politischen Kräften im Libanon, die überkonfessionnell strukturiert sind. 

Eine reale Annäherung zwischen diesen Kräften konnte in La Celle-Saint-Cloud bei den wesentlichen Streitfragen nicht erzielt werden. Die wichtigsten Sach- bzw. Machtfragen bleiben offen: am 23. November 07 läuft das Mandat von Präsident Emile Lahoud aus, und normalerweise muss in den zwei vorausgehenden Monaten eine Präsidentschaftswahl organisiert werden. In dieser Fragen knallen die Fronten jedoch hart aufeinander. Während auf vielen Seiten von einer „nationalen Einheitsregierung“ – ähnlich dem früher vorherrschenden, nach Konfessionen sortierten Proporzsystem – die Rede ist, fordert die Opposition, darin mindestens ein Drittel der Schlüsselposten zu besetzen. Dadurch möchte sie eine „Sperrminorität“ bilden können, und falls der Verlauf der Präsidentschaftswahl zu sehr zu ihren Ungunsten verläuft, könnte sie in diesem Falle durch einen kollektiven Rücktritt die Regierungsgeschäfte blockieren. Eine ähnliche Situation, verursacht durch den Boykott der politischen Institutionen durch die „pro-syrische“ Opposition, besteht bereits heute, ohne dass es die Staatsmacht ernsthaft lahmlegen könnte.  

In La Celle-Saint-Cloud wurden keine Namen für die Präsidentschaftskandidatur in Erwägung gezogen oder in Umlauf gebracht. Eine Klärung der Fronten im Hinblick auf diesen entscheidenden Termin, der wahrscheinlich Ende September anstehen wird, steht also – nur gut zwei Monate vorher – noch aus. Ebenso wenig konnte in der Nähe von Paris eine Einigung zur Frage der „nationalen Einheitsregierung“, also der Einräumung einer Sperrminorität für die Oppositionskräfte, erzielt werden. Einigkeit wurde lediglich darüber hergestellt, dass künftig „ein zivilisierterer Tonfall“ in die Auseinandersetzungen einziehen solle und die unterschiedlichen Medien nicht gar zu stark zu Hasskampagnen zwischen politischen Lagern instrumentalisiert werden sollten. 

Der neue französische Aubenminister Bernard Kouchner wertet dies jedoch nicht als Misserfolg des „informellen Treffens“, da diesem von vornherein nur bescheidende Ziele gesteckt worden seien: Es sollte lediglich darum gehen, den Dialog an und für sich zu ermöglichen. Am 28. Juli möchte er nun seinerseits „für mindesten 48 Stunden“ den Libanon besuchen und seine Bemühungen als „Dialogeinfädler“ dort in Bälde fortsetzen. 

In der Sache konnten dadurch bislang keine Konflike gelöst werden, auch wenn Teilnehmer und Beobachter angeben, nach einem ersten Konferenztag „in angespannter Atmosphäre“ habe am zweiten Tag ein freundliches, ja „brüderliches“ (Kouchner) Klima geherrscht. Eine der wesentlichen „Errungenschafen“ der Konferenz ist freilich, dass die Ex-Protektoratsmacht Frankreich als ein vermeintlich selbstverständlicher Partner des „innerlibanesischen Dialogs“ mit am Tisch sitzt, ja ihn an führender Stelle anleiert. Im Gegenzug war die französische Politik realistisch genug, die schiitische Hizbollah von vornherein in ihre Verhandlungsstrategie einzubinden. Diese „Partei Gottes“ mit (trotz ihrer reaktionären Ideologie) echter Massenbasis in den schiitischen Zonen –- wo die im Durchschnitt ärmste Bevölkerungsgruppe wohnt –-, deren Prestige durch den „erfolgreichen Widerstand“ gegen die israelischen Invasionen seit 1982 erheblich gestärkt wurde, war folglich auch in La Celle-Saint-Cloud eingeladen. Auch wenn manche Kräfte, vor allem auch der Zentralrat der französischen Juden (CRIF) – der seit Anfang des Jahrzehnts durch politisch rechts stehende Kräfte dominiert wird und einen beinharten Kurs der Unterstützung für die israelische Militärpolitik fährt – im Vorfeld wortradikal (sowie mit einer ganzseitigen Annonce in ‚Libération’   vom Freitag, 13. Juli und einer sonntäglichen Kundgebung) gegen die Anwesenheit der in ihren Worten „terroristischen“ Hizbollah auf französischem Boden protestiert hatten.  

Im Gegenzug zu ihrer eigenen faktischen Anerkennung als wichtiger Akteur im Libanon und quasi offen als solche auftretende „Schutzmacht“ hat die Pariser Aubenpolitik de facto auch den Iran als „Hintermann“ der schiitischen Hizbollah anerkannt, ja indirekt mit ins Boot geholt. Zwei mal reiste der französische Emissär Jean-Claude Cousseran, der in den kommenden Tagen den anstehenden Beirut-Besuch des Ministers Kouchner vor Ort vorbereiten wird, im Vorfeld der jüngst stattgefundenen Konferenz auch nach Teheran. Dieses Bemühen um Einbeziehen des Regimes der Islamischen Republik als regionale Grobmacht entspricht im übrigen auch der Linie, welche das Pariser Aubenminister – damals unter dem notorisch unfähigen Amtsinhaber Philippe Douste-Blazy - im August 2006 auf dem Höhepunkt des Libanonkriegs erprobt hatte, um sie nach einigen politischen Irritationen kurz darauf wieder fallenzulassen.
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 25.7.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.