Raphören macht dumm und gewälttätig, und die Rapper sind
aufgrund ihrer Texte an den Spannungen in den Banlieues
schuld. So lautet die Quintessenz einer Kampagne konservativer
Politiker, die in periodischen Abständen in Frankreich
aufflammt. Nunmehr hat die Cour de Cassation (also der
französische Oberste Gerichtshof in Straf-, Zivil- und
Arbeitsrechtssachen) ihrer Vision erstmals Recht gegeben und
am 11. Juli 2007 einen prominenten Rapmusiker aufgrund eines
Songtexts verurteilt. Mohamed Bourokba alias „Hamé“,
Songschreiber der Band La Rumeur, habe die französische
Polizei diffamiert, so die Urteilsbegründung, indem er 2002
schrieb: „Die Berichte des Innenministeriums werden nie von
den Hunderten unserer Brüder sprechen, die durch die Polizei
getötet worden sind, ohne dass einer der Mörder je behelligt
worden wäre“.
Nicolas Sarkozy, damals (seit Mai desselben Jahres) frisch als
Innenminister ins Amt gekommen, hatte am 3. Juli 2002 dagegen
Strafanzeige erstattet. Doch das erstinstanzliche Gericht
schätzte im Dezember 2004, der Songtext enthalte eine allgemein
gehaltene Anklage, die sich sowohl an die politisch
Verantwortlichen als auch an die Polizeiführung richte, und sei
daher nicht strafbar. Das Berufungsgericht in zweiter Instanz
folgte dieser Bewertung im Juni 2006. Aber der Oberste
Gerichtshof hob jetzt den Freispruch auf, da es sich um
Diffamierung handele, zu behaupten, die Polizei habe „Hunderte
von Menschen in den Banlieues ermordet“. Hingegen gibt der
Verurteilte an, er habe sich auf konkrete historische Fakten
bezogen, und zwar auf das erwiesene Massaker an 200 bis 300
algerischen Demonstranten in Paris am 17. Oktober 1961 sowie die
Ermordung des Studenten Malik Oussekine durch Motorradpolizisten
in Paris 1986. Das als besonders reaktionär bekannte
Berufungsgericht in Versailles soll jetzt über das genaue
Strafmab
entscheiden.
Hintergründe einer Kampagne
Vorsicht Mitbürger: Lesen macht dumm und gewalttätig. Diesen
Spruch setzten einstmals Linke jener hysterischen Jagd auf
« Sympathisanten der Terroristenszene », die um 1977 in
Westdeutschland betrieben wurde und auch Schriftsteller wie
Erich Fried oder den harmlosen Heinrich Böll nicht aussparte,
ironisch entgegen. Mit ihren Werken, so meinte man in
konservativen Kreisen und zum Teil weit darüber hinaus, hätten
die Kulturvertreter « der Gewalt den Boden bereitet ». Gemeint
war damals jene der RAF. Die Gegenseite nahm’s weitgehend
ironiefrei, und der damalige Bremer CDU-Vorsitzende Bernd
Neumann meinte öffentlich, « ja, solche Gedichte » wie die von
Erich Fried würde er « lieber verbrannt sehen ».
Nicht Lesen, aber Rapmusik ist (gemein)gefährlich: Diese These
vertreten, ähnlich ironiefrei, heute führende französische
Konservative und trommeln in der Öffentlichkeit laut dafür.
Ansonsten gleichen sich die Situationen nicht: Die Gewalt, um
die es geht, ist nicht so stark politisch determiniert, sondern
eher ein Ausdruck sozialer Faktoren. Es geht um die Gewalt in
den französischen Banlieues – die alltägliche Gewalt, im
Besonderen aber jene, die in den Riots vom November vorigen
Jahres zum Ausbruch kam. Und die Musik, um die sich die Vorwürfe
drehen, kommt auch durchaus nicht so friedfertig daher wie die
Schriften eines Heinrich Böll. Französische Rapgruppen tragen
Namen wie etwa « Assassin » (Mörder). Oder sie sprechen in ihren
Liedern von Träumen, in denen auf Polizisten geballert wird.
Oder aber sie singen Dinge wie « La France est une garce » (La
France ist ein liderliches Weibsstück) – den Refrain benutzten
sowohl die Gruppe Sniper als auch Monsieur R - und schockieren
Politiker und Jugendbeauftragte.
200 Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP in der
Nationalversammlung (149) und im Senat (52) schlossen sich im
November 2005, auf dem Höhepunkt der Riots in den Banlieues,
zusammen. Sie forderten gemeinsam den Justizminister Pascal
Clément – einen Mann vom rechten Flügel der Konservativen, der
1981 als Wortführer gegen die Abschaffung der Todesstrafe
auftrat - dazu auf, strafrechtliche Ermittlungen gegen sieben
namentlich genannte Rapgruppen einzuleiten. Ihnen warfen die
Parlamentarier « antifranzösischen Rassismus » vor. Die
Initiative dazu hatten zwei Abgeordnete ergriffen, François
Grosdidier aus Ostfrankreich und Daniel Mach aus den Pyrenäen.
Dieselben hatten auch schon bereits im August vergangenen Jahres
gegen Monsieur R geklagt und damit den jüngst stattgefundenen
Prozess ausgelöst. Aber der Reihe nach...
Der Vorstob
der 200 Politiker vom November 05 wurde damit begründet, dass
die betreffenden Gruppen mit ihren Texten Feuer an die Lunte
gelegt hätten, die nunmehr in den Banlieues brenne. Bei ihrem
Versuch, Ross und Reiter zu benennen, bewiesen die Abgeordneten
aber nicht unbedingt ihre profunde Kenntnis der Musikszene:
Mehrere der Gruppen, die sie beschuldigten, ursächlich für die
Gewalt geworden zu sein, waren bereits aufgelöst (Lunatic und
Ministère Amer), waren nahezu völlig unbekannt (La Smala, die
noch nie eine Platte herausgebracht hat) oder hatten längst ihre
Aktivitäten eingestellt wie Fabe seit dem Jahr 2000. Die
Mehrheit der sieben Gruppen konnte also kaum eine aktive Rolle
im Vorfeld der Riots gespielt haben. Die Abgeordneten erwiderten
auf diese Kritik, dass ihre Platten oder CDs aber weiterhin
erhältlich seien. Ansonsten schienen ihnen die Details nicht so
wichtig zu sein, denn in jenen Wochen ging es hauptsächlich
darum, Schuldige zu präsentieren. Eine Woche nach dem
gemeinsamen Vorstob
machte François Grosdidier erneut auf sich aufmerksam, nachdem
er im Parlament noch eine andere Ursache für den behaupteten
antifranzösischen Rassismus bennen wollte: Bei der Hälfte der
Hochzeiten im Rathaus des lothringischen Kaffs, dessen
Bürgermeister er ist, höre er Youyous - das sind
nordafrikanische Folkloreausrufe von Frauen, die sich ähnlich
wie Indianergeheul anhören. Im Klartext sollte das ungefähr
bedeuten, dass die Weiben
zu wenig heirateten und Kinder zeugten, und die Anderen zu viel.
Im Juni 2006 wurde der Abgeordnete Grosdidier übrigens zum
Integrationsbeauftragten der konservativen Regierung ernannt.
Hihihi...
Gesellschaftsschädiger NTM?
Nicht erst seit vorgestern ist der französische Rap bestimmten
Politikern ein Dorn im Auge. Die erste spektakuläre Affäre geht
auf das Jahr 1996 zurück, in ihrem Mittelpunkt stand damals die
Band Suprême NTM. Suprême bedeutet ungefähr so viel wie
« super », das Kürzel aber steht für Nique ta mère, wörtlich
« Fick Deine Mutter » - der Ausdruck ist, wie so vieles manches
im französischen Rap, ursprünglich eine Übertragung aus dem
US-amerikanischen Englisch, wo motherfucking ein äuberst
gebräuchlicher Ausdruck ist. Gleichzeitig sind die drei Worte
auch ein, vor allem in den neunziger Jahren, gebräuchlicher und
oft unüberlegt hingeworfener Schimpf- oder Schmähausdruck unter
männlichen Jugendlichen in vielen Banlieues geworden. Suprême
NTM ist bzw. war eine Zwei-Mann-Band, bestehend aus Joey Starr
und Kool Shenn, mit bürgerlichen Namen Didier Morville und Bruno
Lopes. Beide sind Jahrgang 1968, gemeinsam zur Schule gegangen
und in einem Plattenbauviertel in der Pariser Vorstadt
Saint-Denis aufgewachsen. Heute macht nur noch Joey Starr allein
als Musiker weiter. 1983 hatten sie den Hip-Hop durch
Us-amerikanische Touristen entdeckt, die auf dem Platz vor dem
Pariser Eifelturm ihren Breakdance aufführten - und die neue
Mode in ihre Banlieue importiert. Dort wurde sie ein, zwei Jahre
später zum Massenphänomen. Zahllose Jugendliche entdeckten im
Hip-Hop und seiner Abwandlung, dem Rap, ein probates Mittel, um
die Langeweile abzutöten. Morville und Lopes traten in jener
Anfangsphase vor allem mit der späteren Mitgliedern der Band
Assassins auf.
Im
Sommer 1996 sollte NTM auf dem, ziemlich avantgardistischen,
Kulturfestival von Chateauvallon auftreten, das von Gérard
Paquier geleitet wurde. Allein: der Festivalort liegt in der
südfranzösischen Grobstadt
Toulon, und Toulon wurde damals seit einem Jahr von einer
Rathaus-Camarilla regiert, die zum rechtsextremen Front National
(FN) gehörte. Die Rechtsradikalen sollten die Stadt nur gut fünf
Jahre regieren und daraufhin, dank ihrer eigenen Unfähigkeit und
innerer Machtkämpfe, auf örtlicher Ebene gründlich zerfallen.
Aber damals wähnten sie sich auf dem Höhepunkt ihres Einflusses
und gingen daran, die Kulturpolitik in den von ihnen regierten
Städten radikal umzukrempeln – bis hin zur Säuberung von
Bibliotheken. Die Ausladung von NTM wurde also durch den
damaligen Touloner Bürgermeister, Jean-Marie Le Chevallier,
erzwungen. Für Aufsehen und einen Skandal sorgte, dass diese
Entscheidung Rückhalt beim Präfekten – dem Vertreter des
Zentralstaats im Département – fand, dem rechtskonservativen
Ex-Geheimdienstanführer Jean-Charles Marchiani. Dieser erklärte,
« als Christ und als Repräsentant des Staates » unterstütze er
die Entscheidung des FN-Bürgermeisters, denn als solcher sei er
über den Namen der Band schockiert. Der linke und liberale Teil
der Öffentlichkeit entdeckte sich plötzlich ein Herz für die
Rapgruppe, von der man sonst eher wenig kannte.
Die Affäre ging noch weiter: Am 14. Juli 1996, Nationalfeiertag
und Jahrestag des Sturms auf die Bastille, trat NTM dann auf
einem Riesenfestival in La-Seyne-Sur-Mer – der proletarischen
Nachbarstadt von Toulon – auf. Das Ganze war als politisierte
Gegenveranstaltung zu den Feierlichkeiten in Toulon angelegt und
sollte den Rechtsradikalen ordentlich einheizen. Dort gaben Joey
Starr und Kool Shen ihr Lied « Police » zum Besten, das bereits
seit drei Jahren auf dem Markt war, aber bis dahin keinen Anstob
erregt hatte. Darin heibt
es unter anderem : « Polizei: Eure Papiere, Ausweiskontrolle /
Klassisch gewordene Formulierung, an die du dich gewöhnen musst
/ Nur, in den Armenvierteln / Haben die Uniformträger vom
Machtmissbrauch es zu weit getrieben / Wisset auch, dass die
Luft elektrisch aufgeladen ist / Also, kein Respekt, zählt nicht
auf Mitleid / Nie werdet Ihr durch Repression den Frieden
bekommen / (...) / Für uns wird es nicht ‘Fuck the police’ heiben
/ Sondern ein spezielles NICKTA MERE vom Vaterland des Lasters
(Anmerkung: So nennen die beiden Sänger an anderer Stelle ihren
Vorstadtbezirk, Seine-Saint-Denis) / Polizei, Maschine, die
Hirnlose mit richterlichem Auftrag klont / Auf die ich pisse /
(...) / Jagd auf die Bullen in den Gängen der Metro machen / So
sehen die Träume aus, die in der Nacht Joey Joe träumt / Gib mir
Kugeln für die Stadtpolizei / Gib mir eine Knarre... / Noch ein
Skandal, den sie begraben, den sie in einem Ordner abheften /
Auf dem Boden einer Schublade verräumt, in einen Schrank werden
sie den Skandal wegräumen / Denn der Befehl kommt von Oben /
... »
Nunmehr sollte sich die Justiz für die schiefen Reime, die all
dies im Französischen ergibt, interessieren. Und sie würde den
kurzen Reim « Gib’ mir eine Kugel, für die Stadtpolizei », aus
dem Gesamtzusammenhang isoliert, als unmittelbaren Mordaufruf
werten: Im Oktober 1996 wurden die beiden Rapper zu sechs
Monaten Haft, davon drei ohne Bewährung, verurteilt. Zum ersten
Mal in der jüngeren Geschichte wurde eine Haftstrafe wegen einer
Passage in einem Songtext verhängt.
Joey Starr sollten nicht auf Dauer die Sympathien der
linksliberalen Öffentlichkeit zufliegen. Denn der Mann hat
tatsächlichen einen Hang zur Gewalt, der bei ihm nicht nur eine
Masche in den provokativ aufgemotzten Songtexten darstellt. Im
Juni 1999 verurteilte ihn ein Gericht in Bobigny – der
Hauptstadt des Bezirks Seine-Saint-Denis – für Gewalttätigkeiten
gegen seine ehemalige Lebensgefährtin zu sechs Monaten Haft.
Tatsächlich scheint die Beziehung in beiden Richtungen
gewalttätig gewesen zu sein, denn wenige Monate später stand die
sanfte Mademoiselle ihrerseits wegen ganz ähnlicher
Gewalttätigkeiten gegen Joey Starr vor Gericht. Aber der Ruf des
Rappers war dadurch bereits in weiten Kreisen ramponiert, und
wurde nicht dadurch verbessert, dass er 2002 beschuldigt wurde,
einem als Haustieren gehaltenen Affen vor einer Kamera drei
Fausthiebe versetzt zu haben. Allerdings muss man auch darauf
hinweisen, dass das zwischenzeitlich – 1998 – erschienen Album
der Gruppe NTM deutlich mäbigende
Töne zu hören waren und die Gewalt als Mittel in Frage gestellt
wurde. Es enthält Songitel wie « Leg Deine Knarre hin » oder
« Lass’ deinem Sohn keinen schlechten Umgang ». Und Joey Starr
engagierte sich im Winter 2006/07, auf durchaus sehr friedliche
Weise, für die Einschreibung von Banlieue-Jugendlichen auf die
Wählerlisten, damit sie (unausgesprochen, aber völlig klar:
gegen Nicolas Sarkozy) wählen gingen und sich so endlich mal um
Politik kümmerten. Wenngleich dieses Projekt ersteinmal nur auf
der Ebene des Wahlakts blieb, was zu dem Zeitpunkt freilich für
politische Projekte in den Banlieues absolut nicht untypisch
war...
Toughheit oder politisches Bewusstsein?
Das Kernproblem, das viele Rapper haben, besteht darin, dass ein
auf hart geschminktes Auftreten scheinbar notwendig zu ihrem
Stil und ihrem Auftreten und damit zu ihren Erfolgsgrundlagen
gehört. Doch lässt sich diese Aussage nicht verallgemeinern:
Gerade eine zur « radikalen Tendenz » im französischen Rap
gerechnete und langjährig aktive Band wie Assassin greift zwar
soziale Frustrationsgefühle aus ihrer Vorstadtumgebung und
aggressive Tendenzen in ihre Texte mit ein - at zahlreiche
Stopper eingebaut, die diese Aggression gerade abmildern und in
Nachdenken überführen sollen. Auf ihrem Album « Homicide
volontaire » (Totschlag), dessen Textheftchen provokativ blutrot
gefärbt ist, enthält auch ein Lied « L’Etat assassine » (Der
Staat mordet). Es ist den beiden jungen Einwandersöhnen Malek
Oussekine und Makomé gewidmet, die 1986 und 1993 – am Rande
einer Demonstration sowie als Gefangener in einem Pariser
Polizeikommissariat – durch uniformierte Ordnungshüter zu Tode
geprügelt worden waren. Auch in diesem Lied träumt die
Hauptfigur einen Moment lang davon, auf die Polizei zu schieben.
Aber dieser Traum wird nicht nur durch das Klingeln des Weckers
abgebrochen, sondern auch in Frage gestellt: « Wer sind die
Kriminellen? / Wer sind die, die man einsperrt? / (...) / Die
Justiz urteilt nach vorbestimmten Kriterien / 80 % der Häftlinge
sind Proletarier, Arbeitslose oder Wohnungslose / Wieviele
Bullen sitzen hinter Gittern? / (...) / Den Finger am Abzug,
mein Stirn ist in Schweib
/ Mein Herz schlägt schneller, mein Puls ist erregt / Das Blut
läuft in meine Augen, aber ich verdiene Besseres / Warum ihn
umnieten, und nicht einen anderen? / Wenn ich diesen Bullen
umniete, müsste ich auch die anderen abknallen / Aber es sind
Menschen! / Es ist so weit, mein Kopf platzt / Alle
Wertvorstellungen prallen aufeinander / Denn die Frage, die ich
mir stelle, ist: / Soll man auf die Polizeigewalt reagieren und
genau so werden? / Aber ich werde den Lauf der Geschichte nicht
ändern / Indem ich einen Kommissar umniete / ... »
Bei weitem nicht alle Rapgruppen haben so viel Reflexion in ihre
Musik eingebaut wie die Band Assassin, die in ihren Textheften
auch explizit von der Notwendigkeit der Kritik an der
« kapitalistischen Weltordnung » spricht. Einige anderen Gruppen
belassen es dabei, ohne weitere gedankliche Vermittlungen die
eigene, objektiv beschissene Lage anzuklagen – die Situation, in
der man lebte, so lange man noch keinen wirtschaftlichen Erfolg
hatte. Nachdem einige (wenige) von ihnen bei Plattenhäusern
dickes Geld verdienen konnten, behalten sie dennoch dieselbe
Anklageposition, die zuerst den eigenen Bauchnabel im Blickfeld
hat, bei. Die vermeintliche Sozialkritik wird dabei zur hohlen
Attitüde. Zugleich kombinieren zumindest manche Sänger sie mit
einem unkritischen Bezug auf die eigene (« ethnische »)
Herkunftsgruppe oder gar einem Hassdiskurs gegen andere Gruppen,
etwa in Form homophober Äuberungen.
Dieses Phänomen tritt nicht so stark hervor wie bei bestimmten
US-Rappern, etwa vom Schlage Eminem, bleibt aber doch
hinreichend penetrant.
Der Sänger Booba, früher Mitglied der aufgelösten Rapgruppe
« Lunatic », etwa ist sowohl für die Einfallslosigkeit oder
jedenfalls völlig fehlende Weiterentwicklung seines Songstils
bekannt als auch für üble Ausfälle. Seine Texte sind nach
Auffassung von Kritikern allein am Erfolg auf dem Plattenmarkt
ausgerichtet und stammen zudem oftmals gar nicht von ihm,
sondern sind bei US-Vorbildern wie Curtis Jackson entlehnt, wie
etwa sein Album « Boulbi » (abgekupfert vom US-Kassenschlager
« 50 Cents »). An Hassparolen gibt es bei ihm keinen Mangel.
Homosexuelle erscheinen als Schwächlinge und Künder von
« Dekadenz », und über Juden textete er indirekt, aber deutlich:
« Das Schicksal der Menschheit macht mich traurig / Wie soll ich
ihnen vertrauen, sie töteten Christus ». Es mangelt freilich
auch nicht an positiven Versuchen im Rap, solchen Tendenzen
gegenzusteuern. Die Gruppe Princesse Aniès sang etwa 2002 :
« Warum solltest über die Liebe zweier Personen vom selben
Geschlecht urteilen? / Die Unmoral, die Dekadenz zum Vorwand
nehmend / Warum so starke Gefühle zerstören wollen / (...) /
Homophob sein heibt,
Rassist in der Liebe sein ». (Album « Conte de fait ». Der Titel
bedeutet so viel wie « Tatsachenmärchen », statt dem
gleichklanglichen « Conte de fée » für « Feenmärchen ».) Und
Assassin, als eine der bekanntesten Gruppen, singt etwa in
« Shoota Bablyone »: « Mich belügt man nicht mehr, der Afrikaner
ist mein Bruder / Der Moslem, der Jude, ich respektiere ihre
Gebete / Eines jeden Wahl ist seine persönliche Sache / Vom
Weltraum aus gesehen, ist die Weltgeschichte die selbe für Alle
/ Aber wenn man näher dran guckt, sieht man, dass ein Porsche /
Mehr Liebe hervor ruft als eine Mutter, die ihre Kinder ernährt
... » Oder in « Entre dans la classe », worin die Gruppe ihre
imaginäre Traumschule beschreibt : « Wir akzeptieren die
jüdischen und moslemischen Frauen / In unserer Schule sitzen sie
neben den Männern mit Dread Locks / Es sind da auch Weibe,
deren Vorfahren Kolonisatoren waren / Und die die Geschichte
richtig drehen wollen / Alle kämpfen in derselben Richtung / Die
Akademie Assassin legt keinen Wert auf Manipulation / (...) »
Ein noch verbreiteteres Problem als Homophobie, Rassismus oder
Antisemitismus freilich ist im Rap das Machoauftreten vieler
Sänger und ihr ungeschminkter Sexismus, der sie auf Frauen als
schwache oder « konsumierbare » Wesen herab blicken lässt. Zu
den fragwürdigsten Texten zählt etwa « Brigitte, femme de flic »
(Brigitte, Frau eines Bullen) von der Band Ministère Amer
(Bitteres Amt). Um die Stärke und Brutalität der Polizei zu
unterminieren, schaffen es die Schwarzen, die in dem Lied die
Helden darstellen, zuerst die Tochter und dann die Frau eines
Beamten « zu vögeln ». Dadurch, so ergibt sich aus der
Darstellung, wird die Macht ihrer Männer zerstört. Es handelt
sich nicht um eine Vergewaltigung, sondern die Polizistenfrauen
und –töchter suchen der Logik des Textes zufolge die sexuelle
Stärke der darsgestellten Schwarzen. Aber der gesamte Song
basiert auf einer Logik der Machtausübung und Hierarchie, die
auf dieser sexuellen Konkurrenz beruht. Und man kann nicht
behaupten, dass die Frauen dabei als besonders mündige
Subjektive dargestellt würden: « Keine Staatsgewalt kann eine
läufige Hündin stoppen / Vor allem nicht, wenn es die verdammte
Tochter eines Rohlings ist / Das heibt
die Tochter ener Staatshure von Bullen. / Monique lässt sich von
hinten nehmen, das ganze Viertel hört nicht auf zu wiederholen /
Ich habe die Tochter des Sheriffs genommen, ich habe meine ganze
Schachtel Kondome verbraucht (...) »
Anklage gegen „Monsieur R“
Diese Kritik, die an einer Reihe von Bands fraglos geübt werden
muss, haben sich auch die konservativen Moralhüter zu eigen
gemacht und in ihre Argumentation übernommen. Sie floss
ebenfalls in eine Strafanzeige ein, die zwei konservativ
Abgeordneter gegen den Rapper Monsieur R einbrachten. Bereits im
August vorigen Jahres, also noch vor der Debatte über den Rap
infolge der Banlieue-Unruhen, hatten die Abgeordneten Grosdidier
und Mach gegen den schwarzen Musiker geklagt, der mit richtigem
Namen Richard Makela heibt
und aus der kleinstädtischen Vorortlandschaft 30 Kilometer
östlich von Paris kommt. Ende Juni nun kam die Anzeige in Paris
zur Verhandlung.
Vorgeworfen wurde Monsieur R ein Video zu seinem Album
« Politiquement inkorreckt », in dem es hauptsächlich darum
geht, die französische Politik und Militärpräsenz in Afrika zu
denunzieren. Die wesentlichen Sequenzen des etwa vierminütigen
Streifens, der mit einigen Sätzen aus einer Chirac-Rede beginnt,
zeigen die blutigen Szenen, die sich im November 2004 vor dem
Hôtel Ivoire in Abdijan abspielten: Dort hatte die französische
Armee das Feuer auf eine Demonstrantenmenge eröffnet, die von
nationalistischen Agitatoren mobilisiert worden waren, und rund
50 Menschen getötet.In dem Video sieht man einige der
Erschossenen und ihre Verwundungen in Nahaufnahme. Dazwischen
sind immer wieder Sequenzen eingeschnitten, in denen man zwei
oder drei weibe
Frauen sieht, die entkleidet – und mit groben
Brüsten – auf der Kühlerhaube eines Autos sitzen und sich mit
der französische Nationalfahne an intimen Stellen reiben, ab und
zu auch scheinbare Lustschreie ausstoben.
Der Sinn, den der Rapper dieser Darstellung geben wollte, ist
ungefähr folgender: Die öffentliche Meinung in Frankreich ist
eine Hure, die sich von den Mächtigen kaufen lässt. Sicherlich
ein fragwürdiges Bild, da in dieser Darstellung die
prostituierte Frau als « unmoralisch » gilt, und nicht der
Kunde, der sexuelle Dienstleistungen gegen Geld kauft. Das Ganze
wird von einigen Aussagen begleitet: « Ich rede nicht vom
französischen Volk, ich rede von den Führungsleuten des
französischen Staates » singt Monsieur R., und Aussagen wie
« Straftäter mit ausländischer Staatsbürgerschaft gehen doppelt
so häufig ins Gefängnis wie französische Staatsbürger » werden
eingeblendet. In dieser Hinsicht kann man durchaus von einer
vernünftigen Kritik sprechen. Daneben gibt es dann wieder auch
einen Refrain: « La France ist ein liderliches Weibsstück /
Vergiss nicht, sie bis zu ihrer Erschöpfung zu vögeln / Musst
sie wie eine Schlampe behandeln, Mann ». Insofern trifft der
Vorwurf, dass die Kritik an politischen Zuständen mit einem
männlichen Dominanzanspruch verbunden wird.
Sexismus monierten die beiden konservativen Abgeordneten auch,
aber ihre Strafanzeige begründeten sie hauptsächlich mit der
Verwendung pronographischer Bilder und der daraus resultierenden
Jugendgefährdung sowie der Verunglimpfung von Staats- und
Nationalsymbolen. Die Pariser Justiz hat den Rapper daraufhin
Ende Juni 2006 frei gesprochen: Da der Abgeordnete Mach, der die
Klage verfasst und begründet hatte, keine minderjährige Kinder
mehr habe, könne er – mangels Eigeninteresses - nicht als
Klageberechtigter für die Geltendmachung des
Jugendschutzgesetzes auftreten. Ansonsten sei der Inhalt des
Rapsongs und –videos von der Freiheit der Kunst gedeckt.
Damit scheiterte einmal mehr ein Versuch, die Diskussion um die
– auch problematischen – Seiten des französischen Rap auf dem
Wege über die staatliche Justiz und Verbotsmabnahmen
zu einer Entscheidung zu führen. Bereits im Dezember 2004 war
eine Klage, die Innenminister Sarkozy eingereicht hatte, gegen
die Rapgruppe Sniper gescheitert. Ihr waren Gewalt
verherrlichende Texte und Aufstachelung zum Hass gegen die
Polizei vorgeworfen waren, aber die Richter sahen darin vor
allem eine Anklage der gewalttätigen Polizeipraxis in den
Vorstädten. Im Januar dieses Jahres brachte ein Abgeordneter der
Regierungspartei UMP Sniper wieder ins Gerede, indem er in einer
Fernsehsendung zu Jahresanfang eine Textpassage der Rapgruppe
zitiere, in der es angeblich heibe,
man müsse Autos verbrennen. In Wirklichkeit hatte der
konservative Parlamentarier übersehen wollen, dass die Band an
dieser Stelle mehrere gedankliche Stopper eingebaut hatte, denn
die Textpassage lautet im Original: « Man sollte glauben, das
einzige Mittel, sich Gehör zu verschaffen, sei es, Autos zu
verbrennen / Ein Scheibsystem
erzeugt Hass, aber Verbrennen, das bringt uns nicht voran / Und
ich weib,
dass es denen nur recht wäre, wenn wir uns untereinander
bekriegen ».
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am
25.7.07 zur Veröffentlichung.
Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus
und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid
wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch
erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu
haben sein.