Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französischer Außenminister Kouchner auf Staatsbesuch im besetzten Iraq: FRANKREICHS RÜCKKEHR IN DEN IRAQ
7-8/07

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Die Nachrichten folgten zu dicht aufeinander, um Zufall zu sein. Noch vor kurzem rief es zunächst Überraschung hervor, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy - mitten im Urlaub und „ganz privat“ - auf seine Weise Aussöhnung mit dem Familienclan der Bushs feierte (vgl. nebenstehenden Artikel). Das war am 11. August. Am Sonntag, den 19. August nun traf der französische Aubenminister Bernard Kouchner zu einem „Überraschungsbesuch“ im besetzten Iraq ein, wo er bis am Dienstag Abend blieb. Dieser Besuch in Baghdad wurde weithin als nunmehrige Anerkennung der durch die dortigen Besatzungsmächte eingenommenen Position durch Paris interpretiert. Vor diesem Hintergrund begrübte die US-Administration am selben Sonntag in warmen Worten „Frankreichs Rückkehr in den Iraq“. ANMERKUNG: Die (ansonsten im Deutschen eher unübliche) Schreibweise „Iraq“ in diesem Text rührt daher, dass dies die exakten Transkription aus dem Arabischen näher kommt als die eingedeutschte Form „Irak“. Der arabische Buchstabe „q“ (qaf) unterscheidet sich vom in dieser Sprache ebenfalls existierenden „k“ dadurch, dass er als Gutturallaut hinten in der Kehle ausgesprochen wird. Ähnliches gilt für die Schreibweise „Baghdad“, statt der eingedeutschten Variante „Bagdad“. Der arabische Buchstabe, dem die Transkription durch „gh“ entspricht, wird ähnlich einem stimmlosen „r“ wie in „Paris“ ausgesprochen.

Dem Vernehmen nach sprach der Repräsentant aus Paris mit Ministern der iraqischen Regierung von Nouri el-Maliki, die das Land unter der Oberherrschaft von US-Amerikanern und Briten nominell verwaltet, über wirtschaftliche Zusammenarbeit „auch im Bereich der zivilen Atomenergienutzung“. So schreibt jedenfalls die Wochenzeitung ‚Le Canard enchaîné’ an diesem Mittwoch (23. August).  

Es scheint zu einer echten Manie zu werden: Schon dem libyschen Staats- und „Revolutions“führer Muammar Al-Qadhafi wollte die französische Politik unter Präsident Nicolas Sarkozy unbedingt ein Atomkraftwerk andrehen. In Libyen ist allerdings die Gefahr bürgerkriegsähnlicher Unruhen, terroristischer oder Guerilla-Aktionen im Bereich von Nuklearanlagen nicht annähernd so grob wie in dem Staat im Mittleren Osten. Denn dort tobt zumindest in einigen Landesteilen ein grausamer Bürgerkrieg. Zudem verfügt der Iraq über riesige Erdöl- und Erdgasvorkommen; vielleicht ist Nuklearenergie nicht das allerdringendste unter den Bedürfnissen dieses Landes. Wahrscheinlich ging es auch nur darum, die französische Atomindustrie wieder in Schwung zu bringen, nachdem der von AREVA in (Noch-)Zusammenarbeit mit dem deutschen Siemens-Konzern geplante neue Reaktortypus EPR bis dahin nur in Finnland Abnahme gefunden hatte, wo sein Bau aber bisher noch stockt. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte künftige Generationen... (FUSSNOTE 1)  

Kaum glaubwürdiges Dementi 

Kouchner selbst dementierte energisch, dass es einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen dieser Visite und dem vorgeblich „privaten“ Besuch seines Vorgesetzten – des seit diesem Donnerstag nunmehr seit 100 Tagen amtierenden französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy – beim Familienclan Bush am 11. August gebe. Vielmehr, so Kouchner, handele es sich um eine seit längerem geplante Reise, und die Initiative dazu gehe auf ihn persönlich zurück. Der iraqische Präsident Jalal Talabani, Vorsitzender einer der beiden kurdisch-nationalistischen Parteien – der „Patriotischen Union Kurdistans“ -, habe ihn dazu eingeladen.           

Letzteres ist durchaus möglich, da Kouchner in seiner früheren Eigenschaft als Vorsitzender der „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) vor nunmehr 30 Jahren Kontakte zu Talabani und anderen Kurdenführern knüpfte. Also zu Zeiten, als die Kurden im Iraq noch staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren, während ihre politischen Chefs heute eine wichtige Rolle als Stützen des Besatzungsregimes im Iraq spielen und den früher erlittenen arabischen Chauvinismus zum Teil mit einem eigenen, antiarabische Züge tragenden Nationalismus beantworten (FUSSNOTE 2). Das gilt vor allem für Talabanis Rivalen, den Chef der konservativ-reaktionären Clanpartei „Kurdische Demokratische Partei“, Massud Barzani. Er wird in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom 23. August mit Worten zitiert, in denen er eine „Lösung der freiwilligen Teilung“ des Irak entlang ethnisch-konfessionneller Grenzen als positive Perspektive  in Erwägung zieht. Hingegen spricht Talabani, der derzeit als Präsident für den Gesamt-Iraq in der Verantwortung steht, sich in einem Interview mit derselben Zeitung noch für eine „nationale Aussöhnung“ aus.  

Nichtsdestotrotz ist Bernard Kouchner heute vor allem der Befehlesempfänger eines aktiv regierenden Staatsoberhaupts - das sich derart intensiv in alle Politikbereiche einmischt und sich omnipräsent gibt, dass die Satire- und Investigationszeitung ‚Le Canard enchaîné’ kürzlich Sarkozy bereits den Titel „der Omnipräsident“ gab. 

Dass Kouchner dabei kaum persönlichen Spielraum und im Zweifelsfall nichts zu melden hat, machte die Episode um den Ende Juli  2007 spektakulär eingefädelten Rüstungs- und Atomdeal zwischen Paris und dem libyschen Staats- und „Revolutionsführer“ Muammar al-Qadhafi deutlich. Bernard Kouchner, der offizielle Chef der Pariser Aubenpolitik, stand während des gesamten Libyenbesuchs Sarkozys am 25. und 26. Juli als Monsieur Ahnungslos neben den verhandelnden Spitzenpolitikern und gab den Statisten ab - der am Ende seine Unterschrift unter das ohne ihn Ausgehandelte setzen durfte. Der grenzenlos ehrgeizige Minister wirkte schon fast Mitleid erregend, als die Journalisten ihn penetrant nach seiner Rolle bei den Verhandlungen ausfragten, woraufhin Kouchner entnervt zurückfauchte: „Hören Sie auf, Sie wollen mich doch nur kaputt machen!“ Die sozialistische Parlamentsopposition ihrerseits konzentrierte in der Folgezeit ihre Angriffe auf ihr ehemaliges Parteimitglied Kouchner, der seine ministerielle Verantwortung nicht wahrgenommen habe. 

Ferner sprechen auch Informationen der Satire- und Investigationszeitung ‚Le Canard enchaîné’ gegen die Hypothese, wonach Kouchner quasi auf eigene Faust gehandelt und die Visite in Bagdad allein entschieden habe. In ihrer Ausgabe vom Mittwoch (22. August) schreibt die Wochenzeitung, schon Anfang Juli dieses Jahres habe Bernard Kouchner anlässlich eines Empfangs seiner US-Amtskollegin Condoleeza Rice die Frage gestellt: „Was kann man/Was können wir“ – die Formulierungen werden im Französischen identisch ausgedrückt – „tun, um Ihnen im Irak zu helfen?“ Beide hätten zusammen die Ausbildung irakischer Militärs durch französische Offiziere erwogen. Der bis vor kurzem amtierende französische Botschaft in Washington D.C., Jean-Claude Levitte, der inzwischen zum diplomatischen Chefberater von Präsident Sarkozys geworden war – auch diese Tatsache symbolisiert eine Weichenstellung – traf seinerseits im Juli 2007 mit Condoleeza Rice zusammen. Im Anschluss übermittelte er die Nachricht nach Paris, dass die US-Ministerin eine französische Hilfe im Irak wünsche.  

Erster Ministerbesuch seit 1988 

Französische Aubenminister haben kein glückliches Händchen bei ihren Besuchen im Iraq. Den letzten Staatsbesuch dieser Art führte Kouchners Amtsvorgänger am Hoftstaat François Mitterrands (wo Kouchner selbst zu jener Zeit als Staatssekretär, und später als „Minister für Gesundheit und humanitäre Angelegenheiten“ amtierte), Roland Dumas, im Dezember 1988 durch. Wenige Monate zuvor hatte der Giftgasangriff durch die Armee Saddam Husseins auf die kurdische Kleinstadt Halabja stattgefunden, am 16. März 1988, der das iraqische Regime damals international berüchtigt machte. Biologische und chemische Kampfstoffe erhielt der Iraq in jener Periode zwar überwiegend aus Westdeutschland und aus den USA – die ‚New York Times’ berichtete am 20. August 2002 über die Lieferung von 60 Bakterienkulturen für die Herstellung von Biowaffen um diese Zeit. Aber auch Frankreich war ansonsten ein sehr wichtiger Rüstungslieferant des seinerzeitigen Regimes, vor allem im konventionellen Bereich. So wurden die Angriffe auf kurdische Dörfer mit Mirage-Kampfflugzeugen geflogen, die Frankreich zur Verfügung gestellt hatte: Frankreich verkaufte Kampfjets an den Irak, aber als sich 1983 vorübergehend eine Niederlage des Iraq in seinem Krieg mit dem Iran (den das iraqische Regime selbst vom Zaun gebrochen hatte) abzuzeichnen begann, lieh Präsident François Mitterrand dem Iraq sogar Mirage aus den Beständen der französischen Armee aus. Roland Dumas kam, zu Recht, in die Kritik.  

Heute kommt sein Amtsnachfolger wiederum in einem heiklen politischen Kontext an: Am 1. August ist die Regierungskoalition in Baghdad durch den Auszug der Minister der wichtigsten sunnistischen Partei, der Front für die nationale Eintracht, zerfallen bzw. nicht länger für alle wichtigen Bevölkerungsgruppen repräsentativ. Zudem traf Kouchner wenige Tage nach dem bislang schwersten und grausamsten Attentat auf Zivilisten im besetzten Iraq, dem am 14. August mutmablich rund 500 Angehörige der Yezidi-Minderheit zum Opfer fielen, in dem mittelöstlichen Krisenstaat ein. Inzwischen haben sich die politische Verhältnisse dort gegenüber denen von 1988 grundlegend geändert, aber ein positiver Ausgang scheint nicht in Sicht. Das Erste, was den französischen Sonderberichterstattern auffällt: Baghdad wird allenthalben von hohen Betonmauern und –blöcken durchzogen, und viele Bevölkerungsgruppen leben längst in der sozialen Wirklichkeit vollkommen getrennt voneinander. Konfessionnelle und sektierische Gewalt hat enorme Ausmabe angenommen. Die militärische Intervention von 2003 hat zu einem blutigen Schlamassel geführt. Auch wenn ein Teil der Gewalt daneben auch auf Hinterlassenschaften des alten Regimes zurückgehen dürfte, das überkommene Stammesstrukturen zu Herrschaftszwecken instrumentalisierte, eine brutale „Arabisierungs-“ sowie Umsiedlungspolitik durchführen lieb und Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielte. In mancher Hinsicht hat die Invasion die Büchse der Pandora geöffnet, unter anderem indem sie der Selbstdarstellung der radikalen Islamisten, sie seien Verteidiger ihres Landes in einem „Glaubenskrieg“, in den Augen vieler Menschen Glaubwürdigkeit verlieh. In anderer Hinsicht wiederum hat sie nur dazu geführt, gewissermaben den Deckel vom Topf zu ziehen, unter dem es ohnehin kochte.  

Frankreich hat damals, Anfang 2003, gegen die von den USA angeführte Invasion Stellung genommen. Nicht unbedingt aus menschenfreundlichen Gründen, sondern eher, weil Paris eine Einflusszone schwinden sah: Zuvor hatten französische Interessen in Baghdad eine dominierende Position eingenommen. Und die Teilnahme am Krieg gegen den Iraq von 1991, für den Präsident Mitterrand 20.000 französische Soldaten entsandte, war nicht ausreichend honoriert worden: Die USA wollten die lukrativen Aufbauverträge im Golfstaat Kuwait für sich alleine einstreichen. Beim zweiten Mal wollte Chirac, der 1991 als Oppositionsführer ebenfalls die Kriegsteilnahme unterstützt hatte – und damals sogar den Einsatz französischer Atom- und Chemiewaffen nicht ausschlieben mochte -, nicht mehr mitmachen, um nochmals der Gefräbigkeit der US-Amerikaner nachzugeben. Doch nun ist seit kurzem in Paris eine Politikerriege ans Ruder gekommen, die die Position Chiracs von 2003 ablehnte. Nicolas Sarkozy und Bernard Kouchner zählten just zu jener Minderheit – in der französischen politischen Klasse wie in der Bevölkerung -, die den von Bush und Blair angeführten Überfall auf den Iraq, wenn auch nach auben hin meistens verdruckst, doch befürwortete. 

Kritik aus der falschen Ecke 

Kritik am Besuch Bernard Kouchners im (besetzten) Iraq übte in Frankreich bzw. dessen bürgerlichen Medien am lautstärksten der linksnationalistische frühere Bildungs-, Verteidigungs- und Innenminister Jean-Pierre Chevènement. Der „Europaskeptiker“, der zuletzt bis im Herbst 2000 einer Pariser Regierung angehörte, Chevènement wetterte gegen eine „Anpassung an die Linie der US-Politik“ bezüglich des Iraq. Allerdings ist Chevènement keineswegs nur ein hellsichtiger Kritiker einer (tatsächlich stattfindenden) Annäherung zwischen Paris und Washington in Sachen Iraqpolitik. Tatsächlich hat der damalige französische Verteidigungsminister Chevènement sich noch 1990 in solch lobenden Worten über den „laizistischen“ und „republikanischen“ iraqischen Präsidenten Saddam Hussein ausgelassen, dass er zum Iraq wohl am besten für den Rest seines Lebens die Klappe halten dürfte. Die Tatsache, dass er im Januar 1991 genau zwölf Tage nach Ausbruch des Angriffskriegs gegen den Iraq unter Führung von George Bush Vater (an dem damals auch Frankreich mit eigenen Truppen teilnahm) von seinem Amt als „Verteidigungs“miniser zurücktrat, macht dies keineswegs wieder wett. Vielmehr setzt er einer Variante übler imperialistischer Politik ene andere Variante übler imperialistischer Politiker gegenüber, die lediglich – im Unterschied zur US-Politik und zu jener François Mitterrand – den Empfänger eigener Rüstungslieferungen von gestern nicht im Stich lässt.   

Ökonomische Hintergründe: „Attraktiv für französische Interessen“ 

In der zweiten Augustwoche berichtete die auf Wirtschaftsthemen spezialisierte Agentur Dow Jones Newswire über die voraussichtliche Rückkehr des französischen Erdölkonzerns Total in den Iraq, an der Seite des US-Konzerns Chevron. Beide Gesellschaften schlossen zwar bereits zu Ende des Jahres 2006 ein Kooperationsabkommen, im Hinblick auf die Ausbeutung des Ölfelds Majnoon nahe der iranisch-irakischen Grenze ab 2009. Aber erst jetzt wurde diese Annäherung zwischen französischen und US-amerikanischen Branchenriesen, die im Hinblick auf das noch zu verabschiedende neue irakische Ölgesetz erfolgt, publik. Bevor Sarkozy bei den Bushs für gutes Wetter sorgte, hätte die Information möglicherweise in den USA Proteste hervorgerufen. Dort war ein Teil der öffentlichen Meinung zuvor gegen die „Verräternation“ fanatisiert worden, so war es zeitweise ein öffentlicher Sport gewesen, teuren französischen Wein vor laufenden Kameras in die Gosse zu schütten. 

Auch der iraqische Präsident, Jalal Talabani, appelliert in seinem Interview für die Donnerstagsausgabe von ‚Le Monde’ auf diesem Hintergrund explizit an französische Wirtschaftsinteressen in dem besetzten Land: „Der Iraq ist eine grobe Nation und ein reiches Land, das den gesamten Mittleren Osten beeinflussen kann. Frankreich müsste ein Interesse daran haben, (dort) die Demokratie zu fördern. (...) Wir besitzen auch viele Ölfelder, auf denen französische Investitionen willkommen sind.“  

Aussichten 

Sarkozy und Kouchner werden voraussichtlich nicht alles Aspekte der US- und britischen Politik aktiv mitragen, und wohl eher keine eigenen Truppen auf den Kriegsschauplatz Iraq schicken, abgesehen von einer bestimmten Anzahl französischer Ausbilder für iraqische Soldaten oder Offiziersanwärter. So wurde von offizieller Seite auch rasch dementiert, dass eine Absicht zur Entsendung französischer Soldaten bestehte. Auf diese Weise muss man ja nicht unbedingt die Suppe, die durch die Invasion, aber auch durch die Hinterlassenschaften des früheren Regimes eingebrockt worden ist, mit auslöffeln.  

Für einen Einsatz französischen Militärs im Iraq spricht sich bislang lautstark allein Jean-Marie Le Pen aus - allerdings mit der Besonderheit, dass ihm zufolge französische Truppen anstatt der US-amerikanischen und britischen Armee sowie nach dem Abzug der für ihn „gescheiterten“, jetzigen Besatzungsmächte in Baghdad eintreffen sollen. Dies verkündete der rechtsextreme Politiker anlässlich eines Aufmarschs seiner Anhänger am 1. Mai 2007 in Paris. Jean-Marie Le Pen hatte sowohl 1991 als auch 2003 die Angriffe der durch die USA geführten Koalition auf den Iraq abgelehnt. Im Gegensatz zu anderen Politikern, die gegen den Krieg auftraten, praktizierte er aber auch eine offene Freundschaft mit dem damaligen iraqischen Diktator Saddam Hussein, den er im November 1990 sowie im Frühsommer 1996 in Bagdad traf. 

Zum Abschluss seines Besuches in Bagdad kündigte Kouchner an, sich für ein verstärktes Engagement „Europas und der Vereinten Nationen“ dort einzusetzen.  

Aber viel Anderes dürften sich Washington und London auch gar nicht erhofft haben. Noch mehr zusätzliche Truppen zu schicken, und sei es unter einer anderen Fahne, bringt auch nichts: Die jüngst erfolgte Aufstockung der US-Truppen im Iraq von 130.000 auf 160.000 Mann, zu denen inzwischen schon 180.000 privat beschäftigte „Gorillas“ und Vertragskräfte privater oder parastaatlicher Sicherheitsfirmen hinzu kommen, hat auch keine Ergebnisse gebracht. Vielmehr dürfte es für die beiden führenden Besatzungsmächte vordringlich sein, die politische Verantwortung für das Desaster auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Um selbst aus dem Schussfeld internationaler Kritik zu geraten, und um die Ergebnisse der weiteren Entwicklung als unvermeidlich – da nicht von ihnen allein gewollt und unterstützt – erscheinen zu lassen.  

Mittelfristig dürften sie auf militärischer Ebene wohl eher nach einer Exit-Strategie suchen. Es sei denn, dass das nicht gänzlich unwahrscheinliche Szenario eintritt, dass sich irgendwann ein US-nahes oder zumindest durch Washington unterstütztes autoritäres Regime stabilisiert, weil die iraqische Gesellschaft resigniert und ein solches gegenüber dem wachsenden Terror gegen Zivilisten und dem Ausufern interreligiöser Gewalt als „kleineres Übel“ betrachtet. Ähnlich wie die Gewalttaten der Islamisten im algerischen Bürgerkrieg letztlich dazu beigetragen haben, dass sich das vorhandene Regime nach Jahren „auf der Kippe“ allmählich wieder konsolidieren konnte. (Konkret ab der Präsidentschaftswahl vom 16. November 1995, an der die Einwohner Algeriens ebenso massiv teilnahmen wie später die iraqische Bevölkerung an der „Wahl“ unter den Bedingungen von Besatzung und Chaos im Januar 2005 – jeweils den Todesdrohungen militanter Islamisten gegen alle Abstimmenden zum Trotz bzw. gerade UM diesen Drohungen die Stirn zu bieten.) Darauf könnten die Strategen der Besatzungsmächte durchaus setzen. Aber bis dahin benötigen sie ein Rezept für „politisches Überleben“, um nicht ihrerseits völlig das Gesicht zu verlieren - wie Teile der bewaffneten Opposition dies derzeit tun, so lange sie mit barbarischen Gewalttätern wie den Mördern an den Yezidi oder den Urhebern von Anschlägen mit Chlorgas-gefüllten LKWs auf Zivilisten in einen Topf geworfen werden können. Auch falls sie selbst aussschlieblich gegen Besatzungstruppen kämpfen sollten, wird doch ihr eigener Kampf durch die scheinbare Nähe zu Gruppierungen wie den iraqischen Al Qaida-Ablegern, die auch hemmungslose Gewalt gegen Zivilbevölkerungen ausüben, nachhaltig diskreditiert. 

„Hauptsache, man hat mal darüber gesprochen“ 

Ansonsten ist bei Kouchners Besuch nicht wirklich etwas herausgekommen. Zur Aufhellung der innenpolitischen Situation im Iraq konnte er jedenfalls nichts beitragen. „Ich habe gespürt, dass es einen Mangel an Vertrauen zwischen den verschiedenen Gruppen und Führungspersönlichkeiten gibt. Vielleicht ist das Vertrauen zwischen den Leuten stärker“, kommentierte er. An anderer Stelle wird er mit den Worten zitiert: „Unser Ziel war bescheiden, also wurde es erreicht. Der Beginn eines Dialogs ist von seinem Wesen her das Gegenteil des Krieges. Frankreich muss also zur Rückkehr der Hoffnung beitragen.“ 

Genau so gut hätte er auch nichts sagen können. Aber Kouchners verfährt wie so oft nach dem Motto: Hauptsache, wir haben einmal darüber gesprochen. Ähnlich lief seine Aubenpolitik bereits in jüngster Zeit gegenüber dem Libanon. Zwei mal, am 14. und 15. Juli in der Nähe von Paris und zwei Wochen später bei einem eigenen Aufenthalt in Beirut, hat er versucht, alle libanesischen politischen Kräften an einen Tisch zu setzen. Die setzten sich auch brav hin, um dann allerdings festzustellen, dass sie nicht einverstanden waren.  

Im Hintergrund steht dabei jedoch vor allem der Versuch, Akzeptanz dafür zu gewinnen, dass Frankreich wieder massive Präsenz auf der politischen Bühne des Libanon demonstriert. Frankreich hatte ehemals ein Mandat des Völkerbunds inne, um nach dem Ersten Weltkrieg den Libanon sowie Syrien zu verwalten. Noch immer ist der französische Einfluss stark. Aber auch wenn Paris sich heute an sämtliche Kräfte und Parteien im Lande wendet, so unterhält es doch eine eigene Klientel im Libanon. Traditionell handelt es sich dabei um die christliche Rechte, die die Oberklassen des Landes repräsentiert und deren wesentliche Fraktion – in Gestalt des Gemayel-Clans und der ‚Falange’-Partei (Link: http://www.lebanese-kataeb.com/) – ursprünglich sehr starke historische Bezüge zum europäischen Faschismus aufwies. Diese Kampfpartei, daher der Name „Phalanx“, kämpfte zwar ursprünglich auf nationalistischer Basis gegen die französische Vorherrschaft, näherte sich aber zu einem späteren Zeitpunkt und im Kontext der Konfessionalisierung der libanesischen Politik an diese „Schutzmacht der Christen in der Levante“ an. Hinzu kommt in jüngerer Zeit noch die sunnitische Bourgeoisie, deren 2005 bei einem Attentat getöteter Repräsentant Rafiq Hariri ein persönlicher Freund Jacques Chiracs war und einen wichtigen Teil von dessen „schwarzen Kassen“ kontrollierte. Der Altpräsident und politische Pensionär Chirac lebt übrigens heute in einem Luxusappartement, das ihm die Familie Hariri zur Verfügung stellt. 

Libanon: Annäherung zwischen Paris und Washington schon seit 2004 

Im Hinblick auf den Libanon überwiegt die Kontinuität zwischen der Ära Chirac und Sarkozy. Anlässlich der gemeinsamen Ausarbeitung einer Resolution, die am 5. September 2004 vom UN-Sicherheitsrat angenommen wurde, näherten sich die Positionen der US-Amerikaner und der Franzosen zum Libanon bereits sehr stark an. Beide einigten sich auf eine gemeinsame Frontstellung gegen Syrien und die schiitische Hizbollah, und eine Unterstützung für die christliche und sunnitische Bourgeoisie. Daran wird sich auch in absehbarer Zeit wohl nichts ändern. Kontinuitäten und Brüche ergänzen sich so in der in Pariser Aubenpolitik.           

An einem Wochenende im Juli trafen sich also rund dreibig Delegierte, die insgesamt 14 politische Kräfte der Zedernrepublik – mit je zwei Repräsentanten pro politischer Formation – sowie „die Zivilgesellschaft“ vertraten, auf dem Schloss von La-Celle-Saint-Cloud westlich von Paris. Auf diesem ehemaligen Besitztum der Madame de Pompadour, der einstigen Hauptgeliebten Ludwig XV., blieben die Unterhändler zwei Tage lang quasi von der Aubenwelt abgeschnitten. Die Benutzung von Mobiltelefonen und Kontakte nach drauben waren ihnen untersagt. Auf manifeste Weise sollte dies dazu dienen, dass eine Debatte über die Zukunft des Libanon einmal „ohne Einmischung äuberer Mächte“ stattfinden könne.  

Auswärtige Mächte, das sind in diesem Verständnis aber einmal mehr nur die beiden Regionalmächte Syrien und Iran, die tatsächlich politische Eigeninteressen im Libanon verfolgen. Den Hauptkräften der derzeitigen libanesischen Opposition wird eine Nähe zu den beiden Regionalmächten nachgesagt. Nicht völlig zu Unrecht. Dagegen nicht als auswärtige Einmischung aufgefasst wird in dieser Lesart aber die Rolle Frankreichs und der USA, die sich seit der unter Federführung dieser beiden Mächte betriebenen Annahme der UN-Resolution 1559 vom September 2004 sehr offensiv in die libanesische Politik eingemischt haben. Die Resolution forderte den Abzug der damals noch im Libanon stationierten syrischen Truppen, die Entwaffnung der Hizbollah, aber auch die Nicht-Verlängerung des Mandats des libanesischen Präsidenten Emile Lahoud, der einer „pro-syrischen“ Rolle verdächtigt wurde. Letzteres wurde freilich durch die libanesischen Parlamentarier in der Folgezeit verlängert, mit breiterer Mehrheit als erwartet. Die Ausarbeitung dieser Resolution markierte zugleich eine offene Annäherung zwischen Paris und Washington in der Region, nachdem die beiden im Vorfeld des Iraqkriegs von 2003 zunächst auseinanderstrebene Interessen zu verfolgen schienen. 

In Wirklichkeit ist der Libanon, der selbst ein Mosaik aus Bevölkerungs- und Konfessionsgruppen bildet – wobei bisher keine Überwindung des seit 1943 bestehenden konfessionellen Repräsentationssystems stattfand -, für all diese Mächte oft nur ein Schachbrett ihrer Interessen in der Region. Quer durch das multikonfessionelle Land verläuft die Frontlinie zwischen den Einflusssphären weltweit tätiger, aber auch regionaler Mächte.  

Die christliche Rechte, welche vor allem die Oberschichten des Landes – das eine Rolle als eine Art Schweiz des Nahen Ostens, Bankenstandort und Geldwäscheanlage in einem, anstrebt – vertritt und einen ungeschminkten Rassismus gegenüber den moslemischen Bevölkerungen rundherum alias den „Unzivilisierten“ an den Tag legt, hat im Prinzip Paris und Washington im Rücken. Der bewaffnete Flügel der christlichen Rechten hat unter anderem die Mörder, die die  Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Chatila vom September 1982 (unter Aufsicht der mit ihnen verbündeten israelischen Armee) verübten, in ihren Reihen. Dieses Lager hat seine Waffen nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs (1990) überwiegend abgegeben; es findet sich heute im politischen Mehrheitsblock wieder. Der ehemalige Chef christlischer Milizionäre, Samir Geagea, blieb bis 2005 aufgrund von Kriegsverbrechen inhaftiert, aber der politische Umschwung ab März 2005 durch die „anti-syrische“ Koalition öffnete ihm kurz darauf die Tore zur Freiheit. In den Reihen seiner ‚Forces libanaises’ kämpften in den 1980er auch französische Rechtsextremisten aktiv als Söldner, unter ihnen in den Jahre 1982 bis 84 Thibault de la Tocnaye, Kommunalparlamentarier des rechtsextremen Front National in Avignon. Thibault de la Tocnaye hatte im Präsidentschaftswahlkampf 2006/07 eine leitende Funktion im Team für die Wahlkampagne Jean-Marie Le Pens inne. (Vgl. auch sein Interview unter dem Titel „Rückkehr aus dem Libanon“, wohin er 2006 erneut reiste, vom Dezember desselben Jahres hier:  http://www.frontnational.com/multimedia_conf_detail.php?id=7  )  

Teile der Opposition libanesischen Opposition können ihrerseits auf politische Unterstützung aus dem Iran (wie die Hizbollah, die dem Regime in Teheran nahe steht, doch entgegen stark vereinfachender Darstellungen im westlichen Ausland nicht lediglich eine pure Marionette Teherans darstellt) und/oder aus Syrien bauen.  

Erstere christliche Rechte bildet neben der sunnitischen, Saudi-Arabien nahe stehenden Bourgeoisie die Hauptkraft des regierenden „Bündnis des 14. März“, während die letztgenannte Opposition u.a. die schiitische Hizbollah und die Anhänger des christlichen Ex-Generals Michel Aoun –- derzeit ihre Bündnispartner, weil Aoun sich am Ausgang des Bürgerkriegs 1990 für einen starken libanesischen Zentralstaat einsetzte und die Entwaffnung der konfessionellen Milizen forderte, weshalb er damals mit den christlichen Milizionären in Konflikt geriet –- umfasst. Zwischen beiden steht, als relativ schwache Mittelkraft und zugleich bedeutendste „überkonfessionelle“ Partei, die Libanesische Kommunistische Partei, die zu Beginn der scharfen Polarisierung von 2004/05 eine Position zwischen beiden Blöcken oder jenseits von ihnen einzunehmen versuchte. Zwischen den gigantischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen des pro-westlichen Lagers einerseits, der „pro-syrischen Opposition“ andererseits initiierte sie damals eigenständige Manifestationen. Im Kampf gegen die israelische Aggression vom Juli und August 2006 arbeitete die libanesische KP, die dabei zwölf Mitglieder und Sympathisanten verlor, hingegen auch in einem Zweckbündnis mit der schittischen Hizbollah zusammen. Die KP zählt zu den wenigen politischen Kräften im Libanon, die überkonfessionnell strukturiert sind. 

Eine reale Annäherung zwischen diesen Kräften konnte in La Celle-Saint-Cloud bei den wesentlichen Streitfragen nicht erzielt werden. Die wichtigsten Sach- bzw. Machtfragen bleiben offen: am 23. November dieses Jahres läuft das Mandat von Präsident Emile Lahoud aus, und normalerweise muss in den zwei vorausgehenden Monaten eine Präsidentschaftswahl organisiert werden. In dieser Fragen knallen die Fronten jedoch hart aufeinander. Während auf vielen Seiten von einer „nationalen Einheitsregierung“ – ähnlich dem früher vorherrschenden, nach Konfessionen sortierten Proporzsystem – die Rede ist, fordert die Opposition, darin mindestens ein Drittel der Schlüsselposten zu besetzen. Dadurch möchte sie eine „Sperrminorität“ bilden können, und falls der Verlauf der Präsidentschaftswahl zu sehr zu ihren Ungunsten verläuft, könnte sie in diesem Falle durch einen kollektiven Rücktritt die Regierungsgeschäfte blockieren. Eine ähnliche Situation, verursacht durch den Boykott der politischen Institutionen durch die „pro-syrische“ Opposition, besteht bereits heute, ohne dass es die Staatsmacht ernsthaft lahmlegen könnte.  

In La Celle-Saint-Cloud wurden keine Namen für die Präsidentschaftskandidatur in Erwägung gezogen oder in Umlauf gebracht. Eine Klärung der Fronten im Hinblick auf diesen entscheidenden Termin, der wahrscheinlich Ende September 2007 anstehen wird, steht noch immer aus. (Die Wahl dürfte zwischen dem Sunniten und derzeitigen Premierminister Fouad Siniora als Repräsentant des Regierungslagers und dem christlichen Ex-General Michel Aoun als derzeitigem Politiker der „pro-syrischen“ Opposition, der aber noch die Fronten wechseln könnte, fallen. Angeblich hat Frankreich dabei seine Wahl zwischen den beiden politischen Figuren noch nicht definitiv getroffen. Zwar unterstützt Paris das derzeitige Regierungslager, das Fouad Siniora vertritt. Allerdings dürften auch Kontakte zum Lager rund um Michel Aoun bestehen, der im französischen Exil lebte, nachdem er 1990 –- damals unter syrischem militärischem Druck, da er zu jener Zeit gegen die Interessen des Regime in Damaskus handelte  -- hatte den Libanon verlassen müssen.) Ebenso wenig konnte in der Nähe von Paris eine Einigung zur Frage der „nationalen Einheitsregierung“, also der Einräumung einer Sperrminorität für die Oppositionskräfte, erzielt werden. Einigkeit wurde lediglich darüber hergestellt, dass künftig „ein zivilisierterer Tonfall“ in die Auseinandersetzungen einziehen solle und die unterschiedlichen Medien nicht gar zu stark zu Hasskampagnen zwischen politischen Lagern instrumentalisiert werden sollten. 

Der neue französische Aubenminister Bernard Kouchner wertete dies jedoch nicht als Misserfolg des „informellen Treffens“, da diesem von vornherein nur bescheidende Ziele gesteckt worden seien: Es sollte lediglich darum gehen, den Dialog an und für sich zu ermöglichen. Und so wird es vemutlich noch eine Weile weitergehen können. 

Der Präsident des besetzten Iraq, Jalal Talabani, hingegen hält eine solche Konferenz in seinem Lande gar nicht für vonnöten, wie er in ‚Le Monde’ erklärt, freilich mit einer bemerkenswerten Begründung: „Im Libanon sind die unterschiedlichen Parteien nicht fähig, miteinander zu reden oder sich an denselben Tisch zu setzen. Im Iraq reden wir miteinander und treffen uns jeden Tag. Jede Gemeinschaft nimmt an diesem Dialog teil. Wir werden es auch ohne Konferenz schaffen.“ Nun, wenn das mal nicht ein bisschen zu optimistisch dargestellt war... 

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FUSSNOTE 1:
Es kann nebenbei festgestellt werden, dass diese Politik ziemlich genau dem Profil des vormaligen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy entspricht. Wie in anderen Bereichen auch macht der rabiate Konservative nur wahr, was er zuvor angekündigt hatte. Tatsächlich hatte Sarkozys Wahlprogramm in Aussicht gestellt, sowohl „Schwellenländern“ den Zugriff auf die A-Bombe zu verweigern, als auch parallel dazu eine Zusammenarbeit mit ihnen „zum Zwecke der zivilen Nutzung der Atomenergie“ zu entwickeln. In seinen seit Februar 2007 ausgebreiteten Plänen zur Bildung einer ‚Union méditerranée’ rund um das Mittelmeer, als einer Art Vorhofstruktur der EU, spricht Sarkozy ebenfalls von einer Beihilfe beim Aufbau eines „zivilen“ Atomprogramms. Hingegen hatte seine aussichtsreichste Gegenkandidatin, die Rechtssozialdemokratin Ségolène Royal, davon gesprechen, dem Iran sowohl den Zugang zu Atomwaffen als auch zur „zivilen“ Nuklearindustrie zu versperren. (Was freilich mit dem internationalen Recht, das auf der Fiktion einer klaren Trennbarkeit zwischen „ziviler“ und „militärischer Nutzung“ der Atomkraft aufbaut, kaum zu vereinbaren wäre. Und ferner hätte ein Land, das selbst 80 Prozent seiner Stromerzeugung auf Atomanlagen basieren lässt UND die A-Bombe besitzt, nicht wirklich die Legitimität, dies auf internationaler Ebene zu fordern...)

Inzwischen hat Nicolas Sarkozy Anfang August, nachdem Kritik an seinem Atomdeal mit Libyens Oberst Qadhafi laut geworden war, in Frankreich behauptet, „im Notfall gäbe es eine Vorrichtung, mit der sich ein Atomkraftwerk auch von auben abschalten lässt“. Das bedeutet so viel wie, dass man ein AKW zuerst an ein Land wie Libyen – das man irgendwie doch verdächtigt, ein „Schurkenstaat“ zu sein – verkauft, dann aber hinterher, falls es nötig sein sollte, doch noch vom Westen her auf den Ausschaltknopf drücken könnte. Eine pure Fiktion, da das Interessante am Atomkraftwerk aus Sicht von Militärs und Diktatoren sich innen drin bildet: das Plutonium-239, das durch fortlaufenden Neutronenbeschuss von Uran-238-Atomen während des Kernspaltungsprozess im Inneren der Brennstäbe entsteht. Ob man die Anlage später abschaltet, ist insofern uninteressant, als der Stoff, aus dem A-Bomben und so manche Politikerträume gemacht sind, zu dem Zeitpunkt bereits anfällt. Allerdings muss das Plutonium danach noch durch einen schwierigen chemischen Prozess, den man im Deutschen als „Wiederaufbereitung“ bezeichnet, aus der radioaktiven Masse des Gesamts-Atommülls, der innerhalb der abgebrannten Brennstäbe steckt, herausgelöst und abgetrennt werden. Dieses Verfahren hat, heute und auch in näherer Zukunft, weder Libyen noch der Iran (der deshalb auf das technisch einfacherere Verfahren der Uran-Anreicherung zu setzen schien) noch ein anderer vergleichbarer Staat auch nur annähernd im Griff. Generell geht es auch bei diesen Regimen weniger um den Erwerb oder gar tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen, der (angesichts der Präsenz US-amerikanischer und israelischer Atomwaffen in ihrer geographischen Umgebung) für sie erkennbar Selbstmord wäre. Sondern vielmehr geht es ihnen um den Zuwachs an Macht und „nationalem Prestige“, den sie sich von der Demonstration ihrer „technischen Fähigkeit, zum Bau von Atomwaffen prinzipiell in der Lage zu sein“  auf internationaler Bühne erhoffen. Haben doch die derzeitigen ständigen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrats, alle fünf, ihre dortige Position unzweideutig ihrer Verfügung über die A-Bombe (zu einem historisch frühen Zeitpunkt) zu verdanken. Dieses Monopol würde so mancher „aufstrebende“ Staat bzw. Möchtergern, zwecks Aufwertung der eigenen machtpolitischen Position, am liebsten angeknackst sehen.

FUSSNOTE 2:
Ähnliches kennt man auch aus Berberprovinzen in Nordafrika, wo etwa in Teilen der berbersprachigen Bevölkerung Algeriens (und sei es zu puren Provokationszwecken, und in Reaktion auf eine zu früheren Zeiten bestehende staatliche Benachteiligung der Berberkultur) einem anti-arabischen Chauvinismus gehuldigt wird. So kann man in der Bezirkshauptstadt Tizi-Ouzou, nordöstlich von Algier, neben Sprüchen wie „Die Berberjugend zieht in den Krieg“ mitunter auch Sprïche wie „Nieder mit den Arabern“ und „Viva Sharon“ an den Wänden lesen. (Einige Aufnahmen davon befinden sich im Privatarchiv des Autors.) Dahinter steckt - im letztgenannten Falle -- keinerlei politische Überzeugung im Hinblick auf die Hintergründe des Nahostkonflikts, vielmehr erklären sich solche Schmierereien aus der Lust, damit zu reizen, dass man sich auf „einen, der viele Araber tötet“ positiv bezieht. Solcherlei Chauvinismus bleibt allerdings im Falle der nordafrikanischen Berber auf der Ebene der verbalen Provokation, und findet keinerlei strukturierten politischen Ausdruck. Jedenfalls nicht in Algerien, während im französischen Exil (etwa rund um das Institut Culturel Berbère) durchaus in bestimmten Kreisen ein handfester anti-arabischer und pro-berberischer Rassismus organisiert auftritt. 

Ähnliche Qualität haben einige Äuberungen aus iraqisch-kurdischen Milieus, die etwa die Politik des israelischen Staates bejubeln oder sich kritiklos positiv darauf beziehen. So etwas freut dann den neokonservativen Ideologen, wenn etwa unser Karl May des 21. Jahrhunderts - Thomas von der Osten-Sacken – hocherfreut berichten darf, dass Kurden im Nordiraq ihm gegenüber die Wiederwahl von US-Präsident Bush im November 2004 „mit Freude und Erleichterung begrüßt“, und dem Teufel Yassir Arafat „keine Träne nach(geweint)“ hätten. (Vgl. http://www.jungle-world.com/seiten/2004/52/4595.php) Solche Sprüche freuen zwar unsere Abendlandsverteidiger, die in ihrem Übereifer doch wieder recht witzig sein können. Hinter dieser Rhetorik steht allerdings wohl eher der Drang, irgendwelche Araber zu ärgern, als eine politische Analyse der Vorgänge in den USA oder anderswo.

 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 26.08.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid ist  bei Pahl-Rugenstein als Taschenbuch erschienen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.

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