Das Philosophische Wörterbuch  BAND 1

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

7/8-08

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Empirismus [griech] - Name für eine Klasse von erkenntnistheoretischen Lehren, die die methodisch allein in Beobachtung, Messung und Experiment gegründete Erfahrung mit Erkenntnis überhaupt gleichsetzen
Wird unter Erfahrung die sinnliche Erfahrung in Form der Empfindung verstanden, so wird der Empirismus auch als Sensualismus bezeichnet.

Der Name «Empirismus» ist, wie die Namen «Sensualismus» und «Rationalismus» (Ggs), keine Bezeichnung für eine philosophische Grundrichtung, sondern charakterisiert nur die Stellungnahme einer Erkenntnistheorie zum Problem des Ursprungs der Erkenntnis. Er sagt nichts darüber aus, ob diese oder jene Erkenntnistheorie die Grundfrage der Philosophie materialistisch oder idealistisch beantwortet.

Der Name «Empirismus» ist deshalb zur eindeutigen Qualifizierung des weltanschaulichen Gehalts einer Erkenntnistheorie unzureichend. Weitergehend ist zwischen materialistischem und idealistischem Empirismus zu unterscheiden. Wird davon ausgegangen, daß die Erfahrung objektive Erkenntnisse, Abbilder der objektiven Realität vermittelt, handelt es sich um materialistischen Empirismus. Wird dagegen behauptet, die Erfahrung vermittele keine objektiven Erkenntnisse, sondern sei in dieser oder jener Form nur etwas Subjektives, weil die objektive Realität nur aus Komplexen von Empfindungen und dergleichen bestehe, so haben wir es mit idealistischem Empirismus zu tun (LENIN 14, 120).

Vorformen eines materialistischen Empirismus sind die Erkenntnislehren des Epikureismus, der Stoa, des Nominalismus. Die erste ausgeprägte materialistisch-empiristische Erkenntnistheorie entwickelten BACON, vor allem LOCKE, dessen Lehre im französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts eine konsequent materialistische Ausgestaltung und Weiterbildung erfährt. Andererseits entwickeln BERKELEY und HUME im Anschluß an LOCKE im Rahmen ihrer subjektiv-idealistischen Philosophien eine idealistisch-empiristische Erkenntnistheorie, die zum Vorbild der Erkenntnistheorien des Empiriokritizismus, des Positivismus überhaupt wird. Die Entwicklung des Empirismus von BACON zu LOCKE und innerhalb des französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts war eine historisch progressive Erscheinung des Kampfes der Ideologen der aufstrebenden Bourgeoisie gegen das feudal-klerikale Weltbild, insbesondere gegen die spekulative Methode und Naturauffassung der mittelalterlichen Scholastik. Insofern die philosophische Entwicklung von BACON zu LOCKE und über LOCKE hinaus zu HUME vorwiegend erkenntnistheoretisch-empiristisch orientiert war, wird der Name «Empirismus» in einem weiteren Sinne oft auch zur Bezeichnung dieser philosophischen Entwicklung in Anspruch genommen; man spricht dann meist - nicht ganz exakt - von englischem Empirismus. Allgemein ist der Empirismus eine einseitige, inkonsequente und unzureichende erkenntnistheoretische Richtung. Er betont zwar richtig, daß die Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, daß «die Empfindungen die einzige Quelle unserer Kenntnisse» sind (lenin). Indem er jedoch einseitig die sinnliche Stufe der Erkenntnis mit Erkenntnis überhaupt gleichsetzt, vernachlässigt

er deren rationale Stufe, ohne die Erkenntnis unmöglich ist. Indern der Empirismus in der Regel weiter nicht eindeutig zu erkennen gibt, ob die von ihm gemeinte Erfahrung objektive Inhalte als Erkenntnis vermittelt, begeht er eine Inkonsequenz, die es ermöglicht, sowohl materialistische als auch subjektiv-idealistische Schlußfolgerungen aus seinem Standpunkt herzuleiten. Indem der Empirismus schließlich völlig unzureichend die Erfahrung als das bloße Resultat der Einwirkungen der Außenwelt auf unsere Sinne (materialistischer Empirismus) oder in dieser oder jener Form als bloße Empfindungskomplexe, als bloße Verbindungen von Empfindungen (idealistischer Empirismus) betrachtet, verleiht er der Erkenntnis einen ausgesprochen kontemplativen, passiven und undialektischen Charakter. Der dialektische Materialismus anerkennt zwar den richtigen erkenntnistheoretischen Ansatz des Empirismus, vor allem des materialistischen Empirismus, daß die Erfahrung die Grundlage und die Empfindung die Quelle der Erkenntnis ist, identifiziert diese jedoch nicht mit Erkenntnis überhaupt. Zur Erfahrung und Empfindung muß das theoretische Denken (Abstraktion, Verallgemeinerung, Theorienbildung, logische Analyse usw.) hinzutreten, damit Erkenntnis zustande kommt. Und die Erkenntnis findet ihr Kriterium nicht, wie der Empirismus will, wieder an der Erfahrung, sondern in der Praxis und durch sie. «Um zu begreifen, muß man ... von der Empirie zum Allgemeinen aufsteigen» (LENIN 38, 196). Konsequent vertretener Empirismus führt letzten Endes nicht zur Wissenschaft, sondern von ihr weg. «Man mag noch so viel Geringschätzung hegen für alles theoretische Denken, so kann man doch nicht zwei Naturtatsachen in Zusammenhang bringen oder ihren bestehenden Zusammenhang einsehen ohne theoretisches Denken.» Die «alle Theorie verachtende, gegen alles Denken mißtrauische Empirie» ist «der sichere Weg», der «in den ödesten aller Aberglauben» führt (marx/engels 20, 346, 345).

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 1, Berlin 1970, S.278

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