Nationalismus zur EM

Von Marcel Kunzmann

7/8-08

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Es ist also wieder soweit, 2 Jahre nach der WM, nach dem „Sommermärchen“ in Deutschland hängen zur Fußball-Europameisterschaft 2008 wieder die Schwarz-Rot-Goldnen Flaggen aus den Balkonen, an den Autos, gänzlich überall.  Nun, erst einmal sei die Frage erlaubt: Ist es nicht paradox auf eine Nation stolz zu sein, in welche man nur aufgrund eines Zufalls, nicht aber aufgrund einer bewussten Entscheidung hineingeboren wurde?  Allein deshalb die Fahne zu heben scheint absolut lächerlich – zumal wir anscheinend nur zum Fußball „stolze Deutsche“ sind, bei Erweiterung der Sozialleistungen oder wissenschaftlichen Durchbrüchen hebt in unserem Land niemand die Flagge. Doch das ganze ist weitaus komplexer und gefährlicher:

Besucht man beispielsweise eine sog. „Public Viewing”-Veranstaltung, muss mit entsetzen festgestellt werden: Eine gefährliche Gruppendynamik, eine agressive und euphorische Stimmung macht sich breit unter den jubelnden Massen. Da wird oftmals mit Parolen wie „Sieg! Sieg! Sieg!“ zum scheinbaren „Angriff“ auf die Gegenmannschaft gerufen, manch einer mag noch ein „Heil“ hinten dranhängen. Der Fremdenhass und die Gewalt steigern sich zu solchen Veranstaltungen fast ins unermessliche, oft folgen anschließende Schlägereien wie der Südkurier über das Spiel „Deutschland – Kroatien“ berichtete. Im Chor werden lauthals Parolen gebrüllt, fanatisch, ja gerade zu faschistoid wirken diese Veranstaltungen auf den aufgeklärten Beobachter.

Wie in Orwell's „2-Minuten Hass-Sendung“ aus „1984“ wird gebrüllt und gebuht was das Zeug hält, sobald die „gegnerische“ Nationalhymne gespielt wird. Die Parallelen sind genauso realistisch, erschreckend wie traurig, sollte dieses Beispiel doch die Leute abschrecken. Es ist fatal wie hier die Euphorie der Volksmassen zugunsten der Nation zielgerichtet entladen wird - zur Sicherung der herrschenden Ordnung.

Der Fußball wird zum Objekt des Nationalstolzes aufgeblasen und dient als kollektiver Druckabbau der Volksmassen. Es dient als Ventil für das nationalistische Potenzial, was in den Deutschen lange steckte, und seit der WM 2006 in diesem gefährlichen Ausmaße wiederendeckt und vor allem wieder erlernt wurde. Die Menschen wissen nun, dass ihnen der Patriotismus gefällt. Der Patriotismus wird sich nach einigen weiteren Turnieren mit „Public Viewing“ Veranstaltungen und der ähnlichen in Deutschland völlig etabliert haben und damit dem politischen Nationalismus Tür und Tor öffnen. Wenn der Fußball nicht mehr als Ventil dienen kann, zum Beispiel weil die Mannschaft schlecht spielt, wird ein anderes Ventil benötigt, da sich das nun entfaltete Potenzial nicht mehr unterdrücken lässt. So ist die Gefahr, dass eine politische Kraft zum nationalistischen Ventil der Massen wird immens. Das „wiedererlernen“ dieser gesellschaftlichen Unart ist somit gefährlich genug.
Schwarz-Rot-Gold steht für die Deutsche Nation, ist die Flagge des Deutschen Staates und nicht die der Nationalmannschaft auf welche die Nationalflagge somit reduziert werden soll.

Ungeachtet dessen frönt man dem Jubel weiter indem man seinen Nationalismus durch das Zeigen dieser Flagge überall zur Schau trägt. Welchen Grund haben wir überhaupt auf unser Land stolz zu sein? Den größten Völkermord in der Geschichte unseres Planeten, Zwei Weltkriege, all das verdanken wir Flaggenschwenkenden Irren. Doch auch andere Nationen sind Patriotisch in den Krieg, ins Verberben gerannt.

Denn wer eine Flagge hisst, signalisiert damit die Verbundenheit zur Nation, handelt somit nationalistisch indem er seine Solidarität und Identifikation mit eben dieser Nation offen zur Schau trägt und damit andere abstuft.

Die Fahne eines ganzen Landes auf eine kleine Nationalmannschaft zu reduzieren zu wollen ist wohl mehr als lächerlich und keine legitime Erklärung. Wer seine Solidarität mit der Nationalmannschaft bekunden will und sich mit ihr identifizieren möchte, kann dies auch mit einem Portrait derjenigen tun. Wer jedoch die Deutschlandflagge hochhält, steht voll und ganz im Zeichen der Deutschen Nation mit all ihren Verbrechen und Dummseligkeiten. Er offenbart sich als "Hurra-Nationalist" der unreflektiert das Zeichen einer Nation hochhält und dem Internationalismus, der Völkerfreundschaft, dem Frieden, somit ein Totengrab aushebt.

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 27.6. 2008 bei Indymedia und wurde von dort gespiegelt.
Der Autor besitzt einen eigenen BLOG - please visit:
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