Eine linke urban legend
Rudi und Ulrike - Geschichte einer Freundschaft

von Jutta Ditfurth

7/8-08

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Mitte April 2008 erschien bei Droemer in der Rubrik  "Biographien & Memoirs" ein Sachbuch von Jutta Ditfurth mit dem Titel "Rudi und Ulrike - Geschichte einer Freundschaft". Die "Premiere" von "Rudi & Ulrike" fand anläßlich des 40. Jahrestags des Attentats auf Rudi Dutschke am 11.4.08  im Berliner Ensemble zusammen mit Claus Peymann statt. Dann folgten bis heute bundesweit rund 30 Veranstaltungen, in denen die Autorin  ihr Buch vorstellen konnte.

Wenn daher die Resonanz in Presse, Funk und Fernsehen auf Jutta Ditfurths "Rudi & Ulrike"-Buch entsprechend stark war, so überwog doch überwiegend der Verriss, ganz gleich ob die Kritik aus dem rechten wie aus dem linken Spektrum kam. Prädikate wie: "dürftiges Quellenmaterial" und "gewagte Schlussfolgerungen" (Rheinischer Merkur) "leichtfertige, bösartige Geschichtsklitterung" (Deutschlandradio), "stellenweise wie Realsatire" (dradio.de) wurden durchgängig vergeben. Ja sogar der langjährige Kampfgefährte aus ökolinx-Zeiten, Peter Bierl, resümierte enttäuscht in der Jungle World: "Mit 'Rudi und Ulrike' hat Ditfurth sich als ernstzunehmende Autorin jedenfalls erst einmal abgemeldet."

In weiser Voraussicht hatte der Droemer-Verlag in seiner Werbung das Ditfurthsche Buch gleich im ersten Satz als die "Geschichte der Wege von Ulrike Meinhof und Rudi Dutschke, die 1967 bis 1969 parallel verliefen" charakterisiert.  Eben! Wie der parallele Weg zweier Geraden, die sich wie in der Geometrie erst in der Unendlichkeit schneiden. Kurzum: Die Geschichte der Freundschaft von Rudi & Ulrike ist ein reines Kopfprodukt der Jutta Ditfurth und ihr  politischer  Wunsch ist die mutmaßlich Mutter jener Geschichte. Diese Freundschaft hat es nie gegeben.

Und genau hier setzen die rechten und die linken KritikerInnen an. Sie wollen einfach nicht zulassen, dass sich  Linke ihre eigenen positiven Mythen für ihre aktuelle und ihre zukünftige politische Praxis patchen. Wenn dagegen konvertierte BRD-Staatsbürgerkundler wie Aly oder  Kraushaar durch Zahlen, Daten und Fakten der Geschichte surfen, um eine staatstragende urban legend zu konstruieren, ist die Sache in Ordnung.

Natürlich ist "Rudi & Ulrike" keine politische Kampfschrift für die Agitprop-Arbeit einer K-Gruppe, gestützt auf wissenschaftliche Analysen. Eine entsprechende Kritik wäre völlig fehl am Platze. Jutta Ditfurth erzählt - nicht mehr und nicht weniger - kurzweilig wie eine Doku-Soap und dabei offen parteilich ein modernes Märchen.

Indem sie für uns eine linke urban legend fabuliert, legitimiert sie rein literarisch - und das ist ihre spezifische Leistung  - das strategische politische Ziel der 68er: Die freie Gesellschaft der freien ProduzentInnen. Dies erreicht sie ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Holzhammerargumente, ganz einfach dadurch, dass sie die Hauptfiguren in einer Weise inszeniert, dass sie bei den LeserInnen als zentrale ProtagonistInnen eines Kampfes für die soziale Emanzipation wahrgenommen werden müssen.

Ditfurths Buch würde ich in erster Linie jungen Leuten zum Lesen geben, um sie so aufzuschließen, Fragen nach den tatsächlichen historischen Bedingungen zu stellen , aus denen die 68er Bewegung erwuchs, um sie so mit den noch heute aktuellen politischen Zielen dieser Bewegung vertraut machen zu können

"Rudi & Ulrike" als Pflichtlektüre in der Sekundarstufe, zur Konfirmation oder Jugendweihe, das wäre okay.

Karl-Heinz Schubert

Jutta Ditfurth
Rudi und Ulrike.
Geschichte einer Freundschaft

Droemer/Knaur, 2008
ISBN: 3-426-27456-6
16,95 €