Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Es brennt im Abschiebeknast (AUSFÜHRLICHE FASSUNG)
MEUTEREI DERER, DIE NICHTS ZU VERLIEREN HABEN

7/8-08

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Infolge einer Revolte der dort gefangenen „unerwünschten Einwander“ brannte eine Abschiebehaftanstalt in Vincennes, vor den Toren von Paris bis auf die Grundmauern nieder. Dieses Ereignis vom vergangenen Sonntag gibt seit Tagen Anlass zu einer heftigen innenpolitischen Polemik in Frankreich. Eine in der vergangenen Woche verabschiedete Richtlinie der Europäischen Union sieht unterdessen eine unionsweite Tendenz zur Vereinheitlichung der Abschiebepraktiken vor. Könnte es morgen in der ganzen EU zu Aufständen von Verzweifelten, die meinen, „nichts mehr zu verlieren zu haben“, kommen?

Eine „Häufung von Zwischenfällen solcher Art“ vermutet der sozialdemokratische Minister, und frühere Minister für europäische Angelegenheiten, Pierre Moscovici für die nahe Zukunft. Der Ausdruck „Zwischenfälle solcher Art“ bezeichnet Revolten, Meuterei und Aufstände in jenen Zentren, in denen „unerwünschte Einwanderer“ aus anderen Weltgegenden festgehalten werden - um ihre Entfernung vom Staatsgebiet vorzubereiten. Eine Revolte, wie sich etwa am vergangenen Sonntag ereignete, als ein solches Zentrum im Bois de Vincennes - dem Stadtwald vor den Toren von Paris - bis auf die Grundmauern niederbrannte. Es brannte aus, weil die Insassen der Anstalten rebelliert und ihre Matratzen in Brand gesteckt hatten. Jetzt beschuldigen sich die Opposition, die darin eine Folge der harten Regierungspolitik gegen Zuwanderer sieht, und das konservative Regierungslager gegenseitig. Aus den Reihen des konservativ-liberalen Blocks hat nunmehr ein hochrangiges, junges Streberarschloch die Unterstützer der unerwünscht im Lande sich im Lande Aufhaltenden inzwischen als „quasi-terroristisch“ bezeichnet (vgl. http://nantes.indymedia.org/attachments/jun2008/jeunesumpresf.mp3  , Ausführlicheres dazu s. unten). Aber der Reihe nach.


Abschiebehaft: Freiheitsentzug, „aber keine Bestrafung“

Mangels eines besseren Ausdrucks werden solche Einrichtungen wie die jetzt abgebrannte im Folgenden als „Abschiebegefängnisse“ bezeichnet. Dieser deutschsprachige Begriff entspricht nicht der französischen Bezeichnung - centre de rétention administrative, wörtlich „Zentrum der Verwaltung zum Festhalten (von Personen“). Das geltende französische Rechtsverständnis unterscheidet strikt zwischen Gefängnissen, in denen Verurteilte ihre von einem Gericht verhängte Strafe absitzen, einerseits und solchen „administrativen Verwahrungszentren“ andererseits. Sitzen doch in letztgenannten Anstalten überwiegend Menschen, die sich nichts anderes haben zuschulden kommen lassen, als den „falschen“ Ausweis zu besitzen und sich in einem Land aufzuhalten, dessen Behörden ihnen nicht das Recht dazu erteilen möchten. Obwohl das geltende französische Recht ihre - notfalls erzwungene - „Entfernung“ (éloignement) vom Staatsgebiet als gesetzmäßig erachtet, betrachtet es dennoch die Periode, die zwischen dem Ergreifen einer „illegal“ im Lande sich aufhaltenden Person und der Durchführung ihrer Abschiebung erforderlich ist, nicht als Haftzeit. Liegt diesem „Festhalten“ doch kein Vergehen oder Verbrechen - und eine infolgedessen verhängte Strafe - zugrunde. Sondern lediglich die technische „Notwendigkeit“, die Person eben einzusperren, damit sie sich ihrer „Entfernung“ wider Willen nicht entzieht.

Dieses Rechtsverständnis überwog bislang auch in der Mehrzahl der EU-Länder. Umgekehrt wird der „Gewahrsam vor der Abschiebung“ in einem Teil der deutschen Bundesländer sowie in Irland auch offiziell als „Abschiebehaft“ bezeichnet und in - speziellen oder auch nicht spezialisierten - Gefängnissen zugebracht. (Vgl. http://fr.news.yahoo.com)

In der Praxis bedeutet dies freilich für die Betroffenen in Frankreich unter Umständen auch, dass sie bestimmte Rechte, die per Gesetz den Strafgefangenen zuerkannt worden sind, nicht wahrnehmen dürfen - mit dem Argument, ihre „Verwahrung“ sei eben keine Haft. Auf der anderen Seite ist die Periode, während derer eine Person in „Administrativverwahrung“ festgehalten werden darf, bislang in Frankreich relativ kurz. Die geltende französische Gesetzgebung befristet sie auf 32 Tage.

Aber dies könnte sich demnächst ändern. Wohl auch aus diesem Grunde, und aufgrund der starken Erhöhung der Zahl der durchgeführten Abschiebungen seit dem Amtsantritt von Präsident Nicolas Sarkozy, rechnen Oppositionspolitiker wie der oben zitierte Moscovici mit der zukünftigen Häufung von „Zwischenfällen“.

EU-Richtlinie zur Angleichung: Anpassung an das übeleste „Rechts“verständnis von allen:…

Am Mittwoch, den 18. Juni 08 nahm das Europäische Parlament - nach monatelangem politischem Tauziehen zwischen den Fraktionen im Europaparlament, sowie zwischen ihnen und der Brüsseler Kommission - die so genannten „Rückkehr-Richtlinie“ an. Es handelt sich dabei um einen Text, der eine tendenzielle Vereinheitlichung der Abschiebepraktiken für unerwünschte Einwanderer in den verschiedenen Mitgliedsländern der Union herbeiführen soll. Denn sowohl die Dauer der Abschiebehaft bzw. des „administrativen Festhaltens“ ist in den unterschiedlichen EU-Staaten ausgesprochen unterschiedlich geregelt. Bei dem jetzt verabschiedeten Text handelt es sich zwar angeblich um eine „Kompromissfassung“, nachdem Bürgerrechtsinitiativen, Solidaritätsvereinigungen und linke Gruppen monatelang gegen den Entwurf der EU-Kommission Sturm gelaufen waren. Und doch liegt ihm eine Logik der Angleichung zwischen den Mitgliedsstaaten zugrunde, die - falls sie denn durchgeführt wird - zu einer Anpassung der übrigen Länder an jene mit dem härtesten Rechtsverständnis führen müsste.

…nämlich das deutsche

So definiert die neue europäische Richtlinie etwa eine zulässige Höchstdauer der Abschiebehaft bzw. des „administrativen Festhaltens“. Letztere beträgt nun, laut Richtlinie, 18 Monate. Das entspricht dem geltenden Rechtsstand in nur zwei EU-Ländern: in Deutschland sowie in Italien - dort aber erst seit kurzem, nämlich seit dem Amtsantritt der Berlusconi-Regierung. Zuvor hatte ihre Dauer in Italien noch einen Monat betragen.

In 16 Staaten der EU dagegen gelten derzeit noch Regelungen, die eine zulässige Höchstdauer unterhalb von 18 Monaten vorsehen. In Frankreich (mit 32 Tagen) sowie, bis vor kurzem, in Italien ist diese Dauer mit am kürzesten. Das in diesen Ländern herrschende Rechtsverständnis besagt, dass eine Person überhaupt nur in Abschiebehaft bzw. „Administrativverwahrung“ gehalten werden darf, um - möglichst schnell - ein geeignetes Transportmittel und (falls erforderlich) gültige Reisedokumente für ihre erzwungene Rückreise zu besorgen. Auf keinen Fall aber solle sich dieses Festhalten in einen Dauerzustand, eine Art Haft ohne zuvor begangenes Verbrechen, verwandeln.

Sieben EU-Staaten sahen bisher keine gesetzliche Begrenzung der Abschiebehaftdauer vor. Lediglich in diesen Ländern könnte die neue Richtlinie eventuell zu einer Verbesserung der Situation führen. Allerdings ist die neue Richtlinie für Großbritannien, als das wichtigste Land ohne gesetzliche Begrenzung dieser Dauer, nicht rechtsverbindlich. Denn ebenso wie Irland gehört es nicht dem seit 1995 geltenden „Schengener Abkommen“ über gemeinsame Grenzkontrollen an.

In allen anderen Ländern könnte die EU-Richtlinie dazu herhalten, die Situation erheblich zu verschärfen. Zwar dient diese offiziell lediglich dazu, „Mindeststandards“ zu definieren - hindert also einzelne Mitgliedsländer nicht daran, selbst bessere Rechtsstandards zu garantieren. Nur ist fraglich, ob deren Regierungen das noch wünschen, wo doch nunmehr ein europaweit definierter „Standard“ definiert worden ist. Das Beispiel Italien, wo die neue Rechts-Rechts-Regierung unter Silvio Berlusconi und den Rassisten von der Lega Nord in Blitzeseile die zulässige Höchstdauer der Abschiebehaft von einem Monat auf 18 Monate - den neuen „EU-Standard“ - angehoben hat, könnte Schule machen. Allerdings hat der „Einwanderungsminister“ der französischen Regierung, Brice Hortefeux, zu Anfang dieser Woche noch zugesagt, in seinem Lande werde es zu keiner Erhöhung der zulässigen Höchstdauer von derzeit 32 Tagen kommen (vgl. http://news.google.fr/ ) Doch ist fraglich, ob dies auch längerfristig so bleiben wird. Denn im Jahr 2003 hatte die regierende Rechte in Frankreich selbst diese gesetzlich zulässige Dauer auf zwei Monate anheben wollen - zuvor hatte sie noch zehn Tage betragen. Allerdings scheiterte sie damals noch am Widerstand des französischen Verfassungsgerichts. Letzteres könnte allerdings seine Position, mit Blick auf das geltende neue EU-Recht, möglicherweise ändern.

Unterdessen blockiert die deutsche Regierung - an deren besonders üble „Rechts“position sich die EU-Vorschriften mittels der neuen Richtlinie zu den Abschiebungen nun angepasst haben - eine Angleichung der Gesetzgebung zwischen den europäischen Staaten auf einem anderen, dicht daneben gelegenen Gebiet. Denn käme es dazu, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften zur Erteilung des Asylrechts bzw. Flüchtlingsstatus ebenfalls aneinander angeglichen werden, so würde dies ZUMINDEST für Deutschland durchaus eher einen Fortschritt (aus Sicht der betroffenen Menschen) darstellen. Im Unterschied zur jetzt vorgenommenen Angleichung auf dem Gebiet der Abschieberegelungen, die (jedenfalls potenziell) eine Quelle des Rückschritts überall bildet, müsste Deutschland im vorgenannten Falle nämlich einen Teil der Rechtspositionen von Asyl suchenden Einwanderern verbessern. Seit der Grundgesetz-Änderung vom 26. Mai 1993 zum Artikel 16 war das Asylrecht in Deutschland nämlich derart nach unten hin revidiert worden, dass es damit auch im Vergleich zu einer Reihe anderer EU-Länder ziemlich schlecht dasteht. Aber just auf diesem Feld blockiert die deutsche Bundesregierung bislang die Rechtsangleichung... (Vgl. http://www.taz.de )

Proteste gegen die „Richtlinie der Schande“

Dass auch der als repressiv geltende französische Minister Hortefeux derzeit beim geltenden inländischen Recht bleiben möchte, hängt auch damit zusammen, dass er innenpolitisch mächtig unter Druck steht. In Frankreich existierte nämlich eine der stärksten Protestbewegungen gegen die Verabschiedung der neuen Richtlinie, die von Bürgerrechtsgruppen und Solidaritätsinitiativen allgemein nur als „Richtlinie der Schande“ (directive de la honte) bezeichnet wurde. (Vgl. http://eemnews.umc-europe.org/ )

Im Visier der Kritiker stand nicht nur die Anhebung der Höchstdauer der Abschiebehaft - die laut den Anhängern der „Kompromissfassung“ nur für die Fälle gelten soll, wo Schwierigkeiten bei der Organisierung der erzwungenen Rückreise auftauchen, „wenn die Person oder aber die Behörden ihres Herkunftslands nicht kooperieren“. Menschenrechtsvereinigungen kritisierten auch die durch die Richtlinie neu eingeführte Bestimmung, wonach einmal abgeschobene „unerwünschte Zuwanderer“ mit einem fünfjährigen Einreiseverbot in die gesamte EU belegt werden können. Zudem erlaubt die Richtlinie grundsätzlich auch, Kinder und Jugendliche in Abschiebehaft zu halten, und sieht nur schwammig formulierte Einschränkungen vor - wie die Bedingungen, ihre Verweildauer dort solle „so kurz wie möglich“ gehalten werden.

Internationaler Protest

Nicht nur oppositionelle Gruppen in Europa protestierten gegen die Verabschiedung der neuen Richtlinie, sondern auch eine Reihe ausländischer Regierungen. Am lautstarksten meldeten sich die lateinamerikanischen Regierenden zu Wort (vgl. http://bellaciao.org/fr/spip.php?article68074 ). Während der venezolanische Präsident Hugo Chavez - der allerdings dafür bekannt ist, dass seine starken Sprüche keineswegs immer von Taten gefolgt werden - den EU-Ländern einen Öllieferstopp androhte, kündigte Ecuador unter Rafael Correa an, seine konsularischen Vertretungen im Ausland würden bei Abschiebungen nicht kooperieren. Etwa durch die Ausstellung von Reisedokumenten, ohne die eine Person nicht abgeschoben werden kann, die keinen Reisepass bei sich führt.

Ferner forderte Boliviens Staatsoberhaupt Evo Morales die afrikanischen Staaten auf, sich dem Protest anzuschließen. Deren Regimes haben sich allerdings kaum vernehmlich protestiert, unter anderem wohl, weil viele von ihnen finanziell und politisch stark von Frankreich oder anderen EU-Ländern abhängig sind. Oder aber weil die einheimischen Potentaten ihre finanziellen Interessen hauptsächlich  in Europa haben, wo ihre Guthaben gebunkert sind und wo sie - im Falle eines Sturzes oder sonstigen Abgangs - einen ruhigen Lebensabend zu verbringen gedenken.

Die Revolte im Abschiebegefängnis vor den Toren von Paris hängt allerdings nicht direkt mit diesen internationalen Ereignissen zusammen. Vielmehr resultierte sie aus den inneren Spannungen, die seit längerem in der Anstalt herrschten. In einem offiziellen Untersuchungsbericht vom 5. Juni dieses Jahres war für den Fall eines weiteren Anstiegs der Spannungen übrigens bereits eine Meuterei oder Revolte vorhergesagt worden (vgl. http://www.ouest-france.fr/ ). Nur ist die Prophezeiung möglicherweise früher eingetreten, als die Nationale Kommission zur Kontrolle der Abschiebegefängnisse - von der dieser Untersuchungsbericht stammt - es wohl vermutet hätte.

Aber was ist nun eigentlich am vergangenen Sonntag passiert?

Abschiebezentrum in Flammen

Die Anwesenden trauten zunächst ihren Augen nicht. Zunächst nur rund 40 Personen, später 150 bis 200 Personen waren am Sonntag Nachmittag zu einer - relativ spontan anberaumten - Protestkundgebung vor dem Abschiebegefängnis im Bois de Vincennes, dem Stadtwald südöstlich von Paris, versammelt. Anlass war der Tod eines 41jährigen Tunesiers mit Namen Salem Essouli am Samstag. Er starb laut offiziellen Angaben der Pariser Polizeipräfektur an Herzversagen. Der tunesische Staatsbürger war laut Angaben seiner Mithäftlinge chronisch krank und hatte am Samstag um 15 Uhr den Zugang zu Medikamenten verlangt. Vergeblich. Um dieselbe Zeit hatte ein ebenfalls in der Abschiebehaftanstalt festgehaltener Ägypter einen Selbstmordversuch begangen, indem er Eisendrähte verschluckte, um seiner für diese Woche angesetzten Abschiebung zu entgehen. Das „Netzwerk Erziehung ohne Grenzen“ (RESF, Réseau éducation sans frontières), das hauptsächlich Kinder und Jugendliche vor drohenden Abschiebungen - zusammen mit ihren Familien - versteckt, hatte für den darauffolgenden Nachmittag zur Protestversammlung vor den Toren des Abschiebegefängnisses aufgerufen.

Und plötzlich stieg, gegen 16 Uhr, dicker Rauch aus den Dächern der beiden Gebäude der Abschiebehaftanstalt auf. Und alsbald züngelten auch Flammen aus einem der Dächer. Binnen weniger Minuten brannte eines der beiden Gebäude aus, das Dach brach nach innen hin ein, und nur noch die Mauern blieben stehen. Der andere Bau hingegen kokelte rund zwei Stunden vor sich, bis auch dort dasselbe Ergebnis eintrat. Am frühen Sonntag Abend blieben von den beiden kasernenähnlichen Gebäuden der Abschiebehaftanstalt, die auf dem Gelände einer Polizeischule im Bois de Vincennes liegt, nur noch aschgraue kahle Mauern übrig. (Vgl. dazu folgende Bilder: http://www.rue89.com)

Unterdessen drangen Schreie aus dem Inneren der beiden Gebäude. Bei der Polizei schien nackte Panik zu herrschen, behelmte und bewaffnete Bereitschaftspolizisten der CRS liefen hin und her. Gruppenweise wurden Insassen der Abschiebehaftanstalt in die Turnhalle und in den Innenhof geführt und argwöhnischen Auges überwacht, unter der Drohung, jederzeit Tränengas gegen sie einzusetzen, falls sie eine falsche Bewegung unternähmen. Dort waren sie aber weiterhin der Rauchentwicklung infolge des Brandes ausgesetzt. Mehrere Personen mussten mit Rauchvergiftung ins Freie transportiert werden. Dagegen haben es allem Anschein nach (einzelne) Abschiebehäftlinge doch geschafft, die Gelegenheit zu nutzen, die Beine in die Hand zu nehmen und in die Freiheit zu entkommen. Am Sonntag Abend wurde ihre Zahl zunächst auf 56 geschätzt, doch am Montag wurde sie lt. offiziellen Angaben auf 14 herunter korrigiert. Am Dienstag gab die Polizeipräfektur von Paris dann an, „nach dem letzten Appell“ habe sich herausgestellt, dass doch nur ein Abschiebehäftling - ein ägyptischer Staatsbürger - entkommen sei. Aber möglicherweise möchte die Präfektur auch nur nicht öffentlich einräumen, wie viele „Abschüblinge“ ihr in Wirklichkeit durch die Lappen gegangen sind, um jegliche „Anstiftungswirkung“ zu unterbinden.

Die übrigen - jene, die nicht abhauen konnten - wurden auf Abschiebehaftanstalten in ganz Frankreich, vom nordfranzösischen Lille über Palaiseau (im Pariser Umland) bis hinunter ins südliche Nîmes. Aufgrund „fehlerhaften Verfahrens“ bei der Überstellung ließen französische Gerichte daraufhin am Dienstag 12 Abschiebehäftlinge auf freien Fuß: Bei ihnen die obligatorische Rechtsbelehrung unterblieben. Oder sie hätten am folgenden Tag einen vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Termin zur Vorführung vor einem Richter, der über ihre Freilassung oder weitere Festhaltung entscheiden sollte, gehabt – der infolge der Überstellung in andere Abschiebehaftanstalten ausfiel.

Allerdings dürften die französischen Behörden nun in naher Zukunft einen Engpass bei den landesweit zur Verfügung stehenden Plätzen in den Abschiebehaftanstalten antreffen. Die Anstalt von Vincennes war die mit Abstand gröbte in ganz Frankreich.

Stress und Spannungen

Der Brand war das Ergebnis einer Revolte im Inneren der Abschiebehaftanstalt: Der Selbstmordversuch des Ägypters und der Tod des herzkranken Tunesiers waren für viele Insassen nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Insassen hatte ihre Matratzen in Brand gesteckt - mutmaßlich ohne im ersten Augenblick zu ahnen, dass sie dadurch ein solches Feuer auslösen und die ganze Anstalt abfackeln würden.

Die zuvor herrschende Situation im Inneren wird als seit Tagen und Wochen angespannt beschrieben. Das Centre de rétention administrative  fasst 280 Plätze und war zum Zeitpunkt des Brandes mit 248 belegt. Damit herrschte zwar formal keine Überbelegung, wie sich die Regierung auch zu Wochenanfang - in einem „Dementi gegen die Anschuldigungen der Solidaritätsinitiativen“ - beeilte zu betonen. Dennoch ist eine Anstalt wie die im Bois de Vincennes, die administrativ zum 12. Pariser Bezirk gehört, im Prinzip nicht für so viele Personen ausgelegt: Normalerweise darf sie nach französischen Vorschriften nur die Hälfte, 140 Personen, fassen. Das Abschiebezentrum im Pariser Stadtwald war jedoch vor zwei Jahren vergrößert worden, nachdem das so genannte „Ausländerdepot“ - auch als „Mausefalle“ bekannt - in den Kellergeschossen unterhalb der Pariser Polizeipräfektur (neben dem Justizpalast auf der Stadtinsel Ile de la Cité) nach jahrelanger Ankündigung endlich geschlossen worden war. In den unterirdischen Räumen hatten derart unerträgliche Zustände geherrscht, dass es seit Jahren durch Journalistenberichte und durch Solidaritätsinitiativen angeprangert worden war. Im Gegenzug wurde allerdings die Aufnahmekapazität der ach so schönen „modernen“ Anstalt im Bois de Vincennes stark ausgebaut. Und das ist noch nicht alles: Im anderen Abschiebeknast im Pariser Raum, in Le Mesnil-Amelot in der Nähe des Flughafens von Roissy, sind derzeit zusätzliche Räume auf einer Fläche von 17.000 Quadratmeter zusätzlicher Räume in Bau.

Bedenkliche hygienische Zustände

Zur starken Auffüllung der Abschiebehaftanstalt kommen oft noch schwere menschliche Situationen und hygienische Verhältnisse hinzu. Wie die Wochenzeitung ‚Le Canard enchaîné’ im April enthüllte, hatte etwa die Firma GEPSA – eine Filiale des Multikonzerns Suez -, die seit dem 1. Januar 2007 als Subunternehmen mit der „Betreuung“ der Abschiebehäftlinge, der Lieferung von Bettwäsche und Kantinenesse betraut worden war, entschieden, die Bettlaken und Decken nur alle vier Monate auszuwechseln. Um Kosten zu sparen. Neuankömmlinge bekamen stinkende und abstobende Bettwäsche in die Hand gedrückt, viele von ihnen schliefen auf Matratzen auf dem Boden. Dies rief einen Skandal hervor - aber derjenige Angestellte, der „ausgepackt“ und die unmöglichen Zustände beschrieben hatte, wurde fristlos entlassen. (Vgl. auch http://detoxinfo.over-blog.com/ , Eintrag vom 18. April 2008) Das Unternehmen berief sich darauf, den Auflagenkatalog der Pariser Polizeipräfektur – der die Abschiebehaftanstalt untersteht, die aber ihre konkrete Verwaltung an Privatunternehmen weitergegeben hatte – „nicht richtig gelesen zu haben“. Welch bedauerlicher Irrtum. Tatsächlich steht in dem Auflagenkatalog, den das Subunternehmen sozusagen nicht richtig interpretiert hat, dass  - zumindest - bei jeder Ankunft eines neuen Insassen die Bettwäsche gewechselt werden solle.

Schon zu Jahresanfang war es infolge der starken Anspannung unter den Abschiebehäftlingen zu Revolten und Hungerstreiks gekommen. Am 11. Februar setzten die Polizeikräfte dabei den „Taser“ gegen Abschiebehäftlinge ein. (Vgl. Vgl. dazu http://www.vacarme.eu.org/article1623.html und http://www.rue89.com) Dabei handelt es sich um ein elektrisches Gerät, das „Aufrührern“ starke Stromstöße versetzt - und das in Nordamerika von Menschenrechtsorganisationen beschuldigt wird, 150 Tote in den USA und Kanada bei polizeilichen Einsätzen hinterlassen zu haben. Ob das Gerät deswegen als gefährlich bezeichnet werden darf, muss demnächst in Frankreich in einem Prozess geklärt werden: Das französische Unternehmen, das die Apparate hierzulande ausliefert, hatte gegen den linksradikalen Politiker Olivier Besancenot geklagt - weil der Präsidentschaftskandidat vom letzten Jahr behauptet hatte, dass der „Taser“ töten könne, und sich dabei auf die Angaben US-amerikanischer NGOs berief.

Die Solidaritätsinitiativen reagierten sofort auf die Ereignisse vom Sonntag, unterstützten die Revolte und prangerten die Abschiebepolitik unter Präsident Nicolas Sarkozy (der ein jährliches Kontingent von 25.000 „effektiv durchgeführten Entfernungsmaßnahmen“ angeordnet hat) als verantwortlich an. U.a. die Antirassismusbewegung MRAP, die französisch-tunesische „Vereinigung für Bürgerrechte auf beiden Ufern (des Mittelmeers)“ FTCR und andere Verbände riefen für den Dienstag zu einer Solidaritätskundgebung vor den Mauern des abgebrannten Abschiebeknasts auf, an der mehrere Hundert Menschen teilnahmen.

Unterdessen beschuldigte die konservative Regierungspartei UMP das „Netzwerk Erziehung ohne Grenzen“ RESF, die Abschiebehäftlinge durch ihre Solidaritätsdemos „aufzuwiegeln“ und dadurch „Menschenleben zu gefährden“ – so der Parteisprecher Frédéric Lefevbre. Dies führte am Montag zu einer heftigen innenpolitischen Polemik, während sich Abgeordnete der UMP und der französischen KP im Innenhof der abgebrannten Abschiebehaftanstalt gegenseitig beschimpften. Den Vogel schoss jedoch der nationale Sprecher der UMP für die Jugendlichen, David Weiss, ab - indem er das „Netzwerk Erziehung ohne Grenzen“ gleich als „quasi terroristische Bewegung“ bezeichnete. (Vgl. http://nantes.indymedia.org)

Editorische Anmerkungen

Der Text  wurde uns vom Autor für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt.
Die erste (kürzere) Fassung erschien in der Nr. 06-2008.