Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen
Das Versagen des kapitalistischen Privateigentums hat viele Gesichter

7/8-08

trend
onlinezeitung

„Gebt uns unsere Freiheit zurück!“
verlangte BDI-Chef Rogowski laut Spiegel-Online vom 26.11.200.

Durch die Freiheit des kapitalistischen Privateigentums, die immer ungehemmtere Entfesselung des sich darauf gründenden Privatinteresses soll mehr „Wirtschaftswachstum“, Vollbeschäftigung und allgemeine Wohlfahrt erreicht werden. Tatsächlich wird selbst das „Wirtschaftswachstum“, diese günstigste Bedingung für lohnabhängige Existenz im Kapitalismus, immer mehr zu einer ökologischen und sozialen Bedrohung. Vielmehr noch zeigen die aktuellen Entwicklungen in den USA wie nahe sich das Kapital an eine soziale Katastrophe in Gestalt einer verheerenden Weltwirtschaftskrise heran gearbeitet hat. Milliarden müssen aufgebracht werden, um 2 Großbanken vor dem Zusammenbruch zu bewahren und damit weitaus Schlimmeres zu verhüten oder doch wenigstens hinaus zu zögern. Zitat Frankfurter Rundschau vom 15.07.2008

„So nah stand das internationale Finanzsystem noch nie am Abgrund. Gerüchte über die drohende Zahlungsunfähigkeit der beiden größten US-Hypothekenbanken hatten in der vergangenen Woche Sorgen geschürt, die sich am Montag in einer veritablen Panik zu entladen drohten. Um diese zu vermeiden, hat die US-Regierung in der Nacht zum Montag einen Rettungsplan für die beiden öffentlich-rechtlichen Hypothekenginganten Fannie Mae und Freddie Mac vorgestellt, der umfangreicher ist, der umfangreicher ist, als alles bisher dagewesene. Denn die Banken sind „too big to fail“, zu groß, um pleite gehen zu können, ohne die US-Wirtschaft und vielleicht sogar die globale Wirtschaft in eine Depression zu stürzen.“

Die bis zum Erbrechen gepredigte Freiheit des kapitalistischen Privateigentums produziert zunehmend das Versagen eben dieses Eigentums, dessen einzige Funktion darin besteht, sich selbst zu vermehren, aber dabei die gesamte gesellschaftliche Reproduktion der Menschen beherrschend durchdringt. Eine Vermehrung des Privateigentums, die zunehmend stimuliert und überlagert wird durch bloß spekulative Mehrung von Eigentumstiteln- und Ansprüchen, die nicht eingelöst werden dürfen, wenn das Kartenhaus nicht zusammenbrechen soll, kann nicht unendlich fortgesetzt werden. Das maßlose Streben nach maximaler Rendite stößt an Grenzen, die auf das „Kerngeschäft“ des produktiven Kapitals, dessen Rentabilität nicht durch spekulative Zockerei sondern durch seine organische Zusammensetzung bestimmt und beschränkt wird, verheerend zurückschlagen muss. Je größer die Freiheit des Privateigentums, je maßloser das dadurch entfesselte Privatinteresse nach Rendite, desto rascher werden diese Grenzen erreicht.

Die „Wertschöpfungen“ der Spekulanten sind die Hypotheken des produktiven Kapitals, die es bedienen muss, und aus der Hypothekenkrise des „kleinen Mannes“ kann mir nichts dir nichts die Hypothekenkrise des produktiven Kapitals werden.

Unabhängig aber vom weiteren Verlauf der us-amerikanischen Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Weltmarktkonjunktur zeigt sich gegenwärtig allenthalben das Versagen des Kapitals, weil seine Wirklichkeit die Verheißung seiner Propheten unausgesetzt Lügen straft. 

3 Beispiele: 

  1. Das verheißene Privateigentum des „kleinen Mannes“ und das kapitalistische Privateigentum (Privateigentümer unter sich?)
    Zu den Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft gehört nicht zuletzt die Message an den „kleinen Mann“, dass auch er Eigentum bilden könne und solle. Ein schnuckeliges privates Häuschen oder doch wenigstens eine Eigentumswohnung für alle! Auf jeden Fall ein Stück Privateigentum, damit die Perspektive einer klassenübergreifenden Harmonie mindestens den Anschein einer tatsächlichen Interessengemeinschaft hat. Selbstverständlich ist es letztlich eine Horrorvision, dass alle Kleinfamilien (womöglich auch noch alle Singles) dieser Welt mit einem Stückchen Land und einem schnuckeligen Häuschen ausgestattet werden. Doch das ändert nichts an diesem Traum vom privaten Glück in einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Um so schlimmer für diesen Traum, wenn Millionen von Kleineigentümern das ihnen „vergönnte“ Privateigentum verlieren.
    Die soziale Partnerschaft von Lohnarbeit und Kapital, die allgemeine Abscheu vor Gemeineigentum und Kommunismus, hat nicht nur in erfochtenen Sozialreformen eine materielle Basis gefunden, sondern auch im privaten (Haus-) Eigentum vieler Lohnabhängiger. Die jetzt in den USA stattfindende Enteignung des lohnabhängigen „kleinen Mannes“ rüttelt an dieser Basis und ist selbst auch eine Form des Versagens des kapitalistischen Privateigentums. Das aber tritt erst deutlich zutage im ökonomischen Kontext. Die Bewältigung der letzten konjunkturellen Krise in den USA, Anfang dieses Jahrtausends wurde auch vollbracht durch die „segensreiche“ Ausschüttung von Krediten für den Häuslebau. Die Banken, diese Tempel des Privateigentums, boten „günstiges“ Geld, dessen Rückfluss in der Gestalt der Bedienung von Zinsen jetzt eher „ungünstig“ verläuft. So kommen die mächtigen Hypothekenbanken selbst ins Straucheln. Nicht nur „der kleine Mann“ verliert seine kleines Stückchen Privateigentum, sondern auch den großen Geldanlegern droht Verlust auf der ganzen Linie. Plötzlich ist der Staat, der sich doch besser aus aller Ökonomie heraushalten sollte, gefragt. Die Hohen Priester von Privateigentum und Markt schreien plötzlich nach ihm. Der Staat soll retten, was zu retten ist, selbstverständlich im Interesse des Erhalts des kapitalistischen Privateigentums, nicht im Interesse seiner Überwindung. Würden aktuell die 2 großen Hypotheken-Banken, die jetzt von der Pleite bedroht sind, tatsächlich Pleite machen, drohte das ganze Bankensystem der USA zu kollabieren, was wiederum verheerende Auswirkungen auf die gesamte kapitalistische Weltwirtschaft hätte. Die Situation ist noch lange nicht ausgestanden und sie bleibt ein lebendiger Beweis für den Bankrott bürgerlicher Ideologie über die Selbstheilungskräfte des Marktes durch die Freiheit des Privateigentums!
     
  2. Explodierende Preise, Spekulation und monopolitische Strukturen
    Angekündigt ist im feinen Deutschland erstmal eine Erhöhung des Gaspreises um 25%. „Experten“ rechnen damit, das im Laufe dieses Jahres der Gaspreis sich insgesamt verdoppeln wird. Die Preise für Öl und Benzin klettern und klettern, dass es vor allem auch hier dem „kleinen Mann“ in den reichen kapitalistischen Zentren schwindelig wird. Für die „working poor“ und die Lohnarbeitslosen wird die Situation immer präkerer.
    Aber nicht nur die Preise Gas, Öl und Benzin explodieren, gleiches gilt für viele Grundnahrungsmittel, was besonders für die verarmten Menschen in der Peripherie der internationalen Kapitalakkummulation eine katastrophale Zuspitzung ihrer sozialen Misere bedeutet. Das alles in Mitten des herbei gesehnten Aufschwungs, als Produkt des Wohltat verheißenden „Wirtschaftswachstums“.
    Auch diese Entwicklungen sind ein Produkt der Freiheit des gesegneten kapitalistischen Privateigentums und zeigen gleichzeitig sein Versagen an. Es handelt sich deshalb um ein Versagen des Privateigentums, weil das viel gepriesene Wechselspiel von Angebot und Nachfrage keineswegs so funktioniert, wie seine Apostel predigen. Es wird gepredigt, dass die möglichst unbegrenzte Freiheit des Privateigentums zu einer Konkurrenz führt, die beständig für harmonischen Ausgleich sorgt, indem sie die Preise nach unten drückt und die Einkommen wachsen lässt. Tatsächlich produziert die Freiheit des Privateigentums eine Bereicherungsgier, die ihres gleichen sucht. Die privatkapitalistische Spekulation reißt alle Schranken ein. Sie ist die Spielsucht des Kapitals. Die (noch) expandierende Weltwirtschaft, vor allem durch die enormen Wachstumsraten in Ländern wie China, Indien, Russland etc. ist der Motor für diese Spekulation, die jetzt vor allem die Preise für Rohstoffe und Grundnahrungsmittel in die Höhe treibt. Steigen die Preise allein deshalb, weil die internationale Nachfrage sehr viel stärker wächst als das Angebot, so ist das ein trefflicher Anlass für die Spekulanten, darauf zu wetten, wie hoch die Preise noch getrieben werden können, wie lange die starke Nachfrage anhält etc. Also bemächtigen die Spekulanten sich der Rohstoffe und Nahrungsmittel um höchste Renditen zu erzielen. Das auf dem Privateigentum beruhende Privatinteresse tobt sich aus auf Kosten der Gesellschaft. Die Zeche zahlen Millionen von Menschen, die an diesem Spiel nicht teilnehmen können. Sie zahlen jetzt die Zeche durch die enorm ansteigenden Preise und die große Masse der lohnabhängigen Menschen zahlt erst recht die Zeche, wenn die Spekulationsblase platzt, spätestens dann, wenn die jetzige Konjunktur der Weltwirtschaft einbricht.

    Die Freiheit des Privateigentums produziert nicht den viel beschworenen „fairen Wettbewerb“. Das Privatinteresse beherrscht die Aktionen der diversen Einzelkapitale. Aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, dem Privateigentum an Produktionsmitteln, entspringt „der Wettbewerb“, die Konkurrenz, aber es handelt sich dabei nicht um eine Sportveranstaltung. Bei keinem sportlichen Wettbewerb büßt der Verlierer am Ende seine Existenz ein. Dieser Verlust der Existenz ist aber das notwendige Produkt kapitalistischer Konkurrenz. („Leichen pflastern seinen Weg“ steht als Motto über der „freien Marktwirtschaft“.) Dies gilt für alle Bereiche der Wirtschaft, in denen eine Vielzahl von Einzelkapitalen miteinander konkurrieren. Es geht ums Überleben des Einzelkapitals, die erfolgreiche Behauptung von Privateigentum durch seine Vermehrung.
    Ein notwendiges Produkt der Konkurrenz ist auch der Konzentrationsprozess des Kapitals, der zur Herausbildung marktbeherrschender Großunternehmen wie etwa Microsoft führt. (In  bestimmten Bereichen der Wirtschaft hat es nie eine Vielzahl konkurrierender Einzelkapitale gegeben.) Erlangt ein Einzelkapital eine marktbeherrschende Stellung oder ist der Markt nur auf eine kleine Anzahl von Kapitalen mit einer hohen Marktzutrittsschranke begrenzt, dann wird die maximale Rendite schon durch bloßes Drehen an der Preisschraube möglich. Mineralölkonzerne und Energiekonzerne verstehen sich auf das Geschäft und sie brauchen wahrscheinlich nicht einmal wirkliche Absprachen. Warum sollten sie sich auf einen „Verdrängungswettbewerb“ einlassen, wenn sie von den Verhältnissen nicht dazu gezwungen werden (stark rückläufige Nachfrage, kräftige Umsatzeinbrüche)? Dem Zweck der maximalen Verwertung, der Befriedigung der Renditewünsche der Anleger, dem Privatinteresse, kann durch kontinuierliche, allseits betriebene Preiserhöhungen Genüge getan werden. Die Freiheit des Privateigentums macht es möglich. Sie produziert nicht nur Konkurrenz, „Wettbewerb“, sondern durch die Konkurrenz zugleich die Aufhebung bzw. Einschränkung des Wirkens von Angebot und Nachfrage.
    Die enormen Preiserhöhungen für Öl, Benzin, Gas und in deren Gefolge auch die Preise für Elektrizität sind zu einem nicht unerheblichen Teil auf Spekulation und monopolistische Strukturen zurück zu führen. Die angeblich so segensreichen Wirkungen des Wettbewerbs, wonach alles immer billiger und für die Masse der Menschen erschwinglich werden soll, bleiben aus. Der Markt versagt den ihm zugeschriebenen Dienst und dieses Marktversagen ist zugleich ein Versagen des Privateigentums, dessen Freiheit sich in der Befriedigung des Privatinteresses der großen Anleger austobt. Die Freiheit des Privateigentums wird somit zum Gegenteil von dem wird, was sie sein sollte: statt Schranken für die Entwicklung der „allgemeinen Wohlfahrt“ einzureißen, wird diese Freiheit selbst zur größten Schranke. Die große Welle, von der angeblich alle nach oben geschwemmt werden, produziert eine immer größere soziale Polarisierung. Schwindel erregenden Reichtum auf der einen Seite und weltweites, teils maßloses Elend auf der anderen bleiben zurück und setzen sich fest.
     
  3. Sozial sei was Arbeit schafft
    Tatsächlich ist asozial, welche Lohnarbeit das Kapital schafft. Ich spreche jetzt nicht von von den elenden Zuständen etwa in den Weltmarkfabriken Asiens. Ich spreche auch nicht von den rapide zunehmenden sogenannten „präkeren Jobs“ in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern. Wovon ich spreche, das sind die mehr oder weniger gut bezahlten Jobs hierzulande und in anderen reichen Ländern.
    Land auf Land ab liegen die Sachwalter des Kapitals, ob sie nun Rogowski , Hundt oder „Experte“ Altbundeskanzler Schmidt heißen, seit Jahren den Menschen damit in den Ohren, dass sie wieder länger arbeiten und mehr leisten müssten. Denn neben der Freiheit des Privateigentums erfordere das segensbringende „Wirtschaftswachstum“ dieses mehr an Arbeit und Leistung. Im Arbeits- und Leistungswahn dieser Menschen mit „ökonomischem Sachverstand“ drückt sich nichts anderes aus, als der Heißhunger des Kapitals nach unbezahlter Mehrarbeit. Die soziale Bilanz des durch diese Mehrarbeit bewirkten „Wirtschaftswachstums“ ist denn auch beeindruckend. Nicht nur das die Reichen immer reicher, Armen ärmer werden und ihre Zahl wächst, dieser entfachte Leistungswahn macht die Lohnabhängigen zunehmen in neuen Formen krank.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Stress als eine der größten Gefahren für das menschliche Wohlergehen im 21. Jahrhundert ein. Stress gilt als Krankmacher Nr. 1.

Einige Zahlen zum Krankmacher Stress im Arbeitsleben:

1. In Europa klagen 30% über Stress am Arbeitsplatz und fühlen sich durch das geforderte Leistungspensum und den Zeitdruck, das Arbeitstempo ständig  überfordert (Studie aus dem Jahr 2000)

2. EU-weite Studien weisen darauf hin, dass etwa die Hälfte der Fehltage am Arbeitsplatz auf zu großen Stress zurückzuführen sei.

3. Nach einer deutschen Studie des Bundesverbandes  der Betriebskrankenkassen (BKK) lassen sich 31 % aller Arbeitsunfähigkeitstage beruflichen psychischen Belastungen zuordnen

(Zahlen von 1998). Und zwischen 2001 und 2006 haben nach Angaben des BKK die Fehlzeiten durch Überlastungen und Stress um 17% zugenommen –also auf etwa 50%!

4. Schließlich noch: Man geht aufgrund von Untersuchungen von 15.000 Herzpatienten in 52 Ländern davon aus, dass dauerhafter Stress das Herzinfarktrisiko verdreifacht und fast ein ebenso hohes Risikopotential in sich birgt wie das Rauchen.

(Aus einem Vortrag des „Stressexperten“ Gerd Wenniger beim „Bund der Selbständigen“ vom 31.10.2007)

Und was wird in aller Regel an diesen Folgen der „Mehrleistung“, ob von den Krankenkassen oder von anderen „Experten“, beklagt? Selbstverständlich die dadurch hervorgerufenen „volkswirtschaftlichen Verluste“. Schlussendlich sind sie alle „Ökonomen“, denen das durch die Lohnarbeitsbedingungen hervorgerufene Leid von Menschen am Arsch vorbei geht! Statt zum Klassenkampf aufzurufen, folgt der Appell an die ökonomische Einsicht des Kapitals auf dem Fuß. „Schafft humanere Arbeitsbedingungen, dann sprudelt der Profit noch besser und die 'Volkswirtschaft' erleidet weniger Verlust.“
Selbst in diesem Punkt, den Arbeits- und Lebensbedingungen der „erfolgreichen Arbeitskraftunternehmer“ wird das Gesabbel von den Segnungen der „freien Marktwirtschaft“ durch die Realität lügen gestraft. 

Es ließen sich hier viele weitere Beispiele anführen, die den Wahnwitz einer Fortsetzung gesellschaftlicher Reproduktion der Menschen in den Formen der Kapitalverwertung illustrieren. Nicht zuletzt die ökologischen Bilanz des „Wirtschaftswachstum“ ist verheerend! Solange aber nicht ein Trommelfeuer der Kritik am kapitalistischen Privateigentum eröffnet wird, solange nicht offensiv um einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel gerungen wird, gibt es keinen Ausweg aus der Misere. Offenbar reicht das Wandeln ab Abgrund nicht aus, es muss der Absturz erfolgen, um frischen Wind in die Köpfe zu blasen.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.