Mitteilung zur Information
Strafanzeige gegen Bremer Polizei wegen homophober, gewalttätiger Übergriffe

Von Antirepressionsgruppe 2.5.08

7/8-08

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onlinezeitung

Bremen, den 18.7.2008

Im Rahmen des Christivals vom 30.4. bis 4.5. 2008 ging die Bremer Polizei auffallend heftig gegen Protestierende vor. Dass dieses Vorgehen im Sinne der Organisator_innen des Christivals war, wurde schon im Vorfeld deutlich: In der Öffentlichkeitsarbeit versuchten diese ein Bedrohungsszenario zu konstruieren und wendeten sich mit der Anfrage nach Polizeischutz vor Kritiker_innen an die Stadt Bremen (idea.de, 19.3.2008)(1). Auch im Nachhinein bedankten sie sich explizit bei der Polizei für die gute Zusammenarbeit (taz, 24.5.2008). Eine inhaltliche Stellungnahme zu der Kritik an den Seminaren („Homosexualität verstehen – eine Chance zur Veränderung“ und „Sex ist Gottes Idee – Abtreibung auch?“) blieb aus. Die Absage des Seminars zu Homosexualität war offensichtlich eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung, eine Distanzierung von den Inhalten fand ausdrücklich nicht statt. Hieran wird deutlich, dass es sich bei der öffentlich zur Schau getragenen Toleranz und Friedfertigkeit bloß um eine Fassade handelt.

So wurden friedliche Protestaktionen gegen das Christival und für die Sichtbarmachung homosexueller Lebensentwürfe in der Öffentlichkeit von der Polizei brutal angegangen und versucht diese zu unterbinden. Besonders aggressiv war das Vorgehen am 2. Mai, nach dem gelungenen Kiss-In in der Martinigemeinde bei dem Vortrag „Steht auf wenn ihr Christen seid“: Als versucht wurde, am Rande einer Christival-Veranstaltung auf dem Marktplatz ein Transparent gegen Homophobie und den alltäglichen Sexismus zu entrollen, reagierte die Polizei sofort mit drastischen Maßnahmen und ging vollkommen unverhältnismäßig vor.

Wieder einmal belegte die Polizei mit massiver Härte und Brutalität, dass Protesten und Widerstand gegen gesellschaftliche Zwangsverhältnisse mit Eskalation und Repression begegnet wird. In diesem Fall ging es um eine Kritik an dem heteronormativen Selbstverständnis der Christivaller_innen, welches einhergeht mit Intoleranz und Diskriminierung von Homosexuellen (vermittelt durch Pathologisierung), sowie einem antifeministischen, patriarchalen Weltbild. Diese Ansichten gehen mit dem gesellschaftlichen Mainstream konform.

Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass es am 2. Mai zu brutalen Ingewahrsamnahmen kam. Eine kleine Versammlung selbstbewusster, Händchen haltender homo und trans* Personen sah sich mit aggressiven Polizeikräften konfrontiert. Ohne jegliche Begründung bzw. Aufforderung den Ort zu verlassen, wurde die Gruppe mittels Einsatz von Schlagstock und körperlicher Gewalt abgedrängt. Wahllos und ohne Begründung wurde zuerst eine Person herausgegriffen und gewaltsam festgehalten. Auf die Aufforderung diese Person frei zu lassen, reagierte die Polizei mit Schlagstockeinsatz und der Androhung von Pfefferspray, Personen wurden geschubst und (teilweise sexualisiert) bedrängt. Die Eskalationsbereitschaft der Polizei steigerte sich noch als die Gruppe in eine vom Christival-Publikum aus nicht einsehbare Ecke gedrängt und dort eingekesselt wurde, dabei wurden auch Polizeihunde ohne Maulkorb eingesetzt. Währenddessen kam es zu einer weiteren, willkürlichen und brutalen Ingewahrsamnahme. Die betroffene Person wurde mehrmals gegen die Wand geschleudert, in eine Ecke gepresst und dort von zwei Polizisten mit Schlagstöcken attackiert. Menschen die ohne Christivalausweis die Polizeigewalt fotografisch dokumentieren wollten wurden brutal daran gehindert und aufgenommene Bilder zerstört. Dies zeigt deutlich das Bemühen der Polizei, jede Öffentlichkeit von den Geschehnissen auszuschließen.

Während der gesamten Situation wurden alle Gesprächsversuche der Aktivist_innen von den Polizisten abgeblockt, Fragen nach dem Grund ihres Vorgehens wurden ignoriert.

Schließlich wurden die ca. 15 Aktivist_innen mit einem massiven Polizeiaufgebot vom Marktplatz weg eskortiert. Nach einiger Zeit kam es erneut zu einer Ingewahrsamnahme. Auch hier scheuten sich die Polizeibeamten nicht, massive körperliche Gewalt einzusetzen. Die „Eskorte“ der Polizei endete erst im nächsten Stadtteil. Von den drei Festgenommenen, wurde eine Person nach Personalienaufnahme und Platzverweis für das gesamte Christivalgebiet wieder frei gelassen. Die anderen beiden wurden für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen. Die zuletzt festgenommene, achtzehnjährige Person wurde gezwungen sich nackt auszuziehen und wurde dabei mehrfach von einigen der anwesenden Polizeibeamten, die noch ihre Panzerung trugen, persönlich beleidigt.

Massive staatliche Repression richtet sich hier und anderswo meist gegen Personen und Gruppen von Personen, die den gesellschaftlichen Normen nicht entsprechen, und/oder sie öffentlich kritisieren. Es wird versucht Kritik an bestehenden (Macht-)Verhältnissen zu unterdrücken, mundtot zu machen und entweder von der Öffentlichkeit fernzuhalten, oder den Widerstand zu kriminalisieren. In diesem Sinne ist auch das Vorgehen der Polizei am 2. Mai zu verstehen. Auch am darauf folgenden Tag auf der Bürgerweide versuchte die Polizei die Proteste gegen das Seminar „Sex ist Gottes Idee, Abtreibung auch?“ von der Öffentlichkeit abzuschirmen und nahm 34 Protestierende teilweise brutal in Gewahrsam.

Übergriffe seitens der Polizei sind kein Einzelfall, sondern haben eine strukturelle Grundlage. Eine personelle Zuordnung von Gewalttaten zu einzelnen Polizist_innen ist mindestens schwierig – Dienstnummern werden nicht herausgegeben, die Tatorte (z.B. Wachen, Kessel) sind abgeschottet und die Uniform sorgt für eine Anonymisierung der Täter_innen.

Das Handeln der Polizei ist nicht abgekoppelt vom Rest der Gesellschaft zu betrachten, häufig trifft Polizeigewalt diejenigen, die auch in anderen Zusammenhängen, ob von Institutionen oder einfach auf der Strasse, schikaniert werden. Von Übergriffen betroffen sind meist Personen, die gesellschaftlich marginalisiert sind und begrenzt Möglichkeit haben, sich zu wehren.

Aufgrund der massiven psychischen und finanziellen Belastung, die ein juristisches Vorgehen gegen gewalttätige Übergriffe von Polizeibeamt_innen bedeutet, wird dieses häufig nicht zur Anzeige gebracht. Die Dunkelziffer ist enorm. Hierbei spielt auch eine Rolle, dass die Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren gegen die Staatsgewalt minimal sind – der Staat ist seinen Schläger_innen gegenüber selbstverständlich loyal, so zählt die Aussage einer_s Polizist_innen quasi doppelt. Auffällig in diesem Zusammenhang ist, dass es zu Übergriffen durch Polizeibeamt_innen keine aussagekräftigen Statistiken gibt und offenbar auch ein Interesse daran, dass dies so bleibt.(2) Insgesamt ist es äußerst schwierig an verlässliche Zahlen zu kommen, wie viele Anzeigen es gegen Polizist_innen gibt, wie viele davon zur Verhandlung kommen und dann auch noch gewonnen werden. Eine Statistik aus Berlin für die Jahre 1995 bis 2004 zeigt, dass es in nur 1,3 Prozent der angezeigten Fälle von Polizeigewalt überhaupt zu einer Anklage kam. Zu einer Verurteilung der Polizist_innen kam es nur in 0,4 Prozent.(3) Das ist praktisch nichts.

Wir wollen polizeiliche Gewalt und Einschüchterung dennoch und gerade deswegen nicht hinnehmen. Deshalb haben wir uns entschlossen, sowohl die Klage gegen die Ingewahrsamnahme, als auch die Strafanzeigen wegen Körperverletzung und u.a. sexualisierter Nötigung am 2.Mai zu unterstützen.

Wir lassen uns auch nicht aus dem öffentlichen Raum vertreiben und damit in die Unsichtbarkeit verbannen: Wir küssen weiter – wo wir wollen! Mit oder ohne Christival.
 


Anmerkungen

1) Vgl. idea.de (19.3.2008): Muss Christival-Start von der Polizei geschützt werden? ,

2) Vgl. Martina Kant (2000): Ausmaß von Polizeiübergriffen und ihre Sanktionierung
Über das Problem einer zahlenmäßigen Erfassung. Siehe: http://www.cilip.de

3 Vgl. Michael Kronewetter: "Schläger mit Staatslizenz", junge Welt, 19.01.2006, zitiert nach http://www.polizeigriff.org/broschuere/9juristisches.html#Fuss1  

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.